JudikaturJustiz13Os31/87

13Os31/87 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Mai 1987

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Mai 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter H*** wegen des Verbrechens nach § 202 Abs 1 StGB. und anderer strafbaren Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 17. Dezember 1986, GZ 20 h Vr 10/86-139, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Rzeszut, und des Verteidigers Dr. Philipp, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die beiderseitigen Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen. Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter gemäß § 23 StGB. angeordnet.

Der Berufung des Angeklagten wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 15. April 1945 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Peter H*** wurde zufolge des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs 1 StGB. (1) sowie der Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z. 1 StGB. (2 a), der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB. (2 b) und nach § 36 Abs 1 lit a WaffG. a.F. (3) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien am 27. Dezember 1985 Monika H*** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung, indem er ihr einen Revolver (siehe unten 3) zeigte und äußerte, er würde sie "so oder so" bekommen, sie gewaltsam entkleidete und anschrie, zum außerehelichen Beischlaf genötigt (1); am 30. Dezember 1985 unter besonders gefährlichen Verhältnissen den Tod des Hans Peter O*** herbeigeführt, indem er in einem stark frequentierten Lokal mit dem Revolver vier Schüsse abgab, von denen einer den Genannten aus nächster Nähe in der Region der elften rechtsseitigen Rippe traf, lebenswichtige Organe und Gefäße durchschlug und zu innerer Verblutung führte (2 a); den Tod des Rudolf D*** fahrlässig herbeigeführt, indem er mit dem vorangeführten Revolver zwar absichtlich aus kurzer Entfernung gegen die linke Oberbauchregion des D*** schoß, dabei aber lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten bzw. sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung gegen den Angriff des D*** bedient hat (2 b); schließlich hat er zwischen November 1985 und Jänner 1986 einen Revolver Kal. 357 unbefugt besessen (3).

Dieses Urteil bekämpfen sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerden, ersterer aus § 345 Abs 1 Z. 6, 8 und 11 lit a StPO., die Anklagebehörde aus § 345 Abs 1 Z. 8 und 12 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zur Beschwerde des Angeklagten:

Er rügt (Z. 6) das Unterbleiben einer Zusatzfrage nach einem vorsatzausschließenden Irrtum über die Einwilligung der Zeugin Monika H*** in den außerehelichen Beischlaf als Verletzung des § 313 StPO. und bezieht sich auf die Angaben der Zeugen Elfriede T***, Helga S***, Josef W*** und Robert Z*** über die grundsätzlich kritiklose Bereitschaft der Monika H*** zum Beischlaf mit wechselnden Partnern als (in der Hauptverhandlung hervorgekommenes) Tatsachensubstrat.

Zu einer Zusatzfrage wegen Tatirrtums bestand kein Anlaß, weil sich der Angeklagte gar nicht mit einem Irrtum über die Einwilligung der (als "leichtlebig" bekannten) Zeugin H*** in den Geschlechtsverkehr verantwortet hat; er hat vielmehr mit dem Hinweis auf die geschlechtliche Initiative der Genannten jede Nötigung bestritten und damit die Tat überhaupt in Abrede gestellt (Band II S. 419, 420, 497, 498). Bloßes Leugnen vermag aber (anders als die Berufung auf rechtfertigende, schuldausschließende, strafausschließende oder strafaufhebende Umstände) eine Zusatzfrage nicht zu begründen (EvBl 1952 Nr. 239). Dazu kommt, daß eine solche Frage (wie hier reklamiert) nach einem schuldausschließenden Irrtum zwecks Garantie einer fehlerfreien Willensbildung der Geschwornen nur dann geboten wäre, wenn der betreffende Umstand nicht ohnehin schon durch die Beantwortung einer Haupt- oder Eventualfrage geklärt ist (EvBl 1972 Nr. 18). Darnach wäre hier aber eine solche Zusatzfrage verfehlt, weil die uneingeschränkte Bejahung der auf Nötigung zum Beischlaf lautenden Eventualfrage 5 unter Berücksichtigung der im Verdikt individualisierten (nicht: konkretisierten) Tatmodalitäten (Ankündigung des weiteren Handlungsablaufs, Anschreien, Drohgebärde mit einem Revolver, gewaltsames Entkleiden) die Annahme des laut § 202 Abs 1 StGB. geforderten Vorsatzes auf Willensbeugung des Opfers ohnedies einschließt.

