JudikaturJustiz14Os71/93

14Os71/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juni 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juni 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Massauer und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kobinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Umberto R* wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen schweren Bandendiebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130, zweiter und dritter Fall, StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 11.März 1993, GZ 26 Vr 2335/92 116, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig gefaßten Beschluß gemäß § 494 a Abs. 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde (ua) der italienische Staatsangehörige Umberto R* des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen schweren Bandendiebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130, zweiter und dritter Fall, StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 13.Juli 1992 in Innsbruck mit dem im selben Verfahren (auch insoweit) bereits rechtskräftig abgeurteilten kolumbianischen Staatsangehörigen Ramon W* als Mitglied einer Bande unter Mitwirkung weiterer Bandenmitglieder, insbesondere des derzeit flüchtigen Alberto G*, Bargeld in einem 25.000 S jedenfalls übersteigenden Betrag Angestellten der R*, mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz und in der Absicht (US 3, 18, 26), sich durch die wiederkehrende Begehung schwerer Diebstähle eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wegzunehmen versucht, indem er und (ua) die Genannten sich zum Zweck des Diebstahls eines größeren Geldbetrages in die Schalterhalle begaben, eine Bedienstete unter dem Vorwand, daß sie Geld wechseln wollten, in ein Gespräch verwickelten, um sie abzulenken und hiedurch einem der Bandenmitglieder die Möglichkeit zu verschaffen, in einem günstig erscheinenden Augenblick das Geld zu stehlen, wobei die Tat nur zufolge der besonderen Aufmerksamkeit einer Bankangestellten beim Versuch blieb, die wegen des auffälligen Verhaltens des Angeklagten und seiner Mittäter die Überwachungskamera einschaltete, worauf sie den Schalterraum unverrichteter Dinge verlassen mußten.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 1, 4 und 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Einen Verfahrensmangel (Z 4) erblickt der Beschwerdeführer zunächst darin, daß sein in der Hauptverhandlung vom 11.März 1993 gestellter, gegen den gesamten Schöffensenat gerichteter Ablehnungsantrag (S 301/II) mit Zwischenerkenntnis abgewiesen und dabei auch der gegen die Vorsitzende des Schöffengerichtes wegen ihrer im Verfahren entfalteten "untersuchungsrichterlichen Agenden" geltend gemachte Ausschließungsgrund nicht anerkannt worden seien (S 303/II). Insoweit hatte jedoch der Verteidiger lediglich den schon am Tag vor der Hauptverhandlung (am 10.März 1993) eingebrachten (ON 114 a) und vom Präsidenten des Landesgerichtes Innsbruck noch vor der Hauptverhandlung mit dem gemäß § 74 Abs. 3 StPO nicht bekämpfbaren Beschluß vom 11.März 1993 abgewiesenen Antrag wiederholt (S 301/II). Wurde aber einem vor der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag nicht Folge gegeben und wird dieser Antrag trotz unveränderter Sachlage in der Hauptverhandlung nur erneuert, kann dessen (abermalige) Abweisung im Hinblick auf die zuvor bezeichnete Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Ablehnung nicht aus der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO bekämpft werden (SSt. 52/29).

Der in Ansehung der Vorsitzenden des Schöffengerichtes ins Treffen geführte Ausschließungsgrund versagt schon deshalb, weil sie in diesem Verfahren nicht als Untersuchungsrichter(in) tätig war. Die Anordnung der von der Vorsitzenden zwischen der (ersten) Hauptverhandlung vom 26.November 1992 und der am 11.März 1993 neu durchgeführten Hauptverhandlung vorgenommenen Erhebungen war auf Grund der vom öffentlichen Ankläger in der erstbezeichneten Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge (S 173/II) erforderlich. Die von der Verteidigung beanstandeten Vorgänge finden in der Bestimmung des § 254 StPO Deckung, wonach der Vorsitzende des (zur Erforschung der materiellen Wahrheit gemäß § 3 StPO verpflichteten) Schöffengerichtes ermächtigt ist, unter anderem neben der amtswegigen Vorladung von Zeugen und Sachverständigen auch "andere Beweismittel beizuschaffen". Ebensowenig liegt die in diesem Zusammenhang "vorsichtshalber" behauptete Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 1 StPO vor, die nur die Beteiligung eines ausgeschlossenen, nicht aber auch eines befangenen Richters an der Entscheidung betrifft (Mayerhofer Rieder StPO3 ENr. 10 ff zu § 74).

Aus der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO rügt der Beschwerdeführer ferner die Abweisung seines in der Hauptverhandlung vom 11.März 1993 gestellten Antrages (S 311/II), hinsichtlich des im Akt erliegenden ("ohne ausdrückliche Zustimmung des Angeklagten" zustandegekommenen) anthropologischen Gutachtens (ON 113) in der Hauptverhandlung weder die Verlesung noch die Erörterung durch den gerichtsmedizinischen Sachverständigen zuzulassen.

