JudikaturJustiz12Os93/05a

12Os93/05a – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hubert H***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 7. Juni 2005, GZ 407 Hv 1/05i-83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Dr. Schillhammer zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil des Geschworenengerichtes wurde der Angeklagte Hubert H***** (anklagekonform) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (idF StRÄG 2004) schuldig erkannt, zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Inhaltlich des auf dem einstimmig gefassten Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Schuldspruchs hat Hubert H***** am 22. Juli 2003 in Wien dadurch eine Person mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Vergewaltigten zur Folge hatte, dass er Sabine K***** am Hals packte und bis zur Bewusstlosigkeit würgte, sie nackt auszog, auf den Boden legte, ihr die Beine auseinander spreizte und einen Geschlechtsverkehr durchführte, wobei die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatte.

Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 6, 8, 10a, 11 lit a, 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Fragerüge (Z 6) lässt die Qualifikation der Tat durch Herbeiführung einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers unbekämpft.

Ihrem Einwand, der Schwurgerichtshof habe beim Vergleich der Tatbestände des § 201 aF und nF StGB den Günstigkeitsvergleich nach § 61 StGB zum Nachteil des Angeklagten unrichtig gelöst, ist zu erwidern, dass der der Anklage wegen Verdachtes der Begehung des Verbrechens nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (in der geltenden Fassung des StRÄG 2004) zugrundeliegende Sachverhalt jene objektive Komponente des zur Tatzeit in Geltung gestandenen Tatbestandes nach § 201 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl 1989/242 erfüllt, der (hier allein relevant) den Einsatz schwerer, gegen das Opfer gerichteter Gewalt voraussetzte (dazu Leukauf/Steininger Komm3 § 201 Rn 12). Dieses Tatzeitrecht war - bei gebotener konkreter Gesamtschau (EvBl 1975/299) - in Anbetracht der identen Strafdrohung (nämlich Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren) gegenüber dem Urteilszeitrecht (§ 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idgF) nicht günstiger, sodass - wie der Schwurgerichtshof in der rechtlichen Subsumtion des Wahrspruchs der Geschworenen, zutreffend erkannte - letzteres - entgegen der Beschwerdeargumentation, nominell auch Z 11a - auf den Anklagesachverhalt anzuwenden war.

Dennoch gereicht die hier gestellte, schwere Gewalt beinhaltende Hauptfrage A dem Angeklagten insoweit zum Vorteil, als damit den Geschworenen die Möglichkeit eröffnet wurde, die Qualifikation der eingesetzten Gewalt als schwer zu verneinen (§§ 323 Abs 2, 325 Abs 2 iVm § 330 Abs 2 StPO), was in diesem Fall im Hinblick auf die Bestimmung des § 201 Abs 2, Abs 3 StPO aF einen neuerlichen Günstigkeitsvergleich erfordert hätte, weil dann der Strafrahmen nach oben mit 10 Jahren limitiert gewesen wäre. Darüber hinaus hat § 201 StGB in der geltenden Fassung jede Art von Gewaltausübung als tatbestandsessentiell zum Gegenstand, sodass die aktuelle Fragestellung an die Geschworenen, die auf die Anwendung überlegener physischer Kraft abstellt und einen hohen Grad der Intensität oder Gefährlichkeit voraussetzt (JAB 2 f), also - den Angeklagten insoweit favorisierend - die Annahme des Vergewaltigungstatbestandes sinnfällig einschränkte, unzweifelhaft erkennbar auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO).

Soweit die Beschwerde im Hinblick auf die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, wonach er das Opfer nicht gewürgt und ihm auch keinerlei Gewalt angetan habe (S 57 f/II), die Stellung einer Eventualfrage nach Abs 2 des § 201 StGB idF BGBl 1989/242 moniert, ist ihr zu entgegnen, dass dieses Tatsachenvorbringen im Falle seiner Erwiesenheit durch Verneinung des Einsatzes von Gewalt und damit (hier) der Hauptfrage A zum Freispruch des Angeklagten führen müsste, eine Eventualfrage hingegen einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt voraussetzt, der im Falle ihrer Bejahung die Basis für einen Schuldspruch wegen einer anklagedifformen gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rückt (Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 314 Rn 41 ff).

