JudikaturJustiz10ObS221/01z

10ObS221/01z – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Neumayr und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Manfred Matzka (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Angelika H*****, vertreten durch Dr. Reinhard Ratschiller, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2001, GZ 11 Rs 61/01x-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. August 2000, GZ 19 Cgs 250/98z-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erlitt am 14. 5. 1996 einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich eine Prellung der linken Schulter, die folgenlos ausheilte, und eine Distorsionsverletzung der Halswirbelsäule, Grad 1, zuzog. Die nunmehr vorhandenen Beschwerden der Klägerin sind Folgezustand der degenerativen Bandscheibenschädigung und daher nicht unfallskausal. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin betrug ab dem 14. 5. 1996 für eine Woche 100 vH, für weitere zwei Wochen 25 vH, für eine weitere Woche 20 vH und für weitere vier Wochen 10 vH. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. 8. 1998 hat die beklagte Partei diesen Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt und ausgesprochen, dass kein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG bestehe. Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, der Klägerin aufgrund des Unfalles vom 14. 5. 1996, der als Arbeitsunfall iSd §§ 175, 176 ASVG gelte, "gesetzliche Leistungen iSd §§ 173 ff ASVG zu erbringen", in eventu "im Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen" festzustellen, "dass es sich beim Unfall vom 14. 5. 1996 um einen Arbeitsunfall iSd §§ 175 ff ASVG handelt" (ON 1 und 21).

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren (welches es amtswegig auf Gewährung einer Versehrtenrente umformulierte) - unangefochten - ab und gab dem Eventualbegehren statt. Der Verkehrsunfall habe sich zwar auf einem Betriebsweg ereignet, gemäß den §§ 203 Abs 1, 204 Abs 3 ASVG könne der Klägerin aber keine Versehrtenrente zuerkannt werden, weil eine rentenbegründende Minderung der Erwerbsfähigkeit lediglich über einen Zeitraum von vier Wochen nach dem Eintritt des Versicherungsfalles vorgelegen sei. Die stattgebende Entscheidung hinsichtlich des Eventualbegehrens begründete das Erstgericht nicht. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der beklagten Partei dahin ab, dass es auch das Eventualbegehren abwies. Im Berufungsverfahren sei unstrittig, dass der Klägerin keine Versehrtenrente gebühre, weil ihre Erwerbsfähigkeit nicht über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 vH vermindert sei (§ 203 Abs 1 ASVG). Da bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz aber auch keine Gesundheitsstörung (mehr) vorliege, die als Folge des Arbeitsunfalles vom 14. 5. 1996 anzusehen wäre, seien die Voraussetzungen für ein Eventualbegehren im Sinne des § 65 Abs 2 ASGG nicht erfüllt. Dass bei der Klägerin allenfalls auf den Unfall vom 14. 5. 1996 zurückzuführende Spät- und Dauerfolgen nicht auszuschließen seien, genüge für den Zuspruch eines derartigen Eventualbegehrens nicht. Bei der Feststellung nach § 65 Abs 2 ASGG handle es sich nämlich um ein Feststellungsbegehren iSd § 228 ZPO, mit der Besonderheit, das ihm nur unter der Voraussetzung stattzugeben sei, dass eine bestimmte Gesundheitsstörung bestehe. Auf die von der Beklagten erhobene Beweisrüge müsse daher nicht mehr eingegangen werden und es könne auch dahingestellt bleiben, ob der Unfall der Klägerin (tatsächlich) als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, in der sie als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zunächst ist der Auffassung der Klägerin entgegenzutreten, dass die Berufung der beklagten Partei keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge enthielt. Da tatsächlich das Gegenteil der Fall ist (- wie sich aus Punkt 2 der Berufung [AS 151 ff] aber auch aus den weiteren Revisionsausführungen zu diesem Thema [angestrebte "Behandlung der Rechtsrüge" nur zur "dort" erörterten Frage des Wegunfalls] ergibt -), hatte das Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung allseitig zu überprüfen. Es kam daher nicht darauf an, ob alle in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte im Rechtsmittel ausgeführt wurden (Kodek in Rechberger2 Rz 9 zu § 471 ZPO).

Soweit die Revision aber den Standpunkt vertritt, das Berufungsgericht sei im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge auf die dort ausschließlich ins Treffen geführte Qualifikation als Wegunfall beschränkt gewesen und hätte nicht "amtswegig" die von der beklagten Partei gar nicht ins Treffen geführte Frage der Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens prüfen dürfen, ist ihr Folgendes zu erwidern:

Nur wenn sich die Rechtsrüge nur noch auf eine von mehreren selbständigen Forderungen oder Gegenforderungen bezieht oder ein Anspruch aus mehreren selbständigen rechtserzeugenden Tatsachen abgeleitet wird (und sich die Rechtsrüge nur noch auf eine dieser Tatsachen bezieht), dann sind die anderen Ansprüche außer Betracht zu lassen, weil das Berufungsgericht an eine Beschränkung der Klagegründe durch den Berufungswerber gebunden ist (Kodek aaO mwN). Dass das Berufungsgericht hier (im Rahmen einer allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes infolge gesetzmäßiger Rechtsrüge) auch auf die Frage eingegangen ist, ob die Voraussetzungen des Feststellungsanspruches nach § 65 Abs 2 ASGG auf Grundlage der unstrittig nicht (mehr) vorliegenden Gesundheitsstörung der Klägerin erfüllt sind, begegnet daher keinen Bedenken; handelt es sich dabei doch - entgegen den Ausführungen der Revision - nicht um eine von mehreren rechtsvernichtenden Tatsachen (wie etwa bei der von der Revisionswerberin beispielhaft erwähnten Verjährung), sondern um die rechtliche Beurteilung der Anspruchsgrundlage für den mit Berufung bekämpften Feststellungsausspruch.

