JudikaturBVwG

W275 2306722-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
08. September 2025

Spruch

W275 2306722-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Stella VAN AKEN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.01.2025, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 30.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei zu seinen Fluchtgründen an, Angehöriger eines Minderheitenclans zu sein und von Angehörigen des Clans der XXXX diskriminiert worden zu sein; darüber hinaus habe ein Angehöriger dieses Clans seine Frau zwei Mal vergewaltigt und sein Vater sei von den Clanangehörigen getötet worden.

Am 27.12.2024 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Im Rahmen dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er in Somalia Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe. Weiters führte er aus, dass seine Frau von sechs Regierungsmitgliedern wiederholt vergewaltigt und sein Vater von diesen Männern umgebracht worden sei.

Mit oben genanntem Bescheid vom 04.01.2025 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 25.07.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger von Somalia; seine Identität steht nicht fest. Er ist verheiratet und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer gehört dem Clan der Ashraf, Sub-Clan XXXX , an und bekennt sich zur Religionsgemeinschaft des Islam. Seine Erstsprache ist Somali, er beherrscht diese in Wort und Schrift.

Der Beschwerdeführer ist in XXXX Region Lower Shabelle (Somalia), geboren und mit seiner Schwester bei seinen Eltern aufgewachsen. In Somalia besuchte er etwa vier Jahre die Schule und arbeitete als Fischer.

Der Beschwerdeführer stellte am 30.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.01.2025 wurde ihm in Österreich subsidiärer Schutz in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war bzw. ist in Somalia keiner individuellen (asylrelevanten) Bedrohung bzw. Verfolgung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit oder durch Al Shabaab bzw. Regierungskräfte ausgesetzt.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht konkret vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Somalia (Version 8, Stand 07.08.2025):

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 10.1.2025). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert:

Somaliland kontrolliert die von ihm beanspruchten Kerngebiete, nicht aber alle offiziell beanspruchten Gebiete (in Sool und Sanaag), die teilweise von Clans, teilweise von Separatisten des SSC-Khatumo und in kleinen Teilen von Puntland kontrolliert werden;

In Puntland wird die Kontrolle geringer Teilgebiete von al Shabaab und vom sogenannten Islamischen Staat in Somalia beeinflusst, während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat;

In Süd-/Zentralsomalia wiederum ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 2.7.2025; vgl. PGN 19.6.2025).

Hargeysa, Berbera, Burco und Garoowe sind sichere Städte. Mit kleineren Einschränkungen gilt dies auch für Baidoa, Belet Weyne, Bossaso, Dhusamareb, Galkacyo, Jowhar und Kismayo (BMLV 2.7.2025; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

EUAA hat Daten von ACLED ausgewertet und berichtet, dass im Zeitraum von zwei Jahren (April 2023-März 2025) in ganz Somalia 5.944 sicherheitsrelevante Zwischenfälle dokumentiert worden sind. Dabei handelte es sich bei 3.759 um Kampfhandlungen, bei 1.479 um Explosionen oder Angriffe aus der Ferne [remote Violence] und bei 706 um gezielte Gewalt gegen Zivilisten [Violence against Civilians]; insgesamt wird angemerkt, dass jeder einzelne Zwischenfall für Zivilisten ein potenzielles Risiko darstellt, auch wenn die Gewalt nicht direkt gegen Zivilisten gerichtet ist. Auf Basis dieser Daten beläuft sich im genannten Zeitraum die durchschnittliche Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen in ganz Somalia auf ca. 8,1 pro Tag (EUAA 5.2025).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Die Sicherheitslage bleibt fragil (AA 25.4.2025). Weiterhin fordert der Konflikt Opfer, es kommt zu willkürlichen Tötungen, Vertreibungen und anderen Kriegsverbrechen durch alle Konfliktbeteiligten. Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB Nairobi 10.2024), das deutsche Auswärtige Amt von gewaltsamen Auseinandersetzungen (AA 25.4.2025). Die Bundesregierung hat es auch nach wie vor nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (BMLV 2.7.2025). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Um eine fragile Sicherheit gewährleisten zu können, ist sie auf AUSSOM, auf lokale somalische Akteure (Regionalverwaltungen, Bundesstaaten, Clans) aber auch auf die Unterstützung anderer Staaten angewiesen (BMLV 2.7.2025; vgl. AA 25.4.2025; BS 2024). Andererseits leben und arbeiten in Somalia laut einer Quelle mehr als 60.000 Gastarbeiter aus Kenia und Uganda (TEA/Barigaba 28.4.2024).

Die Aktivitäten der islamistischen Terrororganisation al Shabaab prägen das Land. Die Gruppe hält primär ländliche Gebiete in Süd-/Zentralsomalia und stellt weiterhin die größte Bedrohung für die Sicherheit in Somalia dar. Von der Regierung kontrollierte Gebiete - inklusive Mogadischu - werden häufig Schauplatz terroristischer Anschläge seitens al Shabaab. Ziel sind primär Regierungsvertreter, Sicherheitskräfte, AUSSOM und ausländische Vertreter. Die innenpolitischen Zwistigkeiten drohen, der Gruppe weitere Räume zu öffnen (AA 25.4.2025; vgl. BMLV 2.7.2025). Weite Teile des Hinterlandes verbleiben unter Kontrolle der dschihadistischen al Shabaab. Weitere Teile werden von Clanmilizen oder Bundesstaaten kontrolliert, die nicht mit der Bundesregierung kooperieren (BS 2024).

In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS/AUSSOM und al Shabaab (AA 23.6.2025). V. a. in den Bundesstaaten Galmudug, HirShabelle, SWS und Jubaland kommt es regelmäßig zu Kampfhandlungen (AA 25.4.2025; vgl. BMLV 2.7.2025). Gegenwärtig am meisten betroffen ist der Bundesstaat HirShabelle. Al Shabaab konzentriert ihre Kräfte mit Stand Juni 2025 auf die in Richtung Westen drückende Front in HirShabelle. Dementsprechend wenig tut sich in anderen Bereichen. So gibt es etwa in Mudug kaum noch Kampfhandlungen. Mitte Juni 2025 hat sich abgezeichnet, dass al Shabaab das hohe Tempo nicht unbegrenzt durchhalten konnte. Die Gruppe muss mit den eigenen Kräften haushalten - zumal bei al Shabaab kaum Truppenrotationen stattfinden und die Gruppe - punktuell auch schwere - Verluste erlitten hat. Diese gehen aber nicht an die Substanz, und al Shabaab kann den Druck aufrechterhalten. Allerdings geht die Bereitschaft für größere Gefechte zurück (BMLV/STDOK 6.6.2025).

Generell sind jene großen Städte (Bezirks- und Bundesstaatshauptstädte), die nicht im unmittelbaren Schwerpunkt der Kampfhandlungen liegen, nicht von einer Eroberung durch al Shabaab bedroht. Andererseits sind aufgrund der Unklarheit hinsichtlich der Finanzierung von AUSSOM und insbesondere hinsichtlich des Abzugs des burundischen Kontingents z. B. zur Sicherheit von wichtigen Städten wie Jowhar, Balcad und Cadale kaum klare Aussagen möglich (BMLV/STDOK 6.6.2025). Vereinzelt kommt es seitens al Shabaab zu Angriffen mit Artillerie. So etwa am 27.2.2025 bei einem Raketenangriff oder am 19.3.2025 beim Mörserbeschuss auf den Flughafen von Mogadischu (UNSC 28.3.2025).

Schutztruppe der Afrikanischen Union (AUSSOM) als relevanter Faktor: AUSSOM (African Union Support and Stabilization Mission in Somalia) ist der Nachfolger der Mission ATMIS. Die neue Mission trat ihren Dienst offiziell zu Beginn des Jahres 2025 an. Allerdings fanden an diesem Tag keine größeren Truppen- oder Ausrüstungsbewegungen statt, denn die Vorgängermission ATMIS ging im Wesentlichen in AUSSOM über. Von 2023 bis Ende 2024 hat ATMIS insgesamt 21 Stützpunkte an somalische Kräfte übergeben und drei weitere geschlossen. Bei der Übergabe an AUSSOM verfügte ATMIS aber immer noch über etwa 50 Stützpunkte in Somalia (PGN 19.6.2025). Als die Truppen von ATMIS reduziert wurden, begann ein Erstarken von al Shabaab. Von den 21 ATMIS-Stützpunkten, die an Regierungskräfte übergeben worden sind, befinden sich heute mindestens vier unter der Kontrolle von al Shabaab (PGN 19.6.2025). Im aktuellen Zustand ist AUSSOM zudem kein tragfähiger Ersatz für ATMIS. Die Truppen sind in Unordnung, die Truppenstärke reicht nicht aus. Zudem fehlt nach wie vor die Finanzierung (Sahan/SWT 12.3.2025).

Die Bundesarmee hat zwar ab Jänner 2023 12.000 neue Soldaten in Dienst bestellt, davon ist aber nur noch die Hälfte einsatzbereit. Alleine im Zeitraum Jänner 2023 bis April 2024 musste die Bundesarmee 4.600 Gefallene verzeichnen. Die Armee ist ausgeblutet, die Spezialeinheit Gorgor ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Alleine beim Angriff der al Shabaab auf das Lager Osweyne hat sich eine ganze Brigade aufgelöst. Von 2.400 Mann sind dort 800 gefallen, viele weitere wurden verwundet oder sind desertiert. Auch die Darawish von Galmudug sind stark dezimiert worden. Insgesamt wird attestiert, dass die Bundesarmee nicht mehr handlungsfähig ist. Seit Ende 2023 sind auch keine Bemühungen bekannt, Lücken durch neue Rekrutierungen zu füllen. Lediglich für Gorgor werden neue Soldaten ausgebildet. Gleichzeitig ist die "Volksmobilisierung" über die Macawiisley zum Erliegen gekommen. Somalia ist nach Angaben einer Quelle Lichtjahre davon entfernt, Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen zu können. Neben der fehlenden Truppenstärke stellt auch die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente etc.) ein Problem dar (BMLV 2.7.2025). Die Soldaten der Bundesarmee sind schwer demoralisiert und wenig kampfbereit; Hunderte sind desertiert (STDOK/BMLV 10.4.2025; vgl. Sahan/SWT 26.3.2025). Die Bundesregierung hat im März 2025 deshalb mitunter Polizisten und Gefängniswärter an die Front schicken müssen (Sahan/SWT 17.3.2025), von denen unmittelbar nach Eintreffen bereits Dutzende desertiert sind (BMLV 2.7.2025).

Folglich ist AUSSOM maßgeblich an der Kontrolle des Territoriums beteiligt. V. a. in städtischen Gebieten fungieren die Soldaten als Haltetruppe und sind für die Sicherheit der somalischen Führung und der Wirtschaftsquellen des Landes, einschließlich Häfen und Flughäfen, maßgeblich verantwortlich (BMLV 2.7.2025; vgl. ACAPS 17.8.2023).

Nach Angaben einer Quelle könnte der Fall, dass Mogadischu eingenommen und die Bundesregierung vertrieben wird, nur bei völligem Wegfall jeglicher externen Unterstützung eintreten. Mit Unterstützung durch AUSSOM sowie durch andere externe Partner (Türkei, UN, EU etc.) wird demnach das Halten von Mogadischu möglich sein bzw. ist al Shabaab der zu zahlende Blutzoll zu hoch (BMLV 2.7.2025). Trotzdem verdeutlicht die Einnahme von Adan Yabaal, Aboorey und anderen wichtigen Orten durch al Shabaab die weiterhin wachsende Bedrohung für die somalische Hauptstadt (Sahan/SWT 16.4.2025).

Eine andere Quelle erklärt, dass auch andere größere Städte - z. B. Mogadischu, Kismayo, Baidoa - aufgrund der dort gegebenen Massierung an Mannschaften und Gerät nicht von al Shabaab eingenommen werden können (Sahan/SWT 6.3.2024). Für Baidoa ergänzt eine andere Quelle, dass die äthiopischen Truppen dort den Unterschied ausmachen. - Ohne ihre Präsenz würde die Stadt demnach verloren gehen. Kismayo hingegen wird von eigenen jubaländischen Kräften gesichert, ein Abzug der kenianischen Truppen vor Ort würde keinen relevanten Unterschied machen (BMLV 2.7.2025).

Al Shabaab verwendet gewalttätige, extremistische Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Die Gruppe bedient sich neben politischen und kriminellen Mitteln (wie Einschüchterung, Erpressung etc.) zur Kontrolle der Bevölkerung im militärischen Bereich zur Erreichung der Ziele der gesamten Bandbreite der asymmetrischen Kriegsführung. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte Hit-and-Run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des "teile und herrsche"; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z. B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere - sogenannte "komplexe" - Angriffe durchzuführen. Dabei verfolgt al Shabaab insgesamt eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus (BMLV 2.7.2025).

