Spruch
W610 2294637-1/12E
W610 2294642-1/12E
W610 2294657-1/10E
W610 2294895-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a RASCHHOFER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geboren am XXXX , 2.) XXXX , geboren am XXXX , 3.) XXXX , geboren am XXXX , 4.) mj. XXXX , geboren am XXXX und 5.) mj. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Syrien und vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 09.05.2024, 2.)-5.) vom 16.05.2024, Zahlen: 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX und 5.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige Syriens, die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des volljährigen Zweitbeschwerdeführers, der volljährigen Drittbeschwerdeführerin, des minderjährigen Viertbeschwerdeführers sowie der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin.
2. Am 19.09.2023 stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich, die damals minderjährige Drittbeschwerdeführerin, den minderjährigen Viertbeschwerdeführer und die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
In der am darauffolgenden Tag durchgeführten polizeilichen Erstbefragung gab die Erstbeschwerdeführerin zur Begründung der Anträge im Wesentlichen an, dass sie Syrien im Jahr 2013 zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Kindern aufgrund des dort herrschenden Krieges verlassen habe. Anschließend habe die Familie zehn Jahre lang in der Türkei gelebt, wo sie zuletzt infolge eines Erdbebens alles verloren habe. Aus diesem Grund sei die Erstbeschwerdeführerin zusammen mit ihren Kindern schlepperunterstützt nach Österreich gereist; ihr Ehemann halte sich nach wie vor in der Türkei auf. In Syrien würden ihr Vater und neun Geschwister leben. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
Die damals minderjährige Drittbeschwerdeführerin gab anlässlich ihrer polizeilichen Erstbefragung an, dass sie im Jahr 2013 gemeinsam mit ihrer Familie aus Syrien in die Türkei geflohen sei. Da sie nun dort infolge des Erbebens alles verloren hätten, seien sie nach Österreich geflüchtet. Die Drittbeschwerdeführerin sei damals wie heute ein Kind gewesen und sei mit ihrer Familie mitgereist. Zu ihren Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr gab sie an, dass sie dort nichts habe und bei ihrer Familie bleiben wolle.
Am 03.10.2023 stellte der damals minderjährige Zweitbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, den er in der am darauffolgenden Tag durchgeführten Erstbefragung ebenfalls damit begründete, dass er Syrien im Jahr 2013 gemeinsam mit seiner Familie aufgrund des Krieges verlassen habe. In Syrien würde er um sein Leben fürchten, weil es dort keine Sicherheit gebe.
3. Am 06.05.2024 wurden die (volljährigen) beschwerdeführenden Parteien vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen.
3.1. Die Erstbeschwerdeführerin gab zusammengefasst an, dass sie aus Idlib stamme und infolge ihrer Heirat im Alter von 19 Jahren zusammen mit ihrem Ehemann nach XXXX gezogen sei. Dort hätten sie ungefähr acht Jahre, bis zum Ausbruch des Krieges, gelebt. Ihr Ehemann habe für den Staat bzw. die Polizei gearbeitet, sei im Jahr 2011 desertiert und nach Idlib zurückgekehrt. Nach der Desertation ihres Ehemannes seien sie von beiden Seiten – vom Staat und auch von anderen – bedroht worden. Nach der Rückkehr in ihren Heimatort in Idlib sei ihr Ehemann auch von der Opposition gesucht worden. Sie seien dann ungefähr ein Jahr lang unterwegs gewesen und von Ort zu Ort geflohen. Ihr Mann sei schließlich in die Türkei gegangen und sie seien ihm gefolgt. Ihr Fluchtgrund sei, dass ihr Ehemann – ebenso wie dessen Brüder – gesucht werde. Der Erstbeschwerdeführerin sei in diesem Zusammenhang lediglich bekannt, dass ihr Ehemann und dessen Brüder beim Staat gearbeitet hätten, über deren nähere Tätigkeit habe sie jedoch keine Kenntnis. Sie hätten Syrien zu Beginn des Krieges verlassen, als ihr Gebiet sehr stark bombardiert worden sei. Ihr Vater und ihre neun Geschwister hielten sich nach wie vor an der türkischen Grenze in Syrien auf. Ihr Ehemann befände sich mit seinem Vater in einem Flüchtlingslager in der Türkei. Im Fall einer Rückkehr nach Syrien würde nach ihnen gesucht werden; die Erstbeschwerdeführerin traue sich nicht, nach Syrien zurückzukehren, auch ihre Kinder seien psychisch belastet und die Erstbeschwerdeführerin könne diese nicht der herrschenden Kriegssituation aussetzen. Im Fall einer Rückkehr wäre der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin gezwungen, für die ihr Heimatgebiet beherrschende Opposition zu arbeiten. Darüber hinaus würden sie auch vom syrischen Regime gesucht werden. Für ihre Kinder würden die gleichen Gründe gelten. Die Erstbeschwerdeführerin wünsche sich Stabilität und Sicherheit.
3.2. Der Zweitbeschwerdeführer gab im Wesentlichen an, dass er Syrien im Jahr 2013 zusammen mit seiner Familie aufgrund des Krieges und der Tatsache, dass sie gesucht und verfolgt worden seien, verlassen habe. Der Zweitbeschwerdeführer sei damals noch klein gewesen, er wisse jedoch, dass sein Vater beim Militär gewesen und desertiert sei. Auch die Brüder seines Vaters seien desertiert, weshalb die Familie als Verräter angesehen und verfolgt werde. Bei einer Rückkehr nach Syrien könnte der Zweitbeschwerdeführer vom Regime verfolgt oder zum Wehrdienst eingezogen werden.
4. Mit Bescheiden vom 09.05.2024 respektive vom 16.05.2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I.). Zugleich erkannte es ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkte II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte III.).
Die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begründete das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass die beschwerdeführenden Parteien Syrien laut eigenen Angaben aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage verlassen hätten. Ein individuelles Interesse der syrischen Regierung oder der Opposition an der Familie der beschwerdeführenden Parteien sei angesichts ihres vagen, oberflächlichen und gegenüber der Erstbefragung gesteigerten Vorbringens nicht glaubhaft. Die beschwerdeführenden Parteien seien in Syrien nie einer konkreten Bedrohung oder Verfolgung seitens des syrischen Regimes oder sonstiger Akteure ausgesetzt gewesen und hätten eine solche auch im Fall einer Rückkehr nicht zu befürchten. Der Zweitbeschwerdeführer habe im Hinblick auf die geäußerte Furcht vor einer Einberufung zum Militärdienst die Möglichkeit, sich durch die Leistung einer Wehrersatzgebühr von diesem befreien zu lassen. Eine den beschwerdeführenden Parteien drohende Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung habe daher nicht festgestellt werden können.
Aufgrund der allgemein prekären Sicherheits- und Versorgungslage in Syrien sei den beschwerdeführenden Parteien jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.
