JudikaturJustiz13Os46/03

13Os46/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Mai 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Mai 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Ratz, Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Reichel als Schriftführerin, in der Strafvollzugssache des Thomas L***** wegen bedingter Entlassung aus Freiheitsstrafen über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Vollzugsgerichtes des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 17. September 2002, GZ 45 BE 201/02y-8, auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl, jedoch in Abwesenheit des Strafgefangenen, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafvollzugssache des Thomas L***** wegen bedingter Entlassung, AZ 45 BE 201/02y des Landesgerichtes Wiener Neustadt, wurde bei der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers durch Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 17. September 2002 § 41 Abs 2 StPO verletzt.

Text

Gründe:

Thomas L***** wurde der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 29. August 2002, GZ 45 BE 201/02y-6, mit welchem die bedingte Entlassung dieses Strafgefangenen aus mehreren Freiheitsstrafen abgelehnt worden war, bekanntgemacht (§ 17 Abs 3 zweiter Satz StVG). Als Datum der Bekanntmachung wurden seitens der Justizanstalt Hirtenberg in widersprüchlicher Weise der 5. und der 6. September 2002 angeführt (AS 29 f). Dem Vordruck des dabei verwendeten Formblattes StPOForm.BedEntl 36 entsprechend, erklärte der Strafgefangene: "Ich erhebe - ohne Zustellung dieses Beschlusses an meinen Verteidiger - sogleich Beschwerde, deren schriftliche Ausführung innerhalb von 14 Tagen ich mir vorbehalte."

Mit einem am 11. September 2002 zur Post gegebenen, an das Vollzugsgericht gerichteten Schreiben stellte er sodann den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers "zur Erhebung der Beschwerde", welchem der Vorsitzende des Vollzugsgerichtes mit Beschluss vom 17. September 2002, GZ 45 BE 201/02y-8, entsprach. Der angefochtene Beschluss samt Bescheid über die Verteidigerbestellung wurden dem Verteidiger am 27. September 2002 zugestellt. Dieser legte in einem am 10. Oktober 2002 beim Vollzugsgericht eingelangten Schriftsatz Beschwerdegründe dar. Das Oberlandesgericht Wien nahm darauf Rücksicht, gab der Beschwerde des Strafgefangenen jedoch nicht Folge.

In seiner zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt der Generalprokurator folgendes aus:

Die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers im Verfahren wegen bedingter Entlassung ist weder in der das Verfahren vor dem Vollzugsgericht regelnden Bestimmung(,) des § 17 StVG, der im letzten Satz des dritten Absatzes zufolge des dortigen Klammerhinweises auf § 44 der Strafprozessordnung 1975 bloß vorschreibt, dass auf Verlangen des Verurteilten eine Ausfertigung der Verfügung (des Beschlusses) seinem (Wahl )Verteidiger zuzustellen ist, noch sonst im Strafvollzugsgesetz oder der subsidiär anzuwendenden (EBRV 511 BlgNR GP XI 43; SSt 53/73; Holzbauer/Brugger StVG § 17 Anm 1) Strafprozessordnung vorgesehen.

