JudikaturJustiz12Os161/98

12Os161/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler und Dr. Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Cihlar als Schriftführerin, in der bei dem Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 7 E Vr 2787/98, anhängigen Strafsache gegen Emanuel P***** wegen des Vergehens der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles nach § 7 Abs 1 Z 1 MilStG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Emanuel P***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 14. Oktober 1998, AZ 10 Bs 464/98, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Emanuel P***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den dringenden Tatverdacht richtet, zurückgewiesen, im übrigen abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen den Beschuldigten wurde im oben bezeichneten Verfahren am 3. Oktober 1998 wegen des dringenden Verdachtes des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs 1 Z 2 MilStG die Voruntersuchung eingeleitet.

Am selben Tag wurde über ihn aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht Graz der dagegen gerichteten Beschwerde des Beschuldigten keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Haftentscheidung mit der Behauptung rechtsfehlerhafter Beurteilung sowohl des dringenden Tatverdachtes als auch des Haftgrundes und der Problematik der Verhältnismäßigkeit dieses Zwangsmittels ausgeführte Grundrechtsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Dem Beschuldigten, dem - wie die Grundrechtsbeschwerde einräumt - anläßlich der Stellung Rechtsbelehrung darüber erteilt wurde, bis zu welchem Zeitpunkt die Abgabe einer Zivildiensterklärung zielführend ist, wurde am 18. März 1998 der Einberufungsbefehl für den Einberufungstermin 28. September 1998 zugestellt. Mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 28. Juli 1998, Zl 209796/I-IV/10ZDF/98, wurde festgestellt, daß seine Zivildiensterklärung vom 7. Juli 1998 verspätet abgegeben wurde und solcherart daher die Zivildienstpflicht nicht eintreten ließ, wobei die Ursachen hiefür im Grundrechtsverfahren ohne jedwede Relevanz sind. Da er am 28. September 1998 wegen angeblicher Erkrankung nicht zum vorgegebenen Truppenkörper einrückte, wurde er am 30. September 1998 mit einem Sanitätskraftwagen in die Kaserne gebracht und am 2. Oktober 1998 einer ärztlichen Untersuchung zugeführt, die seine Diensttauglichkeit ergab. Am selben Tag verweigerte er trotz mehrfacher Abmahnung aus religiösen Gründen die Annahme der Waffe und der Ausrüstungsgegenstände. Sowohl vor dem Untersuchungsrichter als auch in der Hauptverhandlung erklärte der Beschwerdeführer, er werde auch im Falle der Enthaftung die Annahme der Waffe und der Ausrüstungsgegenstände verweigern und trotz Abmahnung im Ungehorsam verharren. Mit (nicht rechtskräftigem) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 28. Oktober 1998 wurde der Beschuldigte (anklagekonform) des Vergehens der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls nach § 7 Abs 1 Z 1 MilStG und des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs 1 Z 2 MilStG schuldig erkannt und zu einer (unbedingten) zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Da der Beschuldigte die Annahme entschuldigenden Notstandes nach § 10 Abs 1 StGB erstmalig in der Grundrechtsbeschwerde für sich reklamiert und sich damit der Sache nach gegen die Haftprämisse des dringenden Tatverdachtes wendet, die er in seiner Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluß unbekämpft ließ, mangelt es insoweit an der fundamentalen Anfechtungsvoraussetzung der Ausschöpfung des Instanzenzuges und damit an der Beschwerdelegitimation (15 Os 19/98, 13 Os 104/87, 13 Os 4,9/98, 15 Os 105/98), weshalb die Beschwerde in diesem Umfang zurückzuweisen war.

Die weitere Beschwerdeargumentation, wonach sein auf innerer Gewissensentscheidung beruhendes Verhalten "ein einziges Delikt, jede weitere gleichartige Handlung desselben Präsenzdienstes ... lediglich die Konsequenz aus seiner Haltung" darstelle und die Annahme einer Realkonkurrenz zu "unhaltbaren und grob verfassungswidrigen Ergebnissen führen würde", weil die "Erlassung eines weiteren Einberufungsbefehls nach verbüßter Strafe wegen § 7 MilStG und das laufende Erteilen von militärischen Befehlen zu - fortlaufenden - Bestrafungen wegen desselben Delikts führen würde", und Tatbegehungsgefahr schon deshalb nicht bejaht werden dürfe, geht ins Leere. Denn auch bei (der sinngemäß reklamierten) Annahme eines fortgesetzten Delikts erstreckt sich die Rechtskraft eines Schuldspruchs nur auf die vor der Urteilsverkündung liegenden Einzelakte. Dagegen können nach diesem Zeitpunkt begangene gleichartige strafbare Handlungen in einem neuen Verfahren abgeurteilt werden (hM, ua SSt 56/88). Somit ist - der Beschwerde zuwider - im Hinblick auf die vom Beschuldigten selbst und von der Grundrechtsbeschwerde in Aussicht gestellten Prognosetaten die Annahme der Tatbegehungsgefahr manifest.

