JudikaturJustiz10ObS194/91

10ObS194/91 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 1991

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (Arbeitgeber) und Anton Korntheuer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christiane Z*****, vertreten durch Dr.Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Niederösterreiche Gebietskrankenkasse, 3100 St.Pölten, Dr.Karl Renner-Promenade 14-16, vertreten durch Dr.Adolf Lientscher, Rechtsanwalt in St.Pölten, wegen Gewährung von Wochengeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.April 1991, GZ 32 Rs 27/91-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13.September 1990, GZ 17 Cgs 905/89-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, daß die Klägerin in der Zeit vom 15.6. bis 4.7.1988 Anspruch auf Wochengeld hatte.

Das Klagemehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, ihr für diese Zeit das Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 2.899,20 S (darin 483,20 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin übergab am 11.2.1988 ihrem Arbeitgeber eine Urkunde, die am 10.2.1988 von einem Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe unter Verwendung eines Formblatts ausgestellt worden war und in der "unter Bezugnahme auf § 3 Abs 4 MSchG" bescheinigt wurde, daß sie "voraussichtlich am 10.8.1988 entbunden werden wird". Unter der Unterschrift und dem Stempel des Arztes befand sich in kleinerem Druck folgender Hinweis: "Dieser Termin ist unverbindlich. Er ändert sich, wenn unmittelbar vor Beginn der Mutterschaftshilfe nach ärztlicher Untersuchung festgestellt wird, daß ein anderer Entbindungstermin angenommen werden muß."

Die angeführte Bestätigung langte am 2.7.1988 bei der beklagten Partei ein. Diese bezahlte der Klägerin hierauf am 19.7.1988 für die Zeit vom 15.6. bis 13.7.1988 das Wochengeld. Nach einer Untersuchung der Klägerin mit Ultraschall am 17.6.1988 stellte derselbe Facharzt am 29.6.1988 eine weitere Bestätigung aus, wonach die Klägerin "voraussichtlich am 30.8.1988 gebären wird". Diese Bestätigung langte am 1.7.1988 bei der beklagten Partei ein. Diese rechnete hierauf das der Klägerin für die Zeit vom 15.6. bis 13.7.1988 bezahlte Wochengeld auf das ihr für die Zeit vom 5.7. bis 10.8.1988 gebührende Wochengeld auf und bezahlte ihr am 12.8.1988 für diesen Zeitraum statt des ihr gebührenden Betrages von 16.081 S nur 2.924 S. Am 25.8.1988 wurde die Klägerin von einem Kind entbunden.

Die beklagte Partei wies den Antrag der Klägerin, ihr Wochengeld für die Zeit vom 15.6. bis 4.7.1988 zu bezahlen, ab und stellte fest, daß der Versicherungsfall der Mutterschaft am 5.7.1988 eingetreten sei.

Die Klägerin stellte in ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr für die Zeit vom 15.6. bis 4.7.1988 das Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und diese Zeit als vom Versicherungsfall der Mutterschaft umfaßten Zeitraum anzuerkennen. Im Hinblick auf den in der ersten ärztlichen Bestätigung angegebenen Entbindungstermin gebühre ihr das Wochengeld schon ab 15.6.1988. Die beklagte Partei hätte das für die Zeit vom 15.6. bis 4.7.1988 bezahlte Wochengeld nicht rückfordern dürfen, weil sie (Klägerin) kein Verschulden daran trage, daß der Entbindungstermin in der ersten Bestätigung unrichtig vorausgesagt worden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Achtwochenfrist des § 162 ASVG sei ebenso wie jene des § 5 MSchG vom Tag der tatsächlichen Entbindung an zu berechnen, weil beide Bestimmungen den Zweck hätten, der Mutter nach der Entbindung eine entsprechende Schonung und Erholungsfrist zu gewähren und für diese Zeit ihren Unterhalt sicherzustellen. Die beklagte Partei habe daher richtigerweise vom Wochengeld, das der Klägerin für die vom Tag der Entbindung berechnete Schutzfrist gebühre, jenes Wochengeld abgezogen, das sie der Klägerin für die "vermeintliche" Schutzfrist, die nach dem unrichtig vorausgesagten Geburtstermin errechnet worden sei, schon bezahlt habe.

