JudikaturJustiz10ObS267/00p

10ObS267/00p – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger als weitere Richter (Senat nach § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Giuseppe F*****, Pensionist, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Christian Preschitz und Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufrechnung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Mai 2000, GZ 7 Rs 76/00a-9, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Jänner 2000, GZ 32 Cgs 276/99s-5, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Nach dem Inhalt des Pensionsaktes bezieht der Kläger von der beklagten Partei eine Pension in Höhe von zuletzt S 3.463,20 netto monatlich. Seine Gattin bezieht eine Pension von S 8.010,50 netto monatlich. Für ihre Liegenschaft haben die Ehegatten Fixkosten von insgesamt ca S 26.000,-- pro Jahr zu tragen.

Mit Bescheid vom 2. 7. 1999 sprach die beklagte Partei aus, dass der in der Zeit vom 1. 7. 1983 bis 30. 9. 1998 durch die Auszahlung nicht gebührender Leistungen (Ausgleichszulage) entstandene Überbezug von S 485.327,20 vom Kläger zurückgefordert werde (§ 72 BSVG), ein Teilbetrag von S 8.573,40 auf die Nachzahlung aufgerechnet werde (§ 67 BSVG), sodass ein restlicher Überbezug von S 476.753,80 verbleibe, den die beklagte Partei vom Kläger zurückfordere. Dieser Bescheid, in dessen Begründung der Kläger ausdrücklich eingeladen wurde, um Ratenzahlung anzusuchen, ist in Rechtskraft erwachsen.

Der Kläger ersuchte daraufhin um Gewährung einer Ratenzahlung von S 500,-- 14 x jährlich zur Deckung des entstandenen Überbezuges.

Mit Bescheid vom 9. 8. 1999 sprach die beklagte Partei aus, dass der festgestellte Überbezug von S 476.753,80 in 275 monatlichen Raten a S 1.731,60 (= die Hälfte der dem Kläger gebührenden Pensionsleistung) und einer restlichen Rate von S 563,80 gemäß § 67 BSVG auf die gebührende Pensionsleistung aufgerechnet werde. Dem Ratenzahlungsansuchen des Klägers könne nicht entsprochen werden, weil kein berücksichtigungswürdiger Fall vorliege, der eine Rückzahlungsrate unter dem Betrag der halben Pension rechtfertigen würde.

Der Kläger erhob dagegen rechtzeitig Klage mit dem Begehren, "es werde festgestellt, dass die Erstattung des Überbezuges durch monatliche Einbehaltungen von S 1.731,60 unzulässig sei". Eine Erstattung des Überbezuges in der vorgeschriebenen Höhe gefährde seine wirtschaftliche Existenz.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens im Wesentlichen mit der Begründung, die Festlegung der Höhe der Abzugsrate stehe innerhalb der im § 67 Abs 2 BSVG dafür vorgesehenen Grenze allein im Ermessen des Sozialversicherungsträgers.

Das Erstgericht sprach sinngemäß aus, dass der Überbezug von S 476.753,80 mit 317 aufeinanderfolgenden Monatsraten zu je S 1.500,-- sowie in einer Restrate zu S 1.253,80 auf die monatlich gebührende Leistung angerechnet werde und die beklagte Partei von einer darüber hinausgehenden Aufrechnung Abstand zu nehmen habe. Es war der Ansicht, dass die monatliche Rückzahlungsrate unter Berücksichtigung der den Kläger treffenden Zahlungsverpflichtungen aus Billigkeitsgründen auf den Betrag von S 1.500,-- zu mäßigen sei.

Gegen dieses Urteil erhob die beklagte Partei Berufung wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beantragte in seiner Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als unzulässig zurück. Es bejahte zunächst die Zulässigkeit des Rechtsweges. Wenn auch im vorliegenden Fall auf Grund des rechtskräftigen Bescheides vom 2. 7. 1999 die grundsätzliche Verpflichtung des Klägers zum Rückersatz des festgestellten Überbezuges nicht mehr strittig sei, sei die Zulässigkeit des Rechtsweges dennoch gegeben, weil ein Rechtsstreit über die Zulässigkeit der Aufrechnung auf die vom Versicherungsträger zu erbringende Leistung nicht bloß über die Auszahlung einer Versicherungsleistung, sondern über den Bestand oder den Umfang eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung im Sinn des § 354 Z 1 ASVG und des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG geführt werde. Auch die Frage der Höhe der Abzugsrate falle in die Kompetenz der Sozialgerichte, weil durch eine Aufrechnung mit diesen Raten die Höhe der tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Versicherungsleistung beeinträchtigt werde.

