JudikaturJustiz13Os23/17g

13Os23/17g – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Maria W***** wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter Satz zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 7. September 2016, GZ 25 Hv 61/16v 35, sowie über die Beschwerde der Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch jene Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, die nicht durch die ganz erfolglos gebliebene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verursacht worden sind.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maria W***** der Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (A), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (B), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (C) und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (D) schuldig erkannt.

Danach hat sie

A/ in F***** (US 5) Personen, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wie im Urteil näher beschrieben, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar

1/ ihrer am 18. November 2000 geborenen Tochter Jasmin H***** von Juli 2011 bis Ende Oktober 2014:

2/ ihrem am 21. Mai 1998 geborenen Sohn (US 5) Rene H***** vom 1. Juni 2009 bis Anfang Juli 2011;

B/ am 23. Dezember 2013 in M***** eine fremde Sache beschädigt, indem sie das Hemd des Matthias M***** zerriss;

C/ Matthias M***** durch Gewalt zu Handlungen genötigt, indem sie den von diesem gelenkten Pkw mit ihrem Pkw überholte und schnitt und zu 2/ sodann ihren sich nunmehr vor dem Pkw des Genannten befindlichen Pkw quer stellte, sodass der Genannte jeweils seinen Pkw abrupt abbremsen oder ausweichen musste, um eine Kollision zu vermeiden,

1/ zwischen Mai 2013 und 19. Dezember 2014 in F*****;

2/ in zumindest zwei Angriffen zwischen Mai 2013 und 13. Jänner 2015;

D/ vorsätzlich eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeigeführt, und zwar

1/ von Matthias M***** und ihren Töchtern Jasmin H***** und Sarah M***** durch die unter C/1 angeführte Handlung;

2/ von Matthias M***** durch die unter C/2 angeführten Handlungen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpfen die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 7, 9 lit a und 10 StPO gestützten, die Angeklagte mit einer aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Diese wendet sich gegen den Schuldspruch A.

Mit Verfahrensrüge (Z 3) macht die Beschwerdeführerin geltend, dass „die erfolgte mündliche Urteilsverkündung […] entgegen § 260 Abs 1 Z 1 StPO […] derart mangelhaft war, dass […] nicht konkret hervorging, welche Taten iSv historischen Sachverhalten betreffend den Vorwürfen Pkt. A./ der Anklageschrift tatsächlich verurteilt wurden bzw. werden sollten“, und im Übrigen die schriftliche Urteilsausfertigung hinsichtlich des Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zu Punkt A trotz der vom Erstgericht vorgenommenen Urteilsangleichung nicht dem verkündeten Urteil entspreche.

Der Einwand ist nicht stichhaltig.

Nach dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung verkündete der Vorsitzende einen „SCHULDSPRUCH im Sinne der Anklageschrift mit der Maßgabe, dass es zu Punkt A./ zu lauten hat: '… hat in den in der Anklage angeführten Zeiträumen Personen, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar Jasmin H***** und Rene H*****; sie hat zu A./ das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger Personen gemäß § 92 Abs 1 StGB begangen;'“ (ON 34 S 92 f).

Dass die Verkündung des schuldig sprechenden Erkenntnisses dessen notwendigen Inhalt (§ 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO) nicht aufweise, wurde – nach dem Inhalt des unbeanstandet gebliebenen Hauptverhandlungsprotokolls – vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nicht geltend gemacht.

Soweit die Beschwerde demnach Nichtigkeit der Urteilsverkündung wegen nicht hinreichender Individualisierung der vom Schuldspruch A erfassten Taten (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) einwendet, scheitert sie schon an der Nichterfüllung der Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels zum Nachteil der Angeklagten gemäß § 281 Abs 3 StPO, wonach sich die Staatsanwaltschaft

dem Vorgang zu widersetzen, die Entscheidung des Schöffengerichts zu begehren und sich unmittelbar nach Verweigerung oder Verkündung der Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde vorzubehalten hat (sog „dreifache Rügeobliegenheit“; vgl zu § 271 Abs 1 erster Satz, § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO: Ratz , WK StPO § 281 Rz 735).