5. Gegen die Spruchpunkte I. dieser, ihnen am 29.05.2024 zugestellten, Bescheide erhoben die Erstbeschwerdeführerin und die (damals) minderjährigen dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien am 20.06.2024 und der Zweitbeschwerdeführer am 18.06.2024 durch ihre nunmehrige Rechtsvertretung Beschwerde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde es unterlassen habe, sich mit den Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der drohenden Zwangsrekrutierung durch Kriegsparteien, den Folgen der Desertation des Ehemannes bzw. Vaters und der Onkel, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland sowie der prekären Situation von Frauen in Syrien auseinanderzusetzen. Den Länderberichten sei zu entnehmen, dass das Ausmaß sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Syrien erheblich sei und dahingehende Schutzmöglichkeiten nicht vorhanden seien. Gleichermaßen seien auch Kinder in Syrien vielfältigen Formen der Gewalt ausgesetzt. Darüber hinaus drohe den beschwerdeführenden Parteien Reflexverfolgung durch das syrische Regime wegen der Desertation des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin respektive Vaters der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien und ihrer Herkunft aus einem von der Opposition kontrollierten Gebiet. Die beschwerdeführenden Parteien hätten Syrien aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund der (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung, wegen der Desertation des Ehemannes bzw. Vaters und der Onkel von ihrem Dienst im Sicherheitsapparat, der Herkunft aus einem von der Opposition kontrollierten Gebiet sowie wegen der illegalen Ausreise aus Syrien verlassen. Darüber hinaus drohe ihnen Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Ehefrauen bzw. Kinder von Deserteuren. Im Hinblick auf den Zweitbeschwerdeführer wurde zudem ausgeführt, dass ihm im Fall einer Rückkehr die Einziehung zum Wehrdienst drohe, dessen Ableistung er aus Gewissensgründen ablehne. Im Hinblick auf die dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien wurde ausgeführt, dass diese aufgrund ihres jungen Alters kein eigenes Vorbringen hätten und sich den Vorbringen ihrer Mutter und ihres Bruders anschließen würden. Als Kinder seien sie zusätzlich mannigfaltigen Gefahren wie Entführung, Folter, Zwangsrekrutierung und Zwangsverheiratung ausgesetzt. Bei richtiger rechtlicher Würdigung wäre ihnen daher der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen.
6. Die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegten Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakte langten am 01.07.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.08.2024 wurden die Rechtssachen der ursprünglich zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung mit Wirkung vom 02.09.2024 neu zugewiesen.
7. Am 12.12.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in der die (volljährigen) beschwerdeführenden Parteien im Beisein ihrer bevollmächtigten Vertretung zu ihren Lebensumständen in Syrien sowie zu ihren Fluchtgründen und ihren aktuellen Rückkehrbefürchtungen befragt wurden; die Erstbeschwerdeführerin wurde als gesetzliche Vertreterin in den Verfahren ihrer minderjährigen Kinder befragt. Anlässlich der Verhandlung wurde den beschwerdeführenden Parteien das im Verfahren (vorläufig) herangezogene Länderberichtsmaterial zur Situation in Syrien zur Kenntnis gebracht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte im Vorfeld schriftlich mitgeteilt, auf die Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten, jedoch die Abweisung der Beschwerden zu beantragen.
8. Nach Aktualisierung der Länderinformationen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden den beschwerdeführenden Parteien mit Schreiben vom 16.07.2025 im Wege ihrer Rechtsvertretung die aktualisierten Länderinformationen zu Syrien (Version 12 vom 08.05.2025) übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen schriftlich Stellung zu nehmen.
9. In einer am 18.07.2025 eingelangten Stellungnahme führten die beschwerdeführenden Parteien zusammengefasst aus, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien als Militärangehöriger in XXXX im Dienst des syrischen Regimes tätig gewesen und von diesem desertiert sei. Die gesamte Familie stehe der derzeit von der Gruppierung Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) dominierten syrischen (Übergangs-)Regierung ablehnend gegenüber und vertrete eine oppositionelle Haltung. Die beschwerdeführenden Parteien hätten wohlbegründete Furcht vor Verfolgung durch die neuen Machthaber aufgrund der ihnen zumindest unterstellten politischen Überzeugung aufgrund der Arbeit des Ehemannes bzw. Vaters unter dem gestürzten Assad-Regime. Erschwerend komme hinzu, dass sich der Ehemann bzw. Vater der beschwerdeführenden Parteien bereits in der Vergangenheit geweigert habe, sich der HTS anzuschließen. Dem Bericht der EUAA „Country Focus“ aus Juli 2025 sei zu entnehmen, dass trotz der öffentlich angekündigten Amnestien für ehemalige Angehörige der syrischen Streitkräfte Berichte über Verhaftungen ehemaliger Soldaten und Offiziere der syrischen Armee, darunter auch Rückkehrer aus dem Exil und Kämpfer gegen den IS, sowie über die Durchführung von Razzien gegen Personen, die mit dem Assad-Regime in Verbindung gebracht werden, darunter Militärangehörige und Zivilisten, vorlägen. Die aktuelle Lage sei von willkürlichen Verhaftungen, Folter, fehlendem Rechtsschutz und gezielter Vergeltung gegen ehemalige Angehörige des Assad-Apparats geprägt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien:
1.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien führen die im Erkenntniskopf ersichtlichen Personalien, sind Staatsangehörige Syriens, bekennen sich zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung und gehörigen der Volksgruppe der Araber an. Ihre genaue Identität steht nicht fest. Die Erstsprache der beschwerdeführenden Parteien ist Arabisch.
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des volljährigen Zweitbeschwerdeführers, der volljährigen Drittbeschwerdeführerin, des minderjährigen Viertbeschwerdeführers sowie der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin.
1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin wurde im Ort XXXX im Gouvernement Idlib geboren, wo sie im Familienverband mit ihren Eltern und zehn Geschwistern aufwuchs und eine zwölfjährige Schulbildung absolvierte. Infolge ihrer Eheschließung zog sie im Jahr 2005 im Alter von etwa 18/19 Jahren gemeinsam mit ihrem Ehemann nach XXXX (Stadt). In den Jahren XXXX und XXXX wurden die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien als Kinder der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes in Syrien XXXX geboren. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges zogen die erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien zusammen mit ihrem Ehemann respektive Vater im Jahr 2011 wieder in den Geburtsort der Erstbeschwerdeführerin im Gouvernement Idlib, der damals unter Kontrolle oppositioneller bewaffneter Gruppierungen (HTS) stand. Dort haben sie bis zu ihrer Ausreise aus Syrien gelebt.
