JudikaturJustiz15Os106/23m

15Os106/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * G* wegen des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 9. Mai 2023, GZ 4 Hv 9/23w 31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde mit dem angefochtenen Urteil * G* jeweils eines Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 erster Fall StGB (I./), der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (VI./A./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (VI./B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in K*

I./ im Juli 2022 mit * B* gegen deren Willen den Beischlaf vorgenommen, indem er an ihr den Geschlechtsverkehr vollzog, obwohl die Genannte davor mehrfach ausdrücklich sagte, dass sie keinen Geschlechtsverkehr wolle (US 5);

VI./ am 28. Oktober 2022 * W*

A./ mit Gewalt zu einer Handlung zu nötigen versucht, indem er sie nach ihrer Weigerung, ihm seine am * 2022 geborene Tochter zu übergeben, fest am rechten Oberarm packte und versuchte, ihr das Baby zu entreißen;

B./ durch die zu VI./A./ dargestellte Tat am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt, wobei die Genannte einen blauen Fleck am rechten Oberarm erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Angeklagte durch die Abweisung (ON 29 S 30 f) seines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der psychiatrischen Kriminaldiagnostik „zum Beweis für die mangelnde Nachvollziehbarkeit, Plausibilität, Konsistenz und Glaubwürdigkeit der Aussage der Zeugin * B*“ (ON 29 S 29 f) in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt. Die Rüge scheitert schon daran, dass im Antrag nicht dargetan wurde, dass die Zeugin die Zustimmung zu einer psychologischen Untersuchung erteilen würde (RIS Justiz RS0108614, RS0097584). Darüber hinaus ist die Hilfestellung durch einen Sachverständigen bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit einer Zeugin nur bei – durch Beweisergebnisse indizierten – Bedenken gegen deren allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit oder deren (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit sowie bei Anhaltspunkten für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder einen sonstigen erheblichen Defekt derselben erforderlich (RIS Justiz RS0097733, RS0120634 [T4]). Anhaltspunkte für eine solche Ausnahmekonstellation zeigte der Antrag mit dem Vorbringen, die Zeugin habe widersprüchliche Aussagen getätigt und leide „offensichtlich an psychischen Problemen und Beeinträchtigungen, wie sie auch selbst zu Protokoll gegeben hat“, nicht auf, sodass er im Ergebnis auf eine (im Hauptverfahren unzulässige) Aufnahme eines Erkundungsbeweises abzielte (RIS Justiz RS0097576).

[5] Das ergänzende Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Fundierung des Beweisantrags ist mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

[6] Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit dem Hinweis auf die Krankengeschichte der Zeugin B* und deren selbst zugestandenen psychischen Beeinträchtigungen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0119583).

[7] Die zu I./ erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a; nominell auch auf Z 5 gestützt) behauptet das Fehlen von Feststellungen, „wann im konkreten“ das Opfer dem Angeklagten gegenüber geäußert habe, dass es keinen Geschlechtsverkehr wolle. Es könne nämlich im Hinblick darauf, dass sich das Opfer gegen den Geschlechtsverkehr nicht gewehrt und es dem Angeklagten während desselben einen entgegenstehenden Willen nicht zu verstehen gegeben habe, nicht davon ausgegangen werden, dass „allfällige Äußerungen in der Zeit vor dem gegenständlichen Vorfall“ auch „für die nächste oder weitere Zukunft Gültigkeit“ haben. Warum die Feststellungen, wonach der Angeklagte einen vaginalen Geschlechtsverkehr an B* vornahm, „obwohl diese dem Angeklagten davor mehrfach ausdrücklich sagte, dass sie keinen Geschlechtsverkehr will“ (US 5; vgl dazu auch die den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Äußerungen des Opfers und dem Beischlaf darlegende Beweiswürdigung US 7 f), nicht einen dem tatgegenständlichen Beischlaf entgegenstehenden Willen des Opfers zum Ausdruck bringen sollten, erklärt die – lediglich auf das passive Verhalten des Opfers während des Vollzugs des Beischlafs abstellende – Beschwerde damit nicht (vgl aber RIS Justiz RS0116569).

[8] Die von der weiteren Rüge (Z 9 lit a) vermissten Feststellungen, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf ein Handeln gegen den Willen des Opfers bezog, befinden sich auf US 5, wonach der Angeklagte wusste, dass er an seiner Lebensgefährtin „gegen deren Willen den Beischlaf vornahm, wobei er sich mit diesem Umstand abfand und trotzdem handelte“.

[9] Warum die Feststellungen zu VI./A./, wonach der Angeklagte W* „fest am rechten Oberarm“ packte und versuchte „ihr das Kind mit Gewalt zu entreissen“ (US 5), nicht dem Tatbestandsmerkmal der Gewalt iSd § 105 Abs 1 StGB entsprechen sollten und weshalb es Konstatierungen bedurft hätte, dass der Angeklagte „eine erhebliche Kraftanstrengung im Rahmen der Krafteinwirkung auf den Körper“ des Opfers aufgewendet hat, macht die Beschwerde (Z 9 lit a) nicht klar (vgl h ingegen zum Gewaltbegriff RIS Justiz RS0093620 [T1], RS0093617 [T2]).

[10] Soweit der Beschwerdeführer den Rechtfertigungsgrund nach § 105 Abs 2 StGB für sich reklamiert (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 9 lit b) , weil der Angeklagte die Übergabe seines Kindes an ihn durchsetzen wollte, nimmt er nicht die Gesamtheit der Fest stellungen in den Blick. Diesen zufolge hielt W* ihre knapp drei Monate alte Enkeltochter im Arm, was „dem Angeklagten nicht passte“, weshalb er die Genannte anschrie, dass sie ihm das Kind übergeben soll. Da sich W* „aufgrund des erregten Zustandes des Angeklagten weigerte, diesem das Kind zu übergeben, packte dieser sie fest am rechten Oberarm und versuchte, ihr das Kind mit Gewalt zu entreissen“, wodurch die Genannte „einen bla uen Fleck am rechten Oberarm“ erlitt (US 5). Warum in dieser Konstellation die – nur in außergewöhnlichen Fällen als sozial erträglich angesehene ( Schwaighofer in WK 2 StGB § 105 Rz 77) – Anwendung von Gewalt nicht den guten Sitten widerstreiten sollte und – im Übrigen – nicht auch ein qualitatives Missverhältnis von Mittel und Zweck vorliegen würde (vgl dazu RIS-Justiz RS0095293), legt die Nichtigkeitsbeschwerde nicht dar.

[11] Die Diversionsrüge (Z 10a) ist auf Basis der Konstatierungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens der Diversionsvoraussetzungen zu entwickeln (RIS Justiz RS0124801). Indem sie behauptet, das Erstgericht habe ein diversionelles Vorgehen nicht in Erwägung gezogen, obwohl sämtliche Voraussetzungen des § 198 StPO vorliegen würden und sich der Angeklagte zu VI./ in einem erregten Zustand befunden habe, der durch die ständigen Einmischungen des Opfers erklärlich sei, übergeht sie (schon) das Fehlen einer von entsprechendem Unrechtsbewusstsein getragenen Bereitschaft des Angeklagten zur Verantwortungsübernahme (vgl US 7), die aber für die diversionelle Erledigung erforderlich ist (vgl RIS Justiz RS0126734, RS0116299).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

Rechtssätze
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