JudikaturJustiz10Ob41/21h

10Ob41/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber, und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei (nun) Sv* *, R*, 8* L* (zuvor: H* Ltd, *), vertreten durch die Leitner Hirth Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenientinnen auf Seiten der beklagten Partei 1. W*, vertreten durch Mag. Margit Sagel, Rechtsanwältin in Wien, 2. Y*, vertreten durch Dr. Peter Karlberger und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 74.191,58 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 5. November 2021, GZ 1 R 99/21t 71, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 17. Mai 2021, GZ 24 Cg 44/17d 66, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Parteibezeichnung der klagenden Partei auf „Sv* S*, R*, 8* L*“ berichtigt wird.

Im Übrigen, also im Umfang der Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens und der Zurückweisung der Klage, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.848,64 EUR (darin 808,11 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin ist eine zu FN * eingetragene Zweigniederlassung der am 12. Jänner 2006 (zunächst unter einer anderen Firma) nach dem Recht von England und Wales gegründeten H* Ltd, einer private limited company mit Sitz in *, W*, Vereinigtes Königreich, eingetragen im Companies Registry Cardiff zu Nr *. Shareholder bzw Gesellschafterinnen waren zunächst zu gleichen Teilen A* S*, deren Adresse mit D*, 8* L* (Steiermark), angeführt war, sowie Sa* S* R*, 8* L* (Steiermark). Director bzw Geschäftsführerin war Sa* S*. Als „Registered Office“ war eine Adresse im Vereinigten Königreich angeführt.

[2] Nach mehreren Wechseln der Geschäftsführung und der Beteiligungsverhältnisse ist seit 2015 A* S* Geschäftsführerin. Sv* S*, deren Adresse im Handelsregister des Vereinigten Königreichs mit R*, 8* L* (Steiermark) angeführt ist, ist Alleingesellschafterin der H* Ltd. Unstrittig hat die Klägerin unter der Adresse R*, 8* L* (Steiermark) auch ihren Verwaltungssitz. Kein Geschäftsführer oder Gesellschafter hatte je seinen Sitz am (Gründungs )Sitz der Klägerin in W* im Vereinigten Königreich.

[3] Im Verfahren begehrt die Klägerin mit ihrer am 13. 11. 2017 eingebrachten Klage 74.191,58 EUR sA an ausstehendem Werklohn für von ihr erbrachte Werkleistungen.

[4] Am 22. Februar 2021 (ON 69) beantragte die Beklagte die Zurückweisung der Klage, weil die Klägerin aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ihre Rechtsfähigkeit und somit ihre Parteifähigkeit verloren habe.

[5] In ihrer Stellungnahme vom 8. März 2021 (ON 62) beantragte die Klägerin zunächst, ihre Bezeichnung auf H* GesbR zu berichtigen. Mit Folgeeingabe vom 26. März 2021 (ON 65) beantragte sie sodann, die Parteibezeichnung in „H* GmbH, nach dem Brexit Begleitgesetz 2019 seit dem 1. Jänner 2021 die H* GesbR, diese vertreten durch die Mehrheitsgesellschafterin Frau Sv* S* sohin nunmehr Frau Sv* S* als klagende Partei“ zu berichtigen.