Im Jahr 2013 verließ die Familie Syrien aufgrund des Bürgerkrieges und ließ sich in der Türkei XXXX nieder. Im Jahr XXXX kam die Fünftbeschwerdeführerin in der Türkei zur Welt. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien ging in der Türkei einer Erwerbstätigkeit als Verkäufer nach und finanzierte so den Lebensunterhalt der Familie. Die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien besuchten in der Türkei die Schule. Nachdem das Wohngebiet der beschwerdeführenden Parteien im Februar 2023 durch ein Erdbeben zerstört worden war, verließen zunächst der Zweitbeschwerdeführer und in der Folge auch die Erstbeschwerdeführerin und ihre weiteren Kinder die Türkei und reisten schlepperunterstützt nach Österreich, wo sie am 19.09.2023 bzw. am 03.10.2023 Anträge auf internationalen Schutz stellten.
1.1.3. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien hält sich weiterhin in der Türkei auf, wo er nunmehr in einem Flüchtlingslager lebt und sich um seinen schwer erkrankten Vater kümmert.
Der Vater und neun Geschwister der Erstbeschwerdeführerin halten sich nach wie vor in Syrien auf, wo sie zuletzt in einem Flüchtlingslager an der türkischen Grenze lebten. Die Mutter und ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin sind bereits verstorben.
Die beschwerdeführenden Parteien stehen im regelmäßigen Kontakt mit ihren Angehörigen in der Türkei und in Syrien.
1.1.4. Der Zweitbeschwerdeführer hat vor seiner Einreise nach Österreich zwölf Jahre und die Drittbeschwerdeführerin elf Jahre die Schule besucht. Beide sind ledig und haben keine Kinder.
1.1.5. Die Erstbeschwerdeführerin leidet unter Problemen mit der Schilddrüse (Hashimoto) und nimmt aus diesem Grund Medikamente ein. Die beschwerdeführenden Parteien sind darüber hinaus jeweils gesund, strafgerichtlich unbescholten bzw. strafunmündig und verfügen in Österreich über den Status subsidiär Schutzberechtigter.
1.2. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:
Die beschwerdeführenden Parteien verließen Syrien im Jahr 2013 wegen der allgemein prekären Sicherheitslage aufgrund des Bürgerkrieges. Die beschwerdeführenden Parteien waren in Syrien in der Vergangenheit jeweils keiner individuellen Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt.
Es ist nicht glaubwürdig, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien in Syrien für (Sicherheits-)Behörden des syrischen Assad-Regimes tätig war. Ebensowenig wurde dieser in Idlib durch Angehörige der (ehemaligen) Hay‘at Tahrir ash-Sham (im Folgenden: HTS) bedroht oder zu einer Zusammenarbeit mit dieser aufgefordert.
1.3. Zur Gefahr einer individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat:
1.3.1. Die beschwerdeführenden Parteien begründeten ihre Anträge auf internationalen Schutz mit dem Umstand, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien sowie dessen Brüder aus einer Anstellung im Behördenapparat des syrischen Assad-Regimes desertiert seien. Aus diesem Grund drohe der gesamten Familie Verfolgung seitens des Assad-Regimes. Darüber hinaus drohe dem Zweitbeschwerdeführer eine Einberufung zum Wehrdient.
Aus diesem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist (unabhängig von dessen Glaubwürdigkeit) keine ihnen in Syrien potentiell drohende Verfolgung mehr ableitbar. In Syrien ereigneten sich im Dezember 2024 erhebliche politische Umbrüche, nachdem Oppositionsgruppen unter der Führung der HTS eine Großoffensive gestartet hatten, welche am 08.12.2024 zur Flucht des Langzeitmachthabers Bashar al-Assad aus Syrien und zur Beendigung des Assad-Regimes führte. Der Anführer der (ehemaligen) HTS, Ahmed ash-Shara’, wurde am 29.01.2025 zum Übergangspräsidenten ernannt. Am 29.03.2025 wurde die neue syrische Regierung ernannt, die etwa zur Hälfte aus Personen mit Verbindungen zur HTS sowie aus mehreren engen Vertrauten ash-Shara's besteht.
Das ehemalige Assad-Regime verfügt in Syrien über keine Gebietshoheit mehr. Die Sicherheitskräfte des Assad-Regimes sowie die Syrische Arabische Armee wurden aufgelöst.
Die Herkunftsregion der beschwerdeführenden Parteien, die Stadt XXXX im Gouvernement Idlib, sowie die Stadt XXXX stehen unter Kontrolle der neuen syrischen Regierung.
Den beschwerdeführenden Parteien droht bei einer Rückkehr nach Syrien daher keine Gefahr einer Verfolgung durch das Assad-Regime, insbesondere auch nicht aufgrund der vorgebrachten Desertation von Familienangehörigen bzw. Wehrdienstverweigerung.
1.3.2. Den beschwerdeführenden Parteien droht im Fall einer Rückkehr nach Syrien auch keine Gefahr, durch die neue syrische Regierung, durch die (ehemalige) HTS oder durch sonstige Gruppierungen zwangsweise rekrutiert oder aus sonstigen Gründen verfolgt zu werden. Sie sind gegenüber der neuen syrischen Regierung oder der (ehemaligen) HTS nicht kritisch in Erscheinung getreten und sind nicht persönlich in deren Blickfeld geraten. Die beschwerdeführenden Parteien haben sich in Syrien nicht an Kampfhandlungen beteiligt und wiesen zu keinem Zeitpunkt ein Naheverhältnis zum syrischen Assad-Regime auf.
1.3.3. Der Erstbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführerin und der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin droht in Syrien keine geschlechtsspezifische Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau bzw. Mädchen. Sie laufen nicht Gefahr, in Syrien als alleinstehende Frauen bzw. Mädchen wahrgenommen zu werden und sie wären nicht ohne familiäre Unterstützung bzw. Schutz durch männliche Angehörige.
1.3.4. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien sind in Syrien keinem maßgeblichen Risiko von Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr allein aufgrund ihres Alters bzw. ihrer Eigenschaft als Kinder ausgesetzt.
Die beschwerdeführenden Parteien würden gemeinsam im Familienverband nach Syrien zurückkehren, wo sie über ein verwandtschaftliches Netz verfügen.
1.3.5. Ebensowenig droht den beschwerdeführenden Parteien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund ihrer illegalen Ausreise oder ihrer Asylantragstellung im Ausland bzw. einer ihnen hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung.
1.3.6. Den beschwerdeführenden Parteien droht in Syrien (auch aus sonstigen Gründen) keine Verfolgung aufgrund ihrer ethnischen, religiösen oder nationalen Zugehörigkeit, wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung.
