JudikaturJustiz14Os90/04

14Os90/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. September 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Sengstschmid als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Khaled I***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die vom Generalprokurator gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 17. Dezember 2003, GZ 5 U 152/02v-18, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 17. Dezember 2003, GZ 5

U 152/02v-18, mit dem Khaled I***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt wurde, verletzt,

1. soweit es auch den Zeitraum vom 30. September 2002 bis zum 2. April 2003 umfasst, § 459 StPO und Art 6 EMRK;

2. soweit es auch den Zeitraum vom 3. April 2003 bis zum 17. Dezember 2003 umfasst, § 267 (§ 447) StPO.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in dem die zu 1. und 2. angeführten Zeiträume betreffenden Teil des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und dem Bezirksgericht Kitzbühel aufgetragen, im Umfang der Aufhebung dem Gesetz gemäß zu verfahren.

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck wird mit ihrer gegen das Urteil erhobenen Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Bestrafungsantrag vom 30. September 2002 legte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Kitzbühel dem Khaled I***** (damals noch unter dem unrichtigen Namen Ismaiel K*****) das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB zur Last, weil er seit 30. April 1998 seine Unterhaltspflicht gegenüber seinen Töchtern Natalie I***** und Jasmin I***** gröblich verletzt habe. Ein Ende des Deliktszeitraums wurde im Bestrafungsantrag nicht angeführt (ON 5). In der (nach zweimaliger Vertagung) am 2. April 2003 (gemäß § 459 StPO) in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung erklärte die Bezirksanwältin, den Bestrafungsantrag "bis zum heutigen Tag" auszudehnen, und beantragte sodann "Schuldspruch und schuld- und tatangemessene Bestrafung" (ON 9). Khaled I***** wurde daraufhin in Abwesenheit mit Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 2. April 2003, (ON 10) im Sinn des ausgedehnten Bestrafungsantrags (Tatzeitraum sohin "seit 30. April 1998 bis heute") schuldig erkannt und zu einer (gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Einem (mit plötzlicher Erkrankung begründeten) Einspruch des Verurteilten gegen dieses Abwesenheitsurteil gab das Bezirksgericht Kitzbühel mit Beschluss vom 11. September 2003 statt und ordnete eine neue Hauptverhandlung an (ON 14). Trotz gehöriger (durch Hinterlegung erfolgter) Vorladung erschien der Beschuldigte auch nicht zu der am 17. Dezember 2003 anberaumten Hauptverhandlung, die daraufhin erneut in seiner Abwesenheit durchgeführt wurde. In dieser Hauptverhandlung beantragte die Bezirksanwältin wiederum (ohne allerdings den Bestrafungsantrag auf weitere Unterhaltsverletzungen seit dem Abwesenheitsurteil vom 2. April 2003 auszudehnen) lediglich "Schuldspruch und schuld- und tatangemessene Bestrafung" (ON 17). Mit Abwesenheitsurteil vom 17. Dezember 2003 (ON 18) wurde Khaled I***** sodann neuerlich des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 198 Abs 1 StGB) gegenüber seinen beiden Töchtern in der Zeit "seit 30. April 1998 bis heute" schuldig erkannt und zur gleichen Strafe wie mit Abwesenheitsurteil vom 2. April 2003 verurteilt.

Gegen dieses - auch Khaled I***** zu eigenen Handen zugestellte - Urteil erhob die Staatsanwaltschaft Innsbruck Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe. In der Nichtigkeitsberufung verwies sie darauf, die Ausdehnung des Bestrafungsantrages in der Hauptverhandlung vom 2. April 2003 sei infolge Abwesenheit des Beschuldigten gesetzwidrig gewesen. Sie begehrte daher - aus § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 8) StPO - die Aufhebung des Urteils nur in dem - von der Anklage nicht umfassten - Zeitraum vom 3. April 2003 bis 17. Dezember 2003.

Rechtliche Beurteilung

Das Landesgericht Innsbruck hat über diese Berufung bisher nicht entschieden, sondern die Akten mit der Anregung einer Maßnahme nach § 33 Abs 2 StPO dem Generalprokurator übermittelt.

