JudikaturJustiz15Os197/15g

15Os197/15g – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alexander Ü***** wegen Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 6. November 2015, GZ 13 Hv 97/15g 66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen (rechtlich verfehlten; vgl Lendl , WK StPO § 259 Rz 1; RIS Justiz RS0115553) Freispruch enthält, wurde Alexander Ü***** der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (I./), der (richtig: des) Vergehen(s) der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1, Abs 2 Z 2 StGB (II./1./) sowie mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in L***** und anderen Orten

I./ von Juli 2013 bis April 2014 mit einer minderjährigen Person, die seiner Erziehung, Ausbildung und Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er mit dem am 23. April 1999 geborenen Georg D***** mehrmals einen Analverkehr durchführte;

II./ von 11. September 2014 bis 2. Oktober 2015 Christa P*****

1./ eine längere Zeit hindurch in einer Art und Weise, die geeignet war, deren Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er im Wege der Telekommunikation durch Versendung von 17 SMS Nachrichten mit teils bedrohlichem Inhalt Kontakt zu ihr herstellte;

2./ durch die Übersendung von SMS Nachrichten zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

a./ am 13. Dezember 2014 durch die Nachricht: „Immer Vorsicht im Verkehr! Blitzeis und akute Abgänge drohen!“;

b./ am 30. Jänner 2015 durch die Nachricht: „Allgemeiner Aufruf an alle Mobbing Opfer, aktuelle und frühere, zur '1. G*****' mit anschließend Freibier und für jeden Teilnehmer eine Fackel zum Entzünden des Scheiterhaufens“;

c./ am 18. März 2015 durch die Nachricht: „Im innersten Kreis der Hölle ist ein warmes Platzerl für dich reserviert! Rasch buchen, wir helfen gern dabei!“;

d./ am 26. März 2015 durch die Nachricht: „Wir sind immer nahe! Jede Sekunde kann dir die Endabrechnung drohen!“;

e./ am 30. März 2015 durch die Nachricht: „Du wirst teuer bezahlen! So oder viel schmerzhafter, als du dir in deinen perversen Phantasien ausmalen kannst!“;

f./ am 6. April 2015 durch die Nachricht: „Alte Zombi[e]-Hexe! Immer noch nicht selbst entsorgt? Mit Freuden helfen wir aus dem Dilemma, günstig und unbürokratisch! Ein glücklicher Augenblick im Verkehr oder Ähnliches, schon freuen sich die kleinen Racker!“;

g./ am 7. April 2015 durch die Nachricht: „Achtung Geisterfahrer auf Hexenjagd! Morgen auf Höhe P*****!“;

h./ am 10. April 2015 durch die Nachricht: „Höchste Zeit für eine Hexenjagd nach alter Tradition: burn, baby, burn!“.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

In der Hauptverhandlung am 6. November 2015 stellte die Verteidigerin die Anträge (ON 65 S 43 f) auf Ladung und Vernehmung der Zeugen Rene B***** (zum Beweis dafür, dass Georg D***** von Schulkollegen gemobbt wurde, sich daher „manchmal verstellt oder blöd stellt“, während er zum Angeklagten „ein gutes Verhältnis“ hatte und auch nie von Übergriffen des Genannten berichtete, sondern vielmehr bekundete, dass Ü***** ihm den Mopedführerschein zahle, wobei er selbst die Prüfung fürchtete), Dr. Elisabeth S***** (zum Nachweis dafür, dass der Angeklagte D***** über eineinhalb Jahre zu Ordinationsterminen begleitete und auf den Genannten äußerlich erkennbar positiv einwirkte) sowie Christian Sc***** (zum Beweis dafür, dass sich der Angeklagte über mangelnde Lernerfolge D*****s, die Lehrerin Christa P***** und den Umgang mit jugendlichem Mobbing beschwerte).

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfielen diese Anträge zu Recht der Abweisung, weil sie keinen Konnex zu schuld- und subsumtionsrelevanten Umständen erkennen ließen (RIS Justiz RS0118444). Soweit die Antragstellung mit dem bloßen Hinweis auf ein gelegentliches „Verstellen“ in der Schule oder aber, ein fröhliches und gelockertes Verhalten des Jugendlichen in Gegenwart des Angeklagten auf die dem Schöffengericht zukommende Beurteilung der Glaubwürdigkeit des im Tatzeitpunkt 14 jährigen Opfers abzielte, liegt unzulässige Erkundungsbeweisführung vor ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 330 f, 431).