1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Verfahren wurden insbesondere folgende Quellen herangezogen:
Länderinformationen der Staatendokumentation zu Syrien, Version 12, 08.05.2025
EUAA, Syria: Country Focus, März 2025
EUAA, Syria: Country Focus, Juli 2025
EUAA, Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025:
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Die Transformation der syrischen Politik ist noch nicht abgeschlossen und es wurden bereits Änderungen für März 2025 angekündigt. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
Die Karte zeigt die Aufteilung Syriens unter den bewaffneten Gruppierungen Ende Februar 2025:
TWI 28.2.2025
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten (LTO 9.12.2024). Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert (SYRDiplQ1 5.2.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach (AC 23.1.2025). Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war (AlMon 11.12.2024). Ash-Shara' und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt (ISW 19.12.2024). Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden (AJ 15.12.2024a). Ash-Shara', sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren (Akhbar 31.12.2024). Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (AC 23.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Die Übergangsregierung kündigte an, dass eine umfassende nationale Dialogkonferenz, eine vorläufige Verfassungserklärung abgeben, einen Ausschuss zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bilden und eine Übergangsregierung bestätigen wird, die die Macht von al-Bashirs Regierung übernehmen wird (AJ 27.1.2025a). Am 12.2.2025 bestätigten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass die syrische Präsidentschaft das Vorbereitungskomitee für die Nationale Konferenz gebildet hat bestehend aus fünf Männern und zwei Frauen (AJ 12.2.2025; vgl. Sky News 12.2.2025). Zur Vorbereitung der Konferenz hat das siebenköpfige Vorbereitungskomitee Anhörungen in den Gouvernements organisiert und manchmal mehrere zweistündige Sitzungen pro Tag abgehalten, um die 14 Provinzen Syriens in einer Woche abzudecken. Fünf Mitglieder des Komitees gehörten der HTS an oder stehen ihr nahe. Vertreter der Drusen oder Alawiten, zwei der großen Minderheiten in Syrien, waren nicht dabei (BBC 25.2.2025). Mit 12.2.2025 nahm dieses Komitee seine Arbeit auf, um die nationale Konferenz vorzubereiten und die Einladungen an die Teilnehmer zu verschicken (AJ 12.2.2025). Die sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitees haben etwa 4.000 Menschen in ganz Syrien konsultiert, um Meinungen einzuholen, die bei der Ausarbeitung einer Verfassungserklärung, eines neuen Wirtschaftsrahmens und eines Plans für institutionelle Reformen helfen sollen, teilte das Komitee am 23.2.2025 Reportern mit (REU 23.2.2025; vgl. AlHurra 23.2.2025). Am 25.2.2025 fand die Konferenz zum Nationalen Dialog in Damaskus statt. Hunderte von Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen waren anwesend, aber viele andere Persönlichkeiten und Gruppierungen waren nicht anwesend (AlHurra 25.2.2025). Ca. 400 Vertreter der Zivilgesellschaft, der Glaubensgemeinschaften, der Opposition und der Künstler nahmen teil (AlHurra 25.2.2025). Laut BBC waren es sogar 600 Teilnehmer (BBC 25.2.2025). Die Kurdische Autonomieverwaltung (Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien - DAANES) und ihr militärischer Arm, die SDF, haben keine Einladung zur Teilnahme an der Konferenz erhalten. Die Organisatoren hatten zuvor mitgeteilt, dass keine militärischen Einheiten oder Formationen, die noch ihre Waffen behalten, eingeladen wurden (AlHurra 25.2.2025). Nach der Eröffnung der Konferenz wurden die Teilnehmer in sechs Workshops eingeteilt, die sich mit zentralen Themen befassten, darunter „persönliche Freiheiten“, „Verfassungsaufbau“ und „Übergangsjustiz“. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde die rasche Bildung des provisorischen Legislativrats gefordert, der die Aufgaben der Legislative nach „Kriterien der Kompetenz und der gerechten Vertretung“ übernehmen soll (BBC 25.2.2025). Das Komitee der Dialogkonferenz gibt Empfehlungen heraus und erlässt keine Entscheidungen (AJ 21.2.2025). Diese Empfehlungen sollen in die Verfassungserklärung und den Plan für institutionelle Reformen einfließen, versichert der Sprecher des Komitees (AlHurra 23.2.2025; vgl. BBC 23.2.2025). Auf der Konferenz wurden mehrere Erklärungen abgegeben, darunter die Bildung eines Legislativrats, ein Bekenntnis zur Übergangsjustiz, zu den Menschenrechten und zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Eine am Ende der eintägigen Konferenz veröffentlichte Erklärung – die nur wenige Tage zuvor angekündigt wurde und vielen potenziellen Teilnehmern nur wenig Vorbereitungszeit ließ – ebnete den Weg für die Bildung eines siebenköpfigen Ausschusses, der mit der Ausarbeitung einer Übergangserklärung zur Verfassung beauftragt wurde (TNA 3.3.2025). Am 2.3.2025 gab die neue Regierung die Bildung dieses siebenköpfigen Ausschusses bekannt. Der Ausschuss besteht aus einem Expertenkomitee, dem auch zwei Frauen angehören und dessen Aufgabe es ist, die Verfassungserklärung, die die Übergangsphase regelt, in Syrien zu entwerfen. Das Komitee werde „seine Vorschläge dem Präsidenten vorlegen“, hieß es in einer Erklärung, ohne einen Zeitrahmen anzugeben (FR24 2.3.2025; vgl. BBC 3.3.2025). Weniger als zwei Stunden nach dieser Entscheidung wurden die Texte der Artikel, die in diese Erklärung aufgenommen werden sollen, bekannt, was bei den Syrern sowohl Bestürzung als auch Spott hervorrief, zumal die Informationen von arabischen Satellitenkanälen und nicht von lokalen Sendern stammten (Nahar 4.3.2025). Der Ausschuss stellte fest, dass die Verfassungserklärung die allgemeinen Grundlagen des Regierungssystems festlegen wird, um Flexibilität und Effizienz bei der Verwaltung des Staates in dieser sensiblen Zeit zu gewährleisten, um die politische und soziale Einheit und die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Die Ideen aus den nationalen Dialogen und Diskussionen, die in den Workshops zur Verfassungsgebung während der Nationalen Dialogkonferenz stattgefunden haben, sollen vom Ausschuss berücksichtigt werden (SANA 3.3.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat (ISW 24.3.2025), die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba'ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei (TNA 23.3.2025) sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen (ISW 24.3.2025). Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (TNA 23.3.2025).