Die Berufung der beklagten Partei sei jedoch im Hinblick auf die Bestimmung des § 90 Z 1 ASGG nicht zulässig. Danach gelte in Sozialrechtssachen für das Rechtsmittelverfahren die Besonderheit, dass die ausschließliche Anfechtung des Ausspruches über die Leistungsfrist sowie die Ratenanordnung (§ 89 Abs 3 und 4) nicht zulässig sei. Eine Anfechtungsmöglichkeit wäre nur dann gegeben, wenn mit dem Rechtsmittel nicht nur die Zahlungserleichterung, sondern auch der übrige Ausspruch des Erstgerichtes hätte bekämpft werden sollen, so etwa jener über die Frage der Rückersatzverpflichtung an sich. Diese Frage sei jedoch im Hinblick auf den in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 2. 7. 1999 nicht mehr strittig gewesen. Das Erstgericht habe hier zwar auch über die Zulässigkeit der Aufrechnung des Rückforderungsanspruches der beklagten Partei mit den laufenden Pensionsansprüchen des Klägers entschieden und dem Aufrechnungsbegehren mit (nur) S 1.500,-- monatlich stattgegeben. Insoweit sei jedoch der erstgerichtliche Ausspruch unbekämpft geblieben. Auch die Zulässigkeit der Aufrechnung an sich - etwa mit weiteren S 231,06 - sei im Berufungsverfahren nicht mehr erkennbar umstritten, weil sie vom Erstgericht nicht in Zweifel gezogen werde. Der beklagten Partei gehe es vielmehr ausschließlich um jenen Teil des Ausspruches, der geringere monatliche Ratenzahlungen für den Kläger vorsehe. Ein solcher Ausspruch könne jedoch für sich allein aus verfahrensökonomischen Gründen weder vom Kläger noch von der beklagten Partei angefochten werden. Eine Bekämpfung der erstgerichtlichen Entscheidung nur in diesem Umfang komme daher nicht in Betracht.

Weiters sprach das Berufungsgericht aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof im Hinblick auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 47 Abs 1 iVm § 46 Abs 1 ASGG zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der beklagten Partei rechtzeitige erhobene Rekurs ist ohne Beschränkung auf die Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage, die Höhe des Entscheidungsgegenstandes und die spezielle Art der Rechtssache zulässig, weil eine Entscheidung des Berufungsgerichtes nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO vorliegt und diese Bestimmung mangels abweichender Regelung im § 47 ASGG auch im Verfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen anzuwenden ist (10 ObS 183/98d mwN; Kuderna, ASGG2 286 mwN ua). An dieser Rechtslage hat sich auch durch die Neufassung des § 47 ASGG durch die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1997, BGBl I 1997/140, nichts geändert (10 ObS 183/98d).

Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

Auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges ist schon deshalb nicht mehr einzugehen, weil das Berufungsgericht die - vom Erstgericht stillschweigend angenommene - Zulässigkeit des Rechtsweges für das gestellte Klagebegehren bejaht hat und der erkennende Senat an diese Entscheidung gebunden ist (SZ 70/45 ua; Mayr in Rechberger, ZPO2 Rz 11 zu § 42 JN mwN).

Während bereits vor dem Inkrafttreten des ASGG der Versicherungsträger gemäß § 107 Abs 3 ASVG (ebenso § 72 Abs 3 BSVG, § 76 Abs 3 GSVG) bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auf die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Geldleistungen verzichten konnte bzw die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen zulassen konnte, bestand eine solche Möglichkeit für die damaligen Schiedsgerichte der Sozialversicherung nicht. Durch die Bestimmung des § 89 Abs 4 ASGG hat der Gesetzgeber des ASGG auch den Sozialgerichten die Möglichkeit der Ratengewährung eingeräumt. Hingegen wurde den Gerichten die Kompetenz für eine gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht nicht übertragen (SSV-NF 6/125, 5/64 ua; RIS-Justiz RS0085706).

Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 2 oder über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach § 65 Abs 1 Z 5 die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatz- oder Kostenersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm nach der erwähnten Bestimmung des § 89 Abs 4 ASGG unter einem der Rück(Kosten)ersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Hiebei ist die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum ASGG (RV 7 BlgNR XVI. GP, 59) entspricht der erste Satz der Bestimmung des § 89 Abs 4 ASGG dem früheren § 391 Abs 4 ASVG. Der zweite Satz soll die Befugnisse der Gerichte dem § 107 Abs 3 Z 2 ASVG angleichen. Es soll dadurch der Erfahrung Rechnung getragen werden, dass sich Versicherte gegen Bescheide, mit denen ihnen Rückersatzpflichten unter gleichzeitiger Einräumung von Zahlungserleichterungen auferlegt werden, derzeit wiederholt deshalb nicht zur Wehr setzen, weil ihnen die Schiedsgerichte der Sozialversicherung vergleichbare Zahlungserleichterungen nicht gewähren können (vgl § 391 Abs 5 ASVG). Um jedoch unsachgerechte Verfahrensverzögerungen hintanzuhalten, soll die Bekämpfung eines Urteiles nur wegen der Nichtgewährung oder der - nach Ansicht des Versicherten - zu geringen Gewährung von Zahlungserleichterungen nicht möglich sein (siehe nunmehr § 90 Z 1 ASGG).