Die gleichfalls mit Verfahrensrüge (Z 4) beanstandete Nichtzulassung von „Aussagen“ und Fragen der Verteidigung in der Hauptverhandlung am 6. November 2015 scheitert schon daran, dass sie an eine (nicht näher konkretisierte) Nichtzulassung von Fragen durch den Vorsitzenden anknüpft und nicht an eine für die Urteilsanfechtung allein maßgebende Entscheidung des Schöffengerichts (RIS-Justiz RS0097971; Ratz , WK StPO § 281 Rz 303).

In diesem Zusammenhang bringt der Nichtigkeitswerber vor, der Vorsitzende habe sich in der Hauptverhandlung dahingehend geäußert, dass die Nichtzulassung von Fragen mittels Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden könne, was den Anschein einer vorgefassten Meinung über den Verfahrensausgang erwecke (der Sache nach Z 1). Dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 65) ist aber weder dieser behauptete Umstand noch was jedoch erforderlich wäre ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 139) eine darauf gerichtete Rüge des Angeklagten zu entnehmen, weshalb sich das Vorbringen einer Erwiderung entzieht.

Undifferenziert aus Z 5 und Z 5a wendet die Beschwerde (zu I./) ein, das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen (ON 29 und ON 65 S 36 ff) hätte der Beweiswürdigung nicht zu Grunde gelegt werden dürfen, weil es grobe Mängel aufweise, die betraute Expertin „unzulässig“ anatomische Puppen zum Einsatz gebracht, Textbausteine verwendet und sich mit wesentlichen Lebensumständen des Untersuchten gar nicht auseinandergesetzt hätte. Vorliegend hat die Verteidigung, nachdem das Gutachten in der Hauptverhandlung erörtert und dem Angeklagten Gelegenheit zu ergänzenden Fragestellungen eingeräumt worden war (ON 65 S 38 ff), weder eine Mangelhaftigkeit (§ 127 Abs 3 StPO) desselben aufgezeigt noch eine Überprüfung von Befund und Gutachten durch einen weiteren Sachverständigen beantragt ( Hinterhofer , WK StPO § 127 Rz 16).

Mit dem (bloß) gegen die materielle Überzeugungskraft der Expertise gerichteten Vorbringen wird kein Begründungsmangel (iSd Z 5 vierter Fall) der auf das betreffende Gutachten gestützten Urteilsbegründung angesprochen (vgl RIS Justiz RS0099508 [T1]). Gleiches gilt für die spekulative Erwägung, das vermeintliche Tatopfer verhalte sich im Rahmen einer Exploration durch eine Frau „sicherlich“ anders als gegenüber Männern, weshalb eine ausreichende „Vergleichbarkeit“ fehle.

Die konkrete Anzahl der zu I./ (im Sinn einer gleichartigen Verbrechensmenge; RIS Justiz RS0119552; Lendl , WK StPO § 260 Rz 24) konstatierten Angriffe (US 4: „in zumindest fünf Angriffen“) betrifft keine entscheidende Tatsache, sodass das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) ins Leere geht. Im Übrigen haben die Tatrichter die Annahmen zur Anzahl der Übergriffe logisch und empirisch mängelfrei (Z 5 vierter Fall) auf die Schilderungen des Opfers, die Einschätzung der Sachverständigen sowie den Bericht der Zeugin P***** über zunehmende Verhaltensänderungen D*****s gegründet (US 10 f). Dass dem Nichtigkeitswerber die tatrichterliche Argumentation nicht überzeugend erscheint und aus seiner Sicht auch andere (für ihn günstigere) Schlüsse denkbar wären, stellt kein Begründungsdefizit dar (RIS Justiz RS0098362).

Der zur Überzeugung des Gerichts von der Aussageehrlichkeit eines Opfers aufgrund des von ihm in der Hauptverhandlung mittels Vorführung der Ton- und Bildaufnahmen über die kontradiktorische Vernehmung (ON 65 S 43) gewonnenen Eindrucks (US 8 ff) führende kritisch-psychologische Vorgang ist der Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (RIS Justiz RS0106588). Der insofern (wiederholt) erhobene Vorwurf der „Aktenwidrigkeit“ (Z 5 fünfter Fall) zeigt keine unrichtige Wiedergabe eines Beweismittelinhalts durch formalen Vergleich von Zitat und Aktenlage auf (RIS Justiz RS0099547), sondern strebt unter eigenständiger Würdigung der Depositionen des Tatopfers nur andere Schlüsse an.