Die Verfassung und das Parlament wurden während der dreimonatigen Übergangszeit ausgesetzt, so die interimistischen Behörden (Almodon 8.1.2025). Laut Leaks wird der Übergangspräsident die Volksversammlung innerhalb von 60 Tagen nach der Veröffentlichung der Verfassungserklärung ernennen. Die Volksversammlung wird 100 Mitglieder umfassen, wobei eine gerechte Vertretung der Komponenten und Kompetenzen berücksichtigt wird, und wird vom Präsidenten der Republik durch ein republikanisches Dekret für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt (AlHurra 3.3.2025). Am 29.12.2024 sagte ash-Shara' in einem Interview, dass die Durchführung legitimer Wahlen eine umfassende Volkszählung benötige (Arabiya 29.12.2024). In einem Interview gab er an, dass es damit in Syrien freie, faire und integre Wahlen abgehalten werden können, einer Volkszählung, der Rückkehr der im Ausland lebenden Menschen, der Öffnung der Botschaften und der Wiederherstellung des legalen Kontakts mit der Bevölkerung bedarf. Darüber hinaus sind viele der Menschen, die innerhalb des Landes vertrieben wurden oder in Lagern in den Nachbarländern leben, nicht bei den Flüchtlingskommissionen registriert usw. (Economist 3.2.2025). Abgesehen von der wiederholten Aussage, dass Ausschüsse gebildet und Fachleute hinzugezogen würden, gab al-Shara nicht viel Aufschluss darüber, wie der Wahlprozess aussehen würde (NYT 30.12.2024). Ash-Shara' hatte angemerkt, dass die Einrichtung dieser Ausschüsse in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. Er teilte der BBC am 18.12.2024 mit, dass ein syrisches Komitee von Rechtsexperten zusammentreten werde, um eine Verfassung zu verfassen und über eine Reihe nicht näher bezeichneter rechtlicher Fragen, darunter den Alkoholkonsum, zu entscheiden. Es ist unklar, auf welche Rechtsexperten sich ash-Shara' bezieht und ob diese Experten repräsentativ für die multiethnische, sektiererische und religiöse Bevölkerung Syriens sind oder ob es sich um HTS-nahe sunnitische Gelehrte handelt (ISW 19.12.2024).
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
Anfänglich drängten die Vereinten Nationen (VN) auf eine Rückkehr zum lange stagnierenden politischen Übergang auf der Grundlage der Resolution 2254 (National 9.12.2024). Die 2015 verabschiedete Resolution 2254 des Sicherheitsrates, die einen politischen Übergang in Syrien durch Verhandlungen zwischen der Regierung des gestürzten Regimes und der Opposition forderte, ist inzwischen gegenstandslos geworden, da das Regime, mit dem verhandelt werden sollte, gestürzt ist (AJ 28.12.2024a). Ash-Shara' sieht keine Notwendigkeit mehr für den Arbeitsmechanismus der Vereinten Nationen in Syrien und macht keinen Hehl aus seiner mangelnden Bewunderung für den UN-Gesandten Geir Pedersen. Die neue Regierung hat kein Interesse mehr an der Resolution 2254 und ihren Bestimmungen. Ash-Shara' sagte, dass die vergangenen Jahre die Ineffektivität der VN gezeigt hätten, weshalb er die Resolution mit dem Sturz des Regimes als hinfällig betrachte (Akhbar 31.12.2024).
Syrien steht auf der US-amerikanischen Liste der Länder, die den Terrorismus unterstützen und HTS wird von der Europäischen Union, der Türkei und den USA als ausländische terroristische Organisation eingestuft (AJ 15.12.2024a). HTS wurde im Mai 2014 auf die Terrorliste der UN gesetzt, als der Sicherheitsausschuss zu dem Schluss kam, dass es sich um eine terroristische Organisation mit Verbindungen zur al-Qaida handelt. Sie unterliegen drei Sanktionsmaßnahmen: Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbot und Waffenembargo. Das bedeutet, dass international von allen Mitgliedstaaten erwartet wird, dass sie diese Maßnahmen einhalten. Um HTS nicht mehr als Terrororganisation zu listen, müsste ein Mitgliedstaat die Streichung von der Liste vorschlagen, und dieser Vorschlag würde dann an den zuständigen Ausschuss des Sicherheitsrats weitergeleitet. Der Ausschuss, der sich aus Vertretern aller 15 Länder zusammensetzt, die den Sicherheitsrat bilden, müsste dann einstimmig beschließen, den Vorschlag zu genehmigen (UN News 12.12.2024). Die internationale Gemeinschaft akzeptierte in bilateralen und multilateralen Formaten, dass HTS, trotz ihrer Einstufung als terroristische Vereinigung, einen Platz am Verhandlungstisch benötigt (MEI 9.12.2024).
Das Präsidium der syrischen Übergangsregierung hat einen Beschluss zur Einrichtung einer Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen gefasst, die verwaltungstechnisch und finanziell unabhängig und direkt mit dem Premierminister verbunden ist. Die Behörde für Land- und Seehäfen wird die Generalgesellschaft des Hafens von Tartus, die Generalgesellschaft des Hafens von Latakia, die Generaldirektion der Häfen und andere umfassen, erklärte das Präsidium in einer separaten Entscheidung und ernannte Qutaiba Ahmad Badawi zum Leiter der Behörde. Die neue Behörde wird die Ein- und Ausfahrt von Passagieren und Fracht und alles, was diese Aufgabe erleichtert, überwachen und organisieren, sagte sie. Die Behörde wird auch die Seeschifffahrt, die kommerziellen maritimen Angelegenheiten, die Häfen und den Seeverkehr beaufsichtigen und die für ihre Arbeit notwendigen kommerziellen Schiffe und Immobilien besitzen und leasen (LBCI 1.1.2025).
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara'a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-'Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara'a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). [Weitere Informationen zu den Gruppierungen in Südsyrien sowie zu ihrer Entwaffnung finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.1.2025). [...]
Quellen […]
Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-07 07:55
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[…]
Die aktuelle Verfassung von 2012 wurde ausgesetzt. Ahmad ash-Shara' setzte für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung drei Jahre an. Die neue syrische Regierung kündigte an, dass ein Verfassungskomitee aus den besten Juristen und Rechtsgelehrten gebildet werden würde, das daran arbeiten wird, die bisherige Verfassung zu überprüfen und Änderungen vorzunehmen (AJ 13.1.2025). Am 29.1.2025 wurde zudem beschlossen, alle Ausnahmegesetze, die während der Ära des abgesetzten Präsidenten al-Assad erlassen wurden, zu widerrufen (Sky News 31.1.2025). In einem Interview gab ash-Shara' am 3.2.2025 an, dass der hohe Justizrat noch besteht und nicht alle bisherigen Gesetze auf einmal aufgehoben worden sind. Es gibt über 150.000 offene Fälle vor Gericht, die erst behandelt werden können, wenn ein neues Gesetz erlassen wurde. Durch Experten und Fachausschüsse für Justizgesetze werden neue Gesetze vorgeschlagen und alte Gesetze, die nicht mit der Situation in Syrien übereinstimmen, ersetzt. Jedes Gesetz, das erlassen werden soll, wird einer vorläufigen parlamentarischen Versammlung vorgelegt, die darüber abstimmt, ob es verabschiedet werden soll oder nicht. Darüber hinaus gibt es den Hohen Justizrat und das Oberste Verfassungsgericht, sodass es ein rechtliches Verfahren für die Verabschiedung jedes Gesetzes im Land gibt. Das Verfahren unterliegt laut Aussagen von ash-Shara' den allgemeinen Gesetzen, die auf den in der Verfassungserklärung festgelegten Rahmenrichtlinien basieren. Des Weiteren wird es eine Verfassungserklärung geben. Ob es Scharia-Gesetze gibt oder nicht, werden ash-Shara' zufolge Experten entscheiden (Economist 3.2.2025). Gemäß einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung wird derzeit nicht mit Gesetzen, sondern mit Dekreten regiert. Die regierenden Milizen können anordnen, was sie wollen (NZZ 24.1.2025). Die derzeitige Regierung ist als Übergangsregierung gesetzlich darauf beschränkt, öffentliche Dienstleistungen und Betriebe aufrechtzuerhalten. Sie kann zwar Gesetze oder Rechtsvorschriften aussetzen, die Verstöße beinhalten, ist jedoch nicht befugt, Gesetze zu erlassen oder zu ändern, was eine gesetzgebende Körperschaft erfordern würde (HLP Syria 14.1.2025b). Alle Entscheidungen der derzeitigen Regierung werden auf der Grundlage der revolutionären Legitimation getroffen, die sie an die Spitze des Landes gebracht hat, da es sich um eine geschäftsführende Regierung handelt. Daher sind die getroffenen Entscheidungen vorübergehend, bis die verfassungsmäßigen Grundsätze oder die Verfassungserklärung vereinbart sind, so ein Forscher am Syrischen Dialogzentrum (Almodon 8.1.2025). Am 2.3.2025 kündigten die syrischen Behörden die Bildung eines Ausschusses an, der eine Verfassungserklärung für den Übergang des Landes nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Assad ausarbeiten soll (FR24 2.3.2025).
