JudikaturJustiz11Os121/22m

11Os121/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lonin als Schriftführerin in der Strafsache gegen * Z* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 1, Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 62 Hv 15/22m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 4. Mai 2022 (ON 76 der Hv Akten) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Mai 2022, GZ 62 Hv 15/22m 76, verletzt im Schuldspruch zu I § 28a Abs 4 Z 1 SMG.

Text

Gründe:

[1] Mit – zufolge Rechtsmittelverzichts des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft in Rechtskraft erwachsenem (ON 76 S 5) und zulässig in gekürzter Form (§ 270 Abs 4 StPO) ausgefertigtem – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Mai 2022, GZ 62 Hv 15/22m 76, wurde * Z* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 3 zweiter Fall SMG (I) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II) schuldig erkannt und zu einer (teilbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Danach hat er – soweit hier relevant – in W* und in anderen Orten des Bundesgebiets seit April 2021 bis zumindest 30. Mai 2021 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 66,1 %) und Cannabiskraut (beinhaltend THCA und Delta 9 THC in straßenüblicher Qualität mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 11,8 % THCA und 0,9 % Delta 9 THC)

I) anderen in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge überlassen, und zwar 50 Gramm Kokain zu einem Grammpreis von 100 Euro an nicht mehr feststellbare Abnehmer sowie 15 Gramm Cannabiskraut an * W*, wobei er selbst an Suchtgift gewöhnt war und die strafbaren Handlungen vorwiegend deshalb beging, um sich selbst Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;

II) […].

[3] Abweichend von der dahin lautenden Anklage (ON 51 Punkt II/B) vertrat das Schöffengericht die Ansicht, dass die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 1 SMG nicht erfüllt sei, „weil Voraussetzung dafür eine rechtskräftige Verurteilung nach § 28a Abs 1 StGB [gemeint: SMG] ist“. Bei der (rechtskräftigen) Vorverurteilung durch das Landesgericht Korneuburg vom 26. April 2017 zu AZ 620 Hv 18/16m (unter anderem Schuldsprüche des Z* wegen § 28a Abs 1 zweiter [bzw fünfter oder sechster] Fall, Abs 2 Z 2 [und 3], Abs 3 zweiter Fall SMG; siehe ON 62) sei dem Angeklagten jedoch ebenfalls die Privilegierung des „§ 28a Abs 3 SMG“ zugutegekommen, sodass gerade nicht eine Verurteilung nach § 28a Abs 1 SMG vorliege, sondern eine solche nach § 28a Abs 3 SMG (US 5).

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Mai 2022, GZ 62 Hv 15/22m 76, im Schuldspruch zu I in der unterlassenen Subsumtion der Tat nach § 28a Abs 4 Z 1 SMG mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[5] Die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 1 SMG kommt zur Anwendung, wenn eine Straftat nach Abs 1 leg cit als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangen wird und der Täter „schon einmal wegen einer Straftat nach Abs 1 verurteilt worden ist“, die Vorverurteilung mithin wegen eines historischen Geschehens erfolgte, das einer der Fallvarianten des § 28a Abs 1 SMG subsumiert werden kann (vgl 13 Os 151/07s).

[6] Dass die Schuldsprüche (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) im vorangegangenen Urteil neben dem Grundtatbestand des § 28a Abs 1 SMG (und den Qualifikationen nach § 28a Abs 2 Z 2 und [teils] Z 3 SMG) zusätzlich – weil die privilegierenden besonderen Schuldmerkmale erfüllt waren – auch nach § 28a Abs 3 zweiter Fall (iVm § 27 Abs 5) SMG (vgl RIS Justiz RS0131857) ergingen, ändert nichts am Vorliegen einer früheren Verurteilung „wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG“.

[7] Die Voraussetzungen der Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 1 SMG sind daher erfüllt, wenn der im Rahmen einer kriminellen Vereinigung agierende Täter eine Straftat nach § 28a Abs 1 SMG begeht und bereits einmal wegen eines dem Grundtatbestand des § 28a Abs 1 SMG subsumierten Verhaltens verurteilt wurde, gleich ob dabei zusätzlich auch qualifizierende (Abs 2, 4 und 5) oder privilegierende (Abs 3) Umstände anzunehmen waren.

[8] Demnach hätte das Landesgericht für Strafsachen Wien fallbezogen auf Basis der getroffenen Sachverhaltsannahmen die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 1 SMG anwenden müssen, womit die Qualifikation des § 28a Abs 2 Z 2 SMG (zufolge Spezialität – vgl RIS Justiz RS0114258 [T3]) verdrängt worden und die Annahme der Privilegierung nach § 28a Abs 3 zweiter Fall SMG ausgeschlossen gewesen wäre.

[9] Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkt sich zum Vorteil des Angeklagten aus, sodass es mit deren Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO).