JudikaturJustiz13Os130/07b

13Os130/07b – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wiaderek als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard M***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 9. Juli 2007, GZ 39 Hv 126/07i-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerhard M***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1.) und „des Vergehens" des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB (2.) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht:

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 6. März 2007 in H*****

1. außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er mit seiner Hand am Penis des am 6. Oktober 1994 geborenen Rene S***** masturbierte;

2. Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nämlich den am 6. Oktober 1994 geborenen Rene S***** und den am 5. Jänner 1994 geborenen Philipp E***** (von dem er annahm, dass er bereits 15 Jahre alt sei) unmittelbar durch ein Entgelt dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen zu lassen, indem er ihnen für die Durchführung des Handverkehrs durch ihn einen Bargeldbetrag von insgesamt 10 Euro anbot und auch übergab.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten nominell aus den Gründen der Z 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Der gegen den Schuldspruch 1. gerichteten Mängelrüge (Z 5) zuwider haben die Tatrichter die entscheidungswesentliche Konstatierung, der Angeklagte habe es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dass Rene S***** zum Tatzeitpunkt unter 14 Jahre alt war (US 5), mängelfrei auf dessen geständige Verantwortung gestützt (US 6) und - erst auf dieser Prämisse - aus dem objektiven Tatgeschehen (der Durchführung eines Handverkehrs an dem Kind) den Schluss gezogen, sein Vorsatz sei auf die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person gerichtet gewesen, was im Übrigen auch unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall keinen Bedenken begegnet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452).

Weshalb mit Blick auf diese Erwägungen des Erstgerichtes die in der Beschwerde zitierten - für sich keine entscheidenden Tatsachen betreffenden - Beweisergebnisse, nämlich die Ausführungen der Sachverständigen Dr. Karin T*****, wonach es für den Angeklagten „keinen Unterschied mache, ob es sich bei den Opfern um erwachsene Frauen, Jugendliche oder Kinder handle", weiters die - homosexuelle oder pädophile Neigungen bestreitende - Verantwortung des Angeklagten oder der Umstand, dass Gerhard M***** nach den Urteilsannahmen auch Philipp E***** für 15 Jahre alt gehalten hat, in einem erörterungsbedürftigen Widerspruch zu der kritisierten Feststellung stehen sollten (Z 5 zweiter Fall), macht die Rüge nicht klar. Gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO bemängelt der Beschwerdeführer weiters, dass das Erstgericht die Feststellungen zur „Gefährlichkeitsprognose" auf das als schlüssig angesehene Gutachten der Sachverständigen Dr. Karin T***** gründete, obwohl sich diese - nach dem Beschwerdestandpunkt (vgl dagegen aber S 287 f/I iVm S 5/II) - zur Frage der „negativen Zukunftsprognose" ausschließlich auf allgemeine Studien und einen bereits 30 Jahre zurückliegenden Vorfall, nicht aber auf eine in der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten zu findende Krankheit bezog und sich zudem nicht mit dem Umstand auseinandersetzte, dass Gerhard M***** seit dem Jahr 1969 insgesamt 35 Mal wegen „Exhibitionismus", jedoch nicht wegen anderer Sexualverbrechen verurteilt wurde. Daran anschließend wird unter Berufung auf Z 11 in der Unterlassung der amtswegigen Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Gefährlichkeitsprognose - trotz nach Ansicht des Beschwerdeführers solcherart mangelhafter vorliegender Expertise - ein „Verfahrensmangel" erblickt. Damit wird nicht Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs, sondern ein Berufungsgrund geltend gemacht.

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 (bzw § 345 Abs 1 Z 13) StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist jedenfalls die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, demnach der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung des § 21 StGB. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) entscheidenden Tatsachen lässt die Rechtsprechung neben der Berufung auch eine Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- und Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zu. Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt auch eine Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht (vgl zum Ganzen Ratz, WK² Vorbem zu §§ 21-25 Rz 8 ff mwN).

Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs liegt vor, wenn die solcherart in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 bis 721).

Mit ihrer Kritik am Inhalt der Gefährlichkeitsprognose spricht die Beschwerde weder eine für die Sanktionsbefugnis entscheidende Tatsache an, noch behauptet sie einen Rechtsfehler bei der Ermessensentscheidung im obigen Sinn. Indem sich die Rüge zwar auf § 439 Abs 2 StPO beruft, andererseits aber einräumt, dass die dort geforderte Beiziehung eines Sachverständigen ohnehin erfolgte, erweist sie sich als unschlüssig. Ein „Verfahrensmangel" im Sinne der Z 3 (iVm Z 11 erster Fall) wird solcherart ebensowenig aufgezeigt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass in Ansehung des Schuldspruchs 2. - allerdings aus anderen als den vom Generalprokurator in seiner Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten genannten Gründen - kein Anlass zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO besteht:

Vorauszuschicken ist zunächst, dass der Angeklagte das tatsächlich erst 13-jährige Tatopfer Philipp E***** nach den Urteilsannahmen für 15 Jahre alt hielt (US 3, 5, 6). Die Beurteilung dieser Tat nach § 207 Abs 1 StGB wurde damit (zufolge Vorliegens eines vorsatzausschließenden Tatbildirrtums) vom Schöffengericht zutreffend abgelehnt.