[6] Das Erstgericht wies den Antrag auf Berichtigung der Parteibezeichnung ab (1.) und die Klage unter Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens zurück (2.). Seine Entscheidung begründete es nach ausführlicher Auseinandersetzung mit dem Schrifttum zusammengefasst damit, dass sich die Klägerin nach Ablauf des in Art 126 und 127 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl 2019/C 384 I/1; künftig kurz: Austrittsabkommen) vorgesehenen Übergangszeitraums bis 31. Dezember 2020 nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit der Art 49 und 54 AEUV stützen könne. Für Fälle wie den vorliegenden, in denen sich der tatsächliche Verwaltungssitz einer Gesellschaft mit Satzungssitz in einem nicht unter die Niederlassungsfreiheit fallenden Staat entweder bereits ab Gründung in Österreich befunden habe oder später nach Österreich verlegt worden sei, würden unterschiedliche Rechtsfolgen vertreten: Nach der Sitztheorie liege ein rechtliches Nullum vor; teils werde eine Umwandlung in eine Art Abwicklungsgesellschaft oder eine Gesellschaft sui generis vertreten. Nach der vorherrschenden modifizierten Sitztheorie werde die ausländische Gesellschaft in eine Personengesellschaft inländischen Rechts, hier in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GesbR), umqualifiziert, womit analog § 142 UGB auch ein Übergang des Vermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge verbunden sei. Träfe die letztgenannte Ansicht zu, wäre die Parteibezeichnung nach § 235 Abs 5 ZPO auf den Namen der Rechtsnachfolgerin richtigzustellen. Dem stünde jedoch die höchstgerichtliche Judikatur entgegen, wonach eine solche Gesellschaft in Österreich niemals Rechts und Parteifähigkeit erlangt habe und die daraus resultierende Nichtigkeit auch nicht sanierbar sei. Zwar solle sich eine beklagte Gesellschaft bzw sollen sich die dahinter stehenden oder für sie handelnden Personen durch eine Sitzverlegung nicht ihrer Haftungen und der Möglichkeit ihrer Durchsetzung entledigen können. Diese Überlegungen würden jedoch nur bei Passivprozessen schlagend, beim vorliegenden Aktivprozess hingegen in den Hintergrund treten. Der Klägerin sei im Hinblick auf die Übergangsfrist bis 31. Dezember 2020 auch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, um rechtzeitig die für eine (weitere) Durchsetzung ihrer Ansprüche notwendigen Schritte zu setzen. Entsprechend der bisherigen Judikatur sei daher das bisherige Verfahren mangels Parteifähigkeit der Klägerin als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen. Die angestrebte Berichtigung der Parteienbezeichnung scheide aus.

[7] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und verwies auf die Ausführungen des Erstgerichts. Ergänzend führte es aus, dass die Klägerin bewusst als Kapitalgesellschaft gegründet worden sei, weshalb eine analoge Anwendung des die Abwicklung (nur) von Personengesellschaften regelnden § 142 UGB nicht in Frage komme. Unter diesem Gesichtspunkt wäre daher der Liquidationstheorie der Vorzug zu geben. Die Berichtigung auf eine GmbH in Liquidation scheitere aber am Fehlen eines Notariatsakts und des Mindestkapitals; eine GesbR in Liquidation oder eine Vor (gründungs )gesellschaft seien wiederum nicht selbständig rechtsfähig. Damit spreche zwar nichts dagegen, die Außenhaftung der Gesellschafter und ihr Verhältnis untereinander weiter nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Die Annahme des Fortbestands der Gesellschaft als selbständige Rechtspersönlichkeit scheide dagegen aus. Das entspreche auch Art 14 des Brexit Begleitgesetzes (BreBeG 2019, BGBl I 2019/25), in dem gerade keine Rechtsnachfolge oder eine Abwicklung, sondern nur eine Übergangsfrist angeordnet worden sei. Mit deren Ablauf sei die Klägerin daher ein rechtliches „nullum“, ohne dass es zu einer Gesamtrechtsnachfolge oder zu einem Liquidationsstadium gekommen sei.

[8] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Auswirkungen des „BREXIT“ auf nach englischem Recht gegründete Limiteds mit Verwaltungssitz in Österreich fehle.

[9] In ihrem Revisionsrekurs beantragt die Klägerin, die Rekursentscheidung dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichts behoben wird.

[10] Die Beklagte und die Erstnebenintervenientin beantragen in ihren Rechtsmittelgegenschriften jeweils, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt .

[12] In ihrem Revisionsrekurs vertritt die Klägerin zusammengefasst die Ansicht, weiterhin (als Liquidationsgesellschaft) rechtlich existent zu sein, sodass ihr auch nach dem Brexit Parteifähigkeit zukomme. Damit ist sie im Ergebnis im Recht.

[13] 1. Auch die Klägerin akzeptiert, dass sie sich nach Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Weder das – nicht wirksam gewordene – BreBeG 2019 (BGBl Ⅰ 2019/25) noch das Austrittsabkommen noch das zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich (vorläufig) abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen (ABl 2021 L 149/10) bietet eine Grundlage dafür, dass nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründete Gesellschaften bzw Limiteds weiterhin in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen (9 Ob 74/21d [Rz 20–26]). Die Rechts und Handlungsfähigkeit der Klägerin ist somit ausschließlich nach §§ 10, 12 IPRG zu beurteilen.

