JudikaturJustiz14Os20/22f

14Os20/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * G* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten G*, Dr. * D* und * A* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. November 2021, GZ 95 Hv 112/21t 37, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, der Angeklagten G*, Dr. D* und A* sowie ihrer Verteidiger Dr. Mekis, Mag. Dr. Kier und Mag. McElheney, BA, zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

* G*, Dr. * D* und * A* werden vom Vorwurf freigesprochen, sie hätten am 2. Juli 2020 in Wien,

I/ G* als Werkmeister der Baupolizei Wien (MA 37), somit als Beamter, mit dem Vorsatz, die Gemeinde Wien in ihrem Recht auf gesetzmäßige Behebung von Baugebrechen durch Wahrnehmung der Entscheidungshoheit nach Prüfung der Sachlage durch das zuständige Organ, sowie die Verfahrensparteien in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Überprüfung und Behebung von Baugebrechen zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Stadt Wien in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, nämlich Anordnungen bzw Mitteilungen über die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu erteilen und die notwendige Beseitigung von Baugebrechen entsprechend dem Stand der Technik im Zeitpunkt der Erteilung des Bauauftrages zu überprüfen und zu verfügen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er Dr. D* und A* eine Mitteilung hinsichtlich notwendiger Sicherungsmaßnahmen auf der Baustelle der Liegenschaft *, vorlegte, obwohl er wusste, dass er in der Sache nach der Arbeitsverteilung örtlich nicht zuständig war und eine tatsächliche Überprüfung des Bauzustands der Liegenschaft bzw eine Sichtung der entsprechenden Unterlagen nicht durchgeführt hat;

II/ Dr. D* und A* im bewussten und gewollten Zusammenwirken G* zu der unter Punkt I/ angeführten strafbaren Handlung bestimmt, indem sie ihn zur Ausstellung der Mitteilung aufforderten.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagten G*, Dr. D* und A* auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * G* (zu I) sowie (jeweils zu II iVm § 12 zweiter Fall StGB) Dr. * D* und * A* wegen des im Spruch wiedergegebenen Vorwurfs jeweils eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der drei Angeklagten, die sich durchwegs auf Z 5 und 9 lit a, jene Dris. D* und von A* überdies auf Z 10a, jeweils des § 281 Abs 1 StPO stützen.

[3] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil einen nicht geltend gemachten Rechtsfehler (Z 9 lit a) zum Nachteil der drei Angeklagten aufweist, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[4] Das Erstgericht ging im Wesentlichen von folgendem Urteilssachverhalt aus (US 4 ff):

[5] Dr. D* verkaufte als Geschäftsführer der C* GmbH mehrere Wohnungen im Haus A*. Diese Gesellschaft ist noch Eigentümerin von vier Wohnungen in diesem Objekt. Im Juli 2019 wurde entdeckt, dass im Bereich der Flachdächer dieses Hauses ein Träger gebrochen war. Es stellte sich heraus, dass – entgegen dem (von der Baubehörde bewilligten) Einreichplan aus 2014 (letzter Konsens) – eine Verstärkung der Holzbalken mit U Stahlprofilen nicht ausgeführt worden war. Die Dachterrassen waren in weiterer Folge wegen Einsturzgefahr zum Teil nicht mehr begehbar.

[6] Mit Mehrheitsbeschluss der Eigentümer-gemeinschaft vom 26. Mai 2020 wurde die Sanierung des Daches mittels Austauschs und Verstärkung der Dachbalken beschlossen. Dr. D*, der als Verkäufer der Eigentumswohnungen allenfalls für die Sanierungskosten haftet, war gegen die von der Mehrheit beschlossene Variante und bemühte sich um eine billigere Lösung. A* erstattete einen Kostenvoranschlag für eine günstigere Sanierung, die lediglich den Austausch des betroffenen Balkens vorsah.

[7] Dr. D* versuchte, die übrigen Wohnungseigentümer von dieser günstigeren Alternative zu überzeugen. Gemeinsam mit A* suchte er am 2. Juli 2020 G* auf, der als Werkmeister der Baupolizei (MA 37) zwar ursprünglich, zur Tatzeit jedoch (nach der behördeninternen Zuständigkeitsverteilung) nicht mehr für das verfahrensgegenständliche Objekt (örtlich) zuständig war. Dr. D* erzählte G* vom Schaden im Bereich der Dachterrassen, von der Durchführung nicht baubewilligter Arbeiten und vom Beschluss der Eigentümergemeinschaft, eine – seiner Ansicht nach überteuerte – Sanierung durchzuführen. Er bat G* darum, „ein Schreiben aufzusetzen“, welches ihm dabei behilflich sei, die übrigen Wohnungseigentümer „von einer kostengünstigeren Lösung zu überzeugen“.

