JudikaturJustiz10Ob9/13s

10Ob9/13s – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Tarmann Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Sattler Schanda, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 34.249 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 25.124,50 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2012, GZ 1 R 186/12y-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. Juni 2012, GZ 26 Cg 83/11w-10, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Parteienbezeichnung der klagenden Partei wird von W***** GmbH auf W***** GmbH berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

I. Die Änderung der Firma der Klägerin ergibt sich aus dem Firmenbuch (FN ***** Handelsgericht Wien), weshalb die Parteienbezeichnung gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen richtigzustellen ist.

II. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Auslegung des § 40 Abs 2 Z 4 WElWG 2005 noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision jedoch entgegen dem (den Obersten Gerichtshof nicht bindenden [§ 508a Abs 1 ZPO]) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Klägerin Stromnetzbetreiberin in Wien ist, die Beklagte beabsichtigt, eine neue Filiale ihrer Supermarktkette auf einer Liegenschaft in Wien zu errichten, und auf der Nachbarliegenschaft, direkt an der Grundstücksgrenze (und zwar an der Front zur Straße) eine Transformatorstation liegt, die von der Klägerin betrieben wird. Ein kleiner Teil dieser Transformatorstation ragt über die Grundstücksgrenze in die Liegenschaft der Beklagten, der Großteil der Anlage befindet sich aber auf der Nachbarliegenschaft. Würde an die Transformatorstation eine Leitung zur Stromversorgung der Filiale der Beklagten angeschlossen, verliefe diese Leitung nur im Bereich der Transformatorstation selbst auf der Nachbarliegenschaft, und zwar ausschließlich im und unter dem Mauerwerk bzw in/unter der Transformatorstation. Die Transformatorstation ist verschlossen und für Dritte nicht zugänglich. Die Beklagte benötigt für ihre Filiale eine Stromleistung von 150 kW und beantragte bei der Klägerin einen Netzanschluss direkt an die Transformatorstation auf Netzebene 6, die Klägerin bot ihr aber nur einen Niederspannungshausanschluss an die Netzebene 7 an. Die Beklagte nahm dieses Angebot unter Beifügung des handschriftlichen Vermerks „Der Vorbehalt bezieht sich auf die Klärung bezüglich Nutzungsebene“ an. Die Klägerin legte kein Angebot für einen Anschluss auf Netzebene 6.

1.1. Über Streitschlichtungsantrag der Beklagten entschied die Regulierungskommission der Energie-Control Austria gegen die Klägerin als Antragsgegnerin mit dem hier bekämpften Bescheid vom 25. 7. 2011, R *****. Darin wurde ua festgestellt, das die Antragsgegnerin (= Klägerin) verpflichtet sei, (ab der [zukünftigen] Inbetriebnahme der Netznutzung an diesem Standort) die Differenz zwischen dem Systemnutzungsentgelt auf Ebene 7 und dem fiktiven Entgelt für die Ebene 6 an die Antragstellerin (= Beklagte) zu bezahlen, weil die Netzbereitstellung auf Ebene 6 zu erfolgen habe.

1.2. Wie die Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, zieht die Revision die grundsätzliche Verpflichtung der Netzbetreiberin, ihre Netzkundin mit über 100 kW Leistungsbedarf an die Netzebene 6, also direkt an die Umspannanlage anzuschließen (vgl § 3 Z 15 SNE VO; zuvor: § 7 Z 16 SNT-VO]), im Ergebnis zu Recht nicht (mehr) in Zweifel: Wenn der Endverbraucher über die Leitung und den Anschluss der Leitung bis zur Transformatorstation verfügungsberechtigt ist, kommt er nämlich nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in den Genuss der Netzebene 6 (RIS-Justiz RS0122549).

1.3. Daher stützt sich die Rechtsmittelwerberin ebenfalls allein auf die Ausnahmebestimmung des § 40 Abs 2 Z 4 WElWG 2005, welche dem Rechtsanspruch der Beklagten auf Anschluss auf Netzebene 6 entgegenstehe, weil „der Teil der Anschlussanlage, der sich zwischen der Grundstücksgrenze und dem Anschlusspunkt in der Trafostation befunden hätte, nicht auf einem im physischen Besitz der Beklagten stehenden Grundstück“ errichtet worden wäre (Seite 3 der Revision).

2. Dem ist zu erwidern:

Rechtliche Beurteilung

2.1. Nach dem klaren Wortlaut des mit LGBl 10/2008 neu eingeführten § 40 Abs 2 Z 4 WElWG 2005 besteht die allgemeine Anschlusspflicht dann nicht, „ wenn dem Anschluss schwerwiegende sicherheitstechnische Bedenken entgegenstehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die kundenseitigen Teile der Anschlussanlage zumindest teilweise auf oder in einem nicht im physischen Besitz des jeweiligen Kunden stehenden Grundstück errichtet werden soll [...] “.