Jüngere Vergangenheit: In den vergangenen Jahren wurden Offensiven gegen al Shabaab durchgeführt, die sich zunächst aus militärischer Sicht als erfolgreich erwiesen haben (Sahan/SWT 4.8.2023). Im Jahr 2022 erklärte die Bundesregierung al Shabaab den „totalen Krieg“ (Horn/A.J. Mohamed 15.5.2025). Im Zuge der folgenden Offensive gelang es der Regierung, unter Einbeziehung lokaler Clanmilizen al Shabaab aus weiten Teilen HirShabelles und Galmudugs zurückzudrängen (AA 25.4.2025; vgl. Horn/A.J. Mohamed 15.5.2025). An der Spitze des Kampfes standen die Macawiisley-Milizen (Economist 3.11.2022; vgl. Sahan/SWT 4.8.2023, ICG 21.3.2023). Diese lokalen Milizen werden von den Vereinten Nationen "Community Defence Forces" genannt (UNSC 15.6.2023). Al Shabaab verlor damals die Kontrolle über mehrere strategisch wichtige Städte wie die Hafenstadt Xaradheere, Ceel Dheere und Adan Yabaal (BBC 15.6.2023; vgl. ICG 21.3.2023). Spätestens ab Mitte 2024 gingen einige Orte und Gebiete wieder an al Shabaab verloren (UNSC 28.10.2024; vgl. AA 25.4.2025), weil die Bundesregierung unfähig war, in den befreiten Gebieten auch nur grundlegende staatliche Aufgaben wahrzunehmen (AA 25.4.2025; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; ) bzw. die befreiten Gebiete wirksam zu stabilisieren (Sahan/SWT 4.8.2023). Die Rückschläge sind auch auf einen Mangel an Truppen zurückzuführen (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BMLV 7.8.2024). Zudem kam es zu logistischen Problemen, einem Mangel an Ressourcen und einem Aufbrechen von Clankonflikten (HIPS 7.5.2024). Das Versäumnis, gespaltene Gemeinschaften zu versöhnen, hat zudem dazu geführt, dass auch in Absenz von al Shabaab neue Konflikte entstehen konnten (Sahan/SWT 4.8.2023).

Aktueller Trend: Im März und April 2024 scheiterte ein letzter Versuch der Bundesregierung, eine neue Offensive voranzutreiben. Letztendlich gibt es keine Kräfte mehr, welche nun eine neue Offensive führen könnten. Das Momentum liegt bei al Shabaab, die Bundesregierung befindet sich in der Defensive (BMLV 2.7.2025). Die Gruppe hat viele der von der Bundesregierung seit August 2022 erzielten Erfolge wieder zunichtegemacht (VOA/Babb 18.6.2024; vgl. PGN 19.6.2025). Während der Gebietsgewinn in HirShabelle nachhaltiger ist, wurde das in Galmudug gewonnene Gelände nahezu gänzlich wieder verloren. Al Shabaab konnte mehr als die Hälfte des verlorenen Gebietes wieder besetzen (BMLV 2.7.2025). Ende Feber 2025 hat al Shabaab eine erfolgreiche Gegenoffensive eröffnet. V. a. in Middle Shabelle ist es der Gruppe gelungen, strategisch wichtige Ortschaften und auch die Stadt Adan Yabaal einzunehmen (BAMF 3.3.2025; vgl. SG/WP 28.5.2025; Weiss/FDD 3.3.2025). Al Shabaab hat Schwachstellen gezielt ausgenutzt, schwach besetzte Stützpunkte erobert und große Mengen an Waffen und Munition erbeutet (BAMF 3.3.2025; vgl. BMLV 2.7.2025), auch wenn Regierungskräfte und Macawiisley einige Gebiete halten konnten (Weiss/FDD 3.3.2025). Bei Auseinandersetzungen sind in den ersten drei Monaten 2025 fünf Mal mehr Tote zu beklagen, als dies im gesamten Jahr 2024 der Fall war. Die Kampfhandlungen in Middle Shabelle haben sich fast verdoppelt (CT/Karr/Tyson/Ford/Banane 20.3.2025). Anfang Juli 2025 hat al Shabaab schließlich noch die wichtige Stadt Moqokori in Hiiraan einnehmen können (CT/Karr/Tesfaye/AEI 10.7.2025).

Al Shabaab hat in Zentralsomalia also große Fortschritte erzielt - insbesondere in HirShabelle. Diese ermöglichen es der Gruppe nun auch, die wichtige Route von Mogadischu nach Zentralsomalia zu bedrohen (CT/Tyson/Ford/Karr/AEI 1.5.2025; vgl. PGN 19.6.2025). Auch im Umland von Mogadischu, in Lower Shabelle, konnte al Shabaab einzelne Ortschaften erobern, die für die Regierungskräfte von entscheidender Bedeutung sind, um die Hauptstadt vor in Fahrzeugen montierten Sprengsätzen zu schützen (CT/Tyson/Ford/Karr/AEI 1.5.2025). Unter den eroberten Ortschaften finden sich Aw Dheegle, Bariire, Sabiid und Anoole (Horn/A.J. Mohamed 15.5.2025). Al Shabaab kontrolliert nun drei der vier wichtigsten Shabelle-Brücken der Region - alle, mit Ausnahme von Afgooye (Sahan/SWT 26.3.2025). Allerdings wurde Sabiid später von Regierungsseite wieder zurückerobert, allerdings hat al Shabaab die Brücke dort und auch jene in Bariire zerstört. Nun kontrolliert die Gruppe noch die Brücke in Aw Dheegle (BMLV 2.7.2025).

Die Erfolge in Süd-/Zentralsomalia werden es al Shabaab ermöglichen, den wirtschaftlichen und militärischen Druck auf Mogadischu zu erhöhen und so die Bundesregierung zu destabilisieren und ihre Legitimität zu untergraben (CT/Tyson/Ford/Karr/AEI 1.5.2025; vgl. Horn/A.J. Mohamed 15.5.2025). Zwei Quellen gehen davon aus, dass al Shabaab in näherer Zukunft keine Offensive auf Mogadischu starten wird, um die Macht zu übernehmen (CT/Tyson/Ford/Karr/AEI 1.5.2025; vgl. BMLV 2.7.2025). Andere Quellen waren im April 2025 zumindest besorgt, dass al Shabaab weiter in Richtung Mogadischu vorrücken könnte (SG 8.4.2025; vgl. Sweet/Toth/The Hill 1.4.2025). Eine weitere Quelle erklärt, dass die Gruppe Mogadischu nicht einnehmen, dass sie aber im Umland ihre Angriffe erhöhen wird (Sahan/SWT 7.4.2025).

Den mit der Bundesregierung verbündeten Kräften ist es immerhin gelungen, sich entlang des Küstenstreifens von Middle Shabelle und im Kernland der Macawiisley im Ost-Hiiraan zu behaupten. Die Frontlinien bei Jubaland, Galmudug sowie Bay und Bakool blieben größtenteils unberührt (PGN 19.6.2025). Critical Threats zeigt auf einer Lagekarte die Erfolge von al Shabaab in Hiiraan, Galgaduud und Middle Shabelle (Stand April 2025):

Al Shabaab hat trotz der nominell hohen Verluste, die der Gruppe durch Luftangriffe und Gefechte zugefügt worden sind, keinen Mangel an Kämpfern (BMLV 2.7.2025). Laut zweier Quellen ist al Shabaab heute stärker als vor der Regierungsoffensive 2022/23 (BMLV 2.7.2025; vgl. Sahan/SWT 10.2.2025). Die Gruppe hat sich zusätzliche Waffen gesichert und massiv rekrutiert (Sahan/SWT 10.2.2025). Das sogenannte "Hafenabkommen" zwischen Äthiopien und Somaliland hat ihr viele neue Rekruten gebracht (VOA/Babb 18.6.2024). Während eines Großteils der Trump-Jahre konnten Kämpfer der al Shabaab aufgrund der Intensität der Luftangriffe nicht in Konvois reisen (Sahan/SWT 2.8.2023). Heute ist besorgniserregend, wie leicht sich die Gruppe in weiten Teilen Somalias bewegen kann. Al Shabaab ist nun wieder in der Lage, Hunderte Kräfte zu konzentrieren, um Stützpunkte der Bundesarmee oder ihrer Verbündeten zu vernichten (BMLV 2.7.2025).

Al Shabaab greift weiterhin regierungsnahe Kräfte und Ziele sowie Zivilisten im ganzen Land an. Die Gruppe übt Druck auf Zivilisten aus, ihre extremistische Ideologie zu unterstützen (USDOS 26.6.2024). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen sowie Sicherheitskräfte und deren unmittelbare Umgebung. Auch der Flughafenbereich in Mogadischu ist betroffen (AA 23.6.2025). Selbst auf den Konvoi des Präsidenten wurde im März 2025 ein Attentat verübt (SG/WP 28.5.2025; vgl. HO 18.3.2025). Es ist nicht gelungen, Angriffe von al Shabaab auf Militärstützpunkte einzudämmen. Die Gruppe ist auch immer noch in der Lage, Angriffe in Mogadischu, gegen Stützpunkte von AUSSOM und über die Grenzen der AUSSOM-Truppenstellerstaaten Äthiopien und Kenia hinweg zu verüben. In Zentralsomalia hält sich al Shabaab weiterhin im freien Gelände zwischen den Ortschaften auf und greift bei jeder Gelegenheit die Orte selbst bzw. die Bewegungen zwischen den Ortschaften an. Neu ist, dass al Shabaab nunmehr auch gezielt Ortschaften angreift, um diese einzunehmen. In den vergangenen Jahren war dies nicht der Fall. Nun aber kämpft die Gruppe hartnäckig und teils über Tage hinweg, um Orte entweder zu verteidigen oder einzunehmen. Dabei geht es um zwei Ziele: das Gelände an und für sich; und die Abnutzung des Gegners (BMLV 2.7.2025). In Städten sowie entlang von Hauptversorgungsrouten und Nebenstraßen setzt die Gruppe improvisierte Sprengsätze ein. Diese bieten ihr eine kostengünstige und hochwirksame Möglichkeit, um Regierungstruppen und deren Alliierte zu töten und zu verstümmeln. Zusätzlich stört die Gefahr von Sprengsätzen Truppenbewegungen (Sahan/SWT 19.6.2024).

Die Beziehungen der Bundesregierung zu manchen im Kampf gegen al Shabaab erfolgreichen Clans (v. a. die Hawadle) haben sich aufgrund politischer Verwerfungen abgekühlt (ACLED 15.9.2023). Gleichzeitig zwingt die Unfähigkeit der Regierung lokale Clans zu Friedensabkommen mit al Shabaab, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten (BMLV 2.7.2025; vgl. HI 4.2023; ACLED 15.9.2023). Bereits Ende Dezember 2022 wurde mit Teilen der Saleban ein neues Abkommen geschlossen (ICG 21.3.2023). Gleichzeitig schürt al Shabaab unter den Clans Angst, dass fremde Clanmilizen über sie herzufallen drohen. Diese Propaganda dient auch als Rekrutierungsmittel, z. B. bei den Murusade in Zentralsomalia (BMLV 2.7.2025).

Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde in der Vergangenheit erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB Nairobi 10.2024). Während ATMIS bzw. AUSSOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (USDOS 26.6.2024; vgl. BS 2024; ÖB Nairobi 10.2024). Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen (USDOS 26.6.2024). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 23.6.2025). In Baidoa und Jowhar hat die Bundesregierung stärkeren Einfluss. Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben (BMLV 2.7.2025).

Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten, und der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "Urban Island Scenario" besteht also weiterhin. Das heißt, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AUSSOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind. Als "Inseln" zu bezeichnen sind hingegen z. B. Xudur, Waajid, Diinsoor, Wanla Weyne und Baraawe (BMLV 2.7.2025). Dabei operiert al Shabaab v. a. aus dem ländlichen Raum heraus, übt aber auch auf Städte und Gebiete, die nicht direkt von der Gruppe kontrolliert werden, erheblichen Einfluss aus (BS 2024). In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt - sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen - versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen (BMLV 2.7.2025; vgl. AQ21 11.2023).

Wie auf der Karte von PGN im Kapitel Sicherheitslage ersichtlich, befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:

1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;

2. Jamaame und ein großes Gebiet um Badhaade in Lower Juba;

3. Gebiete um Ceel Cadde und von Qws Qurun östlich in der Region Gedo;

4. Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

6. Gebiete rechts und links der Grenzen von Bay mit Bakool bzw. Bakool und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7. Rab Dhuure und das Gebiet östlich davon in Bakool;

8. das nördliche Viertel von Middle Shabelle mit der Stadt Adan Yabaal;

9. die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur;

10. und ein kleiner Teil im südlichen Mudug (PGN 19.6.2025).