[8] G*, der sich kein eigenes Bild vom Ausmaß der Baugebrechen gemacht hatte, teilte Dr. D* und A* mit, „er könne zwar keinen Bescheid verfassen, er könne aber eine Mitteilung schreiben und den beiden“ zur Verfügung stellen. „Auf offiziellem Briefpapier der MA 37 mit entsprechendem offiziell aussehenden Briefkopf“ formulierte G* im Wesentlichen folgende „Mitteilung“: „Die Magistratsabteilung 37/Bauinspektion GGO teilt mit, dass im Dachgeschoss des Hauses … ein Baugebrechen festgestellt wurde. Für die Instandsetzung beziehungsweise Beseitigung eines Baugebrechens ist, laut letztem Konsens wiederherzustellen und nach den gesetzlichen Bestimmungen der Wiener Bauordnung“ (kurz: Wr. BO). „Nach Behebung des Baugebrechens ist dies der MA 37/Bauinspektion GGO unverzüglich schriftlich zur Kenntnis zu bringen.“

[9] Nach der Intention der drei Angeklagten war diese „inhaltlich eher allgemein gehaltene“ Mitteilung dazu gedacht, als „amtlich anmutendes Schreiben die Argumentation“ Dris. D* gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern zu stützen. Diesen empfahl er in weiterer Folge in einer Aussendung, „das überteuerte Sanierungsvorhaben sofort zu stoppen“. Er verwies auf die beigefügte Mitteilung des G* und interpretierte sie dahingehend, dass „die Herstellung des letzten Konsenses zur Beseitigung des Baugebrechens völlig ausreichend“ sei und erklärte sich bereit, bei entsprechender Beschlussfassung „die Kosten für die Neuherstellung in reduzierter Form zu übernehmen“.

[10] Zur subjektiven Tatseite nahmen die Tatrichter an, allen drei Angeklagten sei bewusst gewesen, dass G* durch das Verfassen der inkriminierten Mitteilung „seine grundsätzliche Befugnis, als Vertreter der MA 37 zu agieren insofern missbrauchte, als er ohne Zuständigkeit und auch ohne Sachkenntnis“ eine „scheinbar amtliche Mitteilung verfasste und dem befreundeten Zweit- und Drittangeklagten zur Verfügung stellte“. Nach den weiteren Konstatierungen bezog sich der Schädigungsvorsatz aller Angeklagten darauf, „dass durch dieses Schreiben einerseits die Gemeinde Wien in ihrem Recht auf gesetzmäßige Behebung von Baugebrechen nach entsprechender Prüfung der Sachlage und auch auf korrekte Wahrnehmung der Entscheidungshoheit durch das zuständige Organ und darüber hinaus auch die Miteigentümergemeinschaft in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Überprüfung der Sachlage und sachgemäße Sanierung geschädigt würde“. Sie hielten es auch alle ernsthaft für möglich und fanden sich damit ab, „dass durch eine nicht dem Stand der Technik entsprechende Sanierung den Miteigentümern allenfalls weitere Folgeschäden entstehen könnten“.

[11] Missbrauch der Amtsgewalt setzt Handeln „in Vollziehung der Gesetze“, also ein Fehlverhalten des Beamten im Rahmen der Hoheitsverwaltung (oder [hier ohne Relevanz] der Gerichtsbarkeit), voraus. Neben Hoheitsakten (die typischerweise einseitige Anordnungsbefugnis [imperium] in Anspruch nehmen) kann nach gefestigter jüngerer Rechtsprechung auch Verwaltungshandeln tatbildlich sein, das selbst nicht normativer Art ist (etwa in tatsächlichen Verrichtungen oder Privaten zur Verfügung stehenden Rechtsformen in Erscheinung tritt), jedoch in spezifischer Verbindung zu einem (möglichen) Hoheitsakt steht, diesen also vorbereitet, begleitet oder umsetzt (RIS Justiz RS0130809). Maßgeblich für die strafrechtliche Einordnung ist dabei nicht die grundsätzliche Befugnis eines Beamten, auch Hoheitsakte zu setzen (vgl zu Maßnahmen im Rahmen der Baupolizei etwa 17 Os 2/17y; 17 Os 28/16w; 17 Os 23/16k), sondern das inkriminierte Verhalten im konkreten Einzelfall (vgl RIS Justiz RS0096220; zum Ganzen Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 62 ff).