Da Rechtsmittel eine Beeinträchtigung dessen voraussetzen, zu dessen Gunsten sie ergriffen werden, kann der Angeklagte den Nichtigkeitsgrund des § 345 Z 8 StPO aus einer unrichtigen - auf der Grundlage des § 201 StGB idF BGBl 1989/242 erteilten - Rechtsbelehrung nicht ableiten, wenn sie - wie zur Fragerüge bereits ausgeführt - eine für ihn günstigere Meinung zum Ausdruck brachte und daher nicht geeignet war, den Wahrspruch der Geschworenen zu seinem Nachteil zu beeinflussen (Mayerhofer/Hollaender aaO § 345 Z 8 EGr 7 f). Somit geht auch die Instruktionsrüge fehl.

Soweit die Rechtsrügen (Z 11a und 12), die durchwegs die rechtliche Subsumption des Schwurgerichtshofes als „Feststellungen des Erstgerichtes" bezeichnen, nicht schon mit der Fragerüge erledigt wurden, verfehlen sie mit der Behauptung „zur Beurteilung, ob der Angeklagte nach Tatzeitrecht strafbare Handlungen gesetzt hat, fehlen im angefochtenen Urteil, welches trotz Wahrspruch der Geschworenen nur „Feststellungen" nach Urteilszeitrecht enthält, alle erforderlichen Feststellungen, insbesondere zur Frage der 'schweren Gewalt'" die gesetzmäßige Ausführung. Denn Voraussetzung dafür ist, dass ein Vergleich der im Wahrspruch festgestellten Tat mit deren im Urteilsspruch erfolgten Unterstellung unter das Strafgesetz einen Rechtsirrtum ergibt (Mayerhofer/Hollaender aaO § 345 Z 11a Rn 1, SSt 32/41, 42/34 ua). Dies trifft aber - wie bereits ausgeführt - auf die Entscheidung des Schwurgerichtshofes nicht zu.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag auf der Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der von den Geschworenen in ihrem Wahrspruch getroffenen Feststellung hervorzurufen, wonach der Angeklagte gegenüber Sabine K***** Gewalt ausgeübt hat. Die isolierte Hervorhebung einer Passage aus dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. D***** vernachlässigt nicht nur die darin insgesamt konstatierte Anwendung von Gewalt gegen das Tatopfer (ON 54, 60, S 103 ff/II), sondern auch die Ausführungen des psychiatrisch-neurologischen Sachverständigen Univ. Doz. Dr. M***** (ON 40, S 91 ff/II) zu einer beim Tatopfer festgestellten und durch Gewalteinwirkung ausgelösten qualitativen Bewusstseinsstörung. Der Zeugin Dr. Iris P*****, die keine „üblicherweise" im Genitalbereich des Tatopfers feststellbare Abschürfungen wahrnahm, wird in der Beschwerde aktenwidrig (S 85/II) die zusätzliche Bekundung unterstellt, dass solche Verletzungen „angesichts der geschilderten Vergewaltigung zu erwarten gewesen wären". Mit dem Hinweis auf divergierendes Vorbringen der Zeugin Sabine K***** zu unmaßgeblichen Einzelheiten des Tatgeschehens trachtet der Beschwerdeführer bloß nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteile unzulässigen Schuldberufung die zu seinem Nachteil ausgefallene Beweiswürdigung der Geschworenen in Zweifel zu ziehen. Mit weiteren nur pauschalen Hinweisen auf nicht deutlich und bestimmt bezeichnete Verfahrensergebnisse wird der herangezogene Nichtigkeitsgrund gleichfalls nicht prozessgemäß zur Darstellung gebracht (vgl Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 281 Z 5a E 22 ff). Der gegen den Ausspruch über die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB gerichteten Sanktionsrüge (Z 13 erster und zweiter Fall) zuwider wurde in Anbetracht der (im Rahmen der Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose) konstatierten, (ua) auf die Anlasstat gegründeten Befürchtung erneuter Delinquenz unter dem Einfluss festgestellter geistiger und seelischer Abartigkeit höheren Grades (US 6) die Begehung der in Rede stehenden strafbaren Handlung unter dem Einfluss der höhergradigen geistigen oder seelischen Abartigkeit des Angeklagten unmissverständlich festgestellt.

