JudikaturJustiz12Os163/87

12Os163/87 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. April 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.April 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Legradi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Maximilian A*** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 5. Oktober 1987, GZ 29 Vr 1391/87-8, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann und des Verteidigers Dr. Musil jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 290 Abs 1 StPO wird das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II/1, jedoch nur soweit es die Unterdrückung einer Versicherungskarte des Mitar M*** betrifft, sowie im Schuldspruch zu II/2 und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Maximilian A*** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 14.Mai 1987 in Linz eine Versicherungskarte des Mitar M*** und 2 Bankomatkarten der Claudia D***, somit Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, dadurch, daß er sie wegwarf, unterdrückt, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, daß sie im Rechtsverkehr zum Beweis von Tatsachen und Rechtsverhältnissen gebraucht werden, er habe auch dadurch das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Maximilian A*** wird für die ihm nach dem unberührt bleibenden Schuldspruch weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB und das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB, nach §§ 130 erster Strafsatz, 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf die getroffene Entscheidung verwiesen.

Der Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird dahin Folge gegeben, daß der Privatbeteiligten Brigitte W*** lediglich ein Betrag von S 2.200,-- zugesprochen wird. Im übrigen wird dieser Berufung nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maximilian A*** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB (Punkte I/ 1/ bis 3/ des Urteilsspruches) sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (Punkte II/ 1/ und 2/ des Urteilsspruches) schuldig erkannt.

Er wurde nach §§ 130, erster Strafsatz, 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Gemäß § 369 Abs 1 StPO hat er an die Privatbeteiligten Claudia D*** 650 S und Brigitte W*** 2.335 S zu bezahlen.

Gegenstand des Schuldspruches I/ bilden

1./ zwei Diebstähle von Geldbörsen mit jeweils etwa 500 S Bargeld zum Nachteil Unbekannter in der Zeit vom 4. bis 8.Mai 1987 im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz, 2./ drei am 14.Mai 1987 ebendort begangene gleichartige Taten, bei welchen Friedrich S*** eine Geldbörse unbekannten Werts mit 100 S Bargeld, Friedrich M*** eine Geldbörse unbekannten Werts mit 1.300 S und Mitar M*** ein Ausweisetui unbekannten Werts weggenommen wurden

sowie

3./ zwei am 18.Mai 1987 in der Linzer Frauenklinik - gleichfalls gewerbsmäßig - verübte Diebstahlstaten zum Nachteil der Claudia D***, welcher eine Geldbörse im Werte von 300 S mit 350 S Bargeld, und zum Nachteil der Brigitte W***, der eine Geldbörse im Werte von 200 S mit 2.000 S Bargeld sowie diversen Briefmarken und Essensmarken im Gesamtwert von 135 S entzogen wurden. Nach dem Inhalt des Schuldspruches wegen Urkundenunterdrückung warf der Angeklagte am 14.Mai 1987 in Linz den Personalausweis, den Führerschein und eine Versicherungskarte des Mitar M*** in einen Müllcontainer (II/ 1/) und entledigte sich am 18.Mai 1987 auf ähnliche Weise zweier Bankomatkarten der Claudia D*** (I/ 2/). Nur gegen die Schuldsprüche wegen der Diebstahlstat zum Nachteil der Brigitte W*** (Teil vom Punkt I/3 des Urteilsspruches), gegen die Unterstellung der Diebstähle I unter die Qualifikation nach dem ersten Fall des § 130 StGB und gegen den (gesamten) Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung (II/1 und 2) richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Der Strafausspruch und der Zuspruch eines Entschädigungsbetrages an Brigitte W*** werden vom Angeklagten mit Berufung bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Der geltend gemachte Begründungsmangel für die Annahme der Täterschaft des Angeklagten beim Diebstahl zum Nachteil der Brigitte W*** liegt nicht vor, denn das Erstgericht hat diesen Schuldspruch zureichend auf die Angaben des Angeklagten vor der Polizei am 19. Mai 1987 (AS 28, 29) gestützt, wonach er am 18.Mai 1987 kein Geld mehr hatte, deshalb in der Landesfrauenklinik den Diebstahl zum Nachteil der Claudia D*** mit einer Diebsbeute von nur 350 S an Bargeld und eine weitere derartige Tat verübte und am folgenden Tag noch einen ausschließlich aus diesen Taten stammenden Bargeldbetrag von 990 S bei sich hatte. Mit seinem Beschwerdevorbringen macht der Angeklagte der Sache nach keinen Verstoß der betreffenden Urteilsbegründung gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze geltend, sondern behauptet - nach Art einer gegen schöffengerichtliche Urteile unzulässigen Schuldberufung - lediglich, daß eine Würdigung der Verfahrensergebnisse in einem für ihn günstigeren Sinne möglich gewesen wäre.