Generell kann aber kein Gebiet in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden. Insbesondere durch die Infiltration mittels verdeckter Akteure kann die Gruppe nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Immer wieder gelingt es al Shabaab, Orte oder Stützpunkte einzunehmen (BMLV 2.7.2025). Al Shabaab hat sich fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. Das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, ist mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden (ÖB Nairobi 10.2024).

Andere Akteure: Kämpfe zwischen Clans und Subclans sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. Sahan/SWT 11.7.2024). Die Vereinten Nationen berichten in diesem Zusammenhang von Vorfällen in Middle Shabelle, Galgaduud, Mudug und Gedo. Derartige Clankonflikte führen immer wieder zu zivilen Opfern (UNSC 28.3.2025). Ausgelöst werden sie oftmals von Streitigkeiten um Land und andere Ressourcen (UNSC 28.3.2025; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; Sahan/SWT 11.7.2024). Da der Klimawandel den Druck auf Viehzüchter und Bauern in ganz Somalia erhöht, werden einst relativ fruchtbare Gebiete zu Schauplätzen zunehmender Auseinandersetzungen zwischen benachbarten Clans (Sahan/SWT 11.7.2024). Auch Rachemorde und Machtkämpfe können Clankonflikte fördern (UNSC 28.3.2025), können wirtschaftliche oder politische Streitigkeiten schnell zu gewaltsamen Auseinandersetzungen eskalieren (Sahan/SWT 11.7.2024).

Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen einzelner (Sub-)Clans untereinander (AA 23.6.2025; vgl. BS 2024) sowie zwischen Clanmilizen und Sicherheitskräften (BMLV 2.7.2025; vgl. BS 2024). EUAA schätzt auf Basis von Daten von ACLED die Zahl an Milizen von Clans und Subclans im ganzen Land auf "mehr als hundert" (EUAA 5.2025). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 20.3.2023). Insgesamt sind sich Experten einig, dass das Ausmaß an Clankonflikten, Rivalitäten und Feindseligkeiten in den letzten zwei Jahren landesweit erheblich zugenommen hat (EUAA 5.2025; vgl. BMLV 2.7.2025).

Die Offensive in Zentralsomalia - und auch die Verwendung von Clanmilizen ("Community Defence Forces") gegen al Shabaab - hat Clanrivalitäten teils verstärkt (BS 2024; vgl. UNGA 23.8.2024; HIPS 7.5.2024). Die Abhängigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte von Clanmilizen birgt erhebliche Risiken. Es gibt tiefe Spaltungen zwischen Clans, und Bündnisse mit bestimmten Clans können andere entfremden. Manche haben sich entsprechend mit al Shabaab verbündet (BS 2024). Al Shabaab wiederum schürt die Gewalt zwischen den Clans (Sahan/SWT 10.2.2025; vgl. BMLV 4.7.2024).

Insgesamt infolge der Offensive in Zentralsomalia ein Klima der Straflosigkeit entstanden: Clans, die Rechnungen begleichen wollen, müssen keinen Widerstand von staatlicher Seite erwarten – weder von der Bundesarmee noch von den Darawish (Kräfte der Bundesstaaten), die entweder gebunden oder aber nicht existent sind. Neben der Ablenkung durch den Kampf gegen al Shabaab lähmen auch die Wiederwahlambitionen diverser Präsidenten der Bundesstaaten und die Schwäche der Regionalkräfte die Kapazitäten und Handlungsmöglichkeiten der Verwaltungen hinsichtlich von Clankonflikten. Ein anderer Grund für das Anwachsen von Clankonflikten ist es, dass sich die politische Elite um den Bundespräsidenten kaum mit Clankonflikten auseinandersetzt. Dies bewirkt ein Klima des „Jeder-für-sich-selbst“. Clankonflikte gab es in jüngerer Vergangenheit z. B. in Qoryooley zwischen den Digil-Clans Jidde und Garre; im Raum Dhusamareb zwischen den Hawiye-Clans Habr Gedir und Duduble; in Mudug zwischen den Hawiye / Sa’ad und Darod / Leelkase; oder in Middle Shabelle zwischen den Hawiye-Clans Abgaal und Hawadle (BMLV 2.7.2025).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 25.4.2025). Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub ("Carjacking"), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor (AA 23.6.2025). Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2017 befinden sich mehr als 1,1 Millionen Handfeuerwaffen in Privatbesitz. Nur ein Bruchteil davon ist registriert (Sahan/SWT 4.12.2023). Eine Quelle berichtet, dass fast jeder Haushalt zur Selbstverteidigung bewaffnet ist (Sahan/Petrovski 24.5.2024).

Sogenannter Islamischer Staat in Somalia (ISS): Die Vereinten Nationen rechnen dem ISS im Zeitraum September 2024 bis März 2025 insgesamt vier zivile Opfer zu (UNSC 28.3.2025). ACLED verzeichnet in seiner Datenbank im Jahr 2024 vier gewaltsame Vorfälle in Zusammenhang mit dem ISS, davon drei in Puntland und einen in Mogadischu (ACLED 10.1.2025).

Durch Konflikte Vertriebene: Im Jahr 2025 sind laut Daten des UNHCR bis inklusive Mai in ganz Somalia insgesamt 166.000 Menschen vertrieben worden, davon 89.000 (54 %) aufgrund von Konflikt und Unsicherheit. Im Gesamtjahr 2024 waren es insgesamt 547.000 bzw. 290.000 (53 %). Durch den Vergleich der Zahlen der Jahre 2024 und 2025 (Jänner-Mai) von Personen, welche wegen des Konfliktes und der Unsicherheit geflüchtet sind, werden auch das Verschieben der Front bzw. die Hotspots deutlich (Vergleichszahlen in Klammer: Gesamtjahr 2024): Middle Shabelle 34.000 (10.000), Bari 16.000 (null), Lower Shabelle 12.000 (24.000), Gedo 4.000 (87.000), Middle Juba 3.000 (24.000), Hiiraan 3.000 (6.000), Bakool 2.000 (13.000), Bay 1.000 (22.000), Mudug 500 (29.000), Galgaduud 200 (4.000), Lower Juba null (34.000); in den Regionen Benadir und Nugaal gab es 2025 noch keine wegen Konflikt Vertriebenen (UNHCR 2025).

Zivile Opfer: Eine Quelle berichtet für den Zeitraum Jänner-September 2024, dass al Shabaab für 560 von 854 (66 %) getöteten oder verletzten Zivilisten verantwortlich war (AI 29.4.2025). Der UN-Sicherheitsrat gibt die Verantwortung von al Shabaab für zivile Opfer im Zeitraum September 2024 bis März 2025 mit 50 % an. An zweiter Stelle folgen Unbekannte (24 %), Clanmilizen (18 %), staatliche Sicherheitskräfte (7 %) und der ISS (1 %) (UNSC 28.3.2025). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (BMLV 7.8.2024). So hat al Shabaab mitunter in Gemeinden, die Widerstand geleistet hatten, Brunnen zerstört oder Stammesälteste hinrichtet (Sahan/SWT 10.2.2025).

Zwar richten sich Angriffe von al Shabaab üblicherweise gegen Personengruppen, die von der Gruppe als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten (BMLV 7.8.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Al Shabaab greift i. d. R. Zivilisten, die sich nicht auf die eine oder andere Weise exponieren, nicht spezifisch an (BMLV 2.7.2025). Auch mit Sprengstoffanschlägen greift die Gruppe meist nicht mutwillig Zivilisten an und verwendet diese Taktik - im Vergleich zu anderen Terrorgruppen - gezielter. Dennoch wählt sie in regelmäßigen Abständen Ziele aus, bei denen der Gruppe bewusst ist, dass viele Zivilisten Kollateralschäden erleiden werden - etwa bei Angriffen auf Hotels, Kaffee- oder Teehäuser, Restaurants oder belebte Straßenkreuzungen (FDD/Roggio 11.10.2023; vgl. Sahan/SWT 7.8.2024). Unklar ist, ob auch der Anschlag am Lido Beach in Mogadischu am 2.8.2024 für diese Kategorie gewertet werden kann. Bei diesem komplexen Anschlag wurden mehr als 40 Personen getötet und Hunderte weitere verletzt - nahezu allesamt Zivilisten (Sahan/SWT 7.8.2024; vgl. UNSC 28.10.2024). Eine Quelle berichtet in diesem Zusammenhang aber davon, dass Selbstmordattentäter ihre Sprengsätze eben absichtlich in großen Menschenmengen zünden, unter welchen sie Soldaten oder Regierungsbedienstete vermuten (Sahan/SWT 7.8.2024).

Für Zivilisten besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023; vgl. BMLV 7.8.2024; FIS 7.8.2020b, S. 24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (BMLV 7.8.2024; vgl. LIFOS 3.7.2019, S. 25; FIS 7.8.2020b, S. 24). So hat Mogadischu über die Jahre Dutzende Arbeiter der Straßenreinigung verloren, die durch versteckte Sprengsätze getötet wurden, welche entlang von Straßen im dahinter liegenden Müll platziert waren (AJ 21.7.2022). Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt auch Zivilisten an. Die Intention ist es demnach, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann (ACCORD 31.5.2021, S. 10ff). Denn ein Ziel von al Shabaab ist es, Angst zu verbreiten (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Zivilisten werden in allen Lebensbereichen in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit versetzt, und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (ACCORD 31.5.2021, S. 27).

EUAA hat Daten von ACLED ausgewertet und berichtet, dass im Zeitraum von zwei Jahren (April 2023-März 2025) in ganz Somalia 5.944 sicherheitsrelevante Zwischenfälle dokumentiert worden sind. Dabei handelte es sich bei 3.759 um Kampfhandlungen, bei 1.479 um Explosionen oder Angriffe aus der Ferne [remote Violence] und bei 706 um gezielte Gewalt gegen Zivilisten [Violence against Civilians]; insgesamt wird angemerkt, dass jeder einzelne Zwischenfall für Zivilisten ein potenzielles Risiko darstellt, auch wenn die Gewalt nicht direkt gegen Zivilisten gerichtet ist. Auf Basis dieser Daten beläuft sich im genannten Zeitraum die durchschnittliche Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen in ganz Somalia auf ca. 8,1 pro Tag (EUAA 5.2025).

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer allerdings unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulichte dies im Jahr 2021 mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote (454) als im Jahr 2019 (1.140). Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von ATMIS bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28 % der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es 20 % (Sahan/Bryden 6.4.2021).

Die letzte halbwegs glaubwürdige Volkszählung wurde im Jahr 1975 durchgeführt - auch diese mit signifikanten Einschränkungen (Sahan/SWT 10.5.2023). Neueste Schätzungen gehen von 18,7 Millionen (FSNAU/IPC 23.9.2024a), andere von rund 17 Millionen Einwohnern aus (WFP 26.9.2024; vgl. IPC 13.12.2022). Bei Herannahme von 17 Millionen Einwohnern lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:20.962 [Anm.: Berechnung auf Basis der in vorgenannten Quellen angegebenen Zahlen] (UNSC 28.3.2025). Das Heranziehen anderer Daten vervielfacht hingegen die Wahrscheinlichkeit: EUAA hat für den Zeitraum April 2023-März 2025 Daten der International NGO Safety Organisation (INSO) ausgewertet. Diese hat 6.861 sicherheitsrelevante Zwischenfälle gezählt. Die Zahl von dabei betroffenen Zivilisten, die getötet, verletzt, entführt oder verhaftet worden sind, wird mit 6.170 angegeben. Darauf basierend lässt sich als Jahresdurchschnitt berechnen, dass die Wahrscheinlichkeit, von einem Vorfall betroffen zu sein, bei einer Einwohnerzahl von 17 Millionen bei 1:5.511 liegt (EUAA 5.2025).

Luftangriffe: Die Zahl an Luftangriffen hat 2025 massiv zugenommen (PGN 19.6.2025; vgl. Sahan/SWT 19.3.2025). Während im Jahr 2023 121 und im Jahr 2024 79 Luftangriffe gezählt worden sind, waren es alleine in den ersten fünf Monaten des Jahres 2025 schon 200 an der Zahl. Davon haben die USA - nach eigenen Angaben - 25 durchgeführt. Mindestens 40 werden den Vereinten Arabischen Emiraten zugerechnet, die Puntland im Kampf gegen den ISS unterstützen. Den großen Rest an Luftangriffen im Jahr 2025 haben einer Quelle zufolge vermutlich in Somalia stationierte türkische Drohnen durchgeführt (PGN 19.6.2025). Kenia und Äthiopien führen sporadisch ebenfalls Luftschläge durch (PGN 19.6.2025; vgl. GN 6.3.2025; EUAA 5.2025), auch AUSSOM verfügt über entsprechende Kapazitäten (EUAA 5.2025). Im Zeitraum September bis Dezember 2024 galten laut Angaben einer Quelle 12 Luftschläge der al Shabaab, im Zeitraum Jänner bis April 2025 waren es 76 (CT/Tyson/Ford/Karr/AEI 1.5.2025).

