JudikaturJustiz10Nc20/15w

10Nc20/15w – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. September 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Univ. Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm, Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Atzl Dillersberger Bronauer in Kufstein, gegen die beklagten Parteien 1. T*****, vertreten durch Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in Wien, und 2. Mag. H*****, Rechtsanwalt, *****, als Insolvenzverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen der C*****, wegen 16.333,74 EUR sA, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Bezirksgericht Kufstein wird die Erledigung des Rechtshilfeersuchens des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. März 2015, GZ 11 Cg 48/13d 34, in Bezug auf die Zeugen K***** und Mag. M***** aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit der am 13. Juni 2013 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebrachten Klage nahm die klagende Partei die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand auf Zahlung von Werklohn und vorprozessualer Kosten in Höhe von insgesamt 18.207,23 EUR sA in Anspruch. Mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 (ON 6) wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die Klage hinsichtlich eines Teilbetrags von 1.873,48 EUR an vorprozessualen Kosten zurück (über die daraus begehrten 4 % Zinsen ab 30. April 2013 wurde nicht explizit entschieden) und erließ am selben Tag hinsichtlich des restlichen Betrags von 16.333,74 EUR samt 4 % Zinsen ab 8. Februar 2013 einen Zahlungsbefehl (ON 7), gegen den die beiden Beklagten Einspruch erhoben (ON 8).

Nachdem der in der Tagsatzung vom 14. März 2014 geschlossene bedingte Vergleich (ON 14) von den Beklagten widerrufen worden war (ON 15) und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eine Tagsatzung für 2. Juli 2014 anberaumt hatte (ON 16), stellte die klagende Partei am 13. Mai 2014 den Antrag, die Zeugen A*****, K***** und Mag. M***** im Rechtshilfeweg durch das Bezirksgericht Kufstein vernehmen zu lassen; der Zeuge A***** habe seinen Wohnsitz in Mittersill, doch sei seine Zureise zum Bezirksgericht Kufstein einfacher als vor das erkennende Gericht (ON 19). Der vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien aufgetragene Kostenvorschuss von 350 EUR für die Kosten der Anreise des Zeugen A***** wurde von der klagenden Partei am 14. Mai 2014 erlegt (ON 20). In der Tagsatzung vom 2. Juli 2014 regte der Klagevertreter die Einvernahme der drei Zeugen im Rechtshilfeweg an. Die Tagsatzung wurde zum Zweck der zwischenzeitigen Einvernahme der drei Zeugen im Rechtshilfeweg auf unbestimmte Zeit erstreckt (ON 22).

Am 3. November 2014 sprach das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien aus, dass das Verfahren über die Klage hinsichtlich der zweitbeklagten Partei unterbrochen sei, weil über deren Vermögen am 17. September 2014 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet worden sei (ON 31). Der Akt wurde „kalendiert“; weitere Schritte wurden vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien vorerst nicht gesetzt.

Am 27. Jänner 2015 stellte die klagende Partei den Antrag, möglichst unverzüglich eine weitere Tagsatzung anzuberaumen; in der Zwischenzeit seien mehr als sechs Monate vergangen und es sei kein Grund ersichtlich, warum das Verfahren nicht fortgesetzt werde (ON 33).

Daraufhin sprach das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 26. März 2015 aus, dass das Verfahren durch Zeugeneinvernahmen im Rechtshilfeweg „fortgesetzt“ werde. Der Akt wurde dem Bezirksgericht Kufstein mit dem Ersuchen übersandt, A*****, K***** und Mag. M***** als Zeugen zu vernehmen, wobei mehrere zu stellende Fragen angeführt wurden (ON 34).

Das Bezirksgericht Kufstein retournierte den Akt am 9. April 2015 mit dem Hinweis auf § 277 ZPO; dabei handle es sich nach Ansicht des ersuchten Gerichts um eine zwingende Bestimmung und es sei nicht dargetan worden, wieso die gewünschte Vorgehensweise zweckmäßiger sei oder erforderlich sein sollte (ON 37).

Am 16. April 2015 (ON 35) stellte die erstbeklagte Partei den Antrag, die Zeugen in Form einer Videokonferenz einzuvernehmen, und verwies auf das in der Tagsatzung vom 2. Juli 2014 erstattete Vorbringen, wonach aufgrund der schwierigen Beweisthematik eine unmittelbare Einvernahme der Zeugen vor dem erkennenden Gericht erforderlich sein werde, um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, die Glaubwürdigkeit der beantragten Zeugen unmittelbar und umfassend zu beurteilen.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien übermittelte den Akt am 30. April 2015 neuerlich dem Bezirksgericht Kufstein: Zwar sehe § 277 ZPO vor, dass eine Videoeinvernahme primär zum Einsatz kommen solle, es sei denn die Einvernahme durch einen ersuchten Richter sei unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie zweckmäßiger, „wie beispielsweise bei einem leichter vor dem ersuchten Richter zu koordinierenden Termin“ (ON 38).