Der Einwand aktenwidriger Begründung der Feststellung gewerbsmäßiger Tendenz bei der Diebstahlsbegehung geht deshalb fehl, weil sich aus dem Sinnzusammenhang der Begründung der Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite der Diebstahlstaten ergibt, daß das Erstgericht der Verantwortung des Angeklagten hinsichtlich des von ihm abgelegten Eingeständnisses des Bereicherungsvorsatzes gefolgt, im übrigen aber davon ausgegangen ist, daß aus dieser Verantwortung - ungeachtet der ausdrücklichen Bestreitung der Absicht, die Diebstähle fortzusetzen und von diesen zu leben (AS 67 vierter Absatz, erster Satz) - gravierende Hinweise auf eine gewerbsmäßige Tendenz hervorgehen (siehe AS 67 vierter Absatz, zweiter und dritter Satz sowie insbesondere AS 29, wonach der Angeklagte trotz spezifisch einschlägiger Vorverurteilungen wegen seines fortdauernden Geldmangels immer wieder Geldbörsendiebstähle in Krankenhäusern zur Deckung des Familienunterhaltes begeht). Die Heranziehung dieser Anhaltspunkte zur Begründung der Urteilsannahme gewerbsmäßigen Vorgehens des Angeklagten ist weder akten- noch denkgesetzwidrig.

Der abschließenden Mängelrüge zuwider ist auch die Erwähnung (in US 7) des einschränkungslosen - sohin auch den Gebrauchsverhinderungsvorsatz umfassenden - Geständnisses des Angeklagten in Ansehung der Anklage- und Urteilstaten II/ keineswegs aktenwidrig (vgl AS 67 Mitte).

Zu Unrecht behauptet der Beschwerdeführer unter Heranziehung der Z 8, inhaltlich jedoch unter Berufung auf Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO (siehe Mayerhofer-Rieder2, EGr 44 zu § 259 StPO und EGr 24 zu § 281 Z 8 StPO), daß die Anklage in Ansehung des Diebstahls zum Nachteil der Brigitte W*** "fallengelassen" worden, die Staatsanwaltschaft also insoweit zurückgetreten sei: Die im Hauptverhandlungsprotokoll (AS 72) festgehaltene "Modifikation" der Anklage im Punkt I/ 3/ bestand demgegenüber nur in einer Einfügung, nämlich in der Anführung weiteren Diebsgutes (einer Geldbörse unbestimmten Werts mit 150 S Bargeld). Damit dehnte die Staatsanwaltschaft zwar die Anklage auf einen nach der Aktenlage (vgl insbesondere die Angaben des Angeklagten AS 33) nicht auszuschließenden (dritten) Diebstahl am 18.Mai 1987, begangen im Krankenzimmer 7 des Erdgeschoßes der Linzer Landesfrauenklinik zum Nachteil einer unbekannten Zimmergenossin der Claudia D***, aus; ein Rücktritt vom Anklagevorwurf hinsichtlich des zwar am selben Tag, keinesfalls jedoch im Zimmer 7 (AS 37), an der Spitalsangestellten Brigitte W*** begangenen Diebstahls war damit nicht verbunden. Das (von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtene) Unterbleiben der urteilsmäßigen Erledigung dieser Anklageausdehnung kommt in seiner Wirkung einem (rechtskräftigen) Freispruch gleich (Mayerhofer-Rieder2, § 281 Z 7 StPO; EGr 19); hiedurch kann sich der Angeklagte nicht beschwert erachten (EGr 1 aaO).

Die vom Angeklagten im Rahmen seiner Beschwerdeausführungen zu § 281 Abs 1 Z 10 StPO vertretene Ansicht, gewerbsmäßige Tatbegehung dürfe nur auf Grund der Feststellung einer auf Erzielung regelmäßiger und ständiger Einnahmen gerichteten Absicht des Täters angenommen werden, ist rechtsirrig: Gewerbsmäßiges Handeln setzt nicht voraus, daß die fortlaufende Einnahme, deren Erzielung durch die wiederholte Tatbegehung beabsichtigt ist, im strengen Wortsinne regelmäßig oder dauernd fließen soll (EvBl 1977/253; Leukauf-Steininger2, § 70 StGB, RN 3); genug daran, daß die Absicht auf Gewinnung eines die Bagatellgrenze übersteigenden, durch längere Zeit fließenden Einkommens aus der Tatwiederholung gerichtet ist. Die Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, derzufolge der Angeklagte vom Vorwurf der Urkundenunterdrückung mangels Feststellung eines Gebrauchsverhinderungsvorsatzes im Sinne des § 229 Abs 1 StGB freizusprechen gewesen wäre, ist in prozeßordnungswidriger Weise nicht auf der Grundlage des Urteilssachverhaltes ausgeführt, aus welchem die vom Beschwerdeführer vermißte Tatsachenannahme eindeutig hervorgeht (US 7).

