JudikaturJustiz10ObS171/09h

10ObS171/09h – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. November 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter DI Rudolf Pinter (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Birbamer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dietmar M*****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädterstraße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung eines Dienstunfalls und Leistung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. April 2009, GZ 8 Rs 12/09g-17, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. Oktober 2008, GZ 7 Cgs 39/08a-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das klageabweisende Ersturteil mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es zu lauten hat:

Das Klagebegehren, festzustellen, dass gemäß § 90 B-KUVG hinsichtlich des Vorfalls vom 15. 10. 2007 ein Dienstunfall vorliege und die beklagte Partei schuldig sei, Leistungen nach den §§ 88 ff B-KUVG zu erbringen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 21. 12. 1971 geborene Kläger hob im Rahmen seiner Tätigkeit als Polizeitaucher am 15. 10. 2007 eine Alu-Box an. Dabei verspürte er einen Stich im Kreuz und ließ die Kiste fallen. Aufgrund einer Magnetresonanztomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule vom 16. 10. 2007 zeigte sich eine geringgradige Dehydration der Bandscheibe L5, welche einen kleinen rechts dorso-paramedianen Diskusvorfall aufwies, aber ohne Nachweis einer Neuroforamenstenose oder Vertebrostenose. Nunmehr findet sich ein klinisch unauffälliger Befund der Wirbelsäule ohne funktionelle Einschränkung.

Aus chirurgisch-orthopädischer Sicht kann nicht eindeutig geklärt werden, ob der in der MRT beschriebene „kleine Bandscheibenvorfall" schon vorher bestanden hat oder durch das gegenständliche Ereignis aufgetreten ist, weil ein Bandscheibenvorfall auch völlig „stumm", das heißt ohne jegliche Beschwerdesymptomatik, auftreten und bestehen kann. Es gibt in der MRT aber Anzeichen für die Annahme, dass beim Kläger bereits vor dem genannten Ereignis vom 15. 10. 2007 eine vorgeschädigte Bandscheibe bestand, weil in der MRT eine Dehydration der Bandscheibe beschrieben wird, die Ausdruck degenerativer Veränderungen ist. „Diesbezüglich" hätte der Bandscheibenvorfall des Klägers auch bei alltäglichen Belastungen jederzeit auftreten können, zB bei Rumpfdrehungen, beim Bücken, Husten, Pressen oder Niesen; das Anheben der Alu-Kiste am 15. 10. 2007 wäre dann lediglich eine „Gelegenheitsursache".

Das bloße Anheben der Last war jedenfalls nicht geeignet, eine vordem gesunde Bandscheibe zu schädigen, weil es dazu eines erheblichen Traumas bedürfte und bei solchen Traumen stets auch Begleitverletzungen aufzutreten pflegen. Bei einer vorgeschädigten Bandscheibe genügt hingegen ein „Zusatzimpuls" (im Sinn der dargestellten alltäglichen Belastungen), um den Vorfall zu bewirken. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 17. 1. 2008 wurde der Vorfall vom 15. 10. 2007 nicht als Dienstunfall anerkannt und ausgesprochen, dass Leistungen gemäß §§ 88 ff B-KUVG nicht gewährt werden. Die dagegen erhobene Klage ist auf Feststellung des Vorfalls vom 15. 10. 2007 als Dienstunfall gemäß § 90 B-KUVG und darauf gerichtet, die Beklagte zur Erbringung von Leistungen nach den §§ 88 ff B-KUVG zu verpflichten.