Entgegen dem weiteren, ebenfalls nicht an der Gesamtheit der Urteilsannahmen orientierten Beschwerdeeinwand enthält das Ersturteil im Hinblick auf die konstatierte Befürchtung künftiger Begehung von gewaltgeprägten Sexualdelikten gegen Frauen und Mädchen und von (nach der Gesamtheit der Urteilsannahmen anlasstatbezogen) äquivalent schweren Handlungen (US 6) auch (hinreichende) Feststellungen zur Prognosetat einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten nach § 201 Abs 2 erster Strafsatz StGB (idF BGBl I Nr 15/2004) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 (fünfzehn) Jahren. Dabei berücksichtigte es vier einschlägige Vorstrafen als erschwerend, mildernd wertete es hingegen die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten.

Außerdem ordnete es gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.

Der gegen diesen Strafausspruch gerichteten Berufung des Angeklagten, mit der er die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und das Absehen von der in Rede stehenden Einweisung anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.

Der Berufung zuwider kann keine Rede davon sein, dass bei Vorliegen eines Milderungsgrundes die Verhängung der im Gesetz normierten Höchststrafe ausgeschlossen ist. Wurde ein Täter - wie der Angeklagte - bereits viermal wegen schwerwiegender strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zu teils mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und bereits zweimal nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er Frauen mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs oder sonstiger geschlechtlicher Handlungen genötigt hatte, kommt dem Erschwerungsgrund des einschlägig schwer getrübten Vorlebens, dem extrem hohen Unrechtsgehalt der aktuellen Tat mit weit über der Grenze zu § 84 Abs 1 StGB liegenden gesundheitlichen Nachteilen für die Vergewaltigte, vor der er das Opfer durch die Vorspiegelung, er könne einen Arbeitsplatz beschaffen, anlockte und der Tatsache, dass wiederholte Straf- und Maßnahmenvollzüge keine nachhaltige Resozialisierung bewirkten, so großes Gewicht zu, dass die Tatsache der (einweisungsrelevanten) Persönlichkeitsstörung nur marginale Bedeutung bei der Strafzumessung hat.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass in formaler Hinsicht alle Voraussetzungen für die Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 StGB vorliegen, sodass - der Berufung zuwider - bei dem sich im Tatgeschehen manifestierenden hohen Maß an krimineller Energie des Angeklagten für eine Reduktion des Strafmaßes kein Anlass besteht. Da sich das gegen die Maßnahme gerichtete Berufungsvorbringen in der Verweisung auf die Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 13 StPO erschöpft, genügt der Hinweis auf deren Erledigung.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Rechtssätze
6
  • RS0089014OGH Rechtssatz

    03. Mai 2022·3 Entscheidungen

    Bei dem nach dem § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich sind - soferne nicht schon die für die Lösung der Schuldfrage maßgeblichen Umstände den Ausschlag geben - die den Täter in concreto treffenden Unrechtsfolgen nach altem und nach neuem Recht gegenüberzustellen. Drohen die zu vergleichenden Gesetze Strafen verschiedener Art (wie Geldstrafen und Freiheitsstrafen) an, dann kommt jenes Recht zum Zug, das die mildere Strafart vorsieht. Lautet die Strafdrohung hingegen in beiden Gesetzen (nur) auf Freiheitsstrafe, dann sind die jeweils in Betracht kommenden Strafsätze miteinander zu vergleichen. Auf die Strafstufen (des alten Rechtes) kommt es dabei nicht an. Bei Strafsätzen mit gleicher Obergrenze und Untergrenze hat nach der Anordnung des § 61 StGB das neue Recht den Vorzug. Bei Strafdrohungen mit gleicher Untergrenze, aber verschiedener Obergrenze ist das Recht mit der niedereren Obergrenze anzuwenden, denn dieses ist für den Täter günstiger. Bei gleicher Obergrenze und verschiedener Untergrenze der Strafsätze entscheidet die (für den Täter günstigere) niederere Untergrenze. Bei unterschiedlicher Obergrenze und Untergrenze und bei sonstigen Überschneidungen der Gesetze in Bezug auf die Strafdrohung (nach Strafart und Strafmaß), die nicht schon durch die vorstehenden Regeln gelöst werden können, ist der Vergleich zwischen altem und neuem Recht unter Berücksichtigung der Gesamtauswirkungen der Sanktionen für den Täter vorzunehmen, wobei hilfsweise auch die Bestimmung des § 1 Abs 2 StGB heranzuziehen ist.