Soweit der Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 229 Abs 1 StGB allerdings (in einem Teil des Punktes II/ 1/ und in II/ 2/ des Urteilstenors) die Unterdrückung einer "Versicherungskarte" des Mitar M*** und zweier "Bankomatkarten" der Claudia D*** betrifft, beruht er auf einem vom Angeklagten zwar nicht geltend gemachten, jedoch gemäß § 290 Abs 1 StPO (in Verbindung mit § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) von Amts wegen wahrzunehmenden Rechtsirrtum: Der nach der Übung des Rechtsverkehrs meist nur als "Versicherungskarte" bezeichneten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungskarte fehlt es an der für Absichtsurkunden im Sinne des § 74 Z 7 StGB begriffswesentlichen Beweisfunktion (EvBl 1982/191; JBl 1985, 505); ähnlich wie Sozialversicherungskarten (vgl die letzterwähnte Entscheidung sowie EvBl 1984/144) dienen sie nur als Gedächtnisstütze und Manipulationsbehelfe nach Art eines Merkzettels. "Bankomatkarten", somit Magnetstreifen, die zur Bedienung eines Geldautomaten erforderlich sind, sind als solche für das menschliche Auge nicht lesbar und deshalb keine "Schrift" in der Bedeutung des § 74 Z 7 StGB. Sie können somit nicht Gegenstand einer Urkundenunterdrückung oder eines anderen Urkundendeliktes sein, sofern ihnen nicht an ihrem sonstigen Inhalt die Qualität einer Urkunde zukommt, wie zum Beispiel einer zur Bedienung eines Geldausgabeautomaten geeigneten Scheckkarte im Hinblick auf die darauf befindliche schriftliche Garantieerklärung des kontoführenden Bankinstitutes, oder allenfalls auch Geldausgabekarten, die nach ihrem lesbaren schriftlichen Inhalt eine Legitimationsfunktion haben (SSt 55/87 und die dort angeführte Literatur, JBl 1986/261). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war somit zu verwerfen, jedoch gemäß § 290 Abs 1 StPO aus Anlaß dieses Rechtsmittels das angefochtene Urteil, welches im

übrigen - abgesehen vom Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der Brigitte W*** - unberührt bleibt, im Schuldspruch II/ 1/, jedoch nur, soweit er die Unterdrückung einer Versicherungskarte des Mitar M*** betrifft, im Schuldspruch II/2 und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und in diesem Umfang gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst dahin zu erkennen, daß der Angeklagte Maximilian A*** vom Vorwurf, das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB am 14.Mai 1987 in Linz auch durch Wegwerfen der oberwähnten Versicherungskarte und der Bankomatkarten begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen wird.

Für die Maximilian A*** nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4 und 130 1. Fall StGB - da sich die Teilaufhebung nur auf den Schuldspruch zu Punkt II bezieht während der Schuldspruch Punkt I wegen Diebstahls unberührt bleibt, war dieser Schuldspruch der Strafneubemessung unverändert, also einschließlich der Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB aF zugrunde zu legen; Art XX Abs 1 1. Satz StRÄG - und das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB nach §§ 130

1. Strafsatz, 28 StGB neu zu bemessen. Erschwerend war zu werten, daß der Angeklagte den Diebstahl an Patienten begangen hat, somit an Personen, die sich dagegen nur schwer schützen können, mildernd hingegen das reumütige Geständnis, die drückende Notlage, die nicht auf Arbeitsscheu zurückzuführen ist und die teilweise Schadensgutmachung (nicht aber auch der Wille zur Schadensgutmachung, der keinen eigenen Milderungsgrund bildet). Bei dem schon mehrfach einschlägig vorbestraften Angeklagten, der immer wieder rasch rückfällig wurde, handelt es sich um einen Neigungstäter. Trotz des nicht allzu hohen Schadensbetrages war somit bei der personalen Täterschuld des Angeklagten eine Strafe in der Dauer von zwölf Monaten schuldangemessen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Berufung des Angeklagten gegen den Zuspruch eines Betrages von 2.335 S an die Privatbeteiligte Brigitte W*** war teilweise Folge zu geben, da sich Brigitte W*** nur mit einem Betrag von 2.200 S dem Strafverfahren angeschlossen hat (S 68 d.A) und über ihr Begehren nicht hinausgegangen werden kann. Im übrigen war der Berufung des Angeklagten, der in der Hauptverhandlung zu den privatrechtlichen Ansprüchen Stellung genommen hat (S 69 d.A), hinsichtlich des Zuspruches eines Betrages von 2.200 S an Brigitte W*** mit Rücksicht auf die unbedenklichen Urteilsfeststellungen ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.

Rechtssätze
9