JudikaturJustiz10ObS156/00i

10ObS156/00i – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf und die fachkundigen Laienrichter Franz Ovesny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und DDr. Wolfgang Massl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Adalbert C*****, vertreten durch Dr. Paul Georg Appiano und Dr. Bernhard Kramer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Wegfalls der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer und Rückersatzpflicht, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 2000, GZ 7 Rs 32/00b-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Oktober 1999, GZ 5 Cgs 1/99t-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat den Wegfall der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 253b Abs 2 ASVG und die Rückzahlungspflicht des Klägers zutreffend bejaht (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers Folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 253b Abs 1 ASVG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 1995/297, hatte der Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer, wenn er unter anderem am Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) weder der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG, dem GSVG, dem BSVG und (oder) dem FSVG unterlag noch aus sonstigen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeiten ein Erwerbseinkommen bezog, das das gemäß § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen überstieg (Z 4). Die Pension gemäß Abs 1 fiel mit dem Tag weg, an dem der Versicherte eine Erwerbstätigkeit ausübte, die das Entstehen eines Anspruches gemäß Abs 1 Z 4 ausschließen würde. Ist die Pension aus diesem Grund weggefallen und endet die Erwerbstätigkeit, so lebt die Pension auf die dem Träger der Pensionsversicherung erstattete Anzeige über das Ende der Erwerbstätigkeit im früher gewährten Ausmaß mit dem dem Ende der Erwerbstätigkeit folgenden Tag wieder auf (§ 253b Abs 2 ASVG).

Durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 wurde die Anspruchsvoraussetzung der Z 4 (des § 253b Abs 1 ASVG) für den Bereich der selbständig Erwerbstätigen wesentlich verschärft. Der Gesetzgeber ließ sich dabei von der Überlegung leiten, dass nach der vorherigen Rechtslage sehr viele Selbständige eine vorzeitige Alterspension in Anspruch nehmen konnten, ohne ihre bisherige versicherungspflichtige Tätigkeit aufzugeben. Im Hinblick auf den früher einsetzenden Schutz des Versicherten bei der vorzeitigen Alterspension sei es jedoch durchaus gerechtfertigt, die Anspruchsvoraussetzungen schärfer zu fassen als bei den normalen Alterspensionen. Konsequenterweise seien aber auch die Wegfallsbestimmungen zu verschärfen. Da die im Bereich der nach dem GSVG und BSVG in der Pensionsversicherung Pflichtversicherten häufig Erwerbstätigkeiten ausübten, wobei die Einkünfte unter der "Geringfügigkeitsgrenze" lagen, sollten die einschlägigen Bestimmungen nunmehr auf den Tatbestand der "Pflichtversicherung an sich" ausgedehnt werden. Anstelle der Berücksichtigung des nur über der Geringfügigkeitsgrenze gelegenen Einkommens sollte der Wegfall schon bei Ausübung einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit eintreten (RV 134 BlgNr 19. GP 85; abgedruckt bei Teschner/Widlar, ASVG 1298/5 f).

Nach § 2 Abs 1 Z 3 GSVG waren (sind) auf Grund dieses Bundesgesetzes, soweit es sich um natürliche Personen handelt, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen unter anderem die zu Geschäftsführern bestellten Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sofern diese Gesellschaft Mitglied einer der Kammern der gewerblichen Wirtschaft ist und diese Personen nicht bereits aufgrund ihrer Beschäftigung als Geschäftsführer der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG unterliegen, pflichtversichert.

Dass der Kläger im hier maßgeblichen Zeitpunkt vom 23. 1. 1997 bis 30. 9. 1998 nach § 2 Abs 1 Z 3 GSVG in der Kranken- und in der Pensionsversicherung pflichtversichert war, ist unstrittig (zuletzt etwa ON 21, AS 137); strittig sind jedoch die Auswirkungen der Pflichtversicherung auf den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer.

Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung zu SSV-NF 2/4 ausgesprochen, dass die nach dem GSVG pflichtversicherten, zu Geschäftsführern bestellten Gesellschafter einer GmbH unabhängig vom Ausmaß ihrer tatsächlichen Beteiligung an der Geschäftsführung eine selbständige Erwerbstätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn ausüben. Selbständige Erwerbstätigkeit ist der Inbegriff der in persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit verrichteten Arbeitsleistungen, welche die Schaffung von Einkünften in Geld oder Güterform bezwecken, wobei es unter anderem nicht entscheidend ist, ob dieser Zweck regelmäßig erfüllt und in welchem Ausmaß er erreicht wird. Auch nach den Entscheidungen zu SSV-NF 3/1, 3/98, 8/53, 10/31 liegt eine selbständige Erwerbstätigkeit (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) jedenfalls dann vor, wenn der Versicherte etwa nach dem GSVG oder dem BSVG pflichtversichert ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass alle Personen, die auf Grund der näher umschriebenen Tatbestände (zB § 2 Abs 1 GSVG) pflichtversichert sind, zu den selbständig Erwerbstätigen gehören.

