JudikaturJustiz13Os130/15i

13Os130/15i – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. November 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Kristijan M***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG, AZ 620 Hv 5/15y des Landesgerichts Korneuburg, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Luka J***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 2. November 2015, AZ 21 Bs 316/15x, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Luka J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der serbische Staatsangehörige Luka J***** wurde mit in Ansehung des Schuldspruchs, nicht aber des Strafausspruchs rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 17. August 2015 (ON 45) mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Davon wurde ein Teil in der Dauer von zehn Monaten gemäß § 43a Abs 3 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Danach hat Luka J***** gewerbsmäßig (§ 70 StGB) in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise von Fremden in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich Österreich, mit dem Vorsatz gefördert, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, nämlich

I./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Mladen J*****, Trajce F*****, Kristijan M***** und zumindest einem weiteren unbekannten Täter am 27. April, 28. April und 29. April 2015, indem sie pro Schleppung mehrere Fremde in Ungarn übernahmen, Mladen J***** das Vorausfahrzeug lenkte, Luka J***** und Trajce F***** als Beifahrer im Vorausfahrzeug fungierten, wobei es ihre Aufgabe war, die beiden nachfolgenden Schlepperfahrzeuge, in denen sich die Fremden befanden, zu eskortieren, die Route auszukundschaften und allenfalls die beiden nachfolgenden Schlepperfahrzeuge zu warnen, und Kristijan M*****, indem er eines der beiden nachfolgenden Schlepperfahrzeuge lenkte, hiebei am 27. April 2015 sieben Fremde und ein unbekannter Täter sechs Fremde, am 28. April 2015 sechs Fremde und ein unbekannter Täter ebenfalls sechs Fremde und am 29. April 2015 fünf Fremde transportierten und über N***** weiter auf die A***** bis nach W***** brachten;

III./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Mladen J***** und zumindest zwei weiteren unbekannten Tätern vom 16. Februar bis zum 17. Februar 2015, indem Mladen J***** das Vorausfahrzeug lenkte und Luka J***** als Beifahrer des Vorausfahrzeugs fungierte, wobei es ihre Aufgabe war, die nachfolgenden beiden Schlepperfahrzeuge, in denen sich die Fremden befanden, zu eskortieren, die Route auszukundschaften und allenfalls die beiden nachfolgenden Schlepperfahrzeuge zu warnen, wobei die beiden unbekannten Täter die nachfolgenden Schlepperfahrzeuge lenkten und hiebei eine nicht mehr konkret feststellbare, zwischen fünf und fünfzehn Personen liegende Anzahl von Fremden transportierten und über N***** weiter auf der A***** bis nach W***** brachten.

Gegen den Strafausspruch meldete die Anklagebehörde noch in der Hauptverhandlung Berufung an (ON 44 S 16). Seitens des Beschwerdeführers wurde kein Rechtsmittel erhoben.

Über Luka J***** wurde mit Beschluss vom 1. Mai 2015 (ON 14) die Untersuchungshaft wegen des dringenden Verdachts der Begehung eines Teils der schließlich zum Schuldspruch führenden Taten aus den Haftgründen der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG verhängt. Zuletzt setzte der Vorsitzende des Schöffengerichts die Untersuchungshaft nach Durchführung einer Haftverhandlung (ON 49) mit Beschluss vom 29. September 2015 (ON 50) aus den selben Haftgründen fort und wies einen Enthaftungsantrag des Genannten ab.

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 2. November 2015 (ON 56) nicht Folge und ordnete erneut die Haftfortsetzung aus den Haftgründen des § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG an.

Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts verwies das Beschwerdegericht auf den rechtskräftigen Schuldspruch des Urteils des Landesgerichts Korneuburg vom 17. August 2015 (ON 45).

Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Luka J***** . Sie ist nicht im Recht.

Die Beschwerde kritisiert, die angefochtene Entscheidung beziehe sich nicht auf bestimmte Tatsachen, die einen dringenden Tatverdacht indizieren. Dabei verkennt sie, dass die Dringlichkeit des Tatverdachts ab Fällung des Urteils in erster Instanz im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr zu überprüfen ist (RIS Justiz RS0108486, RS0061107).

Auf das im ordentlichen Beschwerdeverfahren nicht thematisierte Vorbringen zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO war mangels horizontaler Erschöpfung des Instanzenzugs nicht einzugehen (RIS Justiz RS0114487 [insbesondere T8]; Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 41).

Rechtfertigt bei gegebenem dringenden Tatverdacht jedoch bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, erübrigt es sich im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe (hier der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO) gegeben sind (RIS Justiz RS0061196).

Überdies kritisiert die Grundrechtsbeschwerde, der Beschwerdeführer habe zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts bereits mehr als den unbedingt verhängten Teil der Freiheitsstrafe verbüßt, sodass die Untersuchungshaft unverhältnismäßig sei. Damit verkennt sie, dass für das Maß der zu erwartenden Strafe grundsätzlich die gesamte vom Erstgericht verhängte Strafe, nicht aber deren unbedingter Teil den wesentlichen Anhaltspunkt bildet (RIS Justiz RS0118876 [insbesondere T8]; vgl auch RIS Justiz RS0123343). Die bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung sechs Monate währende Untersuchungshaft ist daher, wie das Beschwerdegericht mit eingehender Begründung dargelegt hat (BS 5) gemessen an der maßgeblichen vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafe von 15 Monaten (RIS Justiz RS0108401) und mit Blick auf die Bedeutung der dem Beschwerdeführer konkret zur Last liegenden strafbaren Handlungen nicht als unverhältnismäßig anzusehen.

Der Vorwurf, das Beschwerdegericht habe mit seiner Rechtsansicht, wonach unabhängig von einer bedingten Nachsicht die gesamte vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit heranzuziehen ist, gegen das (im Übrigen ausschließlich Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen betreffende [vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 545]) „Überraschungsverbot“ verstoßen, ist angesichts der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu (erneut RIS Justiz RS0123343) unverständlich.

Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
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