Das Berufungsgericht gab infolge Berufung der Klägerin dem Klagebegehren statt und sprach aus, daß die ordentliche Revision an den OberstenGerichtshof zulässig sei. Aus § 162 Abs 2 ASVG gehe hervor, daß der Gesetzgeber auch eine Verlängerung der Schutzfrist ins Auge gefaßt habe, wenn die Entbindung zu einem anderen als dem vom Arzt angenommenen Zeitpunkt erfolge. Die Klägerin sei ihrer Verpflichtung, eine ärztliche Bestätigung vorzulegen, durch die Vorlage der ersten Bestätigung nachgekommen. Der darin angegebene Tag der voraussichtlichen Entbindung sei für den Beginn der Schutzfrist maßgebend. Es könne sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirken, daß sich dieser Termin durch eine weitere Untersuchung als unrichtig herausgestellt habe.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens und somit Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts abzuändern.

Die Klägerin beantragte, der Revision kein Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist schon gemäß § 46 Abs 4 ASGG und daher unabhängig von dem - demnach überflüssigen - Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig (SSV-NF 3/85 ua) und auch teilweise berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit liegen allerdings nicht vor (§ 2 Abs 1 und § 48 ASGG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Es ist aber das Begehren, das die Klägerin in ihrer Klage stellte, verfehlt. Sie bringt darin selbst vor und es ist dies unbestritten, daß sie für den in der Klage angeführten Zeitraum das ihr gebührende Wochengeld erhalten hat. Damit hat sie aber keinen Anspruch auf (neuerliche) Bezahlung des Wochengeldes für dieselbe Zeit, was die Abweisung des darauf gerichteten Klagebegehrens zur Folge haben muß. Es war jedoch noch zu beachten, daß als Minus ein Feststellungsurteil zu fällen ist, wenn die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses von einem Leistungsbegehren (genauer: vom Streitgegenstand; vgl hiezu Fasching, ZPR2 Rz 1164) im vollen Umfang umfaßt wird und der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat (vgl SZ 60/92; VersRdSch 1990, 309 ua). Dies gilt hier umso mehr, als das auf Anerkennung gerichtete Begehren in ein Feststellungsbegehren umgedeutet werden kann.

Der bekämpfte Bescheid kann auf Grund seines Inhalts, insbesondere wegen der Feststellung über den Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft, auch als Feststellungsbescheid aufgefaßt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Erlassung eines solchen Bescheides erfüllt waren (vgl hiezu Walter-Mayer, Verwaltungsverfahren4 Rz 406 f). Auch wenn der Bescheid des Versicherungsträgers unzulässigeweise erging, hat der Betroffene unbeschadet eines allfälligen Rechtes, die Unzulässigkeit geltend zu machen, das Recht, die Entscheidung der Gerichte über die Sache zu begehren, über die mit dem Bescheid entschieden wurde (vgl das Wort "darüber" im § 67 Abs 1 Z 1 ASGG). Wurde mit einem Bescheid über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs entschieden, so steht dem Betroffenen daher die seinem Rechtsstandpunkt entsprechende Feststellungsklage offen, wenn eine Leistungsklage nicht in Betracht kommt (vgl § 65 Abs 2 ASGG und SSV-NF 2/67). Dabei wird das rechtliche Interesse im allgemeinen schon darin gelegen sein, daß der Versicherungsträger die gegenteilige Feststellung getroffen hat. Hier kommt dazu noch, daß die im bekämpften Bescheid enthaltene Feststellung für die Lösung der Frage, ob die beklagte Partei zu Recht aufgerechnet hat, und überdies dafür von Bedeutung sein könnte, in welchem Ausmaß die Klägerin gemäß § 227 Abs 1 Z 3 ASVG Ersatzzeiten erwarb.

