JudikaturJustiz14Os48/18t

14Os48/18t – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Juli 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Vasile Adrian C***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ionut R***** und Mihai S***** gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Geschworenengericht vom 15. Februar 2018, GZ 35 Hv 43/17t 312, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Ionut R***** und Mihai S***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant – Ionut R***** und Mihai S***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie am 26. Mai 2017 in K***** Cosmin F***** im einverständlichen Zusammenwirken zu töten versucht, indem sie ihn gemeinsam mit dem – unter einem rechtskräftig des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannten – Mitangeklagten Vasile Adrian C***** aus dem Bordell Cl***** auf den Parkplatz zerrten, Ionut R***** dabei mit Fäusten auf seinen Kopf und Oberkörper einschlug, Vasile Adrian C***** ihm mehrere wuchtige Faustschläge gegen den Kopf versetzte und ihn festhielt, während Ionut R***** und Mihai S***** weiter auf ihn einschlugen und eintraten, Vasile Adrian C***** und Mihai S***** ihn in der Folge zu Boden schleuderten, wo er bewusstlos liegen blieb, und Ionut R***** und Mihai S***** ihm „auch nachdem das Opfer … bereits bewusstlos am Boden lag“, eine Vielzahl an Faustschlägen und Fußtritten gegen den Oberkörper, den Bauchbereich und den Kopf versetzten, wodurch Cosmin F***** an sich schwere und mit 24 Tage übersteigender Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit verbundene Verletzungen erlitt, und zwar ein Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen in der Schädelhöhle im Bereich der Schädelbasis und des rechten Schläfenlappens, einen Bruch des Felsenbeins des rechten Ohres mit Blutung in den Gehörgang und in das Mittelohr, eine ausgedehnte Schwellung und Blutunterlaufung der rechten Schädelhälfte, Rissquetschwunden und Prellungen im Bereich der Stirn, des rechten Augenober- und -unterlids, eine Prellung des rechten Augapfels mit Blutung unter der Augenbindehaut und einen Bruch der Innenwand der rechten Augenhöhle, einen mehrfachen, offenen Bruch des Nasenbeins, eine Brustkorbprellung mit mehrfachen Prellmarken und Blutunterlaufungen an der rechten und linken seitlichen Brustwand sowie eine Prellung des Bauches.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die von Ionut R***** aus § 345 Abs 1 Z 6 und von Mihai S***** aus § 345 Abs 1 Z 4, 6, 8 und 10a StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden, denen keine Berechtigung zukommt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ionut R*****:

Mit seiner Fragenrüge (

Z 6) kritisiert der Rechtsmittelwerber, dass – entgegen seinem Antrag in der Hauptverhandlung – die Stellung einer Eventualfrage nach

Totschlag (§§ 15, 76 StGB) unterblieb.

Gesetzeskonforme Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes verlangt vom Beschwerdeführer nicht nur die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen, sondern auch jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, vorliegend somit eines die begehrte Eventualfrage

indizierenden Tatsachensubstrats (RIS Justiz RS0117447; Ratz , WK StPO § 345 Rz 23).

Dem wird die Beschwerde mit dem Hinweis auf – isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen zitierte – Passagen aus der Verantwortung des Mihai S***** und des Beschwerdeführers selbst sowie den Angaben der Zeugin Melissa St***** nicht gerecht.

Denn weder die relevierten Behauptungen des Erstgenannten, der verfahrensgegenständliche Angriff sei eine Reaktion der Angeklagten auf vorangegangenes provokatives Verhalten des späteren Tatopfers Cosmin F***** gewesen, welcher im Lokal „immer“ zu ihrem Tisch kam, mit ihren weiblichen Begleiterinnen „ungebührlich und unangemessen“ umging, weil er diese behandelte, als wären es „seine Mädchen“ und sie – in nicht näher beschriebener Weise – „schikanierte“ sowie gegen deren Willen „insistierte“ und Mihai S***** schließlich Tritte versetzte, noch die Berichte der Melissa St***** darüber, dass Cosmin F***** zwei oder drei Mal zu ihrem Tisch kam und sie auch beim Ausgang abfing, um mit ihr zu reden, sie zum Tanzen aufforderte und nach ihrer Ansicht die Konfrontation suchte, indem er trotz ihrer Warnung und der des Mihai S***** aus dem Lokal lief, stellen Verfahrensergebnisse dar, die die begehrte Eventualfragestellung (konkret: das Vorliegen eines heftigen und allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekts zur Tatzeit; vgl dazu auch RIS Justiz RS0092271, RS0092259) nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren würden.

Inwiefern solches auf die Einlassung des Beschwerdeführers zutreffen sollte, nach der „der Hass angefangen“ habe, nachdem er ein Mädchen, das ihm Cosmin F***** anbot, abgelehnt hatte, ist nicht nachvollziehbar, zumal er sich mit einer durch Drogen- und Alkoholkonsum bewirkten Wesensveränderung und Erinnerungslücken verantwortete und einen – für die Subsumtion nach § 76 StGB essentiellen (RIS Justiz RS0092113) – Tötungsvorsatz dezidiert in Abrede stellte (ON 311 S 14 ff [17, 19, 24, 26, 28]; vgl dazu RIS Justiz RS0120766 [T5]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mihai S*****:

Entgegen der nur unter Berufung auf das Hauptverhandlungsprotokoll aufgestellten Behauptung der Verfahrensrüge (Z 4) liegt eine durch faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung am 14. Februar 2018 nach Ende der Amtsstunden bewirkte Verletzung von § 228 Abs 1 StPO nicht vor. Gemäß einer – über entsprechendes Ersuchen der Vorsitzenden des Geschworenengerichts (ON 1 S 63) getroffenen – Anordnung des Präsidenten des Landesgerichts Krems an der Donau war nämlich der Sicherheitsdienst am Eingangstor des Gerichts während der gesamten Verhandlungsdauer (nämlich bis 2:00 Uhr des 15. Februar 2018) anwesend (vgl die durch Anschluss der Stundenaufzeichnungen des Wachpersonals bescheinigte Mitteilung der Vorsitzenden vom 23. April 2018; § 285 f StPO) und damit potentiellen Zuhörern der Zutritt zum Verhandlungssaal jederzeit möglich. Durch diese Vorgangsweise hat das Gericht hinreichende Vorkehrungen zur Wahrung des Grundsatzes der

Öffentlichkeit der Hauptverhandlung getroffen (RIS Justiz RS0117048 [T3]).

