JudikaturJustiz14Os144/10y

14Os144/10y – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Dezember 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Dezember 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef G***** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 8. April 2010, GZ 11 Hv 53/09x-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef G***** des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt (1 bis 6).

Danach hat er „in G***** zu nachangeführten Zeiten ihm als Bankstellenleiter anvertraute Güter, nämlich Kundengelder in einem Euro 50.000,-- übersteigenden Wert, sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern und zwar:

1.) im Zeitraum 26. 05. 2006 bis 03. 08. 2006 einen Bargeldbetrag von Euro 48.168,50 des Johann H*****, indem er einen von Johann H***** nicht in Auftrag gegebenen Wertpapierverkauf durchführte, den Verkaufserlös von Euro 48.168,50 über das als Verrechnungskonto benützte Girokonto Nr. ***** von Johann und Pauline H***** auf ein per 26. 05. 2006 neu eröffnetes, dem Berechtigten Johann H***** nicht bekanntes Sparkonto mit der Nr. *****, Bezeichnung ‚Johann’ legte und den Betrag in der Folge durch Behebungen am 30. 06. 2006 in der Höhe von Euro 10.000,-- am 05. 07. 2006 in der Höhe von Euro 10.000,-- und am 03. 08. 2006 in der Höhe von Euro 28.480,45 inklusive Zinsen zur Gänze behob;

2.) im Zeitraum 28. 06. 2004 bis 22. 04. 2005 einen Bargeldbetrag von Euro 100.000,-- des Johann H*****, indem er einen von Johann H***** nicht in Auftrag gegebenen Anleihenverkauf ohne dessen Wissen durchführte, den Verkaufserlös über das Verrechnungskonto Nr. ***** auf das Sparkonto Nr. ***** mit der Bezeichnung ‚Rudolf’ erlegte und diese Sparguthaben im Zeitraum 22. 07. 2004 bis 22. 04. 2005 in Teilbeträgen zu Euro 12.000,-- (22. 07. 2004), Euro 14.000,-- (01. 09. 2004), Euro 30.000,-- (13. 09. 2004), Euro 5.000,-- (30. 09. 2004), Euro 13.000,-- (29. 12. 2004), Euro 25.500,-- (23. 02. 2005), Euro 665,-- (22. 04. 2005) zur Gänze bar behob;

3.) am 21. 04. 2005 einen Bargeldbetrag von Euro 10.000,-- des Johann H*****, indem er Johann H***** zur Fertigung des Losungswortes auf einem Auszahlungsbeleg zu Sparkonto Nr. ***** in der Höhe von Euro 50.000,-- verleitete, von dieser Summe Euro 40.000,-- auf das Girokonto Nr. ***** lautend auf Johann und Pauline H***** erlegte, um eine vorzubereitende Wertpapiertransaktion vorzutäuschen und sich sodann den Differenzbetrag in der Höhe von Euro 10.000,-- in bar zueignete;

4.a) am 18. 01. 2007 einen Betrag von Euro 10.000,-- des Ludwig R*****, indem er im Zuge der Abrechnung eines Wertpapierverkaufes aus einer Barauszahlung zu Girokonto Nr. ***** lautend auf R***** Ludwig in der Höhe von Euro 12.000,-- und einer unmittelbar darauf folgenden Bareinzahlung auf das Sparkonto Nr. ***** des Ludwig R***** in der Höhe von Euro 2.000,-- sich den Differenzbetrag von Euro 10.000,-- in bar zueignete;

b.) im Zeitraum 10. 03. 2005 bis 14. 02. 2005 einen Gesamtbetrag von Euro 50.000,-- des Ludwig R*****, indem er sich im Zuge zu Punkt a.) gleichgelagerter Bartransaktionen zwischen dem Girokonto Nr. ***** und dem Sparkonto Nr. ***** des Ludwig R***** die entweder aus Wertpapieran- bzw verkäufen oder aus Bartransaktionen stammenden Differenzbeträge in der Höhe von jeweils Euro 10.000,-- am 14. 02. 2006, 11. 01. 2003, 10. 03. 2005, 21. 09. 2005 und 31. 10. 2005, sohin insgesamt Euro 50.000,-- in bar zueignete;

5.) am 27. 03. 2001 Euro 18.916,-- (ATS 260.296,--) des Ludwig R*****, indem er den aus einem Wertpapierverkauf stammenden Verkaufserlös über das Konto Nr. ***** abrechnete und sich in bar zueignete;

