JudikaturJustiz14Os135/23v

14Os135/23v – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Februar 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 31. Oktober 2023, GZ 13 Hv 39/23g 60.4, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 22. Oktober 2022 in S* eine wehrlose Person unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung vornahm, indem er seinen Finger in den Anus des bettlägerigen, in der Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkten * B* einführte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und b sowie Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Unvollständigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO liegt vor, wenn das erkennende Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen hat (RIS Justiz RS0098646 [T4]). Aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) ist ein Urteil wiederum dann, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS Justiz RS0099431 [T1]).

[5] Indem die Mängelrüge (nominell Z 5 zweiter und fünfter Fall) unter Verweis auf mehrere – Datum und irrelevante Begleitumstände des inkriminierten Vorfalls betreffende – Passagen der Aussagen der Zeugen B* und * H* behauptet, diese hätten „höchst widersprüchliche Angaben“ gemacht, während die Verantwortung des Angeklagten „kurzum“ als unglaubwürdige Schutzbehauptung „abgetan“ worden sei, zeigt sie Nichtigkeit aus Z 5 nicht auf, sondern übt in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik (vgl RIS Justiz RS0106588). Gleiches gilt für das Vorbringen, das Gericht lasse unberücksichtigt, dass die Zeugen H* und * S* keine eigenen Wahrnehmungen zum Vorfall gehabt hätten (vgl RIS Justiz RS0098471).

[6] Warum die Feststellungen (US 3), wonach das bettlägerige, in seiner Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkte Opfer, welches sich nicht aufsetzen, sich selbständig nur leicht zur Seite drehen, aber nicht vollständig umdrehen und aufgrund starker Schmerzen in den Schultern die Arme nicht heben konnte, „somit vollständig auf Pflege und Unterstützung durch andere Personen angewiesen“ war, die rechtliche Annahme des Vorliegens einer wehrlosen Person (vgl RIS Justiz RS0119550 [T3]) nicht tragen sollten, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit der – ohnehin nicht an den Feststellungen orientierten (RIS Justiz RS0099810) – Behauptung, bloße körperliche Unterlegenheit löse noch keine Wehrlosigkeit aus, nicht dar (vgl aber RIS Justiz RS0118416).

[7] Die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit b) wendet unter Hinweis auf die Angaben der Zeugin H*, der Angeklagte sei bei ihrem Eintreffen „komplett betrunken“ gewesen, habe „verwirrt geredet“ und „sich überhaupt nicht ausgekannt“ (ON 60.3, 8), einen Feststellungsmangel zum Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) ein. Sie argumentiert jedoch nicht auf Basis des Urteilssachverhalts (RIS Justiz RS0099671 [T3]), hat doch das Schöffengericht hinreichend deutlich das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustands beim Angeklagten angenommen (US 3 f iVm US 8 f) und damit (wenngleich disloziert) eine gegenteilige Feststellung getroffen.

[8] Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) vermeint, das Schöffengericht habe den Umstand der Alkoholisierung des Angeklagten „unvertretbar beurteilt“ und dadurch § 35 StGB unrichtig angewendet. Mit der Behauptung, es seien Umstände festgestellt, die eine Alkoholsuchterkrankung darstellen würden, welche „die mildernde Anwendung des § 35 StGB nicht verwehrt“, wobei dem Angeklagten nicht vorgeworfen werden könne, wenn er bei einem Pflegling der Pflegestufe 4 während der allgemeinen Nachtruhe Alkohol konsumiere, zeigt sie eine rechtsfehlerhafte Beurteilung der festgestellten Strafzumessungstatsachen (vgl zu diesen US 8 f) nicht auf (RIS Justiz RS0099869, RS0116960).

[9] Die Forderung nach mildernder Wertung des Umstands, dass es sich um einen einzelnen Angriff gehandelt hat, bringt (ebenfalls) lediglich ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (vgl RIS Justiz RS0099920).

[10] Gleiches gilt für die Kritik, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Erstgericht von einer hohen kriminellen Energie des Angeklagten ausgehe und dieses hätte eine Tatprovokation durch das Opfer berücksichtigen müssen.

[11] Der weiteren Beschwerde (Z 11 zweiter Fall) zuwider verstößt die im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägung erfolgte erschwerende Wertung der Vorgangsweise des Angeklagten „als besonders rücksichtslos, herabwürdigend und widerwärtig sowie als zutiefst verabscheuungswürdig“ (US 8), nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB). Letzteres verbietet nämlich nur die Heranziehung von Strafbemessungsgründen, die bereits die Strafdrohung (im Sinn von Strafsatz) bestimmen, somit subsumtionsrelevant sind (RIS Justiz RS0130193).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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