Was den problematisierten Grad der Folgen der Prognosetaten anlangt, ist dabei - abermals entgegen dem Beschwerdestandpunkt - darauf abzustellen, daß der Tatbestand des Vergehens des Ungehorsams (§ 12 MilStG) nach seiner teleologischen Ausrichtung die Einhaltung der militärischen Dienstpflichten sowie die Aufrechterhaltung der Disziplin im Bereich der militärischen Landesverteidigung generell, und nicht nur im Einsatzfall (vgl § 14 MilStG), wie der Beschwerdeführer vermeint, nachdrücklich sicherstellen soll (vgl auch § 7 ADV).

Die Nichtbefolgung mehrerer (gesetzmäßig erteilter) Befehle und das Verharren des Beschuldigten trotz Abmahnung im Ungehorsam stellt sich somit in Verbindung mit seiner Ankündigung, er werde den Präsenzdienst unter keinen Umständen ableisten und alle weiteren Befehle verweigern, als Angriff auf die Einsatzfähigkeit des Heeres und damit auf einen im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Determinierung der Zweckbestimmung des Bundesheeres fundamentalen Bereich staatlicher Vollziehung (Art 9a, 79 B-VG) dar. Sein gewichtiger gesellschaftlicher Störwert kommt schon in der Sanktion des § 12 MilStG (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren) zum Ausdruck und seine Folgen sind - unter weiterer Berücksichtigung permanenter, die Sinnhaftigkeit der militärischen Landesverteidigung in Frage stellender Aktivitäten auch politischer Natur und damit einhergehender Relativierung militärischer Ordnung mit auch hier aktueller Beispielswirkung (vgl 14 Os 166/98 und 14 Os 171/98 - Wehrdienstverweigerungen zweier weiterer Rekruten derselben Einheit aus Anlaß desselben Einrückungstermins) - nicht als leicht zu beurteilen (vgl dazu Foregger/Kodek StPO7 § 180 Anm III).

Im allein maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der bekämpften Entscheidung (oder Verfügung - § 1 Abs 1 GRBG) kann somit auch von einer Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft von bis dahin elf Tagen keine Rede sein.

Das Beschwerdevorbringen schließlich, wonach "die Untersuchungshaft lediglich Zwecken des Strafverfahrens zu dienen habe", die fallbezogen "nicht zu erblicken sind, weil hinsichtlich des Tatbestandes keinerlei Unklarheiten bestehen", der Beschuldigte "ein volles Tatsachengeständnis stets abgelegt habe und weitere Voruntersuchungen nicht notwendig sind", setzt sich unreflektiert über § 180 Abs 2 Z 3 StPO hinweg und entzieht sich damit einer sachbezogenen Erwiderung.

Da somit Emanuel P***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war über seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) spruchgemäß zu erkennen.

Rechtssätze
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  • RS0090794OGH Rechtssatz

    11. April 2007·3 Entscheidungen

    1) Auch in den Fällen eines fortgesetzten Delikts werden durch eine Verurteilung nur dann alle Einzelakte erfaßt und abgegolten, wenn die betreffende Taten-Gesamtheit auf Grund ihrer (taxativ oder) pauschalen Individualisierung Gegenstand der Entscheidung ist; denn die prozessuale Sperrwirkung eines Urteils erstreckt sich auch in diesen Fällen ausschließlich auf jene Einzelakte, die darin als historische Ereignisse individualisiert sind. 2) Bei nur teilweiser Aburteilung eines fortgesetzten Delikts sind dessen noch nicht erfaßten Teilakte weiterhin sowohl materiellrechtlich als auch prozessual vollauf erfaßbar, und zwar ebenfalls in ihrer Qualität als Einzelakte, diesfalls unter Beachtung allenfalls aktueller materiellrechtlicher Konsequenzen des Fortsetzungszusammenhangs, oder aber durch eine Entscheidung über das restliche fortgesetzte Delikt in seiner verbliebenen Gesamtheit (im Wege einer nunmehr pauschalierenden Teilakte): materiellrechtliche Doppelnatur des Teilaktes eines fortgesetzten Delikts. 3) Die Aburteilung eines fortgesetzten Delikts in seiner Gesamtheit trotz einer Beschränkung der Anklage auf Einzelfakten kann auch vom öffentlichen Ankläger nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO angefochten werden; Ausscheidung (§ 57 StPO) und Verfolgungsvorbehalt (§ 263 Abs 2 StPO) sind trotz Fortsetzungszusammenhangs zulässig und wirksam.