In der Sache ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes richtig. Gemäß § 162 Abs 2 ASVG wird die Achtwochenfrist vor der voraussichtlichen Entbindung auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses berechnet. Erfolgt die Entbindung zu einem anderen als dem vom Arzt angenommenen Zeitpunkt, so verkürzt oder verlängert sich nach dieser Gesetzesstelle die im Abs 1 vorgesehene Frist vor der Entbindung entsprechend. Gemäß § 120 Abs 1 Z 3 ASVG gilt der Versicherungsfall der Mutterschaft mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung als eingetreten. Die Entbindung selbst ist hingegen nur maßgebend, wenn sie vor dem Beginn der Achtwochenfrist liegt oder wenn der Tag der voraussichtlichen Entbindung nicht festgestellt wurde. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend betonte, kommt es in den anderen Fällen also ausschließlich auf den sich aus dem ärztlichen Zeugnis ergebenden Tag der voraussichtlichen Entbindung an. Daraus ergibt sich aber die Unrichtigkeit der Ansicht der beklagten Partei, daß das hier ausgestellte ärztliche Zeugnis keine geeignete Grundlage für die Berechnung des Beginns der Achtwochenfrist gebildet habe. Es ist selbstverständlich, daß im ärztlichen Zeugnis der Tag der Entbindung nicht mit absoluter Sicherheit vorausgesagt werden kann. Nur diesem Umstand trägt aber der hier in dem ärztlichen Zeugnis enthaltene Hinweis, der angegebene Termin sei unverbindlich, Rechnung. Es wird dadurch nur die im Gesetz und auch im ärztlichen Zeugnis enthaltene Aussage verstärkt, daß es sich um den Tag der voraussichtlichen Entbindung handelt. Auch die "verbindliche" Angabe eines "voraussichtlichen" Termines würde nichts daran ändern, daß der tatsächliche Tag der Entbindung nicht vorhergesagt werden kann und auch nicht vorhergesagt werden soll. Der Oberste Gerichtshof vermag sich daher der gegenteiligen Auffassung, die das Oberlandesgericht Wien als damaliges Höchstgericht in der Entscheidung SSV 10/9 = SozSi 1970/5 vertrat, nicht anzuschließen.

Damit ist nichts zur Frage gesagt, wie die Achtwochenfrist zu berechnen ist, wenn noch vor Beginn der auf Grund eines ersten ärztlichen Zeugnisses berechneten Achtwochenfrist auf Grund eines weiteren ärztlichen Zeugnisses ein anderer Tag der voraussichtlichen Entbindung anzunehmen ist. Hier wurde das zweite ärztliche Zeugnis erst ausgestellt und im übrigen auch die Untersuchung erst durchgeführt, als die auf Grund des ersten Zeugnisses berechnete Achtwochenfrist schon begonnen hatte und der Versicherungsfall daher schon eingetreten war. Aus § 120 Abs 1 Z 3 iVm § 162 Abs 2 ASVG ergibt sich nämlich, daß dann, wenn der Tag der voraussichtlichen Entbindung durch ein ärztliches Zeugnis festgestellt wird, die auf Grund dieses ärztlichen Zeugnisses zu berechnende Achtwochenfrist für den Eintritt des Versicherungsfalls maßgebend ist. War aber zur Zeit der Ausstellung des zweiten ärztlichen Zeugnisses der Versicherungsfall schon eingetreten, so konnte diese Ausstellung daran nichts mehr ändern. Der Fall ist nicht anders, als wenn sich erst durch die Entbindung die Unrichtigkeit des im ärztlichen Zeugnis angegebenen Tages herausstellt. Diese Ansicht lag im übrigen auch dem Hinweis zugrunde, der im ersten Zeugnis enthalten war, weil dort darauf abgestellt wurde, daß die neue ärztliche Untersuchung vor dem Beginn der "Mutterschaftshilfe" durchgeführt wird.

Ohne Bedeutung ist hier, daß das ärztliche Zeugnis bei der beklagten Partei erst einlangte, als die Achtwochenfrist vor dem darin angegebenen Tag der voraussichtlichen Entbindung schon lief. Die beklagte Partei hatte schon begonnen, der Klägerin ab dem Beginn dieser Frist das Wochengeld zu bezahlen, und sie hat nicht dargetan, welchen Einfluß hierauf die frühere Vorlage des Zeugnisses hätte haben können. Was in einem anderen Fall gegolten hätte, ist hier nicht zu prüfen. Ebenso ist es ohne Bedeutung, daß im Zeugnis als Adressat der Dienstgeber der Klägerin angegeben war, weil es weder der Zweck noch der Wortlaut des § 162 Abs 2 ASVG erfordert, daß es sich um ein ausdrücklich zur Vorlage beim Versicherungsträger ausgestelltes Zeugnis handelt.

Die klagende Partei hat daher in dem strittigen Zeitraum Anspruch auf Wochengeld, was auf Grund ihrer Klage festzustellen war. Das auf Zahlung des Wochengeldes gerichtete Mehrbegehren war hingegen infolge der Berufung der beklagten Partei abzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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