[14] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner ebenfalls die Streitteile betreffenden Entscheidung vom 27. Jänner 2022 zu 9 Ob 74/21d, der sich der Senat anschließt, die Parteifähigkeit der (auch dort) Klägerin mit eingehender Begründung bejaht.

[15] Er ist nach ausführlicher Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansichten zum Ergebnis gekommen, dass eine Limited, die bisher nach unionsrechtlichen Vorgaben als eigenständiger Rechtsträger anzuerkennen war, deren Anerkennungsgrundlage durch den BREXIT aber weggefallen ist, nach österreichischem Gesellschafterstatut nunmehr als Gesellschaft bürgerlichen Rechts anzusehen ist. Im Fall eines Alleingesellschafters ist von der Zuordnung an ihn als Einzelunternehmer auszugehen (§ 142 UGB analog), wenn der Sitz ihrer Verwaltungstätigkeit ein Inlandssitz ist.

3. Daraus folgt für den Anlassfall

[16] 3.1. Bei Untergang einer juristischen Person mit Gesamtrechtsnachfolge sind anhängige Verfahren mit dem Universalsukzessor fortzusetzen; dieser tritt auch in die Prozessverhältnisse ein ( Fink in Fasching/Konecny 3 II/3 § 155 ZPO Rz 8 mwN). Da nach den voranstehenden Erwägungen von einer Gesamtrechtsnachfolge der Alleingesellschafterin in ihrer nunmehrigen Eigenschaft als Einzelunternehmerin auszugehen ist, ist Sv* S* auf Klagsseite in das Prozessverhältnis eingetreten. Die – grundsätzlich auch für den Fall des Untergangs einer juristischen Person geltende Unterbrechung nach § 155 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0036806) – ist dabei im Hinblick auf die gegebene Vertretung der Klägerin nicht eingetreten.

[17] 3.2. Bei Vollbeendigung einer juristischen Person mit Gesamtrechtsnachfolge wird die Parteibezeichnung auf den (oder die) Gesamtrechtsnachfolger umgestellt ( Fink in Fasching/Konecny 3 II/33 § 155 Rz 8 mwN). Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, entspricht es auch der Rechtsprechung, dass bei Gesamtrechtsnachfolge des Übernehmers im Wege der Anwachsung (§ 142 UGB) die Parteibezeichnung auf den Namen der Rechtsnachfolgerin richtigzustellen ist (RS0039306; vgl auch RS0022184 zur Berichtigung der Parteibezeichnung auf die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts).

[18] 3.3. Im vorliegenden Fall ist daher die Klage nicht (wegen mangelnder Parteifähigkeit) zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären, sondern eine Berichtigung der Parteienbezeichnung der (vormaligen) Klägerin auf ihre Alleingesellschafterin vorzunehmen. Dass die Klägerin eine andere Parteienbezeichnung anstrebt, steht dem nicht entgegen, weil die Berichtigung auch amtswegig zu erfolgen hat.

[19] 4. Im Ergebnis erweist sich die Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens und die Zurückweisung der Klage als verfehlt. Vielmehr ist die Parteienbezeichnung wie aus dem Spruch ersichtlich zu berichtigen. Das Verfahren wird mit der Alleingesellschafterin als Gesamtrechtsnachfolgerin der (ursprünglichen) Klägerin fortzusetzen sein.

[20] 5. Die Kostenentscheidung des Zwischenstreits über die Parteifähigkeit (vgl 10 Ob 6/19h; RS0035423 [T15]) gründet sich auf die §§ 41, 52 Abs 1 Satz 3 iVm § 50 ZPO. In der Replik vom 8. März 2021 (ON 62) wurde auch zur Sache vorgetragen, sodass sie im weiteren Verfahren verwertet werden kann. Das ergänzende Vorbringen in der Mitteilung vom 26. März 2021 (ON 65) hätte die Klägerin schon in der Replik von 8. März 2021 erstatten können. Ersatzfähig sind daher nur die Kosten des Rechtsmittelverfahrens. Der Zuschlag nach § 23a RATG beträgt jeweils nur 2,10 EUR (RS0126594); Pauschalgebühren waren weder im Rekurs noch im Revisionsrekursverfahren zu entrichten (vgl OGH 14. 10. 2020, 2 Ob 64/20f; Anm 1 und 1a je zu TP2 und TP3 GGG).

Rechtssätze
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