Mit Beschluss des Vorsitzenden des Schöffensenats vom 2. Jänner 2017 (ON 42) wurde die schriftliche Urteilsausfertigung (ON 35) an das mündlich verkündete Urteil dahingehend angeglichen, „dass es im Urteilsspruch unter Punkt A./ zu lauten hat: ... A./ Personen, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar 1./ Jasmin H***** von Juli 2011 bis Ende Oktober 2014 2./ Rene H***** von 1. 6. 2009 bis Anfang Juli 2011“.

Dieser Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft durch Aktenübermittlung (vgl § 81 Abs 3 StPO) am 4. Jänner 2017 – fristauslösend (RIS Justiz RS0123942 [T2 und T3]) – bekanntgemacht (vgl ON 42). Eine Beschwerde gegen den Angleichungsbeschluss (vgl zu dessen Anfechtbarkeit: Danek , WK StPO § 270 Rz 57) wurde von der Staatsanwaltschaft nicht erhoben. Die im Sinn des Beschlusses angeglichene Urteilsausfertigung wurde der Staatsanwaltschaft am 26. Jänner 2017 zugestellt (ON 1 S 26).

Soweit die Rechtsmittelwerberin nun eine Abweichung der schriftlichen Urteilsausfertigung vom verkündeten Urteil behauptet, ist sie auf den ihr gegenüber in Rechtskraft erwachsenen Angleichungsbeschluss vom 2. Jänner 2017 zu verweisen. Im Übrigen entspricht die angeglichene Urteilsausfertigung – abgesehen von rechtlich irrelevanten sprachlichen Ungenauigkeiten – dem nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden verkündeten Urteil.

Auch die zusätzlich – Schuldsprüche wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB fordernde und diesbezüglich eine Nichterledigung der Anklage (Z 7) behauptende Kritik versagt.

Denn die Tatrichter konnten nicht feststellen, dass Maria W***** auf ihre Kinder eingetreten, diese mit Fäusten geschlagen oder sie gegen Gegenstände geschleudert habe (US 6, 10 f) und über Beschimpfungen hinausgehende gefährliche Drohungen zum Nachteil der Kinder durch die Genannte stattgefunden hätten (US 6). Damit hat das Schöffengericht aber insoweit einen Freispruch von diesen zufolge Nichtannahme der Voraussetzungen für eine Zusammenfassung nach § 107b StGB wieder gesondert strafbaren Einzeltaten (vgl Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 107b Rz 2/1, 8, 18; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 82; Schwaighofer in WK² StGB § 107b Rz 53) zum Ausdruck gebracht, der die Anklage erledigt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 503; RIS Justiz RS0116266 [T9]).

Dem gegen die Negativfeststellung betreffend gefährliche Drohungen erhobenen Einwand fehlender oder offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen sie den Angaben der Zeugen Jasmin und Rene H***** nicht in vollem Umfang Glauben schenkten, und dabei – entsprechend dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) – auch hinreichend erörtert, inwieweit und aus welchen Erwägungen sie den belastenden Angaben der beiden Zeugen folgten (US 9 bis 13).

Soweit die Rüge mit eigenen Beweiswerterwägungen zu den Aussagen der beiden Kinder einen Feststellungsmangel hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter Satz zweiter Fall StGB behauptet (der Sache nach Z 10), erschöpft sie sich in einem im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Der Einwand, das Erstgericht habe auf Grund der rechtsirrigen Verneinung der objektiven Tatseite weder positive noch negative Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen, übergeht prozessordnungswidrig die einen auf fortgesetzte Gewaltausübung gerichteten Vorsatz der Angeklagten (vgl RIS Justiz RS0127377; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 27) ausschließende Konstatierung, wonach diese jeweils im Zug von kurzzeitigen emotionalen Ausbrüchen handelte (US 5).

