JudikaturJustiz11Os125/16s

11Os125/16s – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Johann W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Verteidigers als Sachwalter des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 30. Mai 2016, GZ 222 Hv 29/16a 35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Betroffene Johann W***** nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Danach hat er am 2. Februar 2016 in N***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht (paranoide Schizophrenie, kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional-instabilen Anteilen sowie Intelligenzminderung), seinen Vater sowie die im „Unterbringungsverfahren“ AZ ***** des Landesgerichts L***** zuständigen Richter Mag. S***** und Dr. H***** und den Staatsanwalt Mag. B***** mittelbar gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er gegenüber den einschreitenden Polizeibeamten D***** und P***** sowie der Distriktsärztin Dr. Sc***** äußerte, er werde, wenn seine Bewährungszeit in acht Jahren und zehn Monaten vorbei sei, an seinem Vater sowie dem Richter und dem Staatsanwalt, die ihn verurteilt hätten, Rache nehmen, er wisse, wo sie wohnten, seinem Vater werde er zuerst ins linke Knie, dann ins rechte Knie schießen, … dann erfolge der Kopfschuss und er (gemeint: der Vater) werde langsam sterben, wobei es mangels Kenntnisnahme der gefährlichen Drohung hinsichtlich der Richter und des Staatsanwalts beim Versuch blieb, somit Taten begangen, die ihm außer diesem Zustand als die Vergehen der gefährlichen Drohung nach §§ 107 Abs 1 und 2 [erster Fall], 15 StGB zuzurechnen gewesen wären und die jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausspruch bekämpft der Verteidiger als Sachwalter des Betroffenen (§ 431 Abs 2, Abs 3 erster Fall StPO) mit auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und „9a“ StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde.

Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie es die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS Justiz RS0118780, RS0099674; Ratz , WK StPO § 281 Rz 487, 491).

Die Tatsachenrüge bringt vor, dass die Äußerungen des Betroffenen erfolgt wären, als er „völlig unzurechnungsfähig“ gewesen wäre, diese bloß „das Gestammel eines Lebensmüden“ darstellten, die angedrohte Übelszufügung erst in weiter Zukunft liege (vgl Schwaighofer in WK 2 StGB § 105 Rz 45), die Bedrohten nicht anwesend gewesen wären (vgl zu mittelbar geäußerten Drohungen: RIS Justiz RS0092551; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107 Rz 7, 13) und der Betroffene im Übrigen den Richtern und dem Staatsanwalt bloß mit „Rache“, nicht aber mit dem „Tod“ gedroht hätte. Diese Argumente vermögen mit Blick auf die – von der Beschwerde prozessordnungswidrig in ihrer Gesamtheit übergangenen (RIS Justiz RS0118780, RS0117961, RS0117446; Ratz , WK StPO § 281 Rz 487) – Erwägungen der Tatrichter zum Vortatverhalten, zum massiv getrübten Vorleben des bereits seit 1994 rund 20 Jahre lang nach § 21 Abs 1 StGB (wegen §§ 15, 75 StGB, §§ 15, 169 Abs 1 StGB; §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB unterstellten Taten) untergebrachten Betroffenen (US 4 f) und unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Drohungen gegenüber den Justizangehörigen gleichzeitig mit der auf den Vater des Betroffenen abzielenden konkreten Todesdrohung erfolgten (US 3), beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der Feststellungen zur Anlasstat nicht zu wecken.

Die die Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerung bestreitende Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich mit ihrer Kritik an der Tatfrage prozessordnungswidrig nicht am festgestellten (US 3) Sachverhalt in seiner Gesamtheit ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 581, 584; Jerabek in WK 2 StGB § 74 Rz 34; Schwaighofer in WK 2 StGB § 105 Rz 61).

Soweit im Rahmen der Mängel- und Tatsachenrüge mit isoliert herausgegriffenen Passagen des in der Hauptverhandlung erstatteten und erörterten neurologischen und psychiatrischen Sachverständigengutachtens (ON 34 S 3 ff) eingewendet wird, die Gefährlichkeit sei zum Zeitpunkt der Urteilsfällung „drastisch herabgesetzt“ gewesen, weswegen eine Unterbringung „in einem professionell betreuten psychiatrischen Heim“ ausreichend gewesen wäre, erschöpft sich die Beschwerde in einer den Ermessensbereich der

Gefährlichkeitsprognose betreffenden Kritik und bringt solcherart ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (RIS Justiz RS0118581; Ratz , WK StPO § 281 Rz 717 ff).

Im Übrigen nimmt der Beschwerdeführer nicht wie geboten Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS Justiz RS0119370), indem die Annahmen der Tatrichter zur Krankheit des Betroffenen und dessen Gefährlichkeit übergangen werden (US 4, 5), wobei sie sich auf die Expertise des Sachverständigen stützten, der empfahl, „eine Maßnahme gemäß § 21 Abs 1 StGB auszusprechen, weil er (gemeint: der Betroffene) noch nicht diese Stabilität erreicht hat, die einfach notwendig ist“ und sich die Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme richtet, trotz Besserung des Zustands des Betroffenen, „noch nicht so weit reduziert [hat], dass tatsächlich jetzt schon eine Substitution empfohlen werden könnte“ (ON 34 S 4; RIS Justiz RS0121151, RS0119302).

Überdies schließt eine schon kurzfristig Aussicht auf Heilung versprechende Therapie eine Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB nicht aus (RIS Justiz RS0127350; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 7).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (angemeldete; RIS Justiz RS0090270, RS0090208) Berufung folgt (§ 285i StPO).

Rechtssätze
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