Daraufhin lehnte das Bezirksgericht Kufstein das Rechtshilfeersuchen mit Beschluss vom 7. Mai 2015, AZ 8 Hc 88/15s, ab (ON 39). Inwiefern ein Termin beim ersuchten Richter leichter zu koordinieren und damit unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie zweckmäßiger sein solle als die Einvernahme der beantragten Zeugen durch das erkennende Gericht per Videokonferenz sei nicht ersichtlich. Der Zeuge A***** sei gar nicht im Sprengel des ersuchten Gerichts wohnhaft, weshalb dieses nach § 37 Abs 3 JN örtlich unzuständig sei. Weiters sei von Parteienseite ausdrücklich die Einvernahme per Videokonferenz beantragt worden.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien legte am 21. August 2015 den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Rechtshilfe in Bezug auf die Zeugen K***** und Mag. M***** vor. Die vom Beweisführer ausdrücklich beantragte Vernehmung dieser Zeugen im Rechtshilfeweg erscheine auch im Lichte des § 277 ZPO zweckmäßig, weil die Anreise dieser Zeugen nach Wien unverhältnismäßige Kosten verursachen würde und der anwaltliche Vertreter des Beweisführers in Kufstein ansässig sei. Über die Vernehmung des in Mittersill (Sprengel des Bezirksgerichts Zell am See) wohnhaften Zeugen A***** werde gesondert entschieden werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Verweigerung der Rechtshilfe ist nicht berechtigt.

Für Streitigkeiten zwischen einem ersuchenden und einem ersuchten Gericht über die Verweigerung der Rechtshilfe ist ein gerichtliches Verfahren nicht ausdrücklich vorgesehen. Da es sich aber bei der Gewährung von Rechtshilfe um einen Akt der Gerichtsbarkeit handelt, ist zur Entscheidung über derartige Streitigkeiten in analoger Anwendung des § 47 Abs 1 JN das beiden Gerichten zunächst übergeordnete Gericht berufen (RIS Justiz RS0046197).

Im vorliegenden Fall geht es entsprechend der Äußerung des ersuchenden Gerichts in der Vorlage an den Obersten Gerichtshof nur mehr um die angestrebte Vernehmung der Zeugen K***** und Mag. M***** im Rechtshilfweg.

Das Rechtshilfegericht darf ein Rechtshilfeersuchen gemäß § 37 Abs 3 JN nur ablehnen, wenn es dazu örtlich unzuständig ist. Darüber hinaus ist der Rechtshilferichter nach der Rechtsprechung auch berechtigt, die Unzulässigkeit des Rechtswegs für die begehrte Rechtshilfehandlung sowie deren Unerlaubtheit und deren Unbestimmtheit zu beachten; die Prüfung der Zweckmäßigkeit oder der prozessualen Richtigkeit des Rechtshilfeersuchens ist dem ersuchten Gericht jedoch verwehrt (RIS Justiz RS0046235; RS0129151). Auch dann, wenn für die Zweckmäßigkeit der Rechtshilfe die Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung eine Rolle spielt und strittig ist, ob der gesetzliche Tatbestand im konkreten Fall erfüllt ist, kann der ersuchte Richter das Ersuchen nicht ablehnen (RIS Justiz RS0040587). Dies gilt auch für die Frage, ob das ersuchende Gericht unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie die Einvernahme durch den ersuchten Richter oder jene im Wege einer Videokonferenz gemäß § 277 ZPO für zweckmäßiger oder aus besonderen Gründen für erforderlich erachtet (vgl 2 Nc 8/13v; 6 Nc 21/13k; RIS Justiz RS0129151); die Beurteilung dieser Frage liegt grundsätzlich im Ermessensspielraum des ersuchenden Gerichts im Rahmen der Verfahrensleitung.

Dem ersuchten Gericht ist zuzugestehen, dass das ersuchende Gericht keine „besonderen Gründe“ dafür anzugeben vermag, warum die Zeugen nicht per Videokonferenz einvernommen werden sollen. Die in der Vorlage angeführten Zureisekosten nach Wien fallen naturgemäß bei einer Videokonferenz nicht an. § 277 ZPO verpflichtet das Gericht grundsätzlich dazu, eine Videokonferenz durchzuführen, wenn die Voraussetzungen für die Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg vorliegen. Aus Sicht der Verfahrenskonzentration erscheint unter den gegebenen Umständen die Einvernahme im Rechtshilfeweg unzweckmäßig; sie trägt auch dem Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht Rechnung.

Im Hinblick auf die angeführte Rechtsprechung, wonach die Beurteilung der Frage, ob die Einvernahme durch einen ersuchten Richter unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie zweckmäßiger oder aus besonderen Gründen erforderlich ist, grundsätzlich im Ermessensspielraum des ersuchenden Gerichts im Rahmen der Verfahrensleitung liegt, hat jedoch das für die Vornahme der Rechtshilfe in Bezug auf die Zeugen K***** und Mag. M***** örtlich zuständige Bezirksgericht Kufstein dem Rechtshilfeersuchen zu entsprechen.

Rechtssätze
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