JudikaturJustiz10ObS50/03f

10ObS50/03f – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Smajic S*****, vertreten durch Dr. Stefan Schoeller, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Dezember 2002, GZ 7 Rs 281/02a 36, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. September 2002, GZ 36 Cgs 97/00h 32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom 8. 10. 1999 wurde ein Antrag des Klägers vom 9. 12. 1991 auf Gewährung der Invaliditätspension abgelehnt.

Die dagegen vom Kläger erhobene und im Verfahren 36 Cgs 97/00h des Erstgerichtes behandelte Klage zog der damals unvertretene Kläger nach Durchführung eines Beweisverfahrens (Einholung von medizinischen und berufskundlichem Gutachten sowie Einvernahme des Klägers unter Beiziehung eines Dolmetschers) in der Tagsatzung vom 23. Oktober 2000 - ohne Erklärung des Anspruchsverzichtes - zurück. Die Beklagte gab zur Klagsrückziehung keine Erklärung ab.

In der Folge langte am 10. 5. 2001 bei der Beklagten ein in serbokroatischer Sprache gehaltenes Schreiben des Klägers ein, worin dieser behauptete, zum Zeitpunkt der Klagsrückziehung psychisch krank und nicht zu vernünftigem Handeln fähig gewesen zu sein. Er habe sich mit dem Dolmetscher nicht verständigen können und sei von diesem subjektiv zur Klagsrückziehung überredet worden, weshalb er die "Rücksetzung" der Klage in den vorigen Stand begehre. Dieses Vorbringen wurde von dem nunmehr im Rahmen der Verfahrenshilfe anwaltlich vertretenen Kläger in der Folge dahingehend präzisiert, dass der Kläger die Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens beantrage und hilfsweise den Widerruf der Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht erkläre. Die Erklärung der Klagsrückziehung sei rechtsunwirksam, weil sie nicht nach § 212 ZPO in Vollschrift protokolliert, der Kläger nicht über die Wirkungen der Klagsrückziehung belehrt und ihm diese nicht übersetzt worden sei.

Das Erstgericht wies den Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens sowie seine Erklärung des Widerrufs der Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht zurück. Der Einwand des Klägers, die Klagsrücknahme sei mangels Protokollierung in Vollschrift unwirksam, sei nicht berechtigt, da das Tagsatzungsprotokoll vom 23. Oktober 2000 nach § 212a Abs 2 ZPO mit Schallträger aufgenommen, in Vollschrift übertragen und beiden Parteien zugestellt worden sei. Da das Verfahren durch die Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht formell rechtskräftig beendet worden sei, könne eine etwaige mangelnde Prozess(Postulations)fähigkeit bei der Tagsatzung nur mittels Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Der Klagsrücknahme sei von der Beklagten zumindest konkludent zugestimmt worden. Darüber hinaus sei nach § 72 Abs 2 lit a ASGG als lex specialis eine Zustimmung der Beklagten nicht erforderlich, weshalb die Klagsrücknahme volle Wirkung entfalte und die Klage als nicht eingebracht gelte. Infolge konkludenter Zustimmung der Beklagten könne die Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht auch nicht widerrufen werden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers keine Folge. Da der Rekurswerber auf sein Vorbringen, dass er bei der Klagsrückziehung zu keiner wirksamen Erklärung gewesen sei, nicht mehr zurückkomme, sei davon auszugehen, dass der Einwand der mangelnden Prozessfähigkeit nicht mehr aufrecht sei, zumal der Kläger zwei Monate vor der Tagsatzung bei der psychiatrischen Untersuchung einen vollkommen unauffälligen Befund geboten habe und die Klagsrückziehung auch in Anwesenheit des psychiatrischen Sachverständigen erfolgt sei. Dass eine umfangreiche Belehrung des Klägers über die Folgen der Klagsrückziehung im Tagsatzungsprotokoll nicht festgehalten sei, bedeute keineswegs, dass seine diesbezügliche Erklärung unbeachtlich sei, zumal ein Dolmetscher zur Verfügung gestanden sei und sich aus seinen Schriftsätzen und dem Rekursvorbringen ergebe, dass der Kläger belehrt worden sei.

Die Klagsrücknahme durch den Versicherten bedürfe in Sozialrechtsverfahren - abweichend von den Einschränkungen des § 237 Abs 1 ZPO - in keinem Fall der Zustimmung des Sozialversicherungsträgers. Dem Kläger stehe es daher frei, die Klage in jeder Verfahrenslage zurückzunehmen, ohne an die Zustimmung des Gegners gebunden zu sein. Durch die Zurücknahme der Klage trete der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid nicht wieder in Kraft und gelte der Antrag des Versicherten soweit als zurückgezogen, als der darüber ergangene Bescheid durch die Klage außer Kraft getreten sei. Die verfahrensrechtliche Situation bei der Klagsrücknahme in Sozialrechtsverfahren sei daher dadurch charakterisiert, dass sowohl die Ergebnisse des gerichtlichen als auch jene des Verwaltungsverfahrens beseitigt seien. Da nach der Klagsrücknahme der betroffene Bescheid nicht wieder in Wirksamkeit trete - dies gelte auch für abweisliche Bescheide -, scheide mangels Vorliegens eines klagbaren Bescheides und sukzessiver Kompetenz des Gerichtes eine Fortsetzung des Verfahrens aus. Ein Widerruf der Erklärung der Klagsrücknahme sei daher nicht möglich. Dem Versicherten verbleibe somit nur die neue Antragstellung, die in der Regel einen neuen Stichtag und ein neues Anfallsdatum auslöse.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG Nov BGBl I Nr 1/2002).