South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle)

Ein großer Teil des SWS verbleibt direkt oder indirekt unter der Kontrolle von al Shabaab (PGN 19.6.2025; vgl. Bradford/ACSS 31.3.2025). Die Gruppe kontrolliert vier komplette Bezirke (ca. ein Drittel des Territoriums) und hat darüber hinaus Einfluss auf die ländlichen Gebiete sowie entlang der Hauptverbindungsrouten Mogadischu-Baidoa-Luuq und Mogadischu-Afgooye-Baraawe. Die Regierung hingegen kontrolliert mehrere Ballungszentren, oft jedoch nicht das dazwischenliegende Gebiet. Dies erschwert den Zugang und die Bewegungsfreiheit zwischen diesen und schränkt den Einfluss der Regierung ein (Bradford/ACSS 31.3.2025). In den größeren von der Regierung kontrollierten Städten besteht eine grundlegende Verwaltung. Es gibt Bürgermeister, eine lokale Rechtsprechung und Ordnungskräfte. Die Regierung konnte mit internationaler Unterstützung ihre eigene, lokal rekrutierte Armee, die South West State Special Police Force (SWSSPF), weiter ausbauen. Diese wird von Äthiopien versorgt. Hauptträger des Kampfes in Bay ist mittlerweile die Bundesarmee (BMLV 2.7.2025).

Allerdings ist insbesondere der SWS vollständig von den äthiopischen Truppen abhängig (Sahan/SWT 3.6.2024). Bilaterale äthiopische Truppen verstärken gegenwärtig nicht nur das AUSSOM-Kontingent in Baidoa, sie sind auch in einigen Orten in Bakool stationiert und stellen dort meist die einzig vorhandenen Sicherheitskräfte (BMLV 2.7.2025; vgl. UNGA 23.8.2024).

Für Offizielle erfolgt sicheres Reisen über den Luftweg; "normale" Bürger nutzen hingegen vorrangig den Landweg, z. B. zwischen Baidoa und Mogadischu (BMLV 2.7.2025). Da der SWS maßgeblich von den Häfen Kismayo und Mogadischu abhängig ist, müssen Güter teils durch von al Shabaab kontrolliertes Gebiet transportiert werden (HIPS 8.2.2022).

Al Shabaab bleibt in der Lage, die somalische Armee und ATMIS im Gebiet anzugreifen. Nach wie vor mangelt es den Regierungskräften an Kapazitäten, um erobertes Gebiet auch zu halten. Kleinere Siedlungen wechseln immer wieder die Kontrolle (BMLV 2.7.2025). Der Hotspot an Angriffen und Gegenangriffen nordwestlich von Baidoa besteht auch weiterhin (BMLV/STDOK 6.6.2025), auch wenn sich das Schwergewicht der Kämpfe an der äußeren Peripherie Baidoas zuletzt vom Nordwesten auf den Osten und Südosten verschoben hat (BMLV 2.7.2025). Im April 2025 hat al Shabaab die Blockade mehrerer Städte im SWS aufgehoben - namentlich jene von Xudur, Qansax Dheere, Waajid und Diinsoor (PGN 19.6.2025; vgl. ICG 5.2025). Einige dieser Blockaden waren über ein Jahrzehnt aufrechterhalten worden (ICG 5.2025). Insgesamt ist die Zahl an Angriffen in Bay und Bakool deutlich zurückgegangen – nicht zuletzt auch deshalb, weil al Shabaab mit Stand Juni 2025 das Angriffsschwergewicht in HirShabelle hat (BMLV/STDOK 6.6.2025).

In der Vergangenheit hat al Shabaab beim Widerstand lokaler Clanmilizen und wo es kaum Schutz durch Sicherheitskräfte gegeben hat, mitunter Älteste entführt und ganze Dörfer vertrieben - etwa bei den Rahanweyn / Leysan in Bay und Bakool oder bei Hawiye / Galja'el in Lower Shabelle. Nun hat es schon seit mehr als einem Jahr keine derartigen Meldungen gegeben (BMLV 2.7.2025).

Im Jahr 2024 sind mehrere Clankonflikte aufgeflammt bzw. eskaliert, namentlich in den Bezirken Buur Hakaba, Diinsoor, Baraawe, Wanla Weyne und Qoryooley. Die Verwaltung des Bundesstaates hat angeboten, bei der Lösung der Konflikte zu helfen (HO 19.4.2024). Insgesamt waren alleine in den ersten Monaten des Jahres 2024 in acht von 18 Bezirken des SWS Zusammenstöße unterschiedlicher Clanmilizen, regionaler Sicherheitskräfte und Kräften des Bundes zu verzeichnen. Im Jänner und Feber 2024 kam es zu Gewalt innerhalb von Clans oder zwischen Clans in Ceel Barde, Berdale und Qansax Dheere, im März dann in Diinsoor, Buur Hakaba, Wanla Weyne, Qoryooley und Baraawe. Manche Konflikte entstehen um die Kontrolle der Verwaltung eines Bezirks, andere über Ressourcen, wieder andere bestehen seit langen Jahren (Sahan/SWT 15.4.2024).

Lower Shabelle: Die Bevölkerungsstruktur ist äußerst vielfältig und komplex und umfasst eine große Anzahl an Subclans der Digil-Mirifle, Dir / Biyomaal im Gebiet von und um Merka sowie zahlreiche Hawiye-Clans im Osten der Region (EUAA 5.2025).

Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS, Kurtunwaarey und Sablaale werden von al Shabaab kontrolliert. Dies gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle bzw. des ländlichen Raumes (PGN 19.6.2025; vgl. BMLV 2.7.2025). EUAA fasst mehrere Quellen zusammen und berichtet, dass in der Region folgende Einheiten der Bundesarmee eingesetzt werden: 7. Brigade der 60. Division, 83. Brigade, 143. Brigade (EUAA 5.2025). Eine andere Quelle berichtigt: Demnach handelt es sich bei "83." und "143." um Bataillone der 14.-Oktober-Brigade, welche wiederum der 12.-April-Division unterstellt ist. Die Brigade ist für die Sicherung von Teilen der Region Lower Shabelle verantwortlich. Das 83. Bataillon war zuletzt im Raum Janaale, das 143. Bataillon im Raum Sabiid eingesetzt (BMLV 2.7.2025).

Lower Shabelle ist nach wie vor von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen den Städten liegt im Fokus der al Shabaab. Zwischen Afgooye und Merka kann die Gruppe weiterhin das Gelände zwischen den größeren Orten, die mehrheitlich unter Regierungskontrolle sind, nutzen. Die Versorgung der Truppen von Bundesarmee und AUSSOM in Merka, Baraawe und Qoryooley erfolgt nur in geschützten Konvois (BMLV 2.7.2025). Im März 2025 hat al Shabaab in Lower Shabelle mehrere operativ wichtige Städte erobert, namentlich die Flussübergänge Aw Dheegle, Bariire und Sabiid. Diese sind auch für die Verteidigung von Mogadischu von Relevanz (CT/Karr/AEI 17.4.2025). Später wurde Sabiid von AUSSOM zurückerobert, die Brücke in Bariire von al Shabaab gesprengt (BMLV 2.7.2025). Die Regierung kontrolliert den Flussübergang in Afgooye (BMLV/STDOK 6.6.2025). Im Juni 2025 war der Bezirk Afgooye weiterhin von Kampfhandlungen betroffen, ca. 8.300 Menschen wurden dabei vertrieben (UN OCHA 6.7.2025).

In Qoryooley kam es im Juni 2024 zu Auseinandersetzungen zwischen Milizen der Garre und Jiide (HO 19.6.2024). Mitte August 2024 versuchten Sicherheitskräfte des SWS Straßensperren von Milizen der Hawiye / Galja'el im Bereich Yaaq Biri Weyne zu räumen. Bei dadurch ausgelösten Kampfhandlungen kamen mindesten zehn Menschen ums Leben. Von Anfang August bis Ende September 2024 prallten die Konfliktparteien mindestens sieben Mal aufeinander. Auch Clanmilizen der Rahanweyn / Hubeer waren involviert (ACLED 30.9.2024).

Afgooye liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien - die Stadt gilt als Schlüssel zu Mogadischu. Trotzdem kann Afgooye hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Die Stadt ist weiterhin Ziel von wiederholten Angriffen durch al Shabaab (BMLV 2.7.2025). Die Vereinten Nationen berichten, dass es in Afgooye zu Einschüchterung und Gewalt gegen die Bevölkerung durch al Shabaab kommt (UNSC 28.10.2024). Anfang Dezember 2024 haben Kämpfer der al Shabaab Stellungen der Bundesarmee in Afgooye angegriffen, es kam zu mehrstündigen Auseinandersetzungen (SG 4.12.2024). Zuletzt wurde die Gruppe im April 2025 zurückgeschlagen. Insgesamt liegt Afgooye sehr exponiert - mit ein Grund dafür, dass al Shabaab von einer Inbesitznahme absieht, weil die Gruppe die Stadt nur schwerlich halten könnte (BMLV/STDOK 6.6.2025). Zur Destabilisierung des Gebiets hat al Shabaab aber Anfang Juni 2025 eine Kampagne an Angriffen in und um Afgooye begonnen. Es kommt vermehrt zu gezielten Tötungen, Angriffen und Sprengstoffanschlägen auf ugandische und somalische Truppen. Am 16.6.2025 wurden bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der AUSSOM 20 Soldaten getötet (TRAC 18.6.2025).

Merka kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 2.7.2025). Dort finden sich 300 Mann aus Uganda sowie weitere 300 somalische Kräfte (BMLV/STDOK 6.6.2025). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass Hawiye / Habr Gedir und Biyomaal in Merka nunmehr ohne größere Animositäten zusammenleben - ein großer Fortschritt. Die Stadt ist demnach friedlich, neue Polizeistationen wurden errichtet. Al Shabaab verfügt in Merka nur noch über wenig Einfluss, während die Gruppe sich im landwirtschaftlichen Teil des Bezirks frei bewegen kann. Insgesamt hat sich die Situation in Merka in den letzten sieben Jahren signifikant verbessert (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Aus Baraawe gibt es auch weiterhin nur wenige sicherheitsrelevante Meldungen (BMLV 2.7.2025). Im Juni 2023 kam es dort zu Auseinandersetzungen zwischen Kräften der Armee und Darawish des SWS (MUST 18.6.2023). Dabei sind mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen (HO 14.6.2023). Die Darawish setzen sich v. a. aus Rahanweyn zusammen, die Kräfte der Armee werden hingegen v. a. von Hawiye dominiert (Horn 14.6.2023). Auch im April 2024 kam es zu Auseinandersetzungen mit drei Toten zwischen beiden Gruppen, der Anlass waren Streitigkeiten um die Einkünfte aus dem Verkauf von Khat (Sahan/SWT 15.4.2024).

Bay: Die Region wird hauptsächlich von Clans der Rahanweyn bewohnt - in der nördlichen Hälfte v. a. Mirifle, im Süden Digil. Es finden sich auch kleinere Gruppen an Hawiye. Die Stadt Baidoa wird hauptsächlich von Digil und Mirifle bewohnt, wobei die Mirifle den mächtigeren Teil darstellen (EUAA 5.2025). Nördlich von Baidoa muss die Regierung des Bundesstaates mit Opposition des Clans der Mirifle / Leysan rechnen (BMLV/STDOK 6.6.2025).

Baidoa, Diinsoor, Qansax Dheere und Berdale werden von Regierungskräften und AUSSOM bzw. äthiopischen Kräften kontrolliert (; vgl. BMLV 2.7.2025; vgl. PGN 19.6.2025), in Buur Hakaba befindet sich ein Stützpunkt der Bundesarmee (BMLV 2.7.2025). Baidoa und Diinsoor können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Umfeld der Stadt Diinsoor, die als Frontstadt bezeichnet werden kann, ist al Shabaab aktiv (BMLV 2.7.2025). Überhaupt kontrolliert die Gruppe große Teile von Bay, darunter - nach Angaben einer Quelle - auch den Ort Leego an der wichtigen Straße von Mogadischu nach Baidoa (PGN 19.6.2025). Eine andere Quelle erklärt, dass sich al Shabaab im Raum Leego zumindest frei bewegen kann (BMLV 2.7.2025).

Lokale Milizen der Rahanweyn / Leysan betreiben zwischen Bay und Gedo mehr als zehn Straßensperren (ACLED 30.9.2024). Im April 2024 hat die Verwaltung des SWS erfolgreich in einem Clankonflikt vermitteln können. Im Bezirk Diinsoor hatte dieser zuvor mehr als zehn Todesopfer gefordert, Hunderte Familien wurden vertrieben. Zur Absicherung wurden auch Sicherheitskräfte entsandt (HO 26.4.2024).