Im Übrigen hält die Revision selbst fest, es sei davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz bei der Klägerin keine (unfallskausale) Gesundheitsstörung (mehr) vorlag. Spätfolgen seien aber nicht auszuschließen. Sie verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung zu § 228 ZPO auch ein Interesse des Klägers an der Ersatzpflicht für allfällige künftige Schäden aus einem Unfall anerkannt werde, wobei es ausreiche, wenn das Feststellungsurteil für den Kläger von "rechtlich-praktischer Bedeutung" sei. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, weil dem erstgerichtlichen Feststellungsurteil (dass es sich um einen Arbeitsunfall [Wegunfall] handle), eminente rechtliche und praktische Bedeutung für den Fall künftiger Streitigkeiten der Klägerin zukomme. Deshalb trage schon § 228 ZPO das Ersturteil, ohne dass es des Rückgriffs auf die "(ausdehnende) Klarstellung" des § 65 Abs 2 ASGG bedürfe.

Dazu ist vorerst folgendes festzuhalten:

Nach ständiger Rechtsprechung entspricht die von der Klägerin gewählte Formulierung des Feststellungsbegehrens nicht dem Gesetz, weil in einem solchen Begehren nach § 65 Abs 2 ASGG die beim Versicherten eingetretenen Gesundheitsstörungen zu nennen sind (SSV-NF 7/97 ua; RIS-Justiz RS0084069; zuletzt: 10 ObS 46/01i). Allerdings schließt gemäß § 82 Abs 5 ASGG ein auf einen Arbeitsunfall gestütztes Leistungsbegehren ohnehin das Eventualbegehren auf Feststellung ein, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles ist, sofern darüber nicht schon abgesprochen worden ist; in diesem Sinne ist das Feststellungsbegehren der Klägerin als (unrichtig formuliertes) Eventualbegehren aufzufassen, über das nach Entscheidung über das (offenbar) auf Leistung einer Versehrtenrente gerichtete Hauptbegehren abzusprechen war (10 ObS 46/01i; SSV-NF 13/92 mwN ua; vgl auch RIS-Justiz RS0114852 und zuletzt: 10 ObS 86/02y).

Für den Standpunkt der Klägerin zum Verhältnis zwischen § 228 ZPO und § 65 Abs 2 ASGG ist damit aber nichts gewonnen, weil dazu auf die - zutreffenden - Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist der Revision Folgendes entgegenzuhalten:

Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass es sich bei dem Unfall um einen Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG handle, entspricht - wie bereits ausgeführt - nicht dem § 65 Abs 2 ASVG. Danach gilt als Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes auch diejenige, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit ist. Ein Klagebegehren, das - wie hier - ausschließlich auf Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls (dass ein bestimmtes Ereignis ein Arbeitsunfall sei) gerichtet ist, ist unzulässig, weil weder die Voraussetzungen des § 228 ZPO (Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses) noch jene des § 65 Abs 2 ASGG (dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist) vorliegen (Kuderna ASGG², 438). Besteht eine Gesundheitsstörung, kann ein entsprechend angepasster Urteilsspruch in Betracht kommen (Kuderna aaO mwN), liegt eine solche hingegen gar nicht vor, so ist ein auf die Feststellung eines Arbeitsunfalles gerichtetes Klagebegehren unzulässig (Fink ASGG, 186 Anm 3.3. zu § 71 ASGG). Dies deshalb, weil § 65 Abs 2 Satz 2 ASGG derartige Feststellungsbegehren (losgelöst vom rechtlichen Konnex zu einer vorliegenden Gesundheitsschädigung) nicht erfasst, und auch eine sonstige Sonderbestimmung nicht Platz greift, sodass die Frage der Zulässigkeit derartiger Begehren nach § 228 ZPO zu beurteilen und damit zu verneinen ist, weil die bloße rechtliche Qualifikation von Tatsachen nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (Fink,

Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen, 376 mwN; Rechberger in Rechberger² Rz 5 zu § 228 ZPO mwN). Auch der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, die Stattgebung eines Feststellungsbegehrens nach § 65 Abs 2 ASGG setze voraus, dass als Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit eine bestimmte Gesundheitsstörung (zumindest bei Schluss der Verhandlung erster Instanz) besteht (SSV-NF 8/14; SSV-NF 11/155 vgl auch 10 ObS 90/01k). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil eine konkrete - bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung (noch) bestehende - unfallskausale Gesundheitsstörung nicht festgestellt werden konnte und in der Revision auch gar nicht mehr behauptet wird.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.