Vielmehr gilt gemäß § 41 Abs 5 StPO die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers, wenn nicht (vom Gericht - vgl EBRV zum StPÄG 1993 924 BlgNR GP XVIII 18) aus besonderen Gründen etwas anderes angeordnet wird, für das gesamte weitere Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss sowie für ein allfälliges Verfahren aufgrund einer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde oder eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens. Mit Blick auf Art 6 Abs 3 lit c MRK, der das Recht auf (unentgeltliche) Beigebung eines Verteidigers nur dem Angeklagten im Verfahren über die Stichhaltigkeit der Anklage (vgl Art 6 Abs 1 EMRK), nicht aber dem Strafgefangenen im (Straf )Vollstreckungsverfahren zusichert (vgl IntKommEMRK Vogler Rz 218 f; Frowein/Peukert EMRK2 Rz 49, 52 jeweils zu Art 6 EMRK), erhellt unmissverständlich die Intention des Gesetzgebers, die Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO - abgesehen von den bereits erwähnten, hier nicht aktuellen Ausnahmen - vorwiegend für das Erkenntnisverfahren, und zwar bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss zu ermöglichen. Außerhalb desselben sind hingegen die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Verfahrenshilfe nur dann (allenfalls sinngemäß) anzuwenden, wenn es das Gesetz, wie beispielsweise im § 3 Abs 3 GRBG, ausdrücklich anordnet. Da im Strafvollzugsgesetz eine derartige Verweisungsnorm fehlt und insoweit auch keine planwidrige Regelungslücke vorliegt, war die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Ausführung einer Beschwerde gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung - offenbar - unter analoger Heranziehung des § 41 Abs 2 (gemeint: Z 4) StPO verfehlt. Im Gerichtstag hat der Vertreter des Generalprokurators für den Fall, dass der Oberste Gerichtshof diesen Überlegungen nicht folgen sollte, eine in der unterlassenen Erforderlichkeitsprüfung nach § 41 Abs 2 StPO gelegene Gesetzesverletzung geltend gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Generalprokurator unterstreicht mit Belegstellen zutreffend die vom Obersten Gerichtshof auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung bejahte subsidiäre Anwendbarkeit der StPO. Der Sache nach nimmt die Rechtsprechung eine planwidrige Lücke der auf gerichtliche Verfügungen bezogenen Vorschriften des StVG an, welche sie durch Rechtsanalogie mit den Worten schließt, dass im gerichtlichen Verfahren, soweit im StVG nichts anderes bestimmt ist, (jedenfalls) dem Sinne nach die Bestimmungen der StPO gelten. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (vgl §§ 8a Abs 1, 14 Abs 3 dritter Satz MedienG, § 9 Abs 1 ARHG, § 3 Abs 3 GRBG uva) bedarf es folgerichtig nicht mehr, sodass aus deren Fehlen ein gültiger Schluss auf mangelnde Anwendbarkeit des § 41 Abs 2 StPO nicht gezogen werden kann. Warum "insoweit auch keine planwidrige Regelungslücke vorliegt" maW, die generell bejahte subsidiäre Anwendbarkeit der StPO in Betreff dieser Bestimmung eine Ausnahme erfahren sollte, lässt die Beschwerde offen.

Einen Grund für die mangelnde Geltung just des § 41 Abs 2 StPO vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu erkennen. Auch wenn die EMRK Strafgefangenen kein Grundrecht einräumt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, ist der (durch den relativierenden Einschub ["vorwiegend"] allerdings ohnehin konterkarierte) Schluss auf eine „unmissverständliche Intention des Gesetzgebers, die Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO - abgesehen von den bereits erwähnten Ausnahmen - 'vorwiegend' für das Erkenntnisverfahren ... zu ermöglichen", ebensowenig zulässig. Voraussetzung dafür wäre nämlich ein aus dem Verhalten des österreichischen Gesetzgebers zu erschließendes Prinzip, sich stets mit der Erfüllung des europäischen Mindeststandards an Rechtsschutz zu begnügen, was nicht ernsthaft behauptet werden kann. Steht demnach § 41 Abs 2 StPO auch im gerichtlichen Verfahren nach § 17 StVG sinngemäß in Geltung, hat die Verfügung des Vorsitzenden (§ 13 Abs 3 StPO) das Gesetz insoweit verletzt, als dabei die von § 41 Abs 2 StPO verlangte Erforderlichkeitsprüfung (hier: nach Z 2 bzw 6 des § 41 Abs 2 StPO) rechtsirrig vollends unterlassen, vom eingeräumten Ermessen maW kein Gebrauch gemacht wurde (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 8).

Klarzustellen bleibt (warum hier nicht Z 4 des § 41 Abs 2 StPO in Frage kommt), dass es für die Erhebung einer Beschwerde genügt, wenn der Beschwerdeführer erklärt, gegen eine bestimmte, damit anfechtbare Verfügung ein solches Rechtsmittel zu ergreifen (zuletzt: 13 Os 122/02, 13 Os 35, 36/03). Anders als bei der Bekämpfung von Urteilen verlangt das Gesetz für Beschwerden keine Anmeldung, und zwar auch dort nicht, wo es ausnahmsweise mit einer Anmeldung der Beschwerde die Befugnis des Beschwerdeführers verknüpft, dieses - solcherart bereits wirksam ergriffene - Rechtsmittel (demnach auch nur) näher auszuführen (vgl § 498 Abs 2 StPO, § 152a Abs 3 StVG). Dagegen meint § 41 Abs 2 Z 4 StPO jene Rechtsmittel, für die das Gesetz rechtzeitige Anmeldung als Zulässigkeitsvoraussetzung vorsieht (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1, 344 zweiter Satz, 427 Abs 3 zweiter Satz, 466 Abs 1, 478 Abs 2 dritter Satz [vgl dazu WK-StPO § 478 Rz 6], 489 Abs 1 StPO).

Stellt der Beschwerdeführer im Fall einer Beschwerdeanmeldung nach § 498 Abs 2 StPO, § 152a Abs 3 StVG während der Frist zur "näheren" Ausführung einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, gilt § 43a StPO sinngemäß auch für diese Frist.

Rechtssätze
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