Dem Beschwerdeführer kann aber auch nicht gefolgt werden, soweit er erneut unter Hinweis auf die geschlechtliche Freizügigkeit der Zeugin H*** eine unrichtige Rechtsbelehrung mit der Begründung geltend macht (Z. 8), in Anbetracht der besonderen Leichtfertigkeit der Zeugin in sexuellen Belangen und der dem Angeklagten dadurch verwehrten Einsicht in die Unrechtmäßigkeit seines Handelns hätten die Geschwornen über den Begriff des Unrechtsbewußtseins belehrt werden müssen. Zählt doch das Recht, über den eigenen Körper in geschlechtlicher Hinsicht selbständig zu verfügen (Sexualfreiheit), zum fundamentalen Bereich des allgemein einsichtigen Rechtsbestands, wo fehlendes Unrechtsbewußtsein vorweg nicht in Betracht kommt. Auch die Sexualfreiheit einer außergewöhnlich freizügig eingestellten Person (etwa einer Prostituierten) ist demnach zu respektieren (11 Os 176/84, 12 Os 84/85 u.a.). Das Unterbleiben der Erörterung der in keiner Weise naheliegenden Frage fehlenden Unrechtsbewußtseins in der Rechtsbelehrung war mithin nicht geeignet, die Geschwornen zum Nachteil des Angeklagten zu beirren. Schließlich hält auch die Rechtsrüge (Z. 11 lit a) einer Überprüfung nicht stand. Selbst unter Berücksichtigung der von besonderer Kontaktfreudigkeit gegenüber Männern gekennzeichneten Einstellung der Zeugin H*** und des spezifischen Milieus erfüllen nämlich die im Verdikt festgestellten Tathandlungen des Angeklagten (siehe oben) sämtliche objektiven Voraussetzungen einer strafbaren Nötigung zum Beischlaf, ohne daß in subjektiver Hinsicht andere als die dem Wahrspruch diesbezüglich zugrundeliegenden Annahmen indiziert wären. Daß eine vom Täter sichtbar mitgeführte Faustfeuerwaffe ein taugliches Mittel darstellt, um den Willen einer widerstrebenden Frau welcher Wesensart auch immer zu beugen, versteht sich von selbst.

Zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft:

Sie richtet sich gegen den Schuldspruch wegen Vergehens der fahrlässigen Tötung in Annahme einer Notwehrüberschreitung (2 b). Als einer Unrichtigkeit gleichzuhaltende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung rügt (Z. 8) die Anklagebehörde, daß die Problematik der sogenannten Absichtsprovokation nicht erörtert worden sei. Die Aktualität einer auf diesem Versäumnis beruhenden allfälligen Irreleitung der Geschwornen wird unter Bezugnahme auf in der Hauptverhandlung hervorgekommene Anhaltspunkte darin erblickt, daß der Angeklagte eine Auseinandersetzung mit Rudolf D*** gesucht habe. Dazu wird auf die Aussage der Zeugin Aloisia B*** hingewiesen, wonach D*** schon vor der Tat wiederholten Aufforderungen H***, sich mit dem Angeklagten in bestimmten Lokalen zu treffen, nicht nachgekommen sei (Band II S. 500); ferner auf die Aussage des Zeugen Hermann L***, wonach H*** die in Rede stehende Auseinandersetzung mit den Äußerungen "ich habe gehört, du willst mich abstechen" bzw. "was habe ich gehört, du willst mich abstechen?" eröffnet haben soll (Band II S. 509, 510). Indes bot der gegenständliche Fall keinen Anlaß, in der Rechtsbelehrung zur Notwehr auf die Problematik der sogenannten Absichtsprovokation einzugehen. Dieser als Ausschlußkriterium der Notwehr bedeutsame Rechtsbegriff deckt nämlich nicht sämtliche Fälle eines provozierten Angriffs, sondern nur jene qualifizierte Provokationsvariante, bei welcher der Angriff nur um der Abwehr willen herausgefordert wird (LSK. 1983/19 u.v.a.). Ein aktueller Bezug zu einer solchen Provokation ist den von der Anklagebehörde relevierten Umständen nicht zu entnehmen. Dies umso weniger, als der den Geschwornen vorgelegene Sachverhalt von einer beim Zusammentreffen mit dem Angeklagten spontanen Initiative des Zeugen D*** zum Schußwaffengebrauch gekennzeichnet war.

Die gegen die Notwehrannahme gerichtete Rechtsrüge (Z. 12) bezieht sich abermals auf eine vermeintliche Absichtsprovokation und verfehlt deshalb auf tatsachenwidriger Grundlage (siehe den vorigen Absatz) eine prozeßordnungsgemäße Ausführung.

Die Nichtigkeitsbeschwerden beider Prozeßparteien waren daher zu verwerfen.

Bemerkt wird, daß der Schuldspruch wegen Vergehens nach dem Waffengesetz rechtsrichtig auf § 36 Abs 1 Z. 1 WaffG. in der Fassung der am 29. August 1986 ausgegebenen, gemäß Art. 49 a Abs 3 B.-VG. am 30. August 1986 wirksam gewordenen Wiederverlautbarung BGBl. 1986/443 zu stützen gewesen wäre.

Zu den Berufungen:

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten gemäß §§ 28 Abs 1, 202 Abs 1 StGB. eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Dabei waren erschwerend die auf derselben schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen, die den Angeklagten als Rückfallstäter ausweisen, das Zusammentreffen mehrerer Straftaten und insbesondere der überaus rasche Rückfall, zumal der Angeklagte erst Ende November 1985 aus der letzten mehrjährigen Strafhaft entlassen worden war; mildernd waren das Geständnis zum Vergehen nach dem Waffengesetz und der nicht besonders wählerische Umgang der Monika H***. Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe an, die Anklagebehörde beantragt die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter (§ 23 StGB.).

