JudikaturJustiz13Os106/07y

13Os106/07y – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wiaderek als Schriftführer in der Strafsache gegen Ronald O***** wegen mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 11. Juni 2007, GZ 39 Hv 62/07b-78, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG (A/1), mehrerer im Versuchsstadium (§ 15 StGB) verbliebener Verbrechen nach § 28 Abs 2 erster Fall SMG sowie des im Versuchsstadium verbliebenen Vergehens nach § 27 Abs 1 dritter Fall SMG (A/2), mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG (A/3), des Verbrechens (richtig: Vergehens) nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 dritter (richtig: zweiter) Fall SMG (B) und mehrerer Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (C) schuldig erkannt.

Danach hat er von Spätsommer 2005 bis 14. Juni 2006 in R***** den bestehenden Vorschriften zuwider

„A. Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG)"

1. erzeugt, und zwar durch Pflege, Aufzucht und Abernten einer unbekannten Anzahl von Cannabispflanzen mit einem Trockengewicht von zumindest 1,5 kg Marihuana mit einer Reinsubstanz von zumindest 140 Gramm THC,

2. zu erzeugen versucht, und zwar durch Pflege und Aufzucht von (sichergestellten) 129 Cannabispflanzen mit einem Trockengewicht von cirka 623 Gramm mit einer Reinsubstanz von zumindest 59 Gramm THC,

3. in Verkehr gesetzt, und zwar durch Überlassen von cirka 1,5 kg Marihuana mit einer Reinsubstanz von zumindest 140 Gramm THC aus seinem Eigenbau (Punkt A.1.) an Oliver S*****, Wolfgang B***** und Bianca G*****;

„B. Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG)" mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen, und zwar 369,3 Gramm von ihm erzeugtes Marihuana mit einer Reinsubstanz von 28,1 Gramm THC;

C. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte, nämlich geringe Mengen Cannabisharz und Heroin besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 9 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt. Mit der Behauptung fehlender Deckung der Feststellung, wonach „mit klassischer ärztlicher Heilbehandlung" jegliche zusätzliche ernsthafte Gefährdung der Gesundheit und des Lebens der vom Angeklagten durch Verabreichen von THC-hältigem Marihuana zum Zweck der Suchtgiftentwöhnung „betreuten" Suchtgiftabhängigen abwendbar gewesen wäre (US 9), durch die vom Erstgericht zu deren Begründung beweiswürdigend angeführten Verfahrensergebnisse (US 12) wird eine Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) - die nur vorliegt, wenn das Urteil den (eine entscheidende Tatsache) betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431) - gar nicht behauptet. Zudem betrifft die angesprochene Urteilskonstatierung keine entscheidende Tatsache:

Das Verabreichen von suchtmittelhältigen Stoffen an Menschen ist nach § 8 SMG nur durch Ärzte oder aufgrund ärztlicher Verschreibung zulässig, und zwar überdies nur nach Maßgabe der Erkenntnisse und Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft (vgl auch Zenz in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 8 Rz 7). Selbst wenn man fallbezogen davon ausgehen wollte, dass die vom Angeklagten durchgeführte „Behandlung" in faktischer Hinsicht als angemessen anzusehen war (vgl US 9), war gleichwohl in der Lage des Täters von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen ein rechtmäßiges Alternativverhalten zu erwarten, sodass nicht bloß der (übergesetzlich) behauptete rechtfertigende, vielmehr auch entschuldigender Notstand (§ 10 StGB) ausscheidet.

Die im Rechtsmittel als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) kritisierte (im Übrigen geradezu zwingend durch das objektive Geschehen indizierte) Feststellung zu einem auf den vorschriftswidrigen Erwerb und Besitz bei ihm sichergestellter geringer Mengen Cannabisharz und Heroin (Urteilspunkt C) gerichteten Vorsatz des Angeklagten hat das Erstgericht mängelfrei auf dessen (insoweit geständige) Verantwortung gegründet (US 10). Der Nichtigkeitsgrund der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO greift seinem Wesen nach erst, wenn Beweismittel die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftssätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahe legen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481, 490).