Das Schöffengericht lehnte den Antrag im wesentlichen mit der Begründung ab (S 312/II), daß die im Rahmen der Befundaufnahme durch den Sachverständigen erfolgte Herstellung von Lichtbildern keine ärztliche Untersuchung darstelle, weshalb ein Eingriff in die persönliche Integrität des Angeklagten nicht erfolgt sei; im übrigen habe der Angeklagte, der nach der Darstellung des Sachverständigen bei der Befundaufnahme nicht zu erkennen gegeben habe, daß er damit nicht einverstanden sei, schon seit der Hauptverhandlung vom 26.November 1992 gewußt, daß das in Rede stehende Gutachten in Auftrag gegeben werden wird, falls die Beischaffung des nach den (damaligen) Angaben des Angeklagten in der "Unita Sanitaria Locale" Monterotondo Mentana erliegenden Röntgenbildes einer am 13.Juli 1992 dort behandelten Verletzung am linken Fuß nicht möglich sein sollte.

Durch die Vorgangsweise des Schöffengerichtes wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten gleichfalls nicht beeinträchtigt: Einzuräumen ist der Beschwerde zwar, daß niemand verpflichtet ist, sich selbst (seinen Körper, seine Persönlichkeit) als Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Dies gilt jedoch nicht für erkennungsdienstliche Maßnahmen, sodaß die Herstellung derartigen Materials (wie die Abnahme von Fingerabdrücken oder die Herstellung von Lichtbildern) gegenüber einer Person, die verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben, jedenfalls keine Verletzung des durch Art. 8 MRK geschützten Anspruchs auf Achtung (ua) des die körperliche und geistige Unversehrtheit der Person einschließenden Privatlebens darstellt (VfSlg. 5089/1965; Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Rz 560). Vorliegend stellte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 26.November 1992 umfangreiche Beweisanträge (siehe abermals S 173/II); unter anderem beantragte er "für den Fall, daß das Röntgen (betreffend die zuvor erwähnte Behandlung einer Fußverletzung des Angeklagten am 13.Juli 1992 in Italien) nicht beschafft werden könne, weil es nicht vorhanden, oder der Angeklagte nicht damit einverstanden ist, die Einholung eines anthropologischen Sachbefundes zum Beweis dafür, daß es sich bei dem auf dem Lichtbild, das von der Überwachungskamera der R* angefertigt wurde und unter anderem auch einen Mann mit kariertem Sakko darstellt, eindeutig um den Angeklagten Umberto R* handelt". Der Verteidiger (dem die Möglichkeit offen stand, sich über den der Hauptverhandlung beiwohnenden Dolmetscher für die italienische Sprache mit dem Angeklagten zu beraten) sprach sich hierauf ausdrücklich nur gegen die vom Sitzungsvertreter (außerdem) beantragte Einvernahme "der Salzburger Kriminalbeamten" aus. Solcherart hat aber der Verteidiger im Beisein des Angeklagten (zumindest konkludent) das Einverständnis zur Einholung (auch) des zuvor bezeichneten anthropologischen Sachbefundes erteilt. Dem verschlägt nicht, daß die Vorsitzende des Schöffengerichtes, noch bevor sie davon Kenntnis erlangt hatte, daß die beizuschaffenden Röntgenaufnahmen in Italien ("Unita Sanitaria Locale") nicht vorhanden waren (nämlich am 9.Dezember 1992), dem Sachverständigen unter Anschluß der in der R* aufgenommenen Lichtbilder und von der Bundespolizeidirektion Innsbruck im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen angefertigten Vergleichsfotos (ON 47) mit der Erstattung von Befund und Gutachten darüber betraute, ob es sich bei der auf dem von der Überwachungskamera der R* stammenden Lichtbild aufscheinenden Person mit kariertem Sakko um den Angeklagten Umberto R* handle (ON 89). Daß die in Rede stehenden Röntgenaufnahmen, wie der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 11.März 1993 schließlich zugab, gar nicht in der bezeichneten Krankenanstalt in Italien angefertigt wurden, sondern seinen nunmehrigen Angaben zufolge von einem "Privatarzt" hergestellt worden und in der Folge aus seinem Auto weggekommen seien (S 304/II), sei hier nur der Vollständigkeit halber beigefügt. Dem Beschwerdeeinwand, diese Verantwortung des Angeklagten könne "keinen Anspruch auf sichere Richtigkeit" erheben, weil der Schriftführer der Protokollführung "offensichtlich nicht gewachsen" gewesen sei, genügt es zu erwidern, daß ein Antrag auf Ergänzung bzw. Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolles nicht gestellt wurde. Im übrigen war der Verteidiger über die von der Vorsitzenden des Schöffengerichtes beabsichtigten Schritte im Zusammenhang mit der Einholung des bezüglichen Gutachtens ohnedies informiert worden; inbesondere hatte er auch von der für den 13.Jänner 1993 in Aussicht genommenen Überstellung des (in Untersuchungshaft befindlichen) Angeklagten nach Wien zu der vom Sachverständigen für den 14. bzw. 15.Jänner 1993 in Aussicht genommenen Befundaufnahme Kenntnis. Der Verteidiger hat sich jedoch gegen die Verwertung des vom Sachverständigen sodann am 1.März 1993 (schriftlich) erstatteten Gutachtens (ON 113) erst am 3.März 1993 (vgl. ON 108) ausgesprochen, nachdem ihm bekannt geworden war, daß es sich nach dem Gutachten bei der im Profil von der Überwachungskamera der R* erfaßten Person um seinen Mandanten Umberto R* handelt (ON 109). Wenn der Beschwerdeführer schließlich gegen die Verlesung des schriftlichen Gutachtens in der Hauptverhandlung remonstriert, übersieht er, daß der Sachverständige bei Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung auf sein schriftliches Gutachten ON 113 ausdrücklich Bezug nahm (S 312/II), sodaß es Gegenstand des in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachtens war (Mayerhofer Rieder aaO ENr. 19 zu § 252).