Dieser erhob gegen das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 17. Dezember 2003 eine - die Rechtskraft der bekämpften Entscheidung nicht voraussetzende - Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, der Berechtigung zukommt.

Wird der (schriftliche) Bestrafungsantrag in der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten vom Ankläger ausgedehnt (hier: in der Hauptverhandlung vom 2. April 2003 durch Erweiterung des Tatzeitraums der Unterhaltsverletzung vom Tag des Bestrafungsantrages bis zur Hauptverhandlung), so darf über den ausgedehnten Teil kein Abwesenheitsurteil gefällt werden. Ein Abwesenheitsurteil hinsichtlich nicht im schriftlichen Antrag auf Bestrafung enthaltener Anschuldigungspunkte ist unzulässig, weil es gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßt und die diesen Grundsatz beschränkenden Ausnahmebestimmungen der §§ 427, 459 StPO nicht ausdehnend ausgelegt werden dürfen (vgl Rainer, WK-StPO § 459 Rz 15).

Durch die Urteilsfällung in Abwesenheit des Beschuldigten auch in Bezug auf die Unterhaltsverletzung während des vom schriftlichen Bestrafungsantrag (vom 30. September 2002) nicht erfassten Zeitraums (bis zum 2. April 2003) wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 459 StPO verletzt (EvBl 1996/6; EvBl 1999, 153 = JBl 2001, 125, wonach in § 459 StPO und anderen Bestimmungen der in Art 6 EMRK formulierte Grundsatz des rechtlichen Gehörs zum Ausdruck kommt). In der am 17. Dezember 2003 in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung ist eine weitere Anklageausdehnung (anders als am 2. April 2003) nicht mehr erfolgt. Durch den Schuldspruch vom 17. Dezember 2003, demzufolge Khaled I***** auch in der Zeit vom 3. April 2003 bis zum Tag der Urteilsfällung seine Unterhaltspflicht verletzt habe, hat das Bezirksgericht daher - worauf die Staatsanwaltschaft zutreffend in der Berufung wegen Nichtigkeit verweist - die Anklage überschritten (§ 267 StPO). Denn der (kein Ende der Tatzeit enthaltende) Bestrafungsantrag vom 30. September 2002 konnte sich denknotwendiger Weise nur auf jene Taten beziehen, die bis zum Tag seiner Abfassung verübt worden waren (Mayerhofer StPO5 § 262 E 38). Von der Anklageausdehnung am 2. April 2003 wurden nur die bis zu diesem Tag begangenen weiteren Unterhaltsverletzungen erfasst.

Beide Gesetzesverletzungen haben sich zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt, weil dadurch der Deliktszeitraum gegenüber dem im schriftlichen Bestrafungsantrag zugrundegelegten Zeitraum um beinahe 15 Monate verlängert wurde.

Es war daher mit Teilkassation des Urteils vorzugehen und dem Erstgericht aufzutragen, im Umfang der Aufhebung dem Gesetz gemäß zu verfahren (§ 292 letzter Satz StPO).

Vom Generalprokurator nicht ausdrücklich gerügt wurde der Umstand, dass beide aktenkundigen Abwesenheitsurteile keine dezidierten (allgemeinen) Kostenentscheidungen nach § 389 StPO, sondern jeweils bloß den Passus: "Die Kosten des Verfahrens werden für uneinbringlich erklärt" enthalten (vgl Fabrizy StPO9 Rz 3; Lendl WK-StPO Rz 5, je zu § 389).

Rechtssätze
5
  • RS0111828OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Unzulässigkeit im Abwesenheitsverfahren. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wurde im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht der Bestrafungsantrag erst in der in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung auf einen weiteren Deliktszeitraum ausgedehnt, so ist die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SSt 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 451 Abs 1 StPO einen schriftlichen Bestrafungsantrag nachzutragen. War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (nicht bloß in der Bestimmung des § 459 StPO) verletzt.