[12] Hiervon ausgehend zeigt sich, dass das von G* verfasste Schreiben (eine im Urteil [rechtlich] nicht näher definierte „Mitteilung“) keinen normativen Inhalt aufwies, dieser Angeklagte nach den Feststellungen den beiden Mitangeklagten vielmehr erklärt habe, er könne „keinen Bescheid erlassen“ (US 6). Solcherart ist aber auch der (nach der oben dargestellten Rechtsprechung erforderliche) spezifische Zusammenhang der inkriminierten Tätigkeit mit einem Hoheitsakt (der hier in Form einer behördlichen Anordnung der Behebung von Baugebrechen [vgl § 129 Abs 4 Wr. BO] in Frage gekommen wäre) dem Urteilssachverhalt weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht (Letzteres im Sinn gewollter Inanspruchnahme [zumindest möglicher] hoheitlicher Anordnungsbefugnis [vgl – zur allen Vorsatzformen immanenten – Willenskomponente RIS Justiz RS0088835]) zu entnehmen. Ebenso wenig, dass die Bestimmungshandlungen Dris. D* oder des A* auf solcherart hoheitliches Handeln des G* gerichtet gewesen wären (vgl US 6 und 10 [wonach Dr. D* ein „amtlich anmutendes Schreiben brauchte, welches seine Argumentation unterstützen könne“]). Die Urteilspassagen, es habe sich (von den Angeklagten gewollt) um ein „amtlich anmutendes Schreiben“ oder um „eine scheinbar amtliche Mitteilung“, die „amtlichen Charakter suggerieren soll“, gehandelt (wobei diese allerdings „weder Aktenzahl, noch Sachbearbeiter“ aufwies, noch von G* unterfertigt wurde [vgl US 6 ff]) sagen über einen hoheitlichen Charakter der inkriminierten Tätigkeit nichts aus und tragen solcherart zur Klärung nichts bei. Davon ausgehend beziehen sich die Urteilsannahmen zur Wissentlichkeit der drei Angeklagten (vgl US 11 f) nicht auf einen konkret im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzten Befugnisfehlgebrauch des G* und bleiben demnach ohne Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090).

[13] Zudem erweisen sich – worauf die Beschwerdeführer zum Teil im Ergebnis zutreffend hinweisen – auch die Feststellungen zum Schädigungsvorsatz als nicht tragfähig. Zunächst bringen die dazu verwendeten Formulierungen „Recht auf gesetzmäßige Behebung von Baugebrechen nach entsprechender Prüfung der Sachlage“, „ordnungsgemäße Überprüfung“ oder „korrekte Wahrnehmung der Entscheidungshoheit durch das zuständige Organ“ (US 8) bloß – für eine Subsumtion nach § 302 Abs 1 StGB nicht ausreichend – die Verletzung von Vorschriften zum Ausdruck, auf welcher die Annahme tatbildlichen Befugnismissbrauchs beruht (RIS-Justiz RS0096270 [T10, T12, T14 etc]). Wie ein weiters ins Treffen geführter Anspruch der Miteigentümer auf „sachgemäße Sanierung“ nach „dem Stand der Technik“ (US 8) durch die inkriminierte „Mitteilung“ hätte beeinträchtigt werden können, ist schon mit Blick auf den im Urteil wiedergegebenen Inhalt des Schreibens nicht ersichtlich, zumal dieses konkrete Sanierungsmaßnahmen nicht nennt und ansonsten (soweit sprachlich überhaupt verständlich) bloß allgemein auf die Einhaltung des letzten Konsenses (also des ursprünglich bewilligten Einreichplanes) und der „gesetzlichen Bestimmungen“ (vgl etwa § 129 Abs 4 Wr. BO [demzufolge nötigenfalls die Beseitigung von Baugebrechen „entsprechend dem Stand der Technik“ anzuordnen ist]) verweist.

[14] Weiters fehlt es an einem Sachverhaltssubstrat, aus dem sich die erforderliche Verknüpfung zwischen Befugnisfehlgebrauch und (intendierter) Rechtsschädigung (arg: „dadurch“) ableiten ließe (vgl RIS Justiz RS0129143; Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 168 ff). Nach den Feststellungen sollte die inkriminierte Mitteilung Dr. D* als Argumentationshilfe dienen, um seine Miteigentümer zu einer (für ihn günstigeren) Beschlussfassung zu bewegen. Eine Beeinträchtigung von Interessen der Miteigentümer kommt in dieser Konstellation somit nicht als (im Sinn des Tatbestands verknüpfte) Folge des G* angelasteten Verhaltens, sondern eines von ihnen (allenfalls auf Basis einer von Dr. D* herbeigeführten unrichtigen Vorstellung) gefassten Beschlusses in Betracht.

[15] Das aufgezeigte Feststellungsdefizit erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des gesamten Urteils.

[16] Mit ihren Rechtsmitteln waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

[17] Da nach der Aktenlage Feststellungen, die einen Schuldspruch in Ansehung des hier gegenständlichen Sachverhalts (auch wegen einer anderen strafbaren Handlung) tragen könnten, in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind, war in der Sache selbst durch Freispruch zu entscheiden (RIS Justiz RS0118545; Ratz , WK StPO § 288 Rz 24).

[18] Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass bei (im Sinn des § 302 Abs 1 StGB) tatbildlichen Missbräuchen im Zusammenhang mit der Führung von Bauverfahren oder der Erlassung von Bauaufträgen die Vereitelung des durch solche hoheitlichen Maßnahmen verfolgten Zwecks, also insbesondere der (auch im öffentlichen Interesse gelegenen [vgl § 129 Abs 4 Wr. BO]) Sicherstellung, dass Bauwerke bautechnischen Anforderungen entsprechen (vgl etwa § 88 Abs 2 Wr. BO]), den Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes bilden kann (vgl allgemein RIS Justiz RS0096816; Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 163 ff).

Rechtssätze
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