Eine prozessordnungskonforme Darstellung der Tatsachenrüge

(Z 5a) verlangt, unter konkreter Bezugnahme auf Beweismaterial, das in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (oder vorkommen hätte können und dürfen), anhand einer Gesamtbetrachtung der tatrichterlichen Beweiswürdigung erhebliche Bedenken gegen die Urteilsfeststellungen zu entscheidenden Tatsachen abzuleiten (RIS-Justiz RS0118780; RS0119583). Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, indem sie sich darauf beschränkt, Passagen der von den Tatrichtern als überzeugend eingestuften (US 8) Aussage des Zeugen Georg D***** auszugsweise wiederzugeben, um sie als durch eine suggestive Fragestellung „vorgegeben“, „widersprüchlich“ und daher nicht verlässlich in Zweifel zu ziehen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) sieht den objektiven Tatbestand des § 107a Abs 1 und 2 Z 2 StGB nicht als verwirklicht an (II./1./), weil der Angeklagte „in einem Zeitraum vom 11. September 2014 bis 2. Oktober 2015 sohin von fast einem Jahr lediglich 17 SMS Nachrichten an Christa P***** übermittelt“ habe.

Dem Urteilssachverhalt zufolge hat der Angeklagte sein am 11. September 2014 (mittels einer auf die Mobilbox P*****s gesprochenen Nachricht; US 6) begonnenes Verhalten durch mehrere SMS Nachrichten an die Genannte bis zum Jahresende 2014 fortgesetzt, ehe sich seine Kontaktaufnahmen im Zeitraum vom 2. Jänner 2015 bis 3. Februar 2015 auf ein Ausmaß von insgesamt sechs überwiegend zur Nachtzeit erfolgten Mitteilungen (am 2., 10., 15., 21., 30. Jänner und am 3. Februar 2015) intensivierten, in denen der Angeklagte massive Beschimpfungen verfasste, welche schließlich in Bedrohungen P*****s (US 5 ff und 11 f) gipfelten. Zwischen 13. März 2015 und 10. April 2015 nahm der Angeklagte mit P***** sogar sieben Mal Kontakt per SMS auf, wobei diese Nachrichten neben Beschimpfungen überwiegend Drohungen mit zumindest einer Verletzung am Körper (II./2./c./ bis h./) enthielten (US 6 ff und 11 f; zur Frage der Konkurrenz vgl Schwaighofer in WK² StGB § 107a Rz 37). Die letzte, am 2. Oktober 2015 erfolgte (nächtliche) Nachricht des Angeklagten an P***** (US 6) wies diese darauf hin, dass gegen „Dämonen der eigenen Abgründe“ kein Pfefferspray schütze.

Weshalb diese Kontaktaufnahmen, mit denen der Angeklagte P***** wiederholt als „Hexe“ titulierte, ihr ein „Verbrennen am Scheiterhaufen“, einen Unfall oder ähnliche Übel in Aussicht stellte und mit welchen er Vergeltung für ihr Eingreifen in seinen Umgang mit D***** übte (US 12), die Betroffene in Angst und Unruhe versetzte und zu diversen Sicherheitsvorkehrungen veranlasste (US 7 und 13), in ihrer Anzahl, ihrem Inhalt und den dazwischen liegenden Abständen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung dieser Parameter (RIS Justiz RS0130054) kein widerrechtliches beharrliches Verfolgen über eine längere Zeit iSd § 107a Abs 1 und 2 Z 2 StGB darstellen sollten, leitet die Beschwerde nicht aus dem Gesetz ab (RIS Justiz RS0116569).

Zum Schuldspruch II./2./ vertritt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) den Standpunkt, die inkriminierten Mitteilungen des Angeklagten seien bloß als „Zitate aus der Literatur“ oder als „ironische und überspitzt dargetane Aussagen“ zu werten und daher zu Besorgniserregung nicht geeignet. Damit stellt die Beschwerde aber nur die Feststellungen zu Bedeutungsinhalt sowie Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerungen (US 8) in Abrede und verfehlt den für die Geltendmachung materieller Nichtigkeit notwendigen, im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt (RIS Justiz RS0099810).

Unter dem Gesichtspunkt des § 290 Abs 1 StPO bleibt zu bemerken, dass der in der Annahme mehrerer Vergehen nach § 107a Abs 1 und 2 Z 2 StGB (II./1./) gelegene Subsumtionsfehler per se keinen Nachteil für den Angeklagten darstellt, weil er sich für den konkret anzuwendenden Strafsatz nach § 212 Abs 1 StGB nicht auswirkte und daraus auch keine unrichtigen, für den Angeklagten nachteiligen Strafzumessungstatsachen (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) abgeleitet wurden (US 13; RIS Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hierzu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.