6.) im Zeitraum 19. 01. 2001 bis 22. 10. 2001 Bargeld in Höhe von insgesamt Euro 5.086,-- des August P*****, indem er sich im Zuge vermeintlich vorgenommener Wertpapiergeschäfte, die in Form von Bartransaktionen unter Einbindung der Konten ***** und ***** des August P***** abgewickelt wurden, die aus den Aus- und Einzahlungen entstandenen Differenzbeträge, und zwar am 19. 01. 2001 Euro 1.453,-- (ATS 20.000,--), am 17. 05. 2001 Euro 1.090,-- (ATS 15.000,--) und am 22. 10. 2001 Euro 2.543,-- (ATS 35.000,---) zueignet(e).“

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und b sowie 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil ein nicht (prozessförmig) geltend gemachter Rechtsfehler mangels Feststellungen, somit eine Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, die sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkt und daher amtswegig wahrzunehmen war (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Veruntreuung wird nach § 133 Abs 1 StGB in objektiver Hinsicht an einem Gut begangen, das dem Täter anvertraut worden ist. Unter „Gut“ als tauglichem Tatobjekt versteht die Rechtsprechung auch (unkörperliche) Vermögenswerte, insbesondere bei einer Bank erliegendes Geld („Giralgeld“, also etwa ein Kontoguthaben, eine Spareinlage oder ein Wertpapierdepot RIS-Justiz RS0093878, RS0094579; vgl auch 15 Os 150/08k). Ein Gut wird anvertraut, wenn es aufgrund eines Rechtsgeschäfts oder vertragsähnlichen Rechtsverhältnisses ungeachtet dessen zivilrechtlicher Natur oder Gültigkeit in den ausschließlichen Gewahrsam (bei unkörperlichen Vermögenswerten: in die alleinige Verfügungsgewalt) des Täters mit der Verpflichtung übertragen wird, diese Verfügungsmacht entsprechend einer vereinbarten Rückstellungs- oder Verwendungspflicht auszuüben (RIS Justiz RS0093896; vgl Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 133 Rz 25 ff und 41). Handelt es sich bei dem übergebenen Gut um vertretbare Sachen (zB Geld), kann man von einem „Anvertrauen“ nur sprechen, wenn der Täter verpflichtet ist, ebensoviel derselben Art (zB einen gleich hohen Geldbetrag) ständig zur Rückgabe, Weitergabe oder Verwendung bereitzuhalten. Daher sind Gelder, die der Täter bis zur vereinbarten Rückgabe, Weitergabe oder Verwendung für sich verwenden, etwa in eigenen Geschäften anlegen darf (wie Darlehen oder Geschäftseinlagen), nicht anvertraut (RIS Justiz RS0119788; Bertel in WK² § 133 Rz 13).

Nach den Feststellungen (vgl insbesondere US 5 und 10) habe der Beschwerdeführer durchwegs Bargeld veruntreut, wobei er im Wesentlichen immer nach der gleichen Methode seinen Kunden Wertpapiertransaktionen vorgetäuscht und in diesem Zusammenhang „mehrere, zeitlich unmittelbar hintereinander liegende Buchungen, und zwar Aus- und Einzahlungen von bzw auf Girokonten und Sparbücher der Kunden“ durchgeführt habe, die „vorwiegend der Verwirrung der betroffenen Kunden“ gedient hätten, „um eine Nachvollziehbarkeit der Bankgeschäfte zu erschweren bzw unmöglich zu machen“. Die aus diesen Buchungen resultierenden Differenzbeträge habe sich der Beschwerdeführer mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung zugeeignet, nachdem er die über die Bedeutung ihrer Erklärungen getäuschten Kunden Auszahlungsbelege habe unterschreiben lassen (US 5 f).

Weder diese noch die weiteren zu den einzelnen Schuldsprüchen getroffenen Konstatierungen (US 6 ff) bieten eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Opfer dem Beschwerdeführer Geld im zuvor dargestellten Sinn anvertraut haben. Mit den nach Überzeugung der Tatrichter im Übrigen durch Täuschung veranlassten Verfügungen, Guthaben bar an sie auszuzahlen, entzogen die Opfer der Bank ihr Geld; ein „Anvertrauen“ ist daraus gerade nicht abzuleiten. Sollte der Beschwerdeführer von den Kunden unterfertigte Auszahlungsbelege zum Zweck der Zueignung benötigt, er demnach keine (alleinige) Verfügungsgewalt über die betroffenen Kundengelder gehabt haben (vgl die so zu verstehenden Feststellungen auf US 5 ff), stünde das wiederum der Annahme entgegen, diese Vermögenswerte könnten der (vom Beschwerdeführer vertretenen) Bank bereits zuvor anvertraut worden sein. Eine verlässliche Beantwortung scheitert jedoch an der auch in diesem Zusammenhang unzureichenden Feststellungsgrundlage zum konkreten Inhalt der jeweiligen Vertragsbeziehung zwischen den Opfern und der Bank.