Das Erstgericht wies ein - so nicht gestelltes - Klagebegehren, „die beklagte Partei sei schuldig den Vorfall vom 15. 10. 2007 als Dienstunfall anzuerkennen und demgemäß Leistungen gemäß den §§ 88 ff B-KUVG zu gewähren", ab. Es traf - unter anderem - die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass der Ablauf des Geschehens „Anheben einer Alu-Kiste" kein Dienstunfall sei.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, teilte jedoch nicht die Rechtsansicht, dass das Anheben einer Alu-Kiste, deren Gewicht nach dem unstrittigen Klagsvorbringen zumindest 30 kg betragen habe, keinen Arbeitsunfall iSd § 90 B-KUVG darstelle. Wenn für den Schadenseintritt - wie hier - mehrere Bedingungen ursächlich seien, von denen mindestens eine aus dem geschützten Lebensbereich und mindestens eine aus der Privatsphäre des Versicherten stammten, dann könne es infolge des „Alles oder Nichts-Prinzips" der gesetzlichen Unfallversicherung nur entweder zur vollen Leistung der Unfallversicherung oder zum gänzlichen Leistungsentfall kommen. Nach der in der Rechtsprechung angewandten „Theorie der wesentlichen Bedingung" werde der Schaden der Unfallversicherung nur dann zugerechnet, wenn mindestens eine der aus dem geschützten Lebensbereich stammende Bedingung für den Schadenseintritt „wesentlich" sei. Als wesentlich gelte eine Bedigung, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt habe, die also nicht im Hinblick auf Mitursachen so erheblich in den Hintergrund trete, dass sie als unwesentlich erscheine. Seien zwei oder mehrere Ereignisse im gleichen Maß wesentlich für den Erfolg, dann stellten sie alle wesentlichen Bedingungen dar. Die nicht wesentlichen anderen Bedingungen würden auch als „Gelegenheitsursachen" bezeichnet. Bei einer Körperschädigung, die nur zum Teil durch einen Arbeitsunfall, im Übrigen aber durch eine Schadensanlage (Krankheitsanlage) verursacht werde, bestehe kein Anspruch auf Leistung, wenn der Schadensanlage gegenüber dem Unfall die überragende Bedeutung zukomme, wenn also wegen der Veranlagung jedes andere täglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Schädigung ausgelöst hätte. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, sei wesentlich.

Im vorliegenden Fall ließen die erstgerichtlichen Feststellungen eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der gegenständliche Unfallschaden der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen sei, nicht zu.

Das Erstgericht habe festgestellt, dass das bloße Anheben der Last nicht geeignet gewesen sei, eine vordem gesunde Bandscheibe zu schädigen, während bei einer vorgeschädigten Bandscheibe allerdings ein Zusatzimpuls genügen würde, um den Vorfall zu bewirken. Ausgehend von einer vorgeschädigten Bandscheibe hätte der Bandscheibenvorfall des Klägers auch bei alltäglichen Belastungen jederzeit auftreten können. Nach der bisher dargestellten Rechtslage wäre diese Feststellung ausreichend, die Zurechnung des Unfallschadens zur gesetzlichen Unfallversicherung zu verneinen.

Nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts sei der Versicherte allerdings in dem Zustand geschützt, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden habe. Verletzungen aufgrund altersbedingter, natürlicher Abnützung könnten daher nicht als Anlageschaden angesehen werden. Dazu habe der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 45/04x ausgeführt, dass bei der Abwägung verschiedener festgestellter Kausalreihen zur Prüfung der wesentlichen Bedingung auch zu berücksichtigen sei, dass der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt sei, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden habe. In den Schutz der Unfallversicherung seien daher auch alle im Unfallszeitpunkt bereits bestehenden Krankheiten, Behinderungen, sonstige Vorschädigungen mit ihren Auswirkungen, aber auch alle Schadensanlagen also konstitutionell, degenerativ oder durch frühere Erkrankungen oder Unfälle bedingte Krankheitsdispositionen eingebunden. Dies müsse grundsätzlich auch dann gelten, wenn sich der Versicherte bei Eintritt des Arbeitsunfalls bereits in einem fortgeschrittenen Lebensalter befinde, also unterstellt werden könne, dass bei ihm die degenerativen Schadensanlagen schon aufgrund des allgemeinen Altersverschleißes stärker ausgeprägt seien. Der Schutz des Versicherten gegen die Folgen von Arbeitsunfällen dürfe nicht deswegen geringer sein, weil er älter sei. Verletzungen aufgrund altersbedingter, natürlicher Abnutzung könnten daher keinesfalls als Anlageschäden angesehen werden. Es sei vielmehr für die Annahme eines Anlageschadens ein - bei genereller Betrachtung der körperlichen Konstitution des Versicherten - deutlich erkennbares Abweichen des Gesundheitszustands des Versicherten von der „Norm" erforderlich. In der Entscheidung 10 ObS 17/05f habe der Oberste Gerichtshof wiederholt, dass beispielsweise Verletzungen aufgrund altersbedingter Abnützung der Gelenke, sofern sie nicht über das altersentsprechende Ausmaß hinausgehen, jedenfalls nicht als ein den Unfallversicherungsschutz ausschließender „Anlageschaden" angesehen würden. In diesem Fall hätten allerdings die beim dortigen Kläger festgestellten degenerativen Vorschäden das altersbedingte Ausmaß überstiegen. In seiner Entscheidung 10 ObS 3/07z habe der Oberste Gerichtshof an der Rechtsprechung festgehalten, dass Vorschädigungen und Schadensanlagen mangels eines deutlich erkennbaren Abweichens von dem aufgrund des Alters üblicherweise zu erwartenden Gesundheitszustand des Versicherten insoweit nicht ausgeblendet werden dürften, als ihre Mitwirkung am Unfallschaden feststehe; er habe allerdings festgehalten, dass daraus nicht abgeleitet werden könne, dass anlagebedingte Vorschäden in jedem Fall in die Bemessung der MdE einzubeziehen wären. Auch in der Entscheidung 10 ObS 108/07s habe der Gerichtshof an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach Verletzungen, soweit sie auf altersbedingte natürliche Abnützung zurückzuführen seien, nicht als Anlageschaden angesehen werden könnten und für die Annahme eines Anlageschadens ein - bei genereller Betrachtung der körperlichen Konstitution des Versicherten - deutlich erkennbares Abweichen des Gesundheitszustands des Versicherten von der „Norm" erforderlich sei. In diesem Sinne seien altersentsprechende Abbauerscheinungen als mögliche „Anlageschäden" auszuklammern. Für den Fall, dass eine Unfallursache aus der geschützten Tätigkeit auf eine „überaltersgemäße" Vorschädigung treffe, seien die beiden Ursachen abzuwiegen und die Wesentlichkeit der aus dem geschützten Lebensbereich stammenden Ursache im Verhältnis zur Anlage zu bestimmen. Wäre der Gesundheitsschaden auch ohne Arbeitsunfall bzw Dienstunfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit allein infolge der Schadensanlage zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß tatsächlich eingetreten oder hätte durch eine „alltägliche Belastung" ausgelöst werden können, sei der Körperschaden nicht der Unfallversicherung zuzurechnen.

Im vorliegenden Fall fehlten Feststellungen dazu, inwieweit die beim Kläger bestehende Vorschädigung der Bandscheibe eine rein altersbedingte Abnützungserscheinung darstelle bzw eine über die durchschnittliche altersgemäße Abnützung hinausgehende Vorschädigung vorgelegen sei. Das Erstgericht werde daher die Frage der Vorschädigung bzw der altersbedingten Abnützung mit dem gerichtlich bestellten Sachverständigen für Chirurgie zu erörtern und in der Folge entsprechende Feststellungen zu treffen haben, die eine abschließende Beurteilung zulassen, ob die Unfallfolgen auf einen Anlageschaden oder auf altersgemäße oder überaltersgemäße Abnützungserscheinungen zurückzuführen seien. Auch das Gewicht der Alu-Box werde festzustellen sein. Dabei werde zu berücksichtigen sein, dass für die vorzunehmende Abgrenzung zwischen altersgemäßer Abnützung und darüber hinausgehendem Vorschaden nach der Rechtsprechung nicht auf einen gleichaltrigen Versicherten mit vergleichbarer Berufslaufbahn, sondern nur auf den durchschnittlichen Gesundheitszustand eines gleichaltrigen Versicherten abzustellen sei (10 ObS 108/07s). Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht auch zu berücksichtigen haben, dass nicht über die Verpflichtung der beklagten Partei, den Unfall als Dienstunfall anzuerkennen, sondern primär über ihre Verpflichtung zur Gewährung konkreter Leistungen aus der Unfallversicherung abzusprechen sei. Da aber bereits jetzt feststehe, dass aufgrund des Ereignisses vom 5. 10. 2007 - unabhängig von der Frage einer Vorschädigung - jedenfalls keine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers eingetreten sei, und dem Leistungsbegehren somit kein Erfolg beschieden sein könne, werde gemäß § 82 Abs 5 ASGG über das im Leistungsbegehren enthaltene Eventualbegehren abzusprechen sein, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Dienstunfalls sei.

Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof in der jüngsten Entscheidung 10 ObS 134/08s entgegen der vom Berufungsgericht dargestellten Rechtsprechung zur Frage der vorzunehmenden Abgrenzung zwischen altersbedingter Abnützung und darüber hinausgehendem Vorschaden nunmehr ausgesprochen habe, dass es in einem vergleichbaren Fall auf die Frage des Alters, das zweifellos bei jedem Abnützungserscheinungen bewirke, dann nicht mehr ankomme, wenn die Schädigung durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß hätte ausgelöst werden können, weshalb von einer gesicherten Rechtsprechung in dieser Frage nicht mehr ausgegangen werden könne. Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Die Rekurswerberin macht geltend, dass das Berufungsgericht ohnehin auf die jüngste Entscheidung 10 ObS 134/08s hingewiesen habe, ohne jedoch daraus die (richtigen) rechtlichen Konsequenzen im Sinn einer Bestätigung des Ersturteils zu ziehen.

Dem ist beizupflichten; eine mit ähnlicher Begründung zugelassene ordentliche Revision (weil der Oberste Gerichtshof in der zuletzt ergangenen Entscheidung 10 ObS 134/08s nicht ausdrücklich von der Judikatur zu RIS-Justiz RS0119182, wonach der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt sei, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden habe, abgegangen sei), hat der Senat nämlich erst jüngst (Entscheidung vom 20. 10. 2009, 10 ObS 164/09d) mit folgender Begründung zurückgewiesen:

„Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre gilt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der Körperschädigung des Versicherten im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie von der wesentlichen Bedingung oder wesentlich mitwirkenden Ursache. Danach sind als Ursache oder Mitursache eines Arbeitsunfalls unter Abwägung ihres Wertes im Verhältnis zu mitwirkenden Ursachen nur solche Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben, also nicht gegenüber den Mitursachen so erheblich in den Hintergrund treten, dass sie als unwesentlich erscheinen. Die Rechtsprechung bezeichnet aber nur jene Bedingungen als wesentlich, ohne die der Erfolg in einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre. Dieser Grundsatz ist auf die sogenannten Anlagefälle zugeschnitten, in denen der Gesundheitsschaden oder Tod des Versicherten zwar real durch die kausale Einwirkung aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden ist, aller Wahrscheinlichkeit nach aber innerhalb kurzer Zeit in ähnlicher Schwere aufgrund einer schicksalshaften inneren Anlage entstanden wäre. In einem solchen Fall wird der Körperschaden nur dann der Unfallversicherung zugerechnet, wenn er ohne den Umstand aus der Gefahrensphäre der Unfallversicherung erheblich später oder erheblich geringer eingetreten wäre (10 ObS 150-152/94 = SSV-NF 9/17 mwN ua; RIS-Justiz RS0084308 ua).

In der vom Berufungsgericht erwähnten Entscheidung 10 ObS 45/04x (=

SSV-NF 18/48 = DRdA 2005/23, 325 [Reissner]) und in weiteren

Entscheidungen (vgl dazu die Judikaturnachweise in RIS-Justiz RS0119182) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt ist, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden hat. Dies bedeutet, dass altersbedingte, natürliche Abnützungserscheinungen (zB an Gelenken), die für den Schaden mitverantwortlich sind, den Zurechnungszusammenhang nicht von vornherein ausschließen (vgl Tomandl, Zurechnungsfragen in der gesetzlichen Unfallversicherung, ZAS 2007/26, 160 ff [164]). Hiezu bedarf es vielmehr einer wertenden Gegenüberstellung der körpereigenen Ursachen mit den betriebsbedingten Ursachen. Nach den bereits oben dargelegten Grundsätzen über den ursächlichen Zusammenhang ist dann zu beurteilen, ob das Unfallereignis eine wesentlich mitwirkende Bedingung für die Schädigung gewesen ist oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache war. Letzteres ist nach der auch in der Entscheidung 10 ObS 45/04x ausdrücklich zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs anzunehmen, wenn die Krankheitsanlage so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar war, dass auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis die Schädigung zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß ausgelöst hätte (vgl RIS-Justiz RS0084318; RS0084345). Der Oberste Gerichtshof hat in der Folge im Sinne dieser Rechtsprechung auch bereits mehrfach klargestellt, dass es dann, wenn aufgrund degenerativer Veränderungen die Unfallfolge auch bei jedem anderen alltäglich vorkommenden Ereignis hätte eintreten können, am erforderlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen fehlt, ohne dass es dabei noch auf das Alter des Versicherten und die damit verbundene Frage der altersgemäßen Abnützung ankäme (vgl 10 ObS 134/08s; 10 ObS 198/06z; 10 ObS 140/06w = SSV-NF 20/63). Ein Leistungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung kommt nämlich grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die gesundheitlichen Unfallfolgen wesentlich auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sind. ...