Indem in der Tatsachenrüge die für die erstgerichtliche Annahme der (teils versuchten) Suchtmittelerzeugung durch den Angeklagten und Oliver S***** ausschlaggebende Überzeugung erhöhter Glaubwürdigkeit entsprechender Angaben der beiden im Rahmen kriminalpolizeilicher Einvernahmen gegenüber entlastenden und leugnenden Depositionen in der Hauptverhandlung unter Zugrundelegung eigenständiger Beweiswertüberlegungen bezweifelt und behauptet wird, das Erstgericht hätte bei „schlüssiger Betrachtung der Gesamtverantwortung des Angeklagten, bei Würdigung der Zeugenaussagen und insbesondere bei Beurteilung des Charakters des Angeklagten" zum gegenteiligen Ergebnis gelangen müssen, werden erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der dem Schuldspruch (A/1 und 2) zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen jedoch nicht erweckt.

Soweit sich die Rüge (Z 9 lit a) gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen Überlassens von zuvor gemeinsam mit Oliver S***** erzeugtem Marihuana (US 5 f, 8) auch an diesen richtet (Urteilspunkt A/3), übergeht sie die der Aufrechterhaltung von Mitgewahrsam entgegenstehende Urteilsfeststellung, wonach der Angeklagte täglich 5 Gramm des in einem (zufolge exklusiver Kenntnis des Codes) nur ihm zugänglichen Tresor verwahrten Marihuana dem aus „Therapiegründen" mehrere Wochen bis Monate in einem kleinen Kellerraum („Erdloch") aufhältigen Oliver S***** überließ (US 6 f), und verfehlt solcherart den gesetzlichen Bezugspunkt (vgl RIS-Justiz RS0115882, RS0088010). Dem - entgegen den Urteilskonstatierungen einer bloß angenommenen Notstandssituation deren (im Bereich der Suchtgiftkriminalität übrigens rechtlich gleichwertiges; vgl § 10 Abs 2 zweiter Satz StGB) tatsächliches Vorliegen, die Verhältnismäßigkeit zur Schadensvermeidung und (urteilswidrig [US 14], aber überflüssigerweise, weil bereits entschuldigender Notstand einen Freispruch nach sich zöge) die alleinige Tauglichkeit just der vom Angeklagten eingesetzten „Behandlungsmethode" (vgl Kienapfel/Höpfel AT12 Z 20 Rz 15) unterstellenden - Vorbringen (Z 9 lit b), wonach auch ein Irrtum über die rechtlichen Grenzen des Notstands zur Straffreiheit zu führen habe, genügt es zu erwidern, dass sich der Beschwerdeführer auch insoweit von den tatsächlichen Urteilsannahmen entfernt, ohne durch Hinweis auf in der Hauptverhandlung vorgeführte, einen derartigen Irrtum indizierende Beweismittel einen Feststellungsmangel geltend zu machen.

Im Übrigen wird ein Irrtum über die rechtlichen Grenzen des entschuldigenden Notstands durch § 10 Abs 2 zweiter Satz StGB nicht erfasst (vgl Kienapfel/Höpfel AT12 Z 20 Rz 28; vgl auch Fuchs AT I6 24/35 f sowie Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB27 § 35 Rz 42). Dass der Beschwerdeführer trotz indizierter (vgl S 175 ff/II) - vom Obersten Gerichtshof rechtlich nicht zu beurteilender - Kenntnis und Billigung seines Vorgehens durch den praktischen Arzt Dr. M***** in Betreff des normativen Tatbestandsmerkmals „den bestehenden Vorschriften zuwider" willentlich (§ 5 Abs 1 StGB) handelte, aber haben die Tatrichter, wie der Vollständigkeit halber gleichfalls erwähnt sei, ausdrücklich festgestellt (US 8), ohne dass diese Konstatierung von der Beschwerde aus Z 5 oder 5a in Zweifel gezogen worden wäre oder erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofes (§ 362 StPO) begegnen würde.

Die - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur erfolgte - Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen zur Folge (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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