JudikaturJustiz13Os77/22f

13Os77/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Turner in der Strafsache gegen DI * R* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Privatbeteiligten * S* gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 16. März 2022, GZ 326 Hv 3/21a 121, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Privatbeteiligten S* werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde DI * R* mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1 und 15 StGB (I A), eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I B), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III), mehrerer Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (IV), eines Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (V), mehrerer Vergehen der pornogra ph ischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (VI A) und eines Vergehens der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (VI B) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit hier von Bedeutung –

(I) mit unmündigen Personen den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

B) in den Jahren 2019 und 2020 in L* mit dem am 3. Februar 2012 geborenen * H*, indem er diesen mehrfach mit seinen Fingern anal penetrierte, wobei eine der Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine im Urteil beschriebene, mehr als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatte.

[3] „Gemäß § 26 Abs 1 StGB“ wurden eingezogen ein Stand PC der Marke LG Maxdata, eine externe Festplatte der Marke Toshiba, ein sichergestelltes Mobiltelefon P30 light der Marke Huawei und ein Mobiltelefon A30 Mini der Marke Samsung.

[4] Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde der Angeklagte (unter anderem) schuldig erkannt, der Privatbeteiligten * S* 3.300 Euro zu bezahlen. Mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen und ihrem Feststellungsbegehren wurde diese Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen den Schuldspruch I B richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und „5 (in eventu 5a)“ StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[6] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Antrag, ein „anderes Gutachten aus dem Bereich der Kinderpsychiatrie“ zum Beweis dafür einzuholen, dass „die geschilderten Tathandlungen laut kdV per se nicht geeignet sind, bei fast jedem Kind eine postraumatische Belastungsstörung zu erwirken“ (ON 120 S 26), zu Recht abgewiesen (ON 120 S 28).

[7] Weshalb das Beweisthema – fallkonkret – für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte (RIS Justiz RS0118444 [T2]), machte der Antrag nicht klar.

[8] Sofern der Antrag im Sinn einer Kritik am Gutachten der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen zu verstehen ist, sei hinzugefügt, dass das bloße Verlangen einer Partei, neue Befunde und Gutachten abzufordern, um die vom beigezogenen Sachverständigen erbrachten (im Sinne der §§ 125 f StPO mängelfreien) Ergebnisse zu überprüfen, auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung zielt (RIS Justiz RS0117263 [T2]).

[9] Indem die Mängelrüge (Z 5) aus Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[10] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet.

[11] Soweit die Beschwerde das Vorbringen der Mängelrüge „hilfsweise“ auch unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs 1 Z 5a StPO geltend macht, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht (RIS Justiz RS0115902).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Einziehungserkenntnis de m Angeklagten zum Nachteil gereichende, von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[13] Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Das Wort „geboten“ spricht dabei die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS Justiz RS0121298).

[14] Davon kann bei einem Stand PC, einer Festplatte und bei Mobiltelefonen in aller Regel – ohne Hinzutreten besonderer Umstände – keine Rede sein.

[15] Bei gegebener Deliktstauglichkeit – etwa weil (wie hier [US 31]) auf den von der Maßnahme betroffenen Gegenständen pornographische Bilddateien gespeichert sind (vgl RIS Justiz RS0121298 [T11 und T12]) – ist dem Berechtigten vor Einziehung angemessen Gelegenheit zu geben, die Deliktstauglichkeit zu beseitigen (RIS Justiz RS0121299). Feststell ungen dazu sind dem Urteil nicht zu entnehmen.

[16] D as Einziehungserkenntnis war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

[17] Im zweiten Rechtsgang kommt die Entscheidung über den Antrag auf Einziehung (ON 56 S 4) dem hiefür sachlich und örtlich zuständigen Bezirksgericht zu (RIS Justiz RS0100271 [T12] und RS0100318 [T6]).

Zur Berufung der Privatbeteiligten:

[18] Eine nur gegen die Höhe der Entschädigung gerichtete Berufung der Privatbeteiligten ist im Verfahren v o r dem Schöffengericht nicht zulässig (RIS Justiz RS0109956). Eine Berufung im Sinn des § 366 Abs 3 StPO ist im schöffengerichtlichen Verfahren vielmehr nur dann zulässig, wenn dem Privatbeteiligten überhaupt nichts zugesprochen worden ist ( Spenling , WK StPO § 366 Rz 20 mwN ), was hier nicht der Fall ist.

[19] D ie Berufung der Privatbeteiligten war daher zurückzuweisen (§§ 296 Abs 2, 294 Abs 4 StPO).

[20] Über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.