Die Verwendung von dem Tatbestand des § 133 Abs 1 StGB entnommenen Rechtsbegriffen („verba legalia“) bei den Feststellungen zur subjektiven Tatseite (vgl US 10: „anvertrautes Gut“) bleibt daher ohne Sachverhaltsbezug und trägt den Schuldspruch wegen Veruntreuung nicht (RIS-Justiz RS0119090).

Da der aufgezeigte Mangel eine Aufhebung des gesamten Urteils bereits in nichtöffentlicher Sitzung erfordert (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), erübrigt sich ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerde. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Rechtsmitteln auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird auf die Frage, ob und falls ja durch welche Handlungen dem Beschwerdeführer (der von ihm vertretenen Bank) ein Gut anvertraut wurde, besonderes Augenmerk zu richten sein. Im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB werden, mängelfrei begründete Feststellungen zu treffen sein, die eine verlässliche rechtliche Beurteilung nach den oben dargelegten Kriterien zulassen. Dies erfordert auch eine (gedrängte) Darstellung, aus welchen Gründen das Schöffengericht Tatsachen als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO); eine (extensive) Wiedergabe der Verantwortung des Angeklagten und ohne erkennbare, wertende Stellungnahme der Tatrichter gegenübergestellter Zeugenaussagen wird diesen Anforderungen nicht gerecht (vgl Danek , WK-StPO § 270 Rz 38).

Das Erstgericht wird aber auch zu prüfen haben, ob auf Grundlage des festzustellenden Sachverhalts ein Schuldspruch wegen einer anderen strafbaren Handlung in Betracht kommt:

Nicht Veruntreuung, sondern Betrug begeht nämlich der Täter, der einen Vermögenswert (mit von vornherein auf Schädigung und unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz) durch Täuschung herauslockt (vgl die in diese Richtung deutenden Feststellungen auf US 5 ff). In diesem Fall wird die Tat bereits durch die selbstschädigende Verfügung des Opfers (etwa die Unterfertigung eines Barauszahlungsbelegs) vollendet; eine nachfolgende Verwertung der betrügerisch herausgelockten Sache (und damit die unrechtmäßige Bereicherung) ist nicht gesondert als Veruntreuung zuzurechnen (RIS-Justiz RS0094372, RS0091399, RS0094589; Kirchbacher in WK 2 § 146 Rz 140 ff; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 133 Rz 120 f).

Sollte der Beschwerdeführer hingegen was nach der Aktenlage ebenfalls nicht auszuschließen ist eine ihm aufgrund entsprechender vertraglicher Vereinbarungen mit den Opfern (und bankinterner Kompetenzvorschriften) eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich (und mit Schädigungsvorsatz) missbraucht haben, um Kundengelder bar zu beheben und nur zur Verschleierung seiner Malversationen entsprechende Auszahlungs- oder sonstige Belege hergestellt haben, wäre dieses Verhalten unter dem Blickwinkel der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB zu prüfen (vgl 12 Os 45/89; RIS-Justiz RS0094579; vgl Bertel in WK 2 § 133 Rz 48 ff; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 153 Rz 132 ff).

Zieht das Schöffengericht auf Basis der Verfahrensergebnisse in Betracht, dass der angeklagte Sachverhalt eine andere strafbare Handlung begründet als die in der Anklage bezeichnete, wird es der Bestimmung des § 262 StPO durch ausdrückliche und konkrete Informationserteilung an die Verfahrensbeteiligten Rechnung zu tragen haben (vgl RIS-Justiz RS0121419).

Zur Vermeidung weiterer Fehler wird abschließend darauf hingewiesen, dass die Wertung des bereits für den Tatbestand der Veruntreuung charakteristischen Missbrauchs der Vertrauensstellung (vgl US 38) als Erschwerungsgrund einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) begründet (RIS-Justiz RS0120526; vgl Ebner in WK 2 § 32 Rz 62).

Rechtssätze
10
  • RS0121419OGH Rechtssatz

    28. März 2023·3 Entscheidungen

    Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, besteht ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird. Geht es aber um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. Diese ziehen nämlich in aller Regel eine Verschlechterung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach sich und können überdies ein Spannungsverhältnis mit dem gleichfalls beachtlichen Grundrechtsgebot auf Verfahrensbeendigung binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) bewirken.