JudikaturJustiz12Os124/23m

12Os124/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Drach in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen und im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des Genannten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 30. August 2023, GZ 612 Hv 1/23y 72.5, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und in der Anordnung der strafrechtlichen Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird * S* auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * S* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I./), zweier Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (II./) und des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 (zu ergänzen: Abs 4) StGB (III./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde die strafrechtliche Unterbringung des Betroffenen in einem forensisch-therapeutischen Zentrum angeordnet.

[2] Danach hat er in W*

I./ am 4. Jänner 2023 versucht, * L* zu töten, indem er ihm zunächst einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, durch den dieser bewusstlos zu Boden stürzte, sich in weiterer Folge über ihn stellte und ihm mehrmals gegen den Oberkörper und den Kopf trat und mit voller Wucht auf dessen Brustbein und Kopf stampfte, sodass dieser eine Gehirnerschütterung mit länger dauernder Erinnerungslücke, Prellungen und Blutunterlaufungen im Bereich der Ohrmuscheln, an der Stirn, der Wangen- und Jochbeinregion, eine Prellung und Blutunterlaufungen des rechten Augenober- und -unterlides und eine Prellung des Augapfels mit Blutung unter der Augenbindehaut, einen Bruch des Nasenbeines mit Eindrückung des linken Anteils der Nasenbeinpyramide, eine Prellung und ausgedehnte Blutunterlaufung der linken Schulter und des linken Oberarmes, eine Prellung des Brustkorbes mit einem Bruch des Brustbeines sowie Brüche des rechten Schlüsselbeines und der ersten rechten Rippe mit Blutunterlaufung der rechten vorderen Brustwand erlitt;

II./ andere am Körper verletzt, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, schwere Körperverletzungen herbeigeführt, und zwar

1./ am 31. Dezember 2022 * U*, indem er ihm mehrere Faustschläge und Tritte gegen den Kopf und den Unterleib versetzte, wodurch der Genannte eine Schädelprellung mit einer Schwellung an der Stirn, eine Prellung der Nase mit Nasenbluten und einen mit knöcherner Verschiebung einhergehenden Bruch des Nasenbeins sowie eine Hodenprellung mit kurzfristiger Verlagerung eines Hodens in den Leistenkanal und eine Prellung und Zerrung des rechten Ringfingers, somit insgesamt an sich schwere Verletzungen, erlitt;

2./ am 10. Jänner 2023 * I* durch Versetzen mehrerer Schläge mit der Faust gegen den Kopf und den Körper, wodurch dieser einen Bruch des rechten Zeigefingers sowie mehrere Hämatome und Rissquetschwunden im Kopfbereich erlitt;

III./ am 29. Dezember 2022 * B* am Körper verletzt und dadurch „versucht, eine schwere Körperverletzung, wenn auch nur fahrlässig, herbeizuführen,“ indem er ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte, sodass dieser zu Boden stürzte und ihm auch noch weitere Faustschläge ins Gesicht versetzte, während dieser am Boden lag, wodurch dieser einen nicht verschobenen Bruch des Nasenbeins, Prellungen auf dem linken Wangenknochen und Hämatome unter dem rechten Auge erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

[4] Die Fragenrüge (Z 6) zeigt mit ihren – isoliert aus dem Zusammenhang gerissenen – Hinweisen auf die Aussage des Angeklagten, er habe „kämpfen müssen“ (ON 72.1, 8, 11, 13) und sei durch den Konsum von Drogen „beeinträchtigt“ gewesen (ON 72.1, 4, 6, 9, 11), die Schilderung eines Zeugen, wonach der Angeklagte mehrfach mit dem Fuß gegen eine Wand trat (ON 72.1, 28), und mit der Fragestellung eines Geschworenen an den beigezogenen Sachverständigen (ON 72.2, 8 f) keine Indizien für die Stellung einer „Zusatzfrage nach § 11 StGB“ auf (vgl aber RIS Justiz RS0100860 [T1], RS0117447 [T2] und RS0120766 [T6]). Der Beschwerdeführer lässt nämlich – abgesehen davon, dass er selbst Zurechnungsunfähigkeit nicht andeutete – den gebotenen Konnex mit seiner im Sinnzusammenhang stehenden Verantwortung, die eine detaillierte Schilderung des Tatgeschehens enthielt (vgl ON 72.1, 6), ebenso außer Acht wie die eine Zurechnungsfähigkeit bejahenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen (ON 33.2 iVm ON 72.2, 5 ff) und die – zielgerichtetes und „normales“ Verhalten beschreibenden – Zeugenaussagen (ON 72.1, 19, 22, 27, 39, 42).

[5] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – insoweit im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[6] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass die vom Erstgericht angeordnete Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB mit nicht geltend gemachter Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO behaftet ist.

[7] Indem das Urteil entgegen § 434d Abs 4 StPO keinen Ausspruch darüber enthält, auf welche Taten sich die vorliegende Unterbringungsanordnung bezieht, hat das Geschworenengericht insoweit keine Einschränkungen vorgenommen (vgl EBRV MVAG BGBl I 2022/223, 20) und damit auch die dem Betroffenen angelasteten Körperverletzungen laut II./ (§ 84 Abs 4 StGB) und III./ (§§ 15, 84 StGB) als Anlasstaten herangezogen (in diese Richtung im Übrigen auch US 8, 9).

[8] Dies jedoch zu Unrecht. Denn bei (wie hier) jungen Erwachsenen können gemäß § 5 Z 6b JGG iVm § 19 Abs 2 JGG Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 StGB nur Taten sein, für die nach den allgemeinen Strafgesetzen eine lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zehn Jahren angedroht ist.

[9] Die aufgezeigte, * S* zum Nachteil gereichende Nichtigkeit war von Amts wegen aufzugreifen (§§ 344, 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) und erfordert die Kassation des die in Rede stehende Maßnahme betreffenden Ausspruchs und – wegen des untrennbaren Zusammenhangs (§§ 344, 289 StPO) auch – die Aufhebung des Strafausspruchs (vgl RIS Justiz RS0115054, RS0100108).

Bleibt zur Stellungnahme der Generalprokuratur anzumerken:

[10] 1./ Die Konstatierungen zu den „in absehbarer Zukunft“ (vgl § 21 Abs 1 StGB) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtenden Prognosetaten weisen schon mit den Urteilsausführungen zur „Häufung schwerer Gewaltdelikte“ […] „insbesondere in jüngster Vergangenheit“ (US 8) einen ausreichenden Sachverhaltsbezug auf. Eine Eingrenzung auf einen bestimmten Zeitraum (Wochen oder Monate) ist dafür nicht erforderlich (siehe dazu 11 Os 80/23h und 12 Os 82/23k, die eine Bezifferung eines Zeitraums nicht verlangen; Ratz , EvBl 2024/18, 62 ).

[11] 2./ Dem Wahrspruch zur Hauptfrage 3 (Schuldspruch III./) lässt sich trotz des Hinweises auf den „Versuch“ einer „wenn auch nur fahrlässig“ herbeizuführenden schweren Körperverletzung (US 5) ein Entscheidungswille (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 19) in Richtung eines durchgängig vorsätzlichen Verhaltens (zum allein in der Vorsatzvariante des § 84 Abs 4 StGB möglichen Versuch vgl RIS Justiz RS0131591; Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 84 Rz 33) mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen (siehe im Übrigen auch die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung ON 72.2.3 S 10 , wonach Versuch bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht in Betracht kommt).

[12] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).

Rechtssätze
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