Ash-Shara' hat Prediger als Richter eingesetzt (National 19.12.2024). Offiziell hat das syrische Übergangskabinett keine formellen Anweisungen zur Entlassung von Richterinnen herausgegeben, doch Quellen aus dem Justizpalast des Gouvernements Homs berichten, dass sie mündliche Anweisungen erhalten haben, Frauen aus Justizpositionen zu entfernen (TNA 2.1.2025a).
Nach dem Sturz des Regimes al-Assads und der Präsenz vieler bewaffneter Parteien herrschen in verschiedenen Regionen Syriens Chaos und Gesetzlosigkeit, was zu Verbrechen geführt hat, die möglicherweise durch persönliche Ziele motiviert sind. Notwendig sind klare Anweisungen an das Sicherheitspersonal, die besagen, dass es verboten ist, ohne richterlichen Beschluss der Staatsanwaltschaft, der den Eigentümern der zu durchsuchenden Häuser vorgelegt wird, in Häuser einzudringen (SOHR 2.2.2025). Besonders im Norden mehren sich die Anzeichen für eine Eskalation von Gesetzlosigkeit und Gewalt in einem geografischen Gebiet, das sich zwischen Homs, Latakia an der Küste und Aleppo weiter östlich erstreckt (Etana 3.2.2025). Anfang März 2023 kam es in der syrischen Küstenregion zu sektiererischen und regionalen Liquidierungsoperationen, bei denen Hunderte von Bürgern, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden. Die Sicherheitskräfte, Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen (SOHR 11.3.2025). Der syrische islamistische Übergangspräsident will die Verantwortlichen für das Massaker an Zivilisten zur Rechenschaft ziehen, und betonte, dass Syrien ein Rechtsstaat sei (ORF 10.3.2025). Zur Untersuchung der Morde kündigte ash-Shara' die Etablierung eines unabhängigen Ausschusses an (BBC 10.3.2025). [...]
Mitte Dezember kam es zu einem Treffen zwischen einer Delegation der Abteilung für militärische Operationen, Richtern und Anwälten im Justizpalast in Homs. Dort soll es zum Versuch gekommen sein, die Regierungskonzepte in Idlib auf die gesamte syrische Gesellschaft und ihre staatlichen Institutionen zu projizieren, anders als es in offiziellen Statements ash-Shara's kommuniziert wird. Der Leiter der Delegation soll in einer seltsamen Logik gesprochen haben und Scharia- und islamische (Rechts)Begriffe verwendet haben, die in der Realität der syrischen Gerichte nicht existieren, wie z. B. den Begriff „Scharia-Gericht in Homs“, womit er nicht das Gericht für Eheschließungen und Scheidungen, sondern den gesamten Justizpalast meinte, und er verwendete den Begriff „Sunna“ anstelle von Gesetz [auf Arabisch Qanoun - قانون Anm.] (Nahar 14.12.2024). Der Justizminister der Interimsregierung gab in einem Interview am 1.1.2025 an, dass 90 % der syrischen Bevölkerung Muslime sind und eine neue Regierung den Willen des Volkes berücksichtigen werde, was bedeute, dass die Implementierung der Scharia eine große Rolle spielen wird, wenn dies der Wille der Bevölkerung sei (MEMRI 1.1.2025). Der Rosa Luxemburg Stiftung zufolge gilt die Scharia in Syrien längst wichtigste Rechtsquelle – genauso wie in vielen anderen Staaten der Region. Die zentrale Frage ist aber, wie diese ausgelegt wird und inwiefern Islamisten wie ash-Shara' und seine Mitstreiter bereit sind, Kompromisse einzugehen (Rosa Lux 17.12.2024).
Der von der HTS in der Interimsregierung designierte Justizminister, al-Waysi, soll in einem Video, das in verschiedenen Social-Media Kanälen kursiert, zu sehen sein, wie er im Jahr 2015 eine Frau hinrichtet, als er damals als Richter für die Jabhat an-Nusra fungiert hatte (MEMRI 5.1.2025; vgl. AW 9.1.2025). Die Echtheit der Videos wurden von France 24 verifiziert (FR24 8.1.2025).
Die neuen Machthaber in Syrien nutzen islamische Lehren, um eine junge Polizeitruppe auszubilden. Nach Angaben von Polizeibeamten soll dies dazu dienen, ein moralisches Bewusstsein zu schaffen, während sie gleichzeitig versuchen, das Sicherheitsvakuum zu füllen, das durch die Zerschlagung der berüchtigten, korrupten und brutalen Sicherheitskräfte des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad entstanden ist. Polizisten, die sie aus ihrer ehemaligen Rebellenhochburg in der nordwestlichen Region Idlib nach Damaskus gebracht haben, befragen Bewerber nach ihrem Glauben und konzentrieren sich in der kurzen Ausbildung, die sie den Rekruten anbieten, auf das islamische Scharia-Recht, wie fünf hochrangige Beamte und Bewerbungsformulare belegen (REU 23.1.2025). […].
