JudikaturJustiz14Os89/03

14Os89/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. August 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. August 2003 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Habl, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Allmayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Elke Nicole J***** wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 10 U 245/02b des Bezirksgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit der Beschuldigten nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 10 U 245/02b des Bezirksgerichtes Innsbruck verletzt die prozessleitende Verfügung auf Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit der Beschuldigten das Gesetz in der Bestimmung des § 459 StPO.

Diese und das darauf basierende Abwesenheitsurteil, welches in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In dem zum AZ 10 U 245/02b beim Bezirksgericht Innsbruck geführten Strafverfahren gegen Elke Nicole J***** verfügte der Bezirksrichter am 7. Oktober 2002 die Vorladung der Beschuldigten zu der auf den 26. November 2002 anberaumten Hauptverhandlung. Die Verfügung wurde am selben Tag abgefertigt (S 1 des Antrags- und Verfügungsbogens). Mit Schreiben vom 31. Oktober 2002 ersuchte der Bezirksrichter sodann die Bundespolizeidirektion Innsbruck, die Vorladung unter der bereits in der Zustellverfügung angegebenen Adresse "zuzustellen, da der/die Genannte den bei der Post hinterlegten RS-Brief nicht behebt". Mit einem am 9. Dezember 2002 bei Gericht eingelangten Schreiben teilte die Bundespolizeidirektion Innsbruck mit, dass dem Auftrag deshalb nicht habe entsprochen werden können, weil Elke Nicole J***** vor dem 27. November 2002 delogiert worden sei und an der neuen Adresse nicht mehr rechtzeitig habe erreicht werden können. Zu diesem Zeitpunkt hatte indes der Bezirksrichter bereits die Hauptverhandlung durchgeführt und das Urteil gefällt. Im Protokoll über die Hauptverhandlung wurde festgehalten: "Die Beschuldigte ist nicht erschienen. Die Ladung wurde durch die Polizei zugestellt" (S 53). Im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft berief sich Elke Nicole J***** zum Beweis angeblich unwirksamer Zustellung des Abwesenheitsurteils auf einen (erst) am 15. November 2002 geänderten Wohnort (§ 4 ZustG). In seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt der Generalprokurator folgendes aus:

Die §§ 79 Abs 1 sowie 454 StPO sehen die persönliche Vorladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung vor. Gemäß § 459 StPO ist die gehörige Vorladung des Beschuldigten unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit. Mangels gehöriger Vorladung verstießen somit die Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit der Beschuldigten gegen das Gesetz.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Wenn der Beschuldigte der gehörigen Vorladung ungeachtet zur bestimmten Stunde nicht erscheint, hat der Richter, sofern er nicht die Vernehmung des Beschuldigten nötig findet (zur Intensität amtswegiger Wahrheitsforschung s Rainer, WK-StPO § 459 Rz 7), sofort das Verfahren zu beginnen, die Beweise aufzunehmen und nach Anhörung des Anklägers das Urteil zu fällen und zu verkünden (§ 459 erster und zweiter Satz StPO).

Nach dem Inhalt des Schreibens des Bezirksrichters an die Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 31. Oktober 2002 (S 73), dem allerdings keine aktenkundige richterliche Verfügung zugrunde liegt, könnte angenommen werden, dass dieser bei seiner prozessleitenden Verfügung auf Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung von der Hinterlegung der Vorladung im Sinn des § 17 Abs 1 ZustG ausging. Auch mag er davon ausgegangen sein, dass die Geschäftsabteilung - trotz Fehlens einer den §§ 123, 127 Geo entsprechenden Anordnung auf Zustellung der Vorladung zu eigenen Handen - aus Eigenem in diesem Sinn vorgegangen war. Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes wären die angefochtenen Verfügungen (bei nachgewiesenem Zustellvorgang) gesetzeskonform, weil auch die für die Vorladung der Parteien zur Hauptverhandlung von § 79 Abs 1 erster Satz StPO verlangte Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers rechtswirksam durch Hinterlegung vorgenommen werden kann (§§ 17 Abs 3 dritter Satz, 21 Abs 2 letzter Satz ZustG; vgl Rainer, WK-StPO § 459 Rz 4).

Gesetzwidrigkeit drückt nämlich eine Relation aus und bedeutet verfehlte Rechtsanwendung auf einen Lebenssachverhalt. Selbst der im Protokollshinweis auf Ladungszustellung "durch die Polizei" zum Ausdruck kommende Irrtum über die rechtlichen Folgen einer Hinterlegung (§ 17 Abs 3 ZustG) würde daran nichts ändern, weil eine rechtlich verfehlte prozessleitende Verfügung nicht vorliegt, wenn diese trotz unzutreffender rechtlicher Erwägungen im Ergebnis rechtsrichtig getroffen wurde (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 7, § 281 Rz 50, 52; vgl auch 14 Os 159/02, 13 Os 63/03).

Die Nichtigkeitsbeschwerde beruft sich allerdings treffend auf einen Mangel in der Überprüfung der Zustellung (vgl SSt 22/45). Der für eine gehörige Vorladung im Sinn des § 459 StPO erforderliche Sachverhalt durfte nämlich angesichts eines bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erledigten (entgegen § 80 Abs 3 StPO ergangenen) Auftrages an die Bundespolizeibehörde ohne aktenkundigen Zustellnachweis (§ 22 ZustG; ein solcher erliegt nicht im Akt) rechtsfehlerfrei nicht unterstellt werden.

Diese die Angeklagte benachteiligende Gesetzesverletzung führt zur Aufhebung der von der Anfechtung betroffenen prozessleitenden Verfügung und des rechtslogisch davon abhängigen Urteils.