JudikaturJustiz11Ns35/18p

11Ns35/18p – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Juli 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wladislaw L***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB in dem zu AZ 17 U 77/18s des Bezirksgerichts Linz und zu AZ 15 U 9/18d des Bezirksgerichts Josefstadt zwischen diesen Gerichten geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Bezirksgericht Josefstadt zuständig.

Text

Gründe:

Mit am 8. Jänner 2018 beim Bezirksgericht Josefstadt zu AZ 15 U 9/18d eingebrachtem Strafantrag legt die Staatsanwaltschaft Wien Wladislaw L***** ein am 19. Dezember 2017 in Wien (7. Bezirk) begangenes, als Vergehen des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 3). Noch am Tag des Einlangens erfolgte die „Ausschreibung“ der Hauptverhandlung für den 28. Februar 2018 (ON 1 S 1).

Mit am 15. März 2018 beim Bezirksgericht Linz zu AZ 17 U 77/18s eingebrachtem Strafantrag (ON 1 S 1 verso in ON 9) legt die Staatsanwaltschaft Linz Wladislaw L***** ein ebenfalls als Vergehen des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB beurteiltes, am 28. November 2017 in Linz gesetztes Verhalten zur Last (ON 3 in ON 9).

Mit Verfügung vom 15. März 2018 übermittelte das Bezirksgericht Linz das Verfahren an das Bezirksgericht Josefstadt zu AZ 15 U 9/18d „zur dortigen Einbeziehung“ (ON 1 S 3 in ON 9; siehe auch den voranstehenden Vermerk: „Abtretung [...] gem § 37 StPO“).

Mit (als Beschluss bezeichneter) Verfügung (RIS Justiz RS0130527 [T2]) vom 23. März 2018 bezog das Bezirksgericht Josefstadt das Verfahren des Bezirksgerichts Linz in das Verfahren AZ 15 U 9/18d ein (ON 1 S 3).

Am 28. Mai 2018 verfügte das Bezirksgericht Josefstadt – über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien unter Hinweis auf „§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO“ (ON 1 S 4) – die Abtretung der Akten AZ 15 U 9/18d an das Bezirksgericht Linz (ON 13 S 1 verso).

Das Bezirksgericht Linz verfügte die Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof „zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt, da das BG Linz gem § 37 Abs. 3 StPO nicht zuständig ist, da der frühere Strafantrag zu 15 U 91/18d BG Josefstadt erfolgte“.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO (idgF BGBl I 2016/121) sind Verfahren zu verbinden, sofern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist. Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich (auch) in diesem Fall nach § 37 Abs 1 und Abs 2 StPO mit der Maßgabe, dass das Verfahren im (hier vorliegenden) Fall des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO dem Gericht zukommt, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO).

Die Verbindung zweier konnexer Verfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO (zur Reichweite Oshidari ; WK StPO § 37 Rz 7 und 8) setzt voraus, dass beide Anklagen rechtswirksam sind (RIS-Justiz RS0123444). Für die Zuständigkeit zur Verbindung und Führung beider Verfahren kommt es in der von § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO bedachten Konstellation – anders als nach alter Rechtslage (vor BGBl I 2016/121) – zusätzlich darauf an, wann und bei welchem Gericht zuerst eine der beiden Anklagen rechtswirksam wurde: Dieses Gericht ist, wenn im Verhältnis der zu verbindenden Verfahren § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO anzuwenden wäre, zuständigkeitsbegründend „zuvorgekommen“. In die Zuständigkeit welchen Gerichts „die frühere Straftat fällt“ (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO), ist dann (gerade) nicht mehr maßgeblich (vgl EBRV 1300 BlgNR XXV. GP 4).

§ 37 Abs 3 StPO gilt auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht ( Oshidari , WK-StPO § 37 Rz 7/1). Soweit § 37 Abs 3 StPO die Rechtswirksamkeit der Anklage voraussetzt, ist daher auch im bezirksgerichtlichen Verfahren ebendiese maßgeblich (vgl 11 Ns 29/18f mit ausführlicher Begründung; anders, nämlich insoweit auf den Zeitpunkt der Einbringung des Strafantrags abstellend noch 15 Ns 104/15k [zu § 37 Abs 3 StPO idF BGBl I 2004/19], 14 Ns 75/17s und 11 Os 159/17t).

Im Verfahren vor dem Bezirksgericht tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven – die Prozessvoraussetzungen bejahenden – Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Dieser positive Abschluss zeigt sich sodann im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens ( Wiederin , WK-SPO § 4 Rz 63 ff [insbesondere Rz 73]). Diese „Einleitung“ (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im Verfahren durch die in § 450 StPO normierte Anordnung der Hauptverhandlung ( Wiederin , WK SPO § 4 Rz 73). Unter dieser Anordnung wird keineswegs nur das „Ausschreiben“ (dieser Begriff ist zwar in der Praxis seit jeher gängig, aber kein verbum legale – vgl etwa § 485 StPO) einer Hauptverhandlung (vgl § 221 Abs 1 StPO), sondern jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen unmissverständlich erkennen lässt.

In diesem Sinn ist von der Rechtswirksamkeit eines Strafantrags auch dann auszugehen, wenn das damit angerufene Bezirksgericht „sein“ Verfahren – iSd § 37 Abs 3 StPO – einem anderen Gericht zur Verbindung mit einem dort anhängigen, konnexen Hauptverfahren überweist. Denn diese Verfügung bringt zum Ausdruck, dass das betreffende Gericht zuvor die Prozessvoraussetzungen (§ 450 erster Satz, § 451 Abs 2 StPO; Zuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) – isoliert, also noch ohne Rücksicht auf eine erst danach gebotene Verfahrensverbindung (§ 37 Abs 3 StPO) – für das bei ihm selbst anhängig gemachte Hauptverfahren bejaht hat. Eine solche Verfügung ist daher als „Anordnung“ der Hauptverhandlung aufzufassen (vgl zum Ganzen neuerlich 11 Ns 29/18f).

Nach der Aktenlage wurde die Anklage beim Bezirksgericht Josefstadt durch die hier in der „Ausschreibung“ bestehende Anordnung der Hauptverhandlung am 8. Jänner 2018 rechtswirksam. Die Anklage beim Bezirksgericht Linz wurde erst mit der Überweisung zur Verbindung gemäß § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO am 15. März 2018 rechtswirksam.

Damit ist das Bezirksgericht Josefstadt gemäß § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO – kraft Zuvorkommens – für das Verfahren zuständig, ohne das es darauf ankäme, in die Zuständigkeit welches Bezirksgerichts die frühere Straftat (§ 37 Abs 2 zweiter Satz iVm § 36 Abs 3 StPO, vgl im Übrigen auch RIS Justiz RS0128993, RS0129078) fällt oder wo der Strafantrag früher eingebracht wurde.

Rechtssätze
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  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.