Als die Aufständischen der 50-jährigen Herrschaft der al-Assad-Familie ein Ende setzten, brachen sie in Gefängnisse und Sicherheitseinrichtungen ein, um politische Gefangene und viele der Zehntausenden von Menschen zu befreien, die seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 verschwunden waren (AP 10.12.2024). Der neue Justizminister al-Waysi entschied Anfang Jänner, wegen Straftaten Verurteilte wieder ins Gefängnis zu bringen. In einem Rundschreiben rief al-Waysi alle Gerichte, Ermittlungs- und Überweisungsabteilungen und die Staatsanwaltschaft auf, die Namen der Gefangenen oder der wegen gewöhnlicher Straftaten Verurteilten zu zählen, die aufgrund ursprünglicher richterlicher Haftbefehle verhaftet wurden und während der Befreiungsoperation aus ihren Haftanstalten entkommen waren. Der Minister ordnete an, auf der Grundlage der gerichtlichen Akten polizeiliche Anordnungen gegen sie zu erlassen, um ihre Verhaftung und Rückkehr in die Haftanstalten vorzubereiten, ihren Prozess in den noch anhängigen Gerichtsverfahren zu verfolgen und die rechtskräftigen Gerichtsurteile gegen die Verurteilten umzusetzen, um die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen gegen sie zu gewährleisten, Gerechtigkeit und Stabilität zu erreichen und die persönlichen Rechte der Betroffenen zu wahren (Almodon 9.1.2025). Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während das offizielle Rechtssystem theoretisch eine einheitliche Struktur bietet, ist die Realität vor Ort weitaus komplexer, da verschiedene Rechtssysteme Einfluss und Autorität z. B. in Familienangelegenheiten geltend machen (LSE 15.1.2025). Das syrische Justizsystem ist Just Security zufolge ein einziges Chaos. Jahrzehntelang diente es der Familie al-Assad als Instrument der Unterdrückung (JS 14.1.2025). Seit 2012 wurden einige Gerichte in Oppositionsgebieten eingerichtet und als „Scharia-Gerichte“ bezeichnet, da ihre Urteile auf islamischem Recht und islamischer Rechtsprechung basierten. Andere behielten ihren zivilrechtlichen Charakter bei, indem sie das 1996 von der Arabischen Liga entworfene Arab Unified Law zur Vereinheitlichung der Gesetze in den arabischen Staaten übernahmen. Dieses Gesetz enthält in hohem Maße Grundsätze des islamischen Rechts. Im Jahr 2017 übernahmen Gerichte unter der oppositionellen Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) in Nordsyrien das syrische arabische Recht unter Bezugnahme auf die Verfassung von 1950, wobei Änderungen vorgenommen wurden, um den aktuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. In den von HTS kontrollierten Gebieten wird das Scharia-Recht neben einigen Gesetzen angewendet, die von der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) der Gruppe erlassen wurden (HLP Syria 14.1.2025b).
Aufarbeitung von Kriegsverbrechen etc. unter dem gestürzten Assad-Regime
Übergangspräsident ash-Shara' verkündete bereits wenige Tage nach dem Sturz des Regimes, dass er die Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes auflösen werde und Personen, die an der Folterung oder Tötung von Gefangenen beteiligt waren, zur Strecke gebracht würden und Begnadigungen nicht infrage kämen. Er kündigte an, andere Länder aufzufordern, die Geflohenen auszuliefern (REU 11.12.2024a). Die Verbrechen des Assad-Regimes will die Übergangsregierung aufarbeiten. Auf dem Messenger-Dienst Telegram auf Arabisch gaben sie bekannt, dass sie die Kriminellen, Mörder, Sicherheitsbeamten und Soldaten, die an der Folterung des syrischen Volkes beteiligt waren, zur Rechenschaft ziehen werden. Auch werde man Kriegsverbrecher verfolgen und ihre Auslieferung fordern, sollten sie in andere Staaten geflohen sein (DW 19.1.2025). Seit Ende Dezember 2024 führten die Sicherheitskräfte der neuen syrischen Regierung in verschiedenen Provinzen des Landes Durchkämmungsaktionen durch, bei denen es auch zu Zusammenstößen mit Überresten und Milizen des abgesetzten Regimes kam. Eine Quelle im syrischen Innenministerium erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Abteilung für öffentliche Sicherheit in Tartus, Latakia, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus eine große Zahl ehemaliger Regimeangehöriger und Randalierer festgenommen habe (AJ 2.1.2025). […]
Der Aufbau des neuen Syriens ist zwangsläufig mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit verbunden, d. h. mit mehr als fünfzig Jahren eines von der al-Assad-Familie dominierten Regimes. Die Eröffnung von „Versöhnungszentren“ in den wichtigsten Städten in Gebieten, die unter der Kontrolle der syrischen Übergangsregierung stehen, ist eines der Instrumente zu diesem Zweck. Sie sind Teil eines umfassenderen Prozesses der Abrüstung und Versöhnung, um Syrer, die mit und für das Regime gearbeitet haben, hauptsächlich ehemalige Militäroffiziere, wieder in die syrische Gesellschaft zu integrieren. Die Versöhnungszentren laden ehemalige Soldaten, Offiziere und Mitglieder regimetreuer Milizen ein, ihre Waffen abzugeben und ihre persönlichen Daten zu registrieren. Im Gegenzug erhalten diese Personen befristete Ausweise, die oft drei Monate gültig sind und ihnen die sichere Durchreise und den Schutz vor sofortiger Strafverfolgung gewähren. Der Prozess zielt auch darauf ab, ehemalige Anhänger des Regimes zu ermutigen, sich von ihren früheren Loyalitäten zu distanzieren und sich in den neuen gesellschaftlichen Rahmen zu integrieren. Trotz ihres beabsichtigten Zwecks sind die Kriterien für die Zulassung in diesen Zentren weder öffentlich zugänglich noch werden sie systematisch angewendet, was zu Bedenken hinsichtlich einer willkürlichen Entscheidungsfindung führt. Quellen vor Ort in Syrien berichten, dass Personen, die eine Aussöhnung anstreben, oft mit komplexen bürokratischen Hürden konfrontiert sind, wobei die Entscheidungen eher von Sicherheitsbehörden als von einem unabhängigen und unparteiischen Gerichtsverfahren beeinflusst werden. Darüber hinaus betrifft der Prozess überproportional gefährdete Bevölkerungsgruppen, von denen viele trotz des Versprechens einer rechtlichen Absolution Vergeltungsmaßnahmen befürchten (ISPI 7.2.2025). [Weitere Informationen zu diesen "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)].
Offizielle Listen von Kriegsverbrechern und Personen, die Verstöße gegen die Zivilbevölkerung vorgenommen haben, gibt es nicht. Die Untersuchungskommission der UN, die seit 2011 Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen untersucht, hat 4.000 Personen auf eine Liste gesetzt, die im Verdacht stehen schwere Verbrechen begangen zu haben. Die Organisation „For Justice“, die 2019 in Washington von syrischen Amerikanern gegründet wurde, hat bereits Jahre vor dem Sturz des Regimes eine schwarze Liste mit den Namen von 100 hochrangigen ehemaligen Regimevertretern veröffentlicht, die beschuldigt werden, seit 2011 Kriegsverbrechen in Syrien begangen zu haben. Daneben kursieren seit dem Sturz des Regimes Dutzende von inoffiziellen Listen mit den Namen und Fotos von Dutzenden gesuchter Personen, insbesondere eine Liste mit etwa 161 Namen von hochrangigen Offizieren und Kommandeuren des ehemaligen Regimes. Auch in sozialen Medien kursieren willkürliche Listen. Seit 8.12.2024 wurde eine Reihe von Personen verhaftet, denen Verbrechen vorgeworfen werden, die allerdings nicht auf den Listen stehen (AAA 12.1.2025c).