Der in 14 Os 44/04 (dort unbegründet) und 11 Os 36/05m sowie von einem Teil der Lehre (überwiegend unbegründet oder ohne weitergehende Argumentation unter bloßer Bezugnahme auf die erstzitierte Entscheidung - vgl Schick in WK² Rz 5; Hinterhofer BT II4 Rz 3, 10 und 15; derselbe in SbgK Rz 18; Bertel/Schwaighofer BT II7 Rz 8, alle zu § 207b) vertretenen Auffassung, § 207b StGB sei insoweit teleologisch zu reduzieren, als der Tatbestand nur Personen erfasse, die das 14. Lebensjahr tatsächlich vollendet haben, vermag sich der Senat aus nachstehenden Gründen nicht anzuschließen:

Mit § 207b StGB wurde eine Nachfolgebestimmung für § 209 StGB geschaffen. Die - erst mit der Fassung BGBl 1988/599 eingeführte - explizite Einschränkung auf über 14-jährige Opfer wurde aber in § 207b StGB gerade nicht fortgeführt, demgegenüber bloß die Ober-, nicht aber die Untergrenze des Alters des Tatopfers genannt. Eine historische Interpretation führt solcherart gerade nicht zu dem angesprochenen Ergebnis. Die Argumentation mit der - zudem nur in der Gesetzesüberschrift verwendeten - Formulierung „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen" iVm § 1 Z 2 JGG überzeugt ebensowenig, weil letztgenannte Bestimmung den prozessualen Begriff des Jugendlichen im Bereich des Jugendgerichtsgesetzes definiert, woraus für eine Ausdeutung des Wortes „Jugendlicher" im materiellen Teil des StGB nichts zu gewinnen ist. Da weiters die Obergrenze des Schutzalters in § 208 StGB ausschließlich sechzehn Jahre beträgt, während der Anwendungsbereich des § 207b StGB Personen, die das 16. Lebensjahr (Abs 1 und 2) und solche, die das 18. Lebensjahr (Abs 3) noch nicht vollendet haben, umfasst, lässt auch die unterschiedliche Formulierung der Überschriften dieser beiden Bestimmungen keine zwingenden Rückschlüsse zu. Eine - in 11 Os 36/05m angedeutete, nicht weiter begründete - Notwendigkeit, den Begriff in Abs 1 und Abs 2 des § 207b StGB unterschiedlich auszulegen, ist letztlich nicht ersichtlich.

Der Senat schließt sich daher der von Burgstaller vertretenen (Burgstaller JBl 2007, 64 [Anm zu 11 Os 36/05m]) - und mit den Gesetzesmaterialien, die eine Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 207b StGB auf Personen, die das 14. Lebensjahr bereits beendet haben, nicht ausdrücklich vorsehen (vgl die Entschließung des NR vom 10. Juli 2002, E 152-NR/21. GP, Pkt 3 und 5), zu vereinbarenden - Ansicht an, wonach es sachgerecht erscheint, prinzipiell auch unmündige Personen in den Schutzbereich des § 207b StGB einzubeziehen, bei gleichzeitiger Verwirklichung des § 206 oder des § 207 StGB jedoch Subsidiarität des § 207b StGB zu bejahen. Daraus folgt, dass die Subsumtion des dem Schuldspruch 2. zugrunde liegenden Sachverhaltes in Bezug auf das Tatopfer Philipp E***** unter § 207b Abs 3 StGB keinen Bedenken begegnet, die Annahme idealkonkurrierenden Zusammentreffens des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB mit dem Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB (in Ansehung des unmündigen Tatopfers Rene S*****) allerdings rechtsirrig erfolgte. Da der Angeklagte durch die Unterstellung auch unter § 207b Abs 3 StGB nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes - im aktuellen Einzelfall - noch keinen effektiven Nachteil erlitten hat, zumal er trotz zweier Opfer nur eines Vergehens des § 207b Abs 3 StGB schuldig erkannt wurde, bedarf es amtswegiger Wahrnehmung der darin gelegenen Nichtigkeit nach Z 10 gleichermaßen nicht. Zwar ist ein effektiver Nachteil aus Z 11 zweiter Fall zu konstatieren, weil das Schöffengericht „den Umstand, dass beim Vergehen nach § 207b Abs 3 StGB zwei Knaben verleitet wurden", auch bei der Strafbemessung in Anschlag gebracht hat. Ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO war dennoch nicht erforderlich, weil die aufgezeigte Benachteiligung des Angeklagten vom Oberlandesgericht Innsbruck im Rahmen der Berufungsentscheidung behoben werden kann (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 29).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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