Der Berufung des Angeklagten bleibt ein Erfolg versagt. Er räumt ein, daß das Geschwornengericht die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig dargelegt hat, wendet sich aber gegen deren Bewertung, die angesichts der hinlänglich charakterisierten Persönlichkeit der Zeugin H*** (siehe oben) hier die Höchststrafe des § 202 Abs 1 StGB. nicht zulasse. Diese Rechtsmittelausführung übergeht allerdings die gravierende Deliktskonkurrenz (§ 28 StGB.) und die durchaus mögliche Anhebung der Freiheitsstrafe bis auf siebeneinhalb Jahre (§ 39 StGB.). Die von der Staatsanwaltschaft reklamierte Anstaltsunterbringung (§ 23 StGB.) wird hingegen zu Recht gefordert: Sind nämlich die Voraussetzungen des § 23 StGB. für die Unterbringung eines Rechtsbrechers in der Anstalt für gefährliche Rückfallstäter gegeben, so hat sie das Gericht - unabhängig von einem darauf abzielenden Antrag (§ 437, letzter Satz, StPO.; hier hat der öffentliche Ankläger diese Maßnahme sogar ausdrücklich angeregt:

Band II S. 525 bzw. S. 523) - anzuordnen.

Zufolge § 28 Abs 1 StGB. war strafnormierend der Rahmen des § 202 Abs 1 StGB. Daraus und aus dem Vergleich des hier von sechs Monaten bis zu fünf Jahren reichenden Strafsatzes mit dem nur eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren androhenden § 81 StGB. und mit den noch geringeren konkurrierenden Strafsätzen des § 80 StGB. und des § 36 WaffG. - bei Verhängung von fünf Jahren nach § 202 Abs 1 StGB. - folgt, daß der Angeklagte überwiegend wegen einer vorsätzlichen strafbaren Handlung gegen die Freiheit und gegen die Sittlichkeit verurteilt wurde (§ 23 Abs 1 Z. 1 StGB.). An diese hiermit getroffene, rechtliche Feststellung des Obersten Gerichtshofs ist das Erstgericht bei der im Strafurteil unterbliebenen und daher unverzüglich nachzuholenden Konstatierung (§ 260 Abs 3, erster Satz, StPO.), ob auf die vorsätzliche strafbare Handlung (§ 202 Abs 1 StGB.) eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe entfällt (Strafteilung: § 260 Abs 2 StPO.), in sinngemäßer Anwendung des § 293 Abs 2 StPO. gebunden. Allein die beiden letzten, in der Strafregisterauskunft verzeichneten Vorstrafen zeigen, daß der Angeklagte bereits zweimal überwiegend wegen strafbarer Handlungen der im § 23 Abs 1 Z. 1 StGB. genannten Art zu Freiheitsstrafen von jeweils mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist (2 a Vr 2373/79-84 des LG. Wien vom 3. Juli 1980: §§ 204 Abs 1; 15, 105; 83 Abs 1; 127 Abs 1; 88 Abs 4; 231 Abs 1 StGB.; § 36 Abs 1 lit a WaffG. - 19 Monate Freiheitsstrafe; 3 c Vr 5022/81-79 und 117 des LG. Wien vom 15. März 1982 und vom 21. September 1983 in Verbindung mit 10 Os 123/82-6 und 10 Os 34/84-10 des OGH. vom 7. September 1982 und vom 27. März 1984:

§§ 127 Abs 1 und 2 Z. 1, 128 Abs 1 Z. 4, 129 Z. 1 und 4, 131 StGB.; § 36 Abs 1 lit a WaffG. - viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe). Der Angeklagte hat aus diesen Aburteilungen nach Vollendung seines achtzehnten Lebensjahrs mindestens achtzehn Monate in Strafhaft (zu 2 a Vr 2373/79 vom 3. Juli 1980 bis 7. November 1980; zu 3 c Vr 5022/81 vom 27. April 1984 bis 27. November 1985) zugebracht (§ 23 Abs 1 Z. 2 StGB.).

Schließlich haben auch die beigezogenen Sachverständigen unmißverständlich eine ungünstige Prognose erstellt (Band II S. 516, 517 in Verbindung mit ON. 48 S. 217, 218 sowie mit ON. 42, 87). Es ist daher zu befürchten, daß der Angeklagte wegen seines Hangs zu strafbaren Handlungen der im § 23 Abs 1 Z. 1 StGB. angeführten Art ohne die Anstaltsunterbringung weiterhin solche strafbaren Handlungen mit schweren Folgen begehen werde (§ 23 Abs 1 Z. 3 StGB.).

Da auch die prozessualen Voraussetzungen für diese Maßnahme gegeben sind (§§ 436 Abs 1, 439 Abs 1 und 2 StPO.), war Peter H*** in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft gemäß § 23 StGB. in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter unterzubringen.

Rechtssätze
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