Vorweg ist weiters darauf hinzuweisen, dass das vorliegende Rechtsmittel ungeachtet seiner Bezeichnung als "außerordentlicher Revisionsrekurs" in Wahrheit einen ordentlichen Revisionsrekurs darstellt. Da es sich nach der hier noch maßgebenden Rechtslage vor dem Inkrafttreten der Zivilverfahrensnovelle 2002 (BGBl I 2002/76) bei einer Invaliditätspension um eine wiederkehrende Leistung in Sozialrechtssachen im Sinn des § 46 Abs 3 Z 3 ASGG handelt, ist ein Rekurs an den Obersten Gerichtshof grundsätzlich auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig (§ 47 Abs 2 ASGG). Bei Verneinung des Fortbestehens eines ehemals unzweifelhaft rechtmäßig begründeten Prozessverhältnisses (beispielsweise wegen wirksamer Klagsrücknahme) ist in Analogie zu § 521a Abs 1 Z 3 ZPO auch die Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens anzunehmen (SZ 61/197; 9 ObA 236/93 ua; RIS Justiz RS0043829, RS0037404; Kodek in Rechberger , ZPO 2 Rz 3 zu § 521a). Dem hat das Erstgericht durch Zustellung des Rekurses an die beklagte Partei entsprochen.

Der Kläger wiederholt in seinen Rechtsmittelausführungen seine bereits im Verfahren in zweiter Instanz vorgetragenen Argumente, wonach seine seinerzeit erklärte Klagsrücknahme nach § 237 ZPO unwirksam gewesen sei bzw von ihm nunmehr wirksam widerrufen worden sei.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass die Zurücknahme der Klage durch einen dem Beklagten zuzustellenden Schriftsatz oder - wie im vorliegenden Fall - durch eine bei der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung erfolgt (§ 237 Abs 2 ZPO). Mit dieser Erklärung verzichtet der Kläger auf die Entscheidung über das mit der Klage geltend gemachte Begehren. Die Klage ist als nicht angebracht anzusehen. Die prozessuale Gültigkeit dieser Prozesserklärung ist nur nach den Regeln des Prozessrechts zu beurteilen und ihre Wirksamkeit kann nur nach den für Prozesshandlungen geltenden Regeln bekämpft werden. Eine selbständige Anfechtung wegen Irrtums, List, Zwangs, wegen eines gesetzlichen Verbotes oder wegen Sittenwidrigkeit ist nicht zulässig ( Fasching , ZPR 2 Rz 1244; Kuderna , ASGG 2 Rz 1 zu § 72; 9 ObA 24/94, 6 Ob 516/91 mwN ua). Gerade aber für die Berücksichtigung des vom Kläger geltend gemachten privatrechtlichen Anfechtungsgrundes, er habe sich bei der Klagsrücknahme (ohne Anspruchsverzicht) in einem vom Gericht veranlassten Irrtum über die Folgen einer neuerlichen Antragstellung (neuer Stichtag, neues Anfallsdatum für die begehrte Leistung) befunden, bietet das Prozessrecht keinen Raum. Selbst wenn man der Ansicht von Fasching aaO Rz 1244 und 764 folgte, dass ein Widerruf von gesetzlich unwiderruflichen Prozesshandlungen bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 530 ZPO innerhalb der Frist des § 534 ZPO möglich sein müsse, wäre für den Kläger nichts gewonnen, weil der vorliegende Sachverhalt keinem der Wiederaufnahmegründe des § 530 ZPO zu unterstellen ist (6 Ob 516/91 ua).

Zutreffend hat bereits das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass die Klagsrücknahme durch den Versicherten in Sozialrechtsverfahren - abweichend von den Einschränkungen des § 237 Abs 1 ZPO - in keinem Fall der Zustimmung des Versicherungsträgers bedarf (§ 72 Z 2 lit a ASGG). Der Versicherte kann daher, ohne auf die Zustimmung des Versicherungsträgers angewiesen zu sein, in jedem Fall seine Klage ohne Verzicht auf den Anspruch solange zurückziehen, solange eine Klagsrücknahme nach den allgemeinen Verfahrensbestimmungen überhaupt in Frage kommt (§ 237 Abs 1, § 483 Abs 3 ZPO). Durch die Zurücknahme der Klage tritt der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid nicht wieder in Kraft und gilt der Antrag des Versicherten soweit als zurückgezogen, als der darüber ergangene Bescheid durch die Klage außer Kraft getreten ist. Damit ist aber auch schon dargetan, dass der ursprüngliche Leistungsantrag im Fall einer Klagsrücknahme nach einem den Anspruch ablehnenden Bescheid nicht mehr die Grundlage einer neuen Entscheidung sein kann. Für die neuerliche Einbringung einer Klage oder für eine Fortsetzung des anhängig gewesenen Verfahrens fehlt es an der Voraussetzung des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG, dass ein Bescheid des Versicherungsträgers über den Anspruch vorliegt. Beim Versicherungsträger kann der einmal abgelehnte Antrag ebenfalls nicht mehr die Grundlage für eine neue Entscheidung durch Bescheid bilden, weil eine solche neue Entscheidung nur dann zu treffen ist, wenn Leistungen festzustellen sind, die der Versicherungsträger vorläufig zu gewähren hätte, wenn die Klage nicht zurückgenommen worden wäre (§ 72 Z 2 lit c ASGG). Im vorliegenden Fall verbleibt daher dem Versicherten nur die Möglichkeit einer neuen Antragstellung, die in der Regel einen neuen Stichtag und ein neues Anfallsdatum für die begehrte Leistung auslöst.

Da eine Fortsetzung des durch die Klagsrücknahme beendeten Verfahrens somit nicht mehr möglich ist, musste der Revisionsrekurs erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Rechtssätze
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