Die Fragenrüge (Z 6), die wie jene des Angeklagten Ionut R***** das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage nach

Totschlag (§§ 15, 76 StGB) moniert, wird den Voraussetzungen prozessordnungsgemäßer Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes gleichfalls nicht gerecht.

Beruft sich der Angeklagte nämlich – wie hier – darauf, dass die Fragestellung aufgrund seiner eigenen Verantwortung indiziert gewesen wäre, darf der Nachweis der Nichtigkeit nicht auf Grundlage isoliert herausgegriffener Teile dieser geführt werden, vielmehr ist die Einlassung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (vgl RIS Justiz RS0120766 [T3, T5]).

Die Beschwerde hebt demgegenüber bloß Passagen aus den Angaben des Beschwerdeführers hervor, nach denen er – zusammengefasst – „aus Angst nach einer Rauferei, bei der er zunächst selbst verletzt wurde, die Tat gesetzt hat und 'außer sich' im Sinn von 'nicht seinem Charakter entsprechend' war“, vernachlässigt aber dabei, dass auch er (Verletzungs- oder gar) Tötungsvorsatz ausdrücklich geleugnet (ON 311 S 34 ff, 47 f), partielle Erinnerungslücken behauptet (ON 311 S 30) und zudem abschließend eingeräumt hat, nicht zu wissen, ob er das Opfer aus Angst angegriffen habe (ON 311 S 48).

Im Übrigen würden die in der Rüge angeführten Bekundungen des Angeklagten auch für sich betrachtet einen allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekt zur Tatzeit (RIS Justiz RS0092271, RS0092338) und einen währenddessen spontan entstandenen Tötungsentschluss nicht indizieren ( Ratz , WK StPO § 345 Rz 23, 43; 15 Os 78/16h).

Gleiches gilt für die weiters ins Treffen geführte Aussage der Zeugin Lucie D *****, wonach sie glaube, dass „das Opfer rausrennen wollte, er (Mihai S*****) ihn aufhielt und das Opfer S***** einen Schlag gab, weil er ihn (das Opfer) aufhalten wollte“.

Auch die Instruktionsrüge (Z 8) orientiert sich mit ihrer Kritik an der Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 3 (nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB) nicht am Verfahrensrecht (RIS Justiz RS0119549,

RS0100695).

Welche „ergänzenden Belehrungen über weitere schwere, gleichwertige seelische Störungen“ (§ 11 vierter Fall StGB) neben den – prozessordnungswidrig vernachlässigten – diesbezüglichen Ausführungen (Beilage ./B zu ON 311, S 16 Punkt 4 der RB) erforderlich gewesen wären, legt sie nicht dar ( Ratz , WK StPO § 345 Rz 65).

Der Vorwurf, den Geschworenen sei nicht in einer für Laien verständlichen Weise erklärt worden, dass auch ein Alkohol- oder Drogenrausch zur Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinn des § 11 dritter Fall StGB führen kann, rekurriert bloß auf eine einzelne – im Übrigen schon per se ausreichende – Passage aus dem allgemeinen Teil der Rechtsbelehrung (S 16 Punkt 3 der RB) und lässt dabei die weiteren, konkret auf die angesprochene Zusatzfrage bezogenen Erläuterungen außer Acht, die die in diesem Zusammenhang vermisste Auflösung des Begriffs „volle Berauschung“ – teilweise wortident mit der entsprechenden Forderung der Beschwerde – ohnehin enthalten (S 26 f der RB; vgl auch S 29; vgl im Übrigen 11 Os 116/17v).

Die Zurückführung der in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf die tatsächlichen Besonderheiten des Falls ist schließlich nicht Gegenstand der – nach abstrakten Gesichtspunkten abzufassenden – schriftlichen Rechtsbelehrung (§ 321 StPO), sondern der gemäß § 323 Abs 2 erster Satz StPO abzuhaltenden Besprechung vorbehalten (vgl RIS Justiz RS0109476; Philipp , WK StPO § 321 Rz 13 bis 16) und damit einer Anfechtung aus Z 8 entzogen.

Der Zeitpunkt des Eintritts der Bewusstlosigkeit des Cosmin F***** ist mit Blick auf die konstatierten massiven – auch vom Beschwerdeführer gesetzten – Gewalthandlungen gegen das am Boden liegende Opfer irrelevant. Mit Hinweisen auf Verfahrensergebnisse, aus denen nach dem Beschwerdestandpunkt abzuleiten sein soll, dass der Genannte nicht sofort die Besinnung verlor, nachdem er auf den Boden geschleudert worden war, und ihm nur Ionut R***** „wuchtige Schläge“ versetzte, nachdem er bewusstlos geworden war, vermag die Tatsachenrüge (Z 10a) daher keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 3 festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken (RIS Justiz RS0119583 [T7] ).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§§ 344, 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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