Die Sicherheitslage in Baidoa ist stabil, die Stadt wird als relativ sicher beschrieben. Es gibt dort regelmäßig Sicherheitsoperationen und Razzien durch Sicherheitskräfte (BMLV 2.7.2025). Auch laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist Baidoa sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle der FFM erklärt, dass sich das eigene lokale Personal normal in der Stadt bewegt – weil es eben muss. Die Routen nach Baidoa sind fallweise gänzlich durch al Shabaab blockiert. Zudem setzt al Shabaab gegen die Stadt auch Steilfeuer (Mörser) ein. Die IDP-Lager am Rand von Baidoa sind [Zitat] "regelrecht von al Shabaab verseucht." In den aufgrund der Dürre stark gewachsenen IDP-Lagern wird durch die Gruppe auch rekrutiert (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

Die Einsatzfähigkeit der SWS Police Force (SWSPF) hat sich nach der Aufnahme lokaler Rekruten verbessert. In Baidoa sind zudem eine sogenannte Formed Police Unit und einzelne Polizisten von ATMIS stationiert. Diese Polizisten bilden die lokale Polizei nicht nur aus, sondern unterstützen sie auch im Einsatz. Gleichzeitig ist Baidoa auf die Anwesenheit der äthiopischen ATMIS-Truppen angewiesen. Al Shabaab ist in der Lage, Baidoa in der Nacht zu infiltrieren (BMLV 2.7.2025). Allerdings getraut sich die Gruppe nicht mit Masse in die Stadt, da diese von starken äthiopischen Kräften gesichert wird (BMLV/STDOK 6.6.2025).

Bakool: In der Region wohnen hauptsächlich verschiedene Clans der Rahanweyn, in einem kleinen Gebiet im Norden auch Hawiye / Jajele, auf beiden Seiten der Grenze zu Äthiopien Darod / Ogaden / Aulihan (EUAA 5.2025). Ceel Barde, Yeed, Xudur und Waajid werden von Regierungskräften und ATMIS kontrolliert (BMLV 2.7.2025; vgl. PGN 19.6.2025). Zumindest Xudur und Waajid können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 2.7.2025). EUAA fasst mehrere Quellen zusammen und berichtet, dass in Bakool u. a. folgende Einheiten der Bundesarmee operieren: 9. Brigade der 60. Division (Xudur, Waajid) sowie 8. Brigade der 60. Division. In Xudur und Waajid befinden sich auch Stützpunkte der äthiopischen Armee (EUAA 5.2025). Nach Angaben einer anderen Quelle wird die 8. Brigade in der Region Bay eingesetzt, die 9. Brigade hingegen vorrangig in Bakool mit Teilen in Ceel Barde, Xudur, Yeed und Waajid. Ein 30-50 km breiter Grenzstreifen an der Grenze zu Äthiopien ist schon seit geraumer Zeit frei von al Shabaab, dort finden sich u. a. auch Kräfte der Polizei aus dem benachbarten äthiopischen Somali Regional State sowie durch Äthiopien gesponserte, lokale Clanmilizen (u. a. jene der Darod / Ogaden / Aulihan). Andere Teile von Bakool werden von unabhängigen Clanmilizen kontrolliert (BMLV 2.7.2025). Große Teile von Bakool werden aber von al Shabaab kontrolliert, darunter auch die Städte Rab Dhuure und Tayeeglow (BMLV 2.7.2025; vgl. PGN 19.6.2025). Insgesamt gibt es in Bakool nur geringe Kampfhandlungen. Zudem hat al Shabaab zuletzt auch die Blockaden von Xudur und Waajid aufgehoben (BMLV 2.7.2025).

Vorfälle: In den Regionen Bakool (492.487), Bay (1,287.587) und Lower Shabelle (1,425.393) leben nach Angaben einer Quelle 3,205.467 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2023 insgesamt 34 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie Violence against Civilians). Bei 26 dieser 34 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2024 waren es 48 derartige Vorfälle (davon 31 mit je einem Toten) (ACLED 10.1.2025). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und "Violence against Civilians" ergeben sich für 2024 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Bakool 0,61; Bay 0,70; Lower Shabelle 2,53.

In der Folge eine Übersicht für die Jahre 2013-2024 zur Gesamtzahl an Vorfällen mit Todesopfern sowie zur Subkategorie Violence against Civilians, in welcher auch "normale" Morde inkludiert sind. Die Zahlen werden in zwei Subkategorien aufgeschlüsselt: Ein Todesopfer; mehrere Todesopfer. Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt:

Dieses Bild zeigt Grafiken zur Entwicklung der gewaltsamen Vorfälle in den Regionen Bakool, Bay und Lower Shabelle in den Jahren 2013 bis 2024.

Quelle: ACLED 10.1.2025(und Vorgängerversionen)

Al Shabaab

l Shabaab ist mit al-Qaida affiliiert (REU 21.11.2023; vgl. CRS 6.5.2024; THLSC 20.3.2023) und wird als die größte und reichste zu al Qaida zugehörige Gruppe bezeichnet (CRS 6.5.2024; vgl. Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023). Die Gruppe weist eine stärkere innere Kohärenz auf als die Bundesregierung und einige der Bundesstaaten. Al Shabaab nutzt erfolgreich lokale Missstände, um taktische Allianzen zu schmieden und Kämpfer zu rekrutieren (Sahan/SWT 27.3.2023). Die Gruppe erkennt die Bundesregierung nicht als legitime Regierung Somalias an (UNSC 10.10.2022). Al Shabaab agiert offen anti-demokratisch und erachtet Demokratie als unislamisch bzw. als jüdisch-christliches Konzept (BS 2024; vgl. Sahan/SWT 9.6.2023; MBZ 6.2023). Dies gilt entsprechend auch für die Verfassung und den Föderalismus (Sahan/Bryden 5.7.2024). Ihr Ziel ist eine Herrschaft unter Anwendung ihrer strikten Interpretation der Scharia (REU 21.11.2023) im Rahmen der Errichtung eines Kalifats in den Grenzen von Großsomalia (Somaliweyne). Dies macht die Gruppe zur Bedrohung der staatlichen Integrität nicht nur von Somalia, sondern auch für Dschibuti, Äthiopien und Kenia. Al Shabaab wendet eine Strategie des asymmetrischen Guerillakriegs an, die bisher sehr schwer zu bekämpfen war. Zudem bietet die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle Sicherheit und eine grundlegende Regierungsführung (Sahan/SWT 27.3.2023). Andererseits werden jene, die sich nicht ihrer puristischen Interpretation des Islam anschließen, als Ketzer gebrandmarkt (BS 2024).

Gleichzeitig ist al Shabaab eine mafiöse Organisation (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vgl. Sahan/SWT 25.8.2023), die Schutzgelder im Austausch für Sicherheits-, Sozial- und Finanzdienstleistungen verlangt. Ihre konsequente Botschaft ist, dass die Alternative - die Bundesregierung - eigennützig und unzuverlässig ist (Sahan/SWT 25.8.2023). Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: die Eroberung Großsomalias (BMLV 7.8.2024) und die Durchsetzung ihrer eigenen extremen Interpretation des Islams und der Scharia (USDOS 15.5.2023) und der Errichtung eines islamischen Staates in Somalia (CFR 6.12.2022b).

Al Shabaab ist in fast allen Facetten der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik integriert (GITOC/Bahadur 8.12.2022) und ist gleichzeitig vermutlich die reichste Rebellenbewegung in Afrika (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 finanziert al Shabaab die al Qaida - und nicht umgekehrt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Ausländische Kämpfer haben nur noch einen begrenzten Einfluss in der Gruppe (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. BMLV 7.8.2024); und die Beziehungen zur al Qaida haben sich nachhaltig geändert (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). [Anm.: Die gewaltlose, aber ebenfalls politisch-islamistische Gruppe] Al I'tisaam gilt als ideologischer Bruder von al Shabaab (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023).

Struktur: Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Sheikh Ahmed Umar Abu Ubaidah (BBC 15.6.2023). Führung und Kontrolle sind relativ dezentral, wobei die lokalen Einheiten auf operativer Ebene eine relative Autonomie behalten. Jede Region (Waliga) hat einen ernannten Gouverneur (Wali), der den gesamten öffentlichen Dienst und die Finanzverwaltung in den von der Organisation kontrollierten Gebieten überwacht (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022) und teils auch eine wesentliche militärische Rolle spielt (BMLV 7.8.2024). Bei der Unterteilung in Waligas folgt al Shabaab dem System, das Somalia für seine Regionen anwendet. Für jene Waligas, die unter Kontrolle der Regierung stehen, unterhält die Gruppe Schattenregierungen (AQ21 11.2023). Jeder Standort verfügt über eine Hisba (Polizei). Diese ist für die Durchsetzung des strengen islamischen Kodex der Gruppe und die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung verantwortlich (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022), laut einer Quelle auch für die Durchsetzung von Steuerzahlungen. Jede Waliga verfügt über eigene Milizen von 500-600 Mann (AQ21 11.2023). Der militärische Flügel der al Shabaab (Jabhat) besteht aus geografisch gegliederten Formationen („Brigaden“), die lokalen politischen Einheiten angeschlossen sind. Die Hauptaufgabe der Jabhat besteht darin, Gebiete zu erobern und zu verteidigen. Jede Einheit, die typischerweise aus dreihundert Soldaten besteht, hat ihre eigenen Kommandeure und Stützpunkte. Der Geheimdienst (Amniyat) ist für Spezialoperationen verantwortlich, darunter Selbstmordattentate, Attentate und Angriffe auf die Zentren der Regierungsmacht. Der Amniyat hat auch die Aufgabe, Informationen zu sammeln und Kollaborateure zu identifizieren (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022). Auch die Hisba wird vom Amniyat überwacht (AQ21 11.2023). Zudem ist al Shabaab auf die Dienste vieler Mitglieder in unterstützenden Rollen angewiesen, darunter Fahrer, Lehrer und Köche (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022).

Verwaltung: Das Gebiet von al Shabaab wird als "Proto-Staat" bewertet (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022). Die Gruppe ist imstande, für die auf ihrem Gebiet lebende Bevölkerung staatsähnliche Funktionen zu erbringen - ähnlich, wie es die Hamas im Gazastreifen getan hatte. Dabei ist al Shabaab offenbar besser organisiert als die eigentlichen staatlichen Strukturen (ÖB Nairobi 10.2024). Die Gruppe hat in den von ihr kontrollierten Gebieten eine äußerst autoritäre und repressive Herrschaftsform in Zusammenhang mit einer auf der Scharia basierenden Verwaltung eingerichtet - ohne Gewaltenteilung. Sie hat eigene Gerichte geschaffen, die ihre salafistische Interpretation der Scharia durchsetzen. Viele Menschen bevorzugen diese Gerichte, da sie leicht zugänglich und mit geringen Kosten verbunden werden und gleichzeitig schnell und nach klaren Regeln erfassbare Urteile fällen. Bei der Durchsetzung ihrer Kontrolle setzt al Shabaab mitunter auf Gewalt und Einschüchterung. Drohungen und harte Strafen haben in den von ihr kontrollierten Gebieten ein allgemeines Klima der Angst geschaffen. Ziel der islamistischen Miliz ist die Kontrolle aller Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens (BS 2024). Nach anderen Angaben kontrolliert al Shabaab gegenwärtig das Sozialverhalten der Bevölkerung weniger stark als früher (AQ21 11.2023).

Al Shabaab übt über das von ihr direkt regierte Gebiet Macht (BS 2024) und alle Grundfunktionen einer normalen Regierung aus: Sie hebt Steuern ein, bietet Sicherheit bzw. sorgt für Recht und Ordnung und stellt (begrenzte) soziale Dienste bereit (Rollins/HIR 27.3.2023; vgl. Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023b; TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022). Al Shabaab ist es dort gelungen, ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten (Schwartz/HO 12.9.2021). Die Gruppe investiert daher in lokale Regierungssysteme. Al Shabaab setzt Zwang und Überredung ein, um Treue zu erzwingen. Im Gegenzug bietet die Gruppe ihre eigene Art von "Recht und Ordnung" sowie bescheidene, grundlegende Dienstleistungen (Sahan/SWT 30.6.2023). Durch das Anbieten öffentlicher Dienste - v. a. hinsichtlich Sicherheit und Justiz - genießt al Shabaab in einigen Gebieten ein gewisses Maß an Legitimität. Mit der Hisba verfügt die Gruppe über eine eigene Polizei (GITOC/Bahadur 8.12.2022). Offensichtlich führt al Shabaab auch eine Art Volkszählung durch. Auf den diesbezüglich bekannten Formularen müssen u. a. Clan und Subclan, Zahl an Kindern in und außerhalb Somalias, Quelle des Haushaltseinkommens und der Empfang von Remissen angegeben werden (UNSC 10.10.2022). Völkerrechtlich kommen al Shabaab gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen als de-facto-Regime in den von ihr kontrollierten Gebieten Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung zu (AA 23.8.2024).

Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten und geringer Kriminalität (BMLV 7.8.2024; vgl. JF 18.6.2021). Die Herrschaft der Gruppe sorgt normalerweise für Frieden zwischen den Clans (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Die Unterdrückung von Clankonflikten ist ein Bereich, in welchem die Gruppe Erfolge erzielen konnte. Z. B. wurde ein Waffenstillstand zwischen Clans in den Bezirken Adan Yabaal und Moqokori (HirShabelle) durchgesetzt; und in Galmudug hat al Shabaab Älteste bestraft, deren Clanmitglieder sich an Clankriegen beteiligt haben (SW 3.2023). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet, sie beansprucht das Gewaltmonopol für sich. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft. Die Gruppe unterhält ein rigoroses Justizsystem, welches Fehlverhalten – etwa nicht sanktionierte Gewalt gegen Zivilisten – bestraft. Daher kommt es kaum zu Vergehen durch Kämpfer der al Shabaab. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 7.8.2024).

Hinsichtlich Korruption ist al Shabaab sehr aufmerksam (AQ21 11.2023). Insgesamt nimmt die Gruppe im Vergleich zur Regierung effizienter Steuern ein, lukriert mehr Geld, bietet ein höheres Maß an Sicherheit sowie eine höhere Qualität an Rechtsprechung (Bryden/TEL 8.11.2021). Al Shabaab hat etwa als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie Gesundheitszentren eingerichtet und führt sogar Schulen und Programme, um Mitglieder zur Ausbildung an Universitäten im Ausland zu schicken (Rollins/HIR 27.3.2023).

Clans: Bis ca. 2014 schloss al Shabaab Clanälteste aus ihren Regierungsstrukturen aus. Danach erkannte die Gruppe, dass eine gewisse Legitimierung der Ältesten die Legitimität von al Shabaab selbst in den Augen der Zivilbevölkerung stärken würde. 2016 gründete die Gruppe einen Ältestenrat (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Die Gruppe nutzt die Ältesten, um die eigene Macht zu konsolidieren (MBZ 6.2023). Mitunter konsultieren lokale Verwalter der al Shabaab Clanälteste oder lassen bestehende Bezirksstrukturen weiter bestehen (USDOS 22.4.2024). Sie erkennt Clans als grundlegende "Bausteine der Macht" an. Zudem vermittelt die Gruppe - wie weiter oben schon erwähnt - auch zwischen rivalisierenden Clans (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Dabei hängt der Einfluss der Zivilbevölkerung auf al Shabaab von mehreren Faktoren ab. Dazu gehören die Einigkeit der Clans innerhalb eines bestimmten Gebiets, historische Beziehungen zwischen Gemeinden und al Shabaab sowie der strategische Wert, den die Gruppe einer bestimmten Gemeinde beimisst (z. B. ihre militärische oder politische Bedeutung) (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Andererseits nutzt al Shabaab auch Spannungen und Clankonflikte aus, um eigene Ziele zu erreichen (AQ21 11.2023; vgl. HI 4.2023; SPC 9.2.2022) und hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht (Sahan/SWT 24.10.2022). V. a. diejenigen Clans, denen es an militärischer Macht fehlt, wenden sich eher an al Shabaab, wenn sie Schutz oder Unterstützung suchen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). So hat sich die Gruppe z. B. in Hiiraan früh mit einer Gruppe marginalisierter Clans verbündet – namentlich mit den Galja’el, Jajale, Sheikhal und Jareer – und zwar gegen die politisch durchaus, aber numerisch nicht dominanten Hawadle. Der Experte S. J. Hansen berichtet aus Galmudug, dass Kämpfe dort regelrechte Clankämpfe waren, zwischen den Murusade auf Seite der al Shabaab und ihren traditionellen Feinden, den Hawadle, auf Regierungsseite. Es müssen also von Ort zu Ort viele unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden, etwa Streit um Land und Ressourcen, politische und militärische Aspekte der Clans im Gebiet usw. (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Doch auch manche Clans nutzen al Shabaab, um politische Vorteile zu erlangen oder sich an Rivalen zu rächen (SPC 9.2.2022). Gemäß den Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 hat sich al Shabaab etwa gezielt an Minderheiten gewendet, die nicht von der Regierung repräsentiert werden. Die Gruppe hat sich so im Süden die Loyalität jeder einzelnen Minderheit erkauft (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Zudem kann al Shabaab auch im Sinne des Schutzes von Minderheiten agieren, die oftmals über keine eigenen Milizen verfügen. Auch dies führt dazu, dass manche Minderheiten al Shabaab unterstützen (MBZ 6.2023). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen "noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019a, S. 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, S. 11; vgl. ÖB Nairobi 10.2024), wobei die Unterstützung mit dem Machtverlust von al Shabaab wieder abnimmt (ÖB Nairobi 10.2024) bzw. sich die anfangs gegebene Zustimmung zu al Shabaab z. B. bei vielen Bantu in Misstrauen gewandelt hat (Sahan/Menkhaus 23.8.2023).

Generell steht bei Entscheidungen immer die Sicherheit des eigenen Clans als höchstes Ziel im Vordergrund. Manche Clans schließen sich freiwillig al Shabaab an; mit anderen Clans hat al Shabaab Abkommen geschlossen (AQ21 11.2023). Eine Quelle erklärt, dass al Shabaab oft 'eigene' Älteste installiert, welche die Gruppe repräsentieren. Diese werden zu Bindegliedern zwischen den einzelnen Gemeinschaften und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (Sahan/SWT 26.10.2022). Auch eine Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, dass al Shabaab in den meisten Teilen Süd-/Zentralsomalias über 'eigene' Älteste verfügt. Es werden parallele Clanführungsstrukturen unterhalten - und zwar in allen Gebieten, in denen al Shabaab aktiv ist. Manchmal sind dann die eigentlichen Ältesten zur Flucht gezwungen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass dies eher nur in jenen Teilen des Landes der Fall ist, wo al Shabaab keine direkte Kontrolle ausüben kann (BMLV 7.8.2024). Die von al Shabaab eingesetzten Ältesten dienen der Konfliktlösung und polizeilicher Arbeit sowie dem Standeswesen (Eheschließungen, Scheidungen). Sie können vor den Gerichten der al Shabaab auch eigene Clanmitglieder vertreten. Und wenn ein Clanmitglied ein Problem mit al Shabaab hat, dann wendet es sich an den entsprechenden Ältesten, der sich wiederum an al Shabaab wendet (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Älteste dienen al Shabaab zur Verwaltung, Koordination, Rekrutierung, Besteuerung und Propaganda (AQ21 11.2023; vgl. Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; MBZ 6.2023).

Wenn sich Clans mit der Regierung arrangiert haben, und das Gebiet später wieder an al Shabaab zurückfällt, droht den Gemeinden eine Bestrafung durch die Gruppe - etwa in der Form von Exekutionen Ältester (Sahan/SWT 13.9.2023). Unter militärischem Druck neigt al Shabaab hingegen eher dazu, versöhnlicher zu agieren, Friedensabkommen mit Clans zu schließen und die brutaleren Aspekte ihrer Regierungsführung zu lockern. Abkommen mit Clans gehen i.d.R. Verhandlungen zwischen Clanältesten und hochrangigen Funktionären der al Shabaab voraus. Diese münden mitunter in einer formellen schriftlichen Vereinbarung, in welcher sich beide Seiten zu bestimmten Maßnahmen verpflichten. Im Falle der Saleban gestaltete sich dies z. B. so: Al Shabaab verpflichtete sich, 67 Gefangene der Saleban zu entlassen, auf ihren Gebieten keine Waffen zu tragen und Bewegungs- und Handelsfreiheit zu gewährleisten. Im Gegenzug bekannten sich die Saleban u. a. zur Neutralität und Nichteinmischung (u. a. „Fernhalten von feindlichen Lagern“, keine Zusammenarbeit mit dem Feind), zur Umsetzung der Scharia, zur Landesverteidigung und zum Umweltschutz sowie zur guten Nachbarschaft mit anderen Clans (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Rückhalt: Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel (ACCORD 31.5.2021). Die Präsenz von al Shabaab bietet besorgten Gemeinden eine Form der Schirmherrschaft und des Schutzes, welche die somalische Regierung nur sporadisch gewähren kann. Die Gruppe verspricht Vorteile und faire Behandlung für diejenigen, die ihren Geboten folgen. Allen anderen droht sie mit Vergeltung (Sahan/SWT 25.8.2023). Nach anderen Angaben ist das Verhältnis zwischen Zivilisten und al Shabaab nicht nur eines von Gewalt und Opfern. Al Shabaab versucht in ihrer Indoktrination die Bundesregierung als Vergewaltiger, Räuber und Erpresser darzustellen. In Gebieten unter Kontrolle der Gruppe haben die Menschen kaum Zugang zu Informationen, die diesem Narrativ widersprechen. Wenn Zivilisten auf dem Gebiet der Gruppe Probleme haben, wenden sie sich i.d.R. durchaus an al Shabaab, um Hilfe zu erhalten. Zudem unterstützt die Gruppe fallweise lokale Gemeinden und gibt so einen Teil des eingenommenen Zakat wieder zurück. Die zu al Shabaab gehörende Stiftung al Ihsan verteilt Hilfe gezielt, um die Unterstützung der Bevölkerung zu sichern. Unterstützt werden etwa jene, die von al Shabaab als „unterprivilegiert“ erachtet werden (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Stärke: Der US-Kongress berichtet von einer Zahl von 7.000-10.000 Kämpfern (CRS 6.5.2024), Voice of America von 12.000-13.000 (VOA/Babb 18.6.2024), eine weitere Quelle von mindestens 12.000 "Vollzeitkämpfern" (BMLV 7.8.2024). Schließlich nennt eine Quelle eine Zahl von 7.000 "Vollzeitkämpfern". Insgesamt sind die Zahlen also sehr unterschiedlich. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass al Shabaab über zahlreiche "Teilzeitkräfte" und "Freiberufler" verfügt, die nur bei Bedarf zum Einsatz kommen. Ein Experte schätzt die Gesamtzahl allen verfügbaren Personals auf 25.000-30.000 (AQ21 11.2023).

Al Shabaab hat im Rahmen der Offensive in Zentralsomalia seit August 2022 erhebliche Verluste erlitten (BMLV 4.7.2024). Zur Kompensation hat die Gruppe neue Kräfte rekrutiert und die erlittenen Verluste mehr als ausgeglichen. Der sogenannte "Hafendeal" zwischen Somaliland und Äthiopien hat al Shabaab zahlreiche Freiwillige zugetrieben (BMLV 7.8.2024).

Generell hat al Shabaab die somalische Gesellschaft dermaßen tief infiltriert, dass es schwierig oder sogar unmöglich ist, zu erkennen, wer Mitglied der Gruppe ist. Hinzugezählt werden die Kämpfer der Jabhat, die Agenten des Amniyat und die Polizisten der Hisba; alle Schätzungen zur Größe von al Shabaab scheinen sich auf dieses Personal zu konzentrieren. Doch die Gruppe verfügt auch über einen beträchtlichen Kader, der nicht direkt an der Gewalt beteiligt ist, aber für die Reichweite der Organisation in Somalia gleichermaßen wichtig ist. Es handelt sich um eine komplexe Organisation, die eine Mischung aus Terroristengruppe, Rebellenorganisation, Mafia und Schattenregierung ist. Und es gibt Personal für all diese Funktionen. Al Shabaab beschäftigt u. a. Verwaltungsbeamte, Richter und Steuereintreiber. Der Amniyat verfügt neben Agenten über Doppelagenten, Quellen und Informanten, die in die Institutionen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft Somalias eingedrungen sind. Einige arbeiten heimlich, in Teilzeit oder auf ad-hoc-Basis mit der Gruppe zusammen. Sie bewegen Nachschub, überbringen Nachrichten und berichten über alles - von der Zusammenarbeit mit der Regierung bis hin zur Wirtschaftstätigkeit. Es ist unmöglich, sie zu zählen (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023).

Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die Bundesarmee und kann selbst gegen ATMIS manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyat über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 7.8.2024), er bildet ihre wichtigste Stütze (JF 18.6.2021). Al Shabaab verfügt jedenfalls über ein extensives Netzwerk an Informanten und ist in der Lage, der Bevölkerung Angst einzuflößen (UNSC 6.10.2021; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Gebiete: Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin den größeren Teil Süd-/Zentralsomalias (BMLV 7.8.2024; vgl. Rollins/HIR 27.3.2023) und verfügt über ein starkes Hinterland (AQ21 11.2023). Die Gruppe bleibt auf dem Land in herausragender Position bzw. hat sie dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie in vielen Fällen regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete und Städte verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität auf Gebiete unter Kontrolle staatlicher Kräfte Einfluss und Macht aus (BMLV 7.8.2024).