Die auf die Begründung dieser Entscheidungen nicht näher eingehenden, primär auf Überlegungen bloß grammatikalischer Interpretation beruhenden und den deklarierten Zweck des Strukturanpassungsgesetzes 1996 negierenden Revisionsausführungen sind nicht geeignet, den erkennenden Senat zu einem Abgehen von seiner vom Berufungsgericht beachteten bisherigen Rechtsprechung zu veranlassen. Der Revisionswerber übergeht insbesondere, dass nach § 253b Abs 1 Z 4 ASVG nur eine die Pflichtversicherung nicht begründende sonstige selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit unberücksichtigt bleibt, wenn aus dieser Erwerbstätigkeit ein Erwerbseinkommen bezogen wurde, das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen nicht übersteigt. Dies rechtfertigt den vom Berufungsgericht erkennbar gezogenen Umkehrschluss, dass eine die Pflichtversicherung nach dem GSVG begründende Pflichtversicherung selbst dann nicht unberücksichtigt bleiben kann, wenn aus der Erwerbstätigkeit kein Erwerbseinkommen bezogen wurde (SSV-NF 8/53, 10 ObS 65/00g).

Die Geschäftsführereigenschaft eines Gesellschafters einer GmbH stellt nur ein formelles Merkmal dar, das das Bestehen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG nach sich zieht. Diese Pflichtversicherung wird - im Gegensatz zum ASVG - unabhängig davon ausgelöst, ob die Tätigkeit des Geschäftsführers entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt wird und welche Vereinbarungen im Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer getroffen wurden (Teschner/Widlar, GSVG 26 mwN). Die Geschäftsführer einer GmbH haben im Innenverhältnis deren Geschäfte zu führen und im Außenverhältnis die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Als Organe und verantwortliche Leiter einer Kapitalgesellschaft, also einer juristischen Person, haben sie vielfältige Tätigkeiten auszuüben. Sie werden daher unter den im § 2 Abs 1 Z 3 GSVG genannten Voraussetzungen als in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätige hinsichtlich der Kranken- und der Pensionsversicherung in die Pflichtversicherung einbezogen (SSV-NF 8/53). Auf die Überlegungen des Revisionswerbers, er hätte sich während seiner Zeit als Geschäftsführer aufgrund interner - möglicherweise in Umgehung von Bestimmungen des GmbHG - getroffener Abreden jeglicher Tätigkeit enthalten, kommt es daher im vorliegenden Zusammenhang nicht an (vgl 10 ObS 47/99f). Die Wendung "Erwerbstätigkeit ausübt" in § 253b Abs 2 ASVG ist im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen und wird durch den Verweis auf Abs 1 Z 4 leg cit klar definiert, wo eben ua das Bestehen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG als ein solcher Fall zu verstehen ist.

Der erkennende Senat hat gegen die im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmung des § 253b Abs 1 Z 4 und Abs 2 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996 aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit keine Bedenken und sieht sich auch durch die Ausführungen der Revision zu keiner Antragstellung nach Art 89 B-VG beim Verfassungsgerichthof veranlasst (vgl SSV-NF 4/86, 8/53, 10/57). Bei seinen Überlegungen zum Gleichheitsgrundsatz übersieht der Revisionswerber, dass die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach allen Sozialversicherungsgesetzen wegfällt, wenn der Pensionist eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem jeweiligen Sozialversicherungsgesetz begründende Erwerbstätigkeit aufnimmt. Dass zB eine unselbständige Erwerbstätigkeit, auf Grund derer ein Erwerbseinkommen bezogen wird, das das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen nicht übersteigt, hiebei unberücksichtigt bleibt, hängt damit zusammen, dass Arbeitnehmer nach § 5 Abs 1 Z 2 ASVG hinsichtlich einer Beschäftigung, die nach Abs 2 leg cit als geringfügig anzusehen ist, von der Vollversicherung nach § 4 ASVG, insbesondere von der Pensionsversicherung, ausgenommen sind. Hingegen ist die Pflichtversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft und der in der Land- und Forstwirtschaft selbständig Erwerbstätigen in der Pensionsversicherung nach dem GSVG und dem BSVG davon unabhängig, ob ein die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs 2 lit c ASVG übersteigendes Einkommen bezogen wird (SSV-NF 8/53). Da der Schutz des Versicherten bei der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG früher einsetzt als bei der Alterspension nach § 253 ASVG, ist es auch gerechtfertigt, die Anforderungen schärfer zu fassen als beim normalen Versicherungsfall des Alters (RV 134 BlgNR 19. GP 85). Eine dieser strengeren Voraussetzungen ist der Wegfall der vorzeitigen Alterspension, wenn der Versicherte der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegt (vgl SSV-NF 4/86). Die hier anzuwendenden Gesetzesbegriffe sind entgegen der Auffassung des Revisionswerbers ausreichend bestimmt bzw bestimmbar.