2.2. Sowohl aus der Wortfolge „ schwerwiegende sicherheitstechnische Bedenken “ als auch aus dem Inhalt der Erläuternden Bemerkungen zu LGBl 10/2008 (Seite 17 f) ergibt sich, dass mit dieser Bestimmung dem Netzbetreiber unbekannte Privatleitungen auf öffentlichem oder fremdem Grund vermieden werden sollen, die insbesondere dann, wenn sie über mehrere Liegenschaften oder öffentliches Gut gehen, als Sicherheitsrisiko verstanden werden, weil Netzbetreiber in Gefahrensituationen (uU) eine Freischaltung des Objekts nicht mehr gewährleisten können.

3. Im konkreten (Einzel-)Fall hätte sich der auf fremdem Grund verlegte Leitungsteil jedoch zur Gänze im oder unter dem Transformator und somit im ausschließlichen Einflussbereich der Klägerin befunden. Daher ist nicht einzusehen, weshalb dieser Fall höhere Sicherheitsrisken begründen sollte als jener, in dem sich der Transformator auf dem selben Gelände wie das zu versorgende Objekt befindet: In beiden Fällen ist nämlich jeder Zugriff eines Dritten ausgeschlossen, weil kein Teil der Leitung auf frei zugänglichem fremdem Grund verlegt wird. Im Ergebnis vermag die Revision daher nicht aufzuzeigen, weshalb die Verneinung der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 40 Abs 2 Z 4 WElWG 2005 eine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende (vgl dazu RIS-Justiz RS0042405 [T12, T23]) Fehlbeurteilung, also eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage darstellen sollte:

3.1. Ist doch nach den in dritter Instanz nicht mehr angreifbaren Feststellungen davon auszugehen, dass der vorliegende Fall von besonderen, durch die Lage der Transformatorstation gekennzeichneten, konkreten Umständen abhängt. Danach grenzt die Anlage zum einen direkt an die zu versorgende Liegenschaft an (ragt sogar etwas in sie hinein); zum anderen kann die Leitung aus baulichen Gründen nicht direkt und ausschließlich über eigenen Grund zum Anschluss (in der Trafostation) geführt werden. Das Rechtsproblem kann daher wenn überhaupt nur sehr wenige vergleichbare Fälle betreffen. Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs jedoch in der Regel aus (RIS-Justiz RS0042405 [T1 bis T3; T6; T10; T22; T28]). Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO liegt daher schon wegen dieser Einzelfallbezogenheit nicht vor (vgl 10 Ob 37/13h).

4. Das gilt auch für die Frage, ob der gesamte Spruch der Streitschlichtungsentscheidung R ***** der Regulierungskommission der Energie-Control Austria mit einer anderen Formulierung zu fassen gewesen wäre, weil auch dies eine Einzelfallbeurteilung darstellt, der keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt. Wie die Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, hat der Oberste Gerichtshof im gleichgelagerten Verfahren der Beklagten 1 Ob 21/10k die außerordentliche Revision eines anderen Netzbetreibers gegen die Abweisung seiner Feststellungsklage gegen eine mit Bescheid der Energie-Control Kommission vom 20. 6. 2006 bejahte, völlig vergleichbare Verpflichtung (der Beklagten jenen Betrag zu bezahlen, der sich aus der Differenz zwischen dem für den Verbrauchsstandort … „tatsächlich zu bezahlenden Systemnutzungsentgelt auf Netzebene 7 und dem fiktiven Systemnutzungsentgelt auf Netzebene 6 ergibt“) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Zum angeblich mangelnden Verschulden der Klägerin, weil sie mit der Auslegung des § 40 Abs 2 Z 4 WElWG durch die Gerichte insbesondere, dass hier keinerlei Sicherheitsbedenken bestünden nicht habe rechnen müssen, ist darauf zu verweisen, dass sich das Berufungsgericht auch mit dieser Frage bereits befasst hat (Seite 16 f der Berufungsentscheidung). Da die Revision nicht aufzuzeigen vermag, weshalb insoweit eine gravierende, vom Obersten Gerichtshof auch im vorliegenden Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegen sollte, erweist sich das Rechtsmittel auch diesbezüglich als unzulässig (RIS-Justiz RS0110837 [T2]; vgl 1 Ob 146/12w, 1 Ob 61/13x und 1 Ob 232/12t mwN [zur Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement, die sich im Einzelfall nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO entzieht, wenn keine gravierende Fehlbeurteilung in der Einstufung einer Rechtsansicht als vertretbar etwa durch die Instanzen im Amtshaftungsverfahren erfolgt]).

5.1. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin nicht hingewiesen.

Rechtssätze
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