Das ungeachtet des ausdrücklich eingewendeten Fehlens von Feststellungen zur subjektiven Tatseite schon auf der Basis der Urteilskonstatierungen einen Schuldspruch wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter Satz zweiter Fall StGB anstrebende Vorbringen (Z 10) bleibt unverständlich.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten :

Der gegen den Schuldspruch A erhobenen Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter ausführlich und nachvollziehbar erörtert, aus welchen Gründen sie den Zeugen Jasmin und Rene H***** hinsichtlich eines Teils ihrer Angaben gefolgt sind (US 9 bis 13).

Der ebenfalls gegen den Schuldspruch A gerichtete Einwand (Z 5 zweiter Fall), im Urteil fehle insoweit „jede Auseinandersetzung“ mit den Aussagen der Kinder, ist angesichts deren überaus eingehender Erörterung (US 9 bis 13) nicht nachvollziehbar.

Dem weiteren Beschwerdevorbringen (Z 5 zweiter Fall) zum Schuldspruch A zuwider stehen die Angaben der Zeugin Herta G*****, sie habe keine Wahrnehmungen zu über einen längeren Zeitraum gesetzten Tätlichkeiten oder Drohungen der Angeklagten gegenüber ihren Kindern und Partnern gehabt (ON 34 S 64), den vom Erstgericht konstatierten Misshandlungen, Beschimpfungen und Erniedrigungen der Kinder (US 5 f) nicht erörterungsbedürftig entgegen.

Die zum Schuldspruch A einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia behauptende Rechtsrüge (Z 9 lit a) ignoriert die Feststellungen, wonach Maria W***** ihren Sohn Rene H***** über einen Zeitraum von rund zwei Jahren und ihre Tochter Jasmin H***** mehr als drei Jahre lang einige Male pro Jahr schlug, beim Genick packte und schüttelte sowie mehrmals monatlich heftig, nämlich als Drecksau, Schlampe, verlogenes Miststück und unfähig, beschimpfte und von den Kindern verlangte, diese Beschimpfungen vor dem Spiegel zu wiederholen (US 5 f iVm US 13 iVm US 2), wobei diese wiederholten Übergriffe zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Opfer führten (US 16). Solcherart verfehlt die Rüge den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).

Die vom Erstgericht zum Schuldspruch B getroffene Feststellung zur subjektiven Tatseite, wonach die Angeklagte die Beschädigung absichtlich herbeiführte (US 8), ist keineswegs undeutlich (Z 5 erster Fall).

Dass die Konstatierungen zum Schuldspruch B die vorgenommene Subsumtion in subjektiver Hinsicht nicht tragen sollten, leitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) mit der bloßen Behauptung, diese „ergeben lediglich ein fahrlässiges Verhalten“, nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS Justiz RS0116569).

Gleiches gilt, soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, das Urteil enthalte trotz der festgestellten Absicht „keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich des Vorsatzes“ (RIS-Justiz RS0099620 [T7]).

Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Schöffengericht die Feststellungen zu den Schuldsprüchen C und D logisch und empirisch einwandfrei aus den als glaubwürdig beurteilten Angaben der Zeugen Matthias M***** und Jochen B***** abgeleitet (US 14 iVm US 10). Soweit die Nichtigkeitswerberin die diesbezüglichen Erwägungen der Tatrichter kritisiert und diesen eigene Überlegungen gegenüberstellt, bekämpft sie bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde gegen den verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (vgl RIS Justiz RS0101841, RS0120887 [T2 und T3]; Danek , WK StPO § 270 Rz 50; Lendl , WK StPO § 260 Rz 39) Beschluss über die Erteilung einer Weisung nach § 51 Abs 3 StGB folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl , WK StPO § 390a Rz 8; RIS Justiz RS0108345 [T2]).

Rechtssätze
6