Der Ansicht des Revisionswerbers, der Gesetzgeber hätte eine Ausnahmebestimmung für die Fälle vorsehen müssen, in denen eine Geschäftsführertätigkeit praktisch nicht stattfinde, ist entgegenzuhalten, dass sich der Gesetzgeber nur von Tatbeständen leiten lassen könne, die den im Gesetz vorgesehenen Modellen entspreche. Dass ein Geschäftsführer einer GmbH keinerlei Tätigkeit ausübt, entspricht nicht den vom Gesetz (vgl insbesondere §§ 18 ff GmbHG) vorgesehenen Aufgaben eines Geschäftsführers. Nach den Feststellungen war der Kläger als Geschäftsführer praktisch nur "Strohmann" für seinen Sohn, der zufolge von Vorstrafen diese Tätigkeit nicht ausüben konnte. Dass für solche in Umgehung des Gesetzes geschaffene Konstruktionen sozialversicherungsrechtlich keine Ausnahmen vorgesehen sind, kann eine Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht begründen.

Soweit der Revisionswerber eine Verfassungswidrigkeit der Regelung darin sieht, dass er durch seine Funktion als Geschäftsführer im Rahmen eines Pflichtversicherungsverhältnisses Beiträge zu leisten hatte, obwohl dadurch mit Sicherheit kein Leistungsanspruch erworben werden konnte, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage der Verpflichtung zu Beitragsleistungen im Rahmen eines diesbezüglichen Verwaltungsverfahrens zu prüfen gewesen wäre. Im vorliegenden Verfahren geht es nur um die Frage des Bestandes eines Pflichtversicherungsverhältnisses im fraglichen Zeitraum; davon, dass ein solches nach dem Gesetz vorlag, geht aber der Revisionswerber selbst aus.

§ 107 ASVG normiert, dass der Sozialversicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern hat, wenn der Zahlungsempfänger den Bezug durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgeblicher Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat oder wenn der Zahlungsempfänger erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührt. Die Verletzung von Meldevorschriften bildet daher einen eigenen Rückforderungstatbestand, dessen Verwirklichung den Versicherungsträger zur Rückforderung verpflichtet (SSV-NF 1/69). Von einer Verletzung der Meldepflicht ist hier auszugehen, weil feststeht, dass der Kläger bei Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension nicht nur ausführlich über die Meldepflicht und die Rückzahlungsverpflichtung, sondern auch darüber belehrt wurde, dass eine Pflichtversicherung nach dem GSVG zum Wegfall der Leistung auch dann führt, wenn aus der Erwerbstätigkeit kein Einkommen bezogen wird. Der Rückforderungsanspruch des Sozialversicherungsträgers gemäß § 107 ASVG besteht schon bei leichter fahrlässiger Verletzung der Meldevorschrift des § 40 ASVG (RIS-Justiz RS0083641).

Der Einwand des Revisionswerbers, er habe die Pensionszahlungen im guten Glauben verbraucht, ist auch nicht zielführend, weil die Grundsätze des Judikats 33 neu (SZ 11/86) im Zusammenhang mit der in mehreren Sozialversicherungsgesetzen ausdrücklich geregelten Rückforderung zu Unrecht erbrachter Geldleistungen (§ 107 ASVG, § 76 GSVG, § 72 BSVG, § 49 B-KUVG ua) keine Anwendung finden können. Hat ein Zahlungsempfänger einen im Gesetz vorgesehenen Rückforderungstatbestand verwirklicht, kann er sich nicht mehr auf Gutgläubigkeit berufen (SSV-NF 1/69, 5/102; 10 ObS 278/99a = RIS-Justiz RS0083623/T1; 10 ObS 234/00k).

Gemäß § 89 Abs 4 ASGG ist die Leistungsfrist für eine Rückersatzpflicht unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen. Dies hat schon das Erstgericht getan. Dass die Raten unbillig hoch seien, ist nicht ersichtlich. Eine gänzliche oder auch nur teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht wird durch diese Bestimmung entgegen den Vorstellungen des Revisionswerbers nicht ermöglicht; sie ist daher unzulässig (SSV-NF 5/64; Kuderna, ASGG2 545).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den Kläger nach Billigkeit sind nicht hervorgekommen.

Rechtssätze
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