Die Hochburgen von al Shabaab finden sich in den Bundesstaaten Jubaland, SWS, HirShabelle und Galmudug (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023b). Die Gruppe kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und - in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 28.6.2024; vgl. BMLV 7.8.2024).

Gemeinschaften, die unter der Kontrolle von al Shabaab stehen, werden häufig vom Rest Somalias und von der internationalen Unterstützung abgekoppelt. Die Kontrollpunkte und Blockaden der militanten Gruppe schränken den Personen- und Warenverkehr ein (Sahan/SWT 15.9.2023). In Gebieten, die an von der Regierung kontrollierte und von al Shabaab unter Blockade gestellte Städte grenzen, hat die Gruppe strenge Regeln hinsichtlich ökonomischer und beruflicher Tätigkeiten eingeführt. Al Shabaab setzt diese mit Drohungen und Gewalt durch und bestraft jene, die diese Regeln brechen (UNSC 10.10.2022).

Kapazitäten: Prinzipiell hat al Shabaab wiederholt gezeigt, dass sie gegenüber Druck anpassungsfähig und in der Lage ist, sich zurückzuziehen und neu zu formieren, bevor sie zurückschlägt (Sahan/SWT 4.8.2023). Al Shabaab ist weiterhin in der Lage, komplexe Angriffe z. B. in und um Mogadischu durchzuführen. Die Fähigkeit der Gruppe, Waffen zu beschaffen und Kämpfer neu zu verteilen, bleibt weitgehend intakt (BMLV 7.8.2024; vgl. Sahan/SWT 22.5.2023). Dabei geht die Einflusssphäre der Gruppe über jene Gebiete, die sie tatsächlich unter Kontrolle hat, hinaus (UNSC 10.10.2022). Al Shabaab hat im ganzen Land Institutionen und Organe, aber auch den Privatsektor (z. B. Banken und Telekomunternehmen) unterwandert (Sahan/SWT 12.2.2024; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023). Dies gilt auch für die NISA (Geheimdienst) und die Polizei. Bis zu 30 % der Polizisten in Mogadischu sind demnach kompromittiert (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. BMLV 7.8.2024).

Al Shabaab hat jedoch nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Das Einsatzgebiet der Gruppe ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern (ACCORD 31.5.2021). Gemäß einer Quelle verfügt al Shabaab bei Clans über Verbindungsleute (Kilmurry/RUSI 1.4.2022); laut einer anderen Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert die Gruppe in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (Landinfo 21.5.2019a). Nach anderen Informationen sieht die Strategie von al Shabaab unterschiedliche Taktiken vor. In jenen Gebieten, in welchen die Gruppe über das größte Maß an Einfluss und Präsenz verfügt, gibt es entwickelte Verwaltungsstrukturen. Dadurch, dass al Shabaab dort für Sicherheit und Ordnung sorgt und gleichzeitig Konflikte zwischen rivalisierenden Clans beigelegt hat, erhält die Gruppe die Zustimmung der dort lebenden Bevölkerung. In jenen Gebieten aber, die entweder unter Kontrolle der Regierung stehen oder die umstritten sind, unterwandert al Shabaab bestehende Strukturen und übt mit Zwang Einfluss aus. Der Staat wird dort durch Drohungen und Gewalt untergraben. Die Gruppe kann durch geheimdienstlich eingeholte Informationen Drohungen gezielt einsetzen, Steuern eintreiben und ganz allgemein Einfluss auf das Verhalten von Zivilisten nehmen, ohne dass eine nennenswerte territoriale Präsenz oder Einfluss besteht (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite von al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (BMLV 7.8.2024). Al Shabaab funktioniert in nahezu ganz Südsomalia als Schattenregierung bzw. -Verwaltung (GITOC/Bahadur 8.12.2022).

"Kontrolliert" wird - wie es ein Experte ausdrückt - durch "exemplarische Gewalt", etwa durch Körperstrafen; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung. All das erfolgt aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich - zwangsläufig - mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert (ACCORD 31.5.2021). Dort wo die Strukturen von al Shabaab vollumfänglich zum Einsatz kommen - wo also die Kontrolle der Gruppe unbestritten ist - dort schafft sie ein strenges, aber stabiles Umfeld, in welchem sie Steuern einzieht, für Sicherheit sorgt und Streitigkeiten zwischen Clans und Einzelpersonen beilegt. Unternehmen, die Steuern zahlen und sich an die Regeln von al Shabaab halten, können mit einem höheren Maß an Vorhersehbarkeit und Stabilität arbeiten, da Gerichte Verträge durchsetzen. In ihrer "Hauptstadt" Jilib ist aber auch die Überwachung stärker ausgeprägt. So müssen die Bewohner etwa melden, wenn ein Verwandter von Außen zu Besuch kommt (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Dort wo al Shabaab nicht in der Lage ist, ein angemessenes Maß an Gewaltandrohung glaubhaft darstellen zu können, sind die Erpressungsversuche auch weniger erfolgreich. So lehnen etwa Wirtschaftstreibende, die ausschließlich in Baidoa und Kismayo agieren, Zahlungsforderungen mitunter ab (Williams/ACSS 27.3.2023). Andererseits schreckt al Shabaab auch nicht vor Zwang und Gewalt, vor direkten Angriffen oder der Zerstörung lokaler Ressourcen zurück, um ihre Ansprüche durchzusetzen (HI 4.2023; vgl. UNSC 6.10.2021). Zudem hat die Gruppe aus vergangenen Fehlern gelernt und so die Kontrolle über einige Gebiete zurückerlangt, die sie 2022 verloren hatte. Einige Übereinkommen mit Clans in Zentralsomalia wurden wieder aufgenommen. Al Shabaab hebt weiter illegale Steuern ein, ohne dabei so weit zu gehen, lokale Clans zu gewalttätigem Widerstand zu provozieren. Die Gruppe ist nun darauf bedacht, die Gemeinschaften, von denen sie abhängig ist, nicht zu sehr auszubeuten (Sahan/SWT 12.6.2023).

Wirtschaftsmacht al Shabaab: Al Shabaab gilt als "wohlhabend", verfügt über einen finanziellen Polster und damit auch über einen Hebel hinsichtlich Neurekrutierungen (AQ21 11.2023). Die Gruppe nimmt pro Jahr 100 Millionen US-Dollar ein, obwohl die Bundesregierung mit zahlreichen Maßnahmen versucht hat, die Gruppe von Geldflüssen abzuschneiden (GO 12.3.2024). Gemäß Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 lukriert die Gruppe sogar rund 180 Millionen US-Dollar pro Jahr - bei Ausgaben von nur etwa 100 Millionen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle bestätigt diese Angaben (Rollins/HIR 27.3.2023).

Die ganze Wirtschaft ist von al Shabaab abhängig, wenn es z. B. um den Warentransport geht (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Zudem sind die tief wurzelnden Strukturen der Gruppe im Wirtschaftsbereich Mogadischus nur schwer zu beseitigen (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Nicht nur in den Gebieten unter direkter Kontrolle von al Shabaab, sondern auch anderswo fließen Überschüsse aus dem jährlich eingesammelten Zakat und aus "Steuern" häufig an Unterstützer der Gruppe, die kleine und mittlere Unternehmen betreiben (Sahan/SWT 25.8.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023). Al Shabaab schafft sich ein Wirtschaftsimperium, die Gruppe verfügt über entsprechende Kompetenzen. Auch Morde gegen Bezahlung scheinen für al Shabaab zum Geschäftsmodell zu werden. Zudem hat die Gruppe in vielen Sparten investiert, Reichtümer angehäuft (Sahan/STDOK/SEM 4.2023) und betreibt einige Unternehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe agiert - v. a. außerhalb des eigenen Gebietes - wie ein Kartell bzw. wie eine Mafia (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. Sahan/STDOK/SEM 4.2023; HIPS 4.2021, S. 5).

Allgemeine Menschenrechtslage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 23.8.2024). Die Vereinten Nationen sind besorgt, dass durch die Vorrangstellung der Scharia die Menschenrechte in Somalia ausgehebelt werden (UNHRCOM 6.5.2024). Zudem stellt die Einhaltung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen für die Bundesregierung keine Priorität dar. Diese konzentriert sich auf den Kampf gegen al Shabaab und humanitäre Krisen. Menschenrechtserfolge werden nicht immer als Teil der Lösung dieser Probleme betrachtet (ÖB Nairobi 10.2024).

Generell werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert (BS 2024; vgl. AI 24.4.2024). Zivilisten tragen die Last des bewaffneten Konflikts in Somalia, willkürliche Angriffe und die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gibt es in allen Landesteilen (BS 2024). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen (USDOS 22.4.2024) und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich (BS 2024). Bei Kämpfen unter Beteiligung der African Transition Mission in Somalia (ATMIS), Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten sowie zu anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (USDOS 22.4.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach die Regierung und ihre Handlanger Personen willkürlich und außergesetzlich töten (USDOS 22.4.2024). Nach anderen Angaben stellen extralegale Tötungen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar (AA 23.8.2024). Jedenfalls werden Sicherheitskräfte beschuldigt, Zivilisten bei Streitigkeiten um Land, bei Checkpoints, bei Zwangsräumungen und anderen Gelegenheiten willkürlich angegriffen zu haben (BS 2024). In solchen Fällen ist aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems häufig von Straflosigkeit auszugehen (AA 23.8.2024).

Es gibt keine Berichte über von der Regierung gesteuertes Verschwindenlassen (USDOS 22.4.2024).

Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024). Die Regierung schiebt bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab vor (USDOS 22.4.2024).

Die Regierung macht zwar glaubwürdige Schritte, um einige öffentlich Bedienstete strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen, generell bleibt Straflosigkeit aber die Norm (USDOS 22.4.2024).

Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte, verhaftet, schlägt und exekutiert Zivilisten (BS 2024). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; begeht Vergewaltigungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten und entführt Menschen (USDOS 22.4.2024).

In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig grausame Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, z. B. Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe. Regelmäßig richtet die Gruppe ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 23.8.2024), bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden (BS 2024). Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen (UNSC 6.10.2021).

Minderheiten und Clans

Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).

Clans: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).

Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).

Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).

Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).

Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbänden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaft kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).

Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).

Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Politik: In Süd-/Zentralsomalia sind politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB Nairobi 10.2024). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; FH 2024b). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2024b). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen, und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So finden sich in der aktuellen Regierung zwar alle relevanten Clans und Gruppen wieder (AA 23.8.2024), und das Frauen- sowie das Umweltministerium werden von Angehörigen von Minderheiten geführt (AQ21 11.2023). In Süd-/Zentralsomalia ist die formelle Vertretung von Minderheiten im Rahmen der 4.5-Formel nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die Formel trägt dazu bei, dass bestehende Strukturen aufrechterhalten und damit Minderheiten sozial und politisch ausgrenzt werden (ÖB Nairobi 10.2024). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 versucht die Regierung hingegen, Minderheiten zu ermutigen, sich für Regierungsstellen zu bewerben. Allerdings ist die Diskriminierung tief in der Gesellschaft verwurzelt und besteht weiter fort (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Lage: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024; FH 2024b). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – mittelbar auch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 23.8.2024). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan/SWT 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan/SWT 24.10.2022; vgl. SPC 9.2.2022). In staatlichen Behörden - etwa Polizei und Justiz - sind Minderheiten nur spärlich vertreten (ÖB Nairobi 10.2024). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu [Anm.: Die Digil sind v. a. Landwirte und nicht Nomaden und können bei Dürre schwerer ausweichen]. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan/SWT 24.10.2022). Selbst in Mogadischu erhalten Minderheitenangehörige weniger Nahrungsmittelhilfe (TANA/ACRC 9.3.2023). Sie stehen einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber (UN OCHA 14.3.2022).

Ein Programm der Bundesregierung soll zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von fast 25.000 benachteiligten und marginalisierten Haushalten beitragen. Dieses von Deutschland finanzierte 50-Millionen-Euro-Programm zielt darauf ab, den Zugang zu Bildung, Gesundheit, Hygiene und Ernährung für Kinder und Jugendliche zu verbessern und die Ernährungssicherheit benachteiligter Haushalte zu erhöhen. Die Regierung von Jubaland organisiert Workshops für Jugendliche aus marginalisierten Gruppen, um Integration und Partizipation zu fördern (UNSOM 5.8.2023).

Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind laut einer Quelle überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 22.4.2024). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Gebieten, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB Nairobi 10.2024). Von Frauen marginalisierter Gruppen eingebrachte Vergewaltigungsanzeigen werden tendenziell ignoriert (UNSOM 5.8.2023).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021a, S. 58).