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht dem Sachverständigengutachten folgend ausgeführt, dass wegen der zum Unfallszeitpunkt bei der 43 Jahre alten Klägerin bestehenden gravierenden Vorschädigungen im Bereich der Schultergelenke jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis in absehbarer Zeit, also etwa innerhalb eines Jahres, eine solche Verletzung ausgelöst hätte. Wenn die Vorinstanzen ausgehend von diesen Feststellungen im konkreten Fall zu dem Ergebnis gelangten, der Klägerin stehe kein Unfallversicherungsschutz zu, weil der Schadensanlage gegenüber dem Unfall die überragende Bedeutung zukomme, sind sie nicht von den vom Obersten Gerichtshof auch in der zitierten jüngeren Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen abgewichen. Es liegen auch keine sekundären Feststellungsmängel vor, weil auch nach dieser Rechtsprechung ein anlagebedingt schon durch alltäglich vorkommende Ereignisse leicht auslösbares Leiden unabhängig davon, ob es sich um altersbedingte oder darüber hinausgehende Anlageschäden handelt, nicht vom Unfallversicherungsschutz umfasst ist."

Nach diesen Grundsätzen ist auch die folgende, für den vorliegenden Fall maßgebende Feststellung zu beurteilen:

„Unabhängig von der Frage, ob die Vorschädigung bereits das Ausmaß eines Bandscheibenvorfalls erreichte oder nur degenerative Veränderungen vorlagen, bestand beim (zum Unfallszeitpunkt 35 Jahre alten) Kläger bereits eine Vorschädigung, die jedenfalls zur Folge hatte, dass der letztlich nach dem Ereignis vom 15. 10. 2007 (Anheben einer Alu-Kiste) festgestellte Bandscheibenvorfall auch bei alltäglichen Belastungen (zB bei Rumpfdrehungen, beim Bücken, Husten, Pressen oder Niesen) jederzeit hätte auftreten können" (Seite 12 der Berufungsentscheidung).

Wenn das Erstgericht davon ausgehend zu dem Ergebnis gelangte, dem Kläger stehe für dieses Ereignis kein Unfallversicherungsschutz zu, ist es somit nicht von den vom Obersten Gerichtshof vertretenen Grundsätzen der (auch vom Berufungsgericht) zitierten Rechtsprechung abgewichen; kommt doch der Schadensanlage gegenüber dem Unfall auch hier die überragende Bedeutung zu: Nach der (in der Entscheidung 10 ObS 164/09d neuerlich dargelegten) ständigen Rechtsprechung ist ein - wie hier - anlagebedingt schon durch alltäglich vorkommende Ereignisse leicht auslösbares Leiden nämlich unabhängig davon, ob es sich um altersbedingte oder darüber hinausgehende Anlageschäden handelt, (jedenfalls) nicht vom Unfallversicherungsschutz umfasst. Der im Aufhebungsbeschluss angesprochenen Frage, „ob die Vorschädigung der Bandscheibe des Klägers eine rein altersbedingte Abnützungserscheinung darstellte, oder ob eine über die durchschnittliche Abnützung hinausgehende Vorschädigung bestand", kommt also keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Nach der (insoweit) auch vom Berufungsgericht (noch) zutreffend dargestellten Rechtslage zur Theorie der „wesentlichen Bedingung" schloss vielmehr bereits die Feststellung, dass eine vorgeschädigte Bandscheibe vorlag, sodass der Bandscheibenvorfall des Klägers auch bei alltäglichen Belastungen jederzeit hätte auftreten können, die Zurechnung des Unfallschadens zur gesetzlichen Unfallversicherung aus (vgl Seite 21 der Berufungsentscheidung).

Das Erstgericht hat somit zu Recht das Vorliegen eines Dienstunfalls verneint. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und das klageabweisende Ersturteil - mit korrigiertem Urteilsspruch - wiederherzustellen (§ 519 Abs 2 Satz 3 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, sind aus dem Akt nicht ersichtlich.

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