Die beklagte Partei verweist in ihren Revisionsausführungen an sich zutreffend darauf, dass der Gesetzgeber diese Kompetenz der Gerichte zur Ratengewährung ausdrücklich nur in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG ("Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung oder eines zu Unrecht empfangenen Pflegegeldes...") oder über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach § 65 Abs 1 Z 5 ("Kostenersatzpflicht... eines Versicherten in einem Verfahren in Leistungssachen...") vorgesehen hat. Es wäre aber ein dem Gesetzgeber nicht zu unterstellender Wertungswiderspruch, wenn zwar derjenige, der den Rückforderungsanspruch des Sozialversicherungsträgers bekämpft, damit erreicht, dass bei der Entscheidung hierüber auch die Höhe (von allenfalls vom Sozialversicherungsträger bereits im Bescheid festgelegter) Rückzahlungsraten vom Gericht überprüft wird, während demjenigen, der die Rückforderung des Überbezuges nicht bekämpft, weil er diese Entscheidung für zutreffend erachtet, die Möglichkeit einer Überprüfung der Rückzahlungskonditionen durch das Gericht unter Berücksichtigung der Billigkeitskriterien des § 89 Abs 4 ASGG nicht offenstünde. Wollte ein Leistungsbezieher eine Überprüfung der Rückzahlungsmodalitäten durch das Gericht erreichen, müsste er auch dann, wenn er gegen den Rückforderungsanspruch selbst keinen Einwand erhebt, den Bescheid dennoch in diesem Punkt bekämpfen, um dadurch zu erreichen, dass das Gericht eine Überprüfung der Kriterien des § 89 Abs 4 ASGG vornimmt und ihm entsprechende Raten gewährt. Wenn aber - wie im vorliegenden Fall - der Sozialversicherungsträger vorerst nur über den Rückforderungsanspruch entscheidet und die Entscheidung über die Ratenzahlung ausdrücklich vorbehält, stünde dem Leistungsbezieher, der die Berechtigung des Rückforderungsbegehrens an sich nicht bestreitet, praktisch keine Möglichkeit zur Verfügung, eine den Kriterien des § 89 Abs 4 ASGG entsprechende Entscheidung über die Ratenzahlung durch das Gericht zu erreichen. Der Sozialversicherungsträger hätte es somit in den Fällen, in denen die Rückersatzpflicht an sich vom Leistungsbezieher nicht bestritten wird, durch eine entsprechende Vorgangsweise (getrennte Entscheidung über Rückersatzpflicht und Ratenzahlung) in der Hand, die Überprüfung der gewährten Zahlungsmodalitäten durch das Gericht in jedem Fall zu verhindern. Ein solches Ergebnis stünde jedoch in Widerspruch zu der vom Gesetzgeber des ASGG verfolgten Absicht, den Sozialgerichten die Kompetenz einzuräumen, in Verfahren über den Rückersatz eines Überbezugs die Zahlung von Raten anzuordnen. Es ist daher der Ansicht von Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 541 zu folgen, wonach auch die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über die Ratengewährung selbständig mit Klage bekämpft werden kann, weil es sich hiebei um einen Streit über die Konditionen der Rückersatzleistung und damit (im weiteren Sinn) um eine Streitigkeit über die Pflicht zum Rückersatz gemäß § 65 Abs 1 Z 2 ASGG handelt. Ein Rechtsmittel steht den Parteien in derartigen Streitigkeiten allerdings im Hinblick auf die Bestimmung des § 90 Z 1 ASGG nicht offen, womit der Gesetzgeber den von der beklagten Partei für ihre Rechtsansicht ebenfalls ins Treffen geführten verfahrensökonomischen Gründen ohnedies Rechnung getragen hat.

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung der beklagten Partei im Hinblick auf die Bestimmung des § 90 Z 1 ASGG nicht zulässig ist. Dem von der beklagten Partei gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs musste somit ein Erfolg versagt bleiben.

Rechtssätze
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