JudikaturJustiz15Os2/07v

15Os2/07v – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brandstetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Maksim B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde und über die Berufungen des Angeklagten Ahmad M***** sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 21. September 2006, GZ 36 Hv 118/06i-97, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, des Angeklagten M***** und seiner Verteidigerin Dr. Rösslhuber, zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 290 Abs 1 StPO) werden die Wahrsprüche der Geschworenen zu den Hauptfragen 3. und 4., das darauf beruhende Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im beide Angeklagten betreffenden Schuldspruch 2./ und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte M***** und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Maksim B***** und Ahmad M***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Satz StGB (1./) sowie der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruches haben sie in der Nacht zum 14. Jänner 2006 in Innsbruck im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

1./ Dr. Werner G***** durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht und den Kopf, sohin mit Gewalt gegen eine Person, fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld im Betrag von zumindest 450 Euro, mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Gewaltanwendung eine schwere Körperverletzung des Opfers, nämlich eine Augenhöhlenbodenfraktur links mit massiver Schwellung und Blutergüssen sowie eine Augapfelprellung links mit einer Einblutung in die vordere Augenkammer und unter die Bindehaut zur Folge hatte; 2./ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Dr. Werner G***** durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht und den Kopf, sohin mit Gewalt, zu einer Handlung, die ihn am Vermögen schädigen sollte, nämlich zur Bekanntgabe des Codes seiner Bankomatkarte, zu nötigen versucht. Die Geschworenen haben die Hauptfrage nach Raub (1. und 2.) und Erpressung (3. und 4.) bejaht, die Zusatzfrage 1./ nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) des Angeklagten M***** verneint und die Eventualfragen folgerichtig unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtete sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ahmad M*****, die eingangs des Gerichtstages zurückgezogen wurde.

Aus Anlass der ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde (RIS-Justiz RS0100246) hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO davon überzeugt, dass das Urteil hinsichtlich des (anklagekonform ergangenen) Schuldspruchs 2./ mit ungerügt gebliebener und sich zum Nachteil der beiden Angeklagten auswirkender materieller Nichtigkeit (Z 12) behaftet ist:

Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB ist nur dann anzunehmen, wenn das Tatopfer mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einem Verhalten genötigt wird, das unmittelbar die Vermögensschädigung herbeiführt. Die bloße Bekanntgabe des Pin-Codes stellt jedoch für sich allein keine Vermögensverfügung dar.

Tritt der Schaden nicht unmittelbar durch das abgenötigte Verhalten, sondern erst durch ein nachfolgendes Verhalten des Täters oder eines Dritten ein, verwirklicht der Täter Nötigung sowie ein nachfolgendes Vermögensdelikt, nicht jedoch eine Erpressung. Setzt daher der Täter ein Nötigungsmittel zur Bekanntgabe des Pin-Codes einer Bankomatkarte ein, um später mit dieser Karte, die er sich unter einem verschafft, Geld zu beheben, ist nicht § 144 Abs 1 StGB, sondern hinsichtlich der Bankomatkarte § 241e Abs 1 StGB, hinsichtlich des Pin-Codes § 105 Abs 1 StGB und bezüglich des (abgehobenen) Geldes § 127 StGB einschlägig (Eder/Rieder in WK2 § 144 [2006] Rz 17 f; Kienapfel/Schmoller Studienbuch BT II § 144 Rz 32 und 50).

Erpressung käme in diesem Zusammenhang dann in Betracht, wenn die Geldbehebung unter Verwendung der Bankomatkarte im unmittelbaren Anschluss an die Bekanntgabe des Pin-Codes erfolgt (SSt 59/59). Dem Wahrspruch der Geschworenen ist jedoch nicht zu entnehmen, ob die Abnötigung des Pin-Codes Vorstufe zu einer unmittelbar nachfolgenden (versuchten) Geldbehebung war, obwohl derartige Annahmen nach dem Akteninhalt (S 259 und 273/III) nicht ausgeschlossen waren und auch in der Anklagebegründung Deckung finden.

Die Aufhebung der Wahrsprüche zu den Hauptfragen 3. und 4. zu deren aufgezeigter Ergänzung (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 11) sowie die Aufhebung der darauf gegründeten Schuldsprüche erweist sich daher als unvermeidlich. Sollten nach den tatsächlichen Behauptungen und den Beweisergebnissen in der Hauptverhandlung andere Sachverhaltsannahmen zum zeitlichen Zusammenhang zwischen der Bekanntgabe des Pin-Codes und der Geldbehebung und damit eine von der Anklage abweichende rechtliche Beurteilung der den Angeklagten zur Last gelegten Tat (im oben beschriebenen Sinn) möglich sein, werden entsprechende Eventualfragen nach §§ 105 Abs 1, 241e Abs 1 und 15, 127 StGB zu stellen sein.