Durch die Abweisung der in Rede stehenden Anträge wurde der Beschwerdeführer somit in seinen Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt.

Aber auch die Mängelrüge ist nicht zielführend.

Mit den unter dem Gesichtspunkt einer offenbar unzureichenden Begründung bzw. einer Scheinbegründung erhobenen Einwendungen gegen die Urteilsannahme, die Behauptung des Angeklagten, er habe es im "Salzburger Verfahren" seinem Verteidiger überlassen, die entsprechenden Schritte zu unternehmen, sei unglaubwürdig, weil "kein Anwalt trotz Unschuldsbeteuerung des Angeklagten ein Urteil in Rechtskraft erwachsen lassen würde", unternimmt der Beschwerdeführer der Sache nach nur den Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter in Zweifel zu ziehen, ohne einen formalen Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) aufzuzeigen. Im übrigen hat das Schöffengericht die von der Beschwerde monierten Umstände nur illustrativ angeführt und seine den Schuldspruch tragenden Feststellungen auf das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 15.September 1992, GZ 36 E Vr 1913/92 30, gestützt, womit der Angeklagte des am 20.Juli 1992 in Salzburg (zum Nachteil der "S* Sparkasse" mit gleichem modus operandi) begangenen schweren Diebstahls (von 250.000 S Bargeld) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt wurde.

Es liegt aber auch die behauptete Unvollständigkeit der Urteilsbegründung nicht vor, die der Beschwerdeführer darin erblickt, daß sich der Schöffensenat nur mit der Ablichtung der Kopie über die handschriftlichen Eintragungen der "Unita Sanitaria Locale" in Monterotondo Mentana über seine Behandlung am 13.Juli 1992, nicht aber mit der vom Verteidiger (mit dem Enthaftungsantrag vom 8.Oktober 1992) vorgelegten Bestätigung (S 29/II) auseinandergesetzt habe, die in Maschinschrift verfaßt sei und keine Ausbesserungen oder Überschreibungen enthalte. Denn die Tatrichter kamen auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens in ihrer Gesamtheit, insbesondere auch auf Grund des Gutachtens des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr.Unterdorfer (vom 21.Oktober 1992), wonach es beim Angeklagten innerhalb des letzten halben Jahres zu keiner Wundheilung der gesamten Hautschichten, und insbesonders zu keiner operativen (unfallchirurgisch chirurgischen) Versorgung bzw. Naht einer derart behandlungswürdigen Wunde, speziell zwischen der zweiten und dritten Zehe links gekommen war (S 81 f/II), zur Überzeugung (§ 258 Abs. 2 StPO), daß diesem Beweismittel die Eignung fehlt, die für die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Verfahrensergebnisse in Frage zu stellen (US 12 f). Im übrigen hat sich das Gericht in den Urteilsgründen eingehend mit dem Gutachten dieses Sachverständigen befaßt und dargelegt, aus welchen beweiswürdigenden Erwägungen es dieser Expertise die entsprechende Beweiskraft zuerkennt. Dabei war es im Hinblick auf die Vorschrift des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO, wonach die Urteilsgründe in gedrängter Darstellung abzufassen sind und darin nur angegeben sein muß, welche Tatsachen es als erwiesen oder nicht erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschehen ist (vgl. Mayerhofer Rieder aaO ENr. 78, 104, 105 zu § 270), nicht verpflichtet, alle Verfahrensergebnisse im Detail im Urteil zu erörtern und zu jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen (und sodann im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen) Einwand im voraus Stellung zu nehmen. Behauptete Mängel oder Widersprüche des Gutachtens können zudem nur im Wege der §§ 125, 126 StPO beseitigt, nicht aber zum Gegenstand einer Mängelrüge gemacht werden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285 d Abs. 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vom Angeklagten erhobene Berufung sowie über seine Beschwerde gegen den in sachlichem Zusammenhang mit dem Strafausspruch stehenden Widerrufsbeschluß fällt demnach in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Innsbruck (§§ 285 i, 494 a Abs. 5 StPO).

Rechtssätze
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