Mogadischu: In der Hauptstadt verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (AQSOM 4 6.2024; vgl. FIS 7.8.2020a). Laut einem Experten dominieren auch die Rahanweyn mittlerweile bestimmte Stadtteile. Insgesamt leben in Mogadischu sehr viele unterschiedliche Clans, alle können Eigentum besitzen, sich in der Wirtschaft betätigen (AQSOM 4 6.2024), sich frei bewegen und niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (AQSOM 4 6.2024; vgl. FIS 7.8.2020b, S. 39). Außerdem tendieren die Menschen dazu, auf dem Gebiet des eigenen Clans zu wohnen. Beziehungen zu Abgaal oder Habr Gedir - familiäre, wirtschaftliche, eheliche oder freundschaftliche - sind von Vorteil, um Konflikte abwenden oder lösen zu können. Generell agieren die dominanten Clans Mogadischus aber nicht im rechtsfreien Raum, da sie aufgrund von z. B. in Mogadischu begangenem Unrecht mit Gegenunrecht in anderen Teilen Somalias rechnen müssen (AQSOM 4 6.2024). Im Allgemeinen ist es schwierig, Menschen, die in Mogadischu aufgewachsen sind, oberflächlich nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als "Gast" ist schwächer als jene des "Gastgebers". Im System von "hosts and guests" sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, S. 11f/32f). Ein Beispiel derartiger Auswirkungen stammt aus Puntland. Dort haben Sicherheitskräfte mehrere junge Männer festgenommen, von denen angenommen wird, dass sie hinter einer Reihe von Angriffen auf Mitglieder der Ogadeni [Anm.: Der in Jubaland und kenianischen Somali-Gebieten vorherrschende Clan] in Garoowe stecken. Die Übergriffe wurden ausgelöst, weil eine Gruppe Jugendlicher in Nairobi einen jungen Mann aus Garoowe angegriffen und die Tat gefilmt hat. Die Angriffe in Garoowe gelten als Vergeltung für den Angriff in Nairobi (HO 8.9.2024).

Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 22.4.2024). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, S. 12). Auch kann es vorkommen, dass Personen, die einer kleinen Gruppe innerhalb eines großen Clans angehören, von den Nachbarn als Minderheit wahrgenommen und diskriminiert werden (AQSOM 4 6.2024).

Menschen aus Somaliland werden in Süd-/Zentralsomalia nicht diskriminiert. Sie haben Vertreter im System, in der Regierung, im Parlament. Einige junge Somaliländer gehen trotz der schlechten Sicherheitslage der Möglichkeiten wegen nach Süd-/Zentralsomalia, insbesondere im humanitären Bereich (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter Mohammeds; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye / Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, S. 46f/103).

Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben. Allerdings gibt es laut Experten so gut wie niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Clan- und Religionszugehörigkeit, zum Familienstand, zur Herkunft und zum Aufwachsen, zu den Sprachkenntnissen, zu seiner Schulbildung und Arbeitserfahrung sowie zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften sowie im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren, auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Somali sowie auf die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Somalias.

Das Datum der Antragstellung ergibt sich ebenso wie die Gewährung subsidiären Schutzes aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, beruht auf seinen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers stützt sich insbesondere auf den Umstand, dass er im Bundesgebiet einer Beschäftigung nachgeht.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist aus nachstehenden Gründen nicht glaubhaft und es ist nicht zu erkennen, dass der Beschwerdeführer in Somalia individuell und konkret aufgrund bestimmter in seiner Person gelegener Eigenschaften bedroht oder verfolgt worden ist bzw. im Fall einer Rückkehr eine solche Verfolgung zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen seiner polizeilichen Erstbefragung im Wesentlichen vor, Somalia verlassen zu haben, da er als Angehöriger eines Minderheitenclans diskriminiert worden sei; ein Angehöriger des Clans der XXXX habe seine Frau zwei Mal vergewaltigt und Angehörige dieses Clans hätten auch seinen Vater getötet (AS 11). In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab er demgegenüber an, dass seine Frau wiederholt von sechs Regierungsmitgliedern vergewaltigt worden sei und dass diese Männer auch seinen Vater umgebracht hätten (AS 97f). Ferner führte er erstmals aus, dass die Männer bei diesem Vorfall überdies seine Mutter zusammengeschlagen hätten (AS 98). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte er sodann im Wesentlichen vor, er habe wegen seiner Clanzugehörigkeit immer Probleme mit der Gesellschaft gehabt. Eines Tages sei seine Frau zuhause von Männern vergewaltigt worden; diese seien nach einiger Zeit wiedergekommen, hätten seine Frau neuerlich vergewaltigt, seine Mutter geschlagen und seinen Vater, welcher in diesem Moment von der Arbeit zurückgekehrt sei, getötet (S. 11f der Niederschrift der Verhandlung)

In diesem Zusammenhang wird nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf die Fluchtgründe des Beschwerdeführers bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden und auch der Verwaltungsgerichtshof Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat (vgl. etwa VwGH 14.06.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Dennoch ist es nicht generell unzulässig, eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers aufzugreifen (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0546). Im vorliegenden Fall ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einerseits angab, seine Frau sei von einem Angehörigen des XXXX -Clans vergewaltigt worden und andererseits vorbrachte, dass es sich bei den Tätern um sechs Regierungsmitglieder gehandelt haben soll. Ferner ist nicht plausibel, weshalb der Beschwerdeführer den Umstand, dass seine Mutter bei dem zweiten Vorfall zusammengeschlagen worden sei, zunächst gänzlich unerwähnt gelassen hatte. Die voneinander abweichenden Angaben des Beschwerdeführers und damit einhergehende Steigerung seines Vorbringens lassen erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens aufkommen.

In der Beschwerdeschrift wurde sodann erstmals ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nach den Übergriffen auf seine Frau zwei Mal von Al Shabaab-Mitgliedern angerufen worden sei, wobei diese gefordert hätten, dass er sich ihnen anschließe, um sich an den Tätern zu rächen; dies habe er jedoch abgelehnt und sie hätten ihm daher gesagt, dass er dies noch bereuen werde (AS 317). In der mündlichen Verhandlung schilderte der Beschwerdeführer die Vorfälle in Zusammenhang mit Al Shabaab hingegen abweichend. So gab er zusammengefasst an, dass sie verlangt hätten, er solle zu ihnen kommen, da sie ihn schützen bzw. „das Problem lösen“ könnten und sich für ihn rächen würden (S. 5, 15 und 17 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Dass der Beschwerdeführer daraufhin abgelehnt habe und die Al Shabaab-Mitglieder ihm daher gedroht hätten sowie dass Al Shabaab – wie von der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers am Ende der Verhandlung vorgebracht (S. 18 der Niederschrift der Verhandlung) – ihn aufgrund einer Weigerung sich anzuschließen verfolgt hätte, erwähnte er mit keinem Wort. Vielmehr gab er lediglich an, er habe die Worte der Al Shabaab am Telefon „ignoriert“ (S. 5 der Niederschrift der Verhandlung) bzw. nicht weiter mit ihnen gesprochen und den Anruf abgebrochen (S. 17 der Niederschrift der Verhandlung). Zudem verneinte er die Frage, ob er in Somalia auch Probleme mit Al Shabaab gehabt habe, in der mündlichen Verhandlung dezidiert (S. 14 Niederschrift der Verhandlung). Auf entsprechende Nachfrage an späterer Stelle, ob er konkrete Befürchtungen von Seiten der Al Shabaab habe, gab er lediglich vage und unkonkret Folgendes an: „Ja. Al Shabaab macht immer den Minderheitsangehörigen Probleme. Sie müssen für sie arbeiten und sie bringen sie dorthin, wo es keine Rückkehr mehr gibt.“ (S. 17 der Niederschrift der Verhandlung).

Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, dass seine mit Al Shabaab zusammenhängenden Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht protokolliert worden seien (S. 5 der Niederschrift der Verhandlung), ist anzumerken, dass gegenständlich keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, wonach es zu Protokollierungsfehlern oder einer unvollständigeren Protokollierung der Einvernahme gekommen ist. Vielmehr geht aus der Niederschrift der Einvernahme hervor, dass diese im Beisein eines Dolmetsches für die Sprache Somali durchgeführt wurde, eine Rückübersetzung stattgefunden hat und der Beschwerdeführer jede Seite der Niederschrift unterschrieben sowie die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben bestätigt hat. Es ergeben sich sohin keinerlei überzeugende Hinweise an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift zu zweifeln.

Darüber hinaus machte der Beschwerdeführer auch hinsichtlich der Ermordung seines Vaters widersprüchliche Angaben. So brachte er in der Einvernahme vor der belangten Behörde vor, im Zuge des zweiten Überfalls seien zunächst seine Mutter zusammengeschlagen und seine Frau wiederholt vergewaltigt worden; sein Vater sei anschließend nach Hause gekommen und sofort von den Männern getötet worden (AS 98). In der mündlichen Verhandlung gab er hingegen an, dass sein Vater nach Hause gekommen sei, als die Männer das Haus bereits verlassen hätten. Sein Vater habe dann die Familie gefragt, was passiert sei und Minuten später seien die Männer zurückgekommen und hätten ihn getötet (S. 11f der Niederschrift der Verhandlung). Auch auf Nachfrage an späterer Stelle gab der Beschwerdeführer an, dass die Familie dem Vater von den Geschehnissen berichtet habe und währenddessen die Männer wieder zurückgekommen seien und ihn dann erschossen hätten (S. 14 der Niederschrift der Verhandlung).

Hinsichtlich der behaupteten Übergriffe auf seine Frau mutet die Schilderung des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, seine Frau habe ihn nach der mehrfachen Vergewaltigung angerufen und ihm mitgeteilt, er solle nicht nachhause kommen, da die Männer nach wie vor in der Wohnung seien (AS 98), zumindest seltsam an. In Zweifel zu ziehen ist überdies die Aussage des Beschwerdeführers, wonach seine Frau keine (körperlichen) Verletzungen davongetragen habe (S. 13 der Niederschrift der Verhandlung). Zudem ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland nach den behaupteten Übergriffen auf seine Frau verlassen und seine Frau schlichtweg alleine und ohne männlichen Schutz zurücklassen würde. Auf entsprechende Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, wie es seiner Frau möglich sei, in Somalia ohne männlichen Schutz zu leben, konnte der Beschwerdeführer keine schlüssige Erklärung geben: „Es ist schwierig. Das Problem hat uns alle betroffen. Ich bin geflüchtet, weil ich verfolgt wurde. Sie konnte damals bleiben, da sie eine Frau ist.“ (S. 10 der Niederschrift der Verhandlung). Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer eine wiederholte Gruppenvergewaltigung seiner Ehefrau in Somalia ins Treffen führte, mutet die Aussage, sie habe in Somalia bleiben können, während er flüchten habe müssen, nahezu zynisch an.

Zu der von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Diskriminierung aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Ashraf ist überdies auf die Länderberichte zu verweisen, wonach die Ashraf traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt werden. Der Beschwerdeführer vermochte im gesamten Verfahren keine konkret gegen ihn gerichtete Diskriminierung in asylrelevantem Ausmaß aufgrund seiner Clanzugehörigkeit glaubhaft zu machen. Eine systematische Verfolgung der Clanangehörigen der Ashraf ergibt sich auch aus den Länderberichten nicht und wurde dies auch von dem Beschwerdeführer nicht näher substantiiert dargetan, weshalb – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung – von keiner asylrelevanten Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers wegen seiner Clanzugehörigkeit auszugehen ist.

In einer Gesamtschau der dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen sowie unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm in Somalia eine asylrelevante Verfolgung droht.

Die Feststellung, wonach das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit nicht konkret vorgebracht wurde und Hinweise für eine solche Verfolgung auch amtswegig nicht hervorgekommen sind, ergibt sich aus der Aktenlage, insbesondere aus der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keine Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Verfolgung vorgebracht hat bzw. nicht einmal ein Hinweis auf eine solche amtswegig zu ersehen war.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.

Mit Parteiengehör vom 07.08.2025 wurde dem Beschwerdeführer das überarbeitete Länder-informationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia vom 07.08.2025 übermittelt und Gelegenheit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme gegeben, wobei explizit darauf hingewiesen wurde, dass bereits erbrachte Stellungnahmen im Verfahren weiterhin Berücksichtigung finden. Der Beschwerdeführer ist dem aktualisierten Länderinformationsblatt vom 07.08.2025 nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

3.2. Zu A) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zuge-hörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 mwN). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055; vgl. auch VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Herkunftsstaates bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Herkunftsstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (vgl. etwa VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Herkunftsstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 12.06.2018, Ra 2018/20/0177; 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinne der ZPO zu verstehen. Es genügt daher, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, das heißt er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichtes vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2018/19/0262; vgl. auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0237-0240, mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer keine (drohende) Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht habe. Mit dieser Beurteilung ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – wie beweiswürdigend dargelegt – im Ergebnis im Recht.

Da sich aus den Verfahrensergebnissen – unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien sowie der Leitlinien der EUAA zu Somalia – auch sonst keine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete (drohende) Verfolgung in seinem Herkunftsstaat ableiten ließ, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (vgl. z.B. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0149, mwN).