JudikaturJustiz15Os139/18g

15Os139/18g – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sukhraj S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. Juli 2018, GZ 91 Hv 21/18a 59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sukhraj S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in den Morgenstunden des 22. Dezember 2017 in W***** die 15 jährige Michelle P***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie mit beiden Händen unter der Achsel erfasste, festhielt, obwohl sie sich zu wehren trachtete, gewaltsam auf seinen Schoß platzierte und vaginal in sie eindrang, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich eine schwere psychische Beeinträchtigung mit mittelgradiger Depression und Zeichen posttraumatischer Symptombildung, und eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.

Mit Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert der Beschwerdeführer die gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO „wegen psychischer Krankheit des Opfers und daraus resultierender Aussageunfähigkeit“ erfolgte Verlesung der Angaben der Zeugin P***** (ON 58 S 19 f).

Die Zeugin war zur Hauptverhandlung am 3. Mai 2018 erschienen, ihre gemäß § 250 Abs 3 StPO schonend im Beratungszimmer erfolgte Vernehmung musste allerdings nach kurzer Zeit abgebrochen werden, weil sie in Panik verfiel, das Vernehmungszimmer verließ und ihr psychischer Zustand eine weitere Befragung nicht zuließ (ON 20 S 9).

Nach dem daraufhin eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten ist Michelle P***** nicht in der Lage, in der Hauptverhandlung eine Aussage als Zeugin zu machen (ON 53 S 16). Dazu in der Hauptverhandlung befragt erklärte der Sachverständige, er gehe davon aus, dass bei konsequenter Behandlung in einem halben Jahr eine Aussagefähigkeit erreichbar sei, wobei das Mädchen jedoch derzeit nicht in Behandlung und dazu auch nicht motivierbar sei (ON 58 S 15; vgl auch die Angaben der Privatbeteiligtenvertreterin ON 58 S 17).

Ausgehend von diesem psychischen Zustand und der bloß hypothetischen Möglichkeit, dass bei konsequenter Behandlung in sechs Monaten eine Aussagefähigkeit erreicht werden könnte, konnten die Tatrichter von einer nachträglichen Unfähigkeit zur Aussage ausgehen, sodass das Erscheinen der Zeugin vor Gericht im Sinn des § 252 Abs 1 Z 1 StPO in absehbarer Zeit „füglich nicht bewerkstelligt werden konnte“ (RIS-Justiz RS0112010; vgl Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 62 ff). Die Verlesung ihrer Aussage war daher zulässig.

Mit Blick auf Art 6 MRK sei angemerkt, dass sich die Tatrichter in der Urteilsbegründung nicht bloß auf die (verlesene) Aussage dieser Zeugin stützten („to a decisive extent“), sondern ihre Feststellungen auch auf „eine Gesamtbetrachtung der Begleitumstände“ (Auffindungssituation [Amtsvermerk ON 4 S 37 f], Befund des AKH [ON 4 S 35 f]), das gerichtsmedizinische sowie das psychiatrische Sachverständigengutachten im Zusammenhalt mit der als widersprüchlich und nicht nachvollziehbar verworfenen Verantwortung des Angeklagten gründeten (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 131 ff; Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 5 f).

Entgegen dem Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4) konnte der Antrag auf Einholung eines „Glaubhaftigkeitsgutachtens“ zum Beweis dafür, dass „die Zeugin nicht in der Lage ist, Erlebtes von Nichterlebtem zu unterscheiden“ (ON 58 S 16 f), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden.

Im Antrag wurde nämlich nicht dargetan, dass die Zeugin bzw deren gesetzliche Vertreter die erforderliche Zustimmung zur psychologischen Exploration erteilen würden (RIS-Justiz RS0118956, RS0097584). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitserforschung rügt, ist er auf die Subsidiarität der Aufklärungsrüge (Z 5a) gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4) zu verweisen.

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618).

Der Antrag auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Schilderungen der Zeugin, der Angeklagte habe sie mit beiden Händen unter den Achseln gepackt und auf seinen Schoß gesetzt, „physikalisch nicht möglich“ seien (ON 58 S 17), konnte schon deshalb abgewiesen werden, weil er nicht klar machte, weshalb die Schilderung der Zeugin die „Gesetze der Schwerkraft und Physik“ missachten sollte und zur Beurteilung dieses Vorgangs besondere Fachkenntnisse erforderlich sein sollten (RIS-Justiz RS0097283).

Mit Diskrepanzen in den Aussagen der Zeugin P***** haben sich die Tatrichter – dem Einwand der Mängelrüge zuwider (Z 5 zweiter Fall) – ebenso auseinandergesetzt wie mit der Frage einer durch Alkoholbeeinträchtigung herabgesetzten Wehrfähigkeit des Opfers (US 8). Gleiches gilt für den Umstand, dass beim Angeklagten keine objektiven Spuren von Abwehrbewegungen festgestellte wurden (US 9), und den Krankenhausbefund (ON 4 S 35), in dem von einem zweiten (zu Beginn) anwesenden Mann die Rede ist (US 9).

Dass die von den Tatrichtern gezogenen Schlüsse dem Beschwerdeführer nicht überzeugend erscheinen und auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, stellt den angezogenen Nichtigkeitsgrund nicht dar (RIS-Justiz RS0098400). Insgesamt kritisiert die Mängelrüge mit eigenständigen Beweiswerterwägungen lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld.

Die subjektive Tatseite aus dem Verhalten des Angeklagten abzuleiten, ist zulässig und vorliegend unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit auch nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882; Z 5 vierter Fall).

Die Subsumtionsrüge (der Sache nach Z 10) vermisst „ausreichende“ Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die Erfolgsqualifikation der schweren Körperverletzung (§ 201 Abs 2 erster Fall StGB). Sie erklärt aber nicht, welche Konstatierungen über die vom Erstgericht ohnehin getroffenen, wonach der Angeklagte „bei der Erzwingung des Beischlafs allfällige Verletzungen oder psychische Folgeschäden seines Opfers billigend in Kauf“ nahm (US 6), für die rechtsrichtige Zurechnung der zumindest fahrlässig herbeizuführenden Tatfolge (§ 7 Abs 2 StGB) erforderlich wären.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO). Dieses wird zu berücksichtigen haben, dass die Wertung der mangelnden Reue des Angeklagten – im Ergebnis also dessen leugnende Verantwortung – als eine für die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe mitentscheidende Tatsache (US 12) eine im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO unrichtige Gesetzesanwendung darstellt (RIS Justiz RS0090897), widerspricht dies doch dem – verfassungsrechtlich aus Art 6 MRK und Art 90 Abs 2 B VG abzuleitenden, einfachgesetzlich durch § 7 Abs 2 erster Satz StPO ausdrücklich normierten – Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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