Der Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben, ist undurchsichtig und die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, das Opfer eindeutig identifiziert und Täter vor Gericht stellt (MEI 21.1.2025). Die Einsatzleitung und die Sicherheitskräfte des neuen Regimes verhafteten ehemalige Mitglieder des Assad-Regimes, darunter auch diejenigen, die ihren Status nicht legalisiert hatten, und diejenigen, die der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt wurden. Die Verhaftungen fanden in Homs, im Umland von Damaskus, in Tartus und Latakia statt, hauptsächlich in Stadtvierteln mit schiitischer und alawitischer Bevölkerung (MAITIC 9.1.2025). Die Zahl der Festgenommenen betrug mit 3.1.2025 110 Militärangehörige des ehemaligen Regimes, darunter auch Personen, die sich bei der Abteilung für militärische Operationen versöhnt hatten. Außerdem wurden 18 Zivilisten wegen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften verhaftet, wobei Letztere versprachen, sie in den kommenden Stunden freizulassen, nachdem sie der Justiz übergeben worden waren (SOHR 4.1.2025). Am 10.1.2025 soll es zu einer öffentlichen Hinrichtung gekommen sein, bei der die neuen Sicherheitskräfte einen Unterstützer al-Assads erschossen (Arabiya 10.1.2025; vgl. AlHurra 10.1.2025a). Nach der Verhaftungskampagne wurden einige Gefangene in Homs wieder freigelassen, nachdem sie ihre Waffen abgegeben hatten und zugesichert hatten, nichts gegen die neue syrische Regierung zu unternehmen (AAA 12.1.2025a). Es sei festgestellt worden, dass sie doch nicht an Verbrechen gegen Syrer beteiligt gewesen waren (Arabiya 12.1.2025a). Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht) (MEI 21.1.2025). Die Übergangsregierung von Syrien – angeführt von der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir ash-Sham (HTS), die den Sturz von Assad herbeigeführt hat – hat sich neutral zu den Vorwürfen gegen verschiedene bewaffnete Gruppen im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Aktivisten geäußert. HTS hat sich auch mit Aktivisten zusammengetan, um Wahrheit und Gerechtigkeit zu suchen (VOA 2.1.2025). […]
Seit dem Sturz der Assad-Regierung im Dezember kam es im ganzen Land zu Protesten, bei denen die Herausgabe von Informationen über jene Tausenden gefordert wurden, die unter al-Assads Herrschaft gewaltsam verschwunden sind (VOA 2.1.2025).
Anfang Dezember flohen ca. 2.000 Soldaten der syrischen Armee in den Irak über den Grenzübergang al-Qa'im. Darunter waren Verwundete, die in irakische Krankenhäuser gebracht wurden (Arabiya 7.12.2024). Der irakische Regierungssprecher bestätigte, dass 2.000 Soldaten der syrischen Armee mit Genehmigung der Regierung irakisches Gebiet betreten hatten (Rudaw 15.12.2024). Libanesische Behörden haben syrische Offiziere und Soldaten, die in der Armee des gestürzten Regimes gedient hatten, in ihre Heimat zurückgeführt, nachdem diese illegal in den Libanon eingereist waren (NYT 28.12.2024). 70 Syrer, darunter ehemalige Armeeoffiziere wurden von einer libanesischen Sicherheitsdelegation an die Sicherheitskräfte der neuen syrischen Regierung übergeben, die von der ehemaligen Rebellengruppierung HTS angeführt wird. Drei libanesische Justizbeamte bestätigten den Bericht unter der Bedingung, anonym zu bleiben (AP 28.12.2024).
Das Justizministerium hat am 12.2.2025 die Entscheidung erlassen, 87 Richter, die laut SANA seit der Einrichtung der Terrorismusgerichte bis zum 12.2.2025 noch in verschiedenen Funktionen in diesem Gericht tätig waren, an die Justizinspektion zu überweisen, um ihr Verhalten während ihrer Tätigkeit in dem oben genannten Gericht zu untersuchen. Die Justizinspektion wird dem Hohen Justizrat einen Abschlussbericht über die nachgewiesenen disziplinarischen und rechtlichen Verstöße der oben genannten Richter vorlegen, wie aus der vom Ministerium auf seinem Telegram-Kanal veröffentlichten Entscheidung hervorgeht (SANA 13.2.2025). In der Entscheidung heißt es, dass alle Richter, die Positionen in der Staatsanwaltschaft, der Ermittlungsbehörde, dem Strafgericht oder dem Kassationsgericht innehatten, auf mögliche Verfehlungen oder Verstöße in ihren Urteilen überprüft werden. Unter den 87 Richtern sind laut North Press Agency sowohl pensionierte als auch amtierende Richter. Das 2012 eingerichtete syrische Terrorismusgericht wurde von Menschenrechtsorganisationen vielfach dafür kritisiert, unfaire Prozesse durchzuführen und harte Urteile gegen politische Dissidenten, Aktivisten und Oppositionelle zu verhängen. Im Laufe der Jahre dokumentierten Berichte von Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch Vorwürfe über erzwungene Geständnisse, fehlende ordnungsgemäße Verfahren und politisch motivierte Urteile (NPA 12.2.2025).
Besitz, Eigentum
[…]
Quellen […]
Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedinungen, willkürliche Verhaftungen, Verschwinden Lassen, etc. - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (8.12.2024)
[...]
Vor dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 berichteten die UN über Folter und Hinrichtungen von Gefangenen, die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) im Nordwesten festgehalten werden. Sie und einige Fraktionen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) im Norden wenden in ihren Haftanstalten dieselben brutalen Foltermethoden an wie die Regierung (OHCHR 3.2.2025).
Im Jänner 2025 führte die Übergangsregierung Sicherheitskampagnen durch, wie Razzien und Festnahmen. Im Fokus standen dabei die Gouvernements Latakia, Homs und Damaskus. Gerichtet waren diese Kampagnen gegen Personen, denen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Assad-Regime vorgeworfen werden, insbesondere gegen ehemalige Militärangehörige und Regierungsangestellte. Ob diese Kampagnen auf gerichtlichen Anordnungen basierten, ist unklar. Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte im Jänner 2025 229 Fälle von willkürlichen Verhaftungen, darunter drei Kinder und acht Frauen. Die Übergangsregierung war für 129 Verhaftungen verantwortlich, wobei 36 wieder entlassen wurden (SNHR 4.2.2025a). Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen Alawiten, denen Soldaten begegnen. Die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, bei dem diese Opfer eindeutig identifiziert und vor Gericht gestellt werden (MEI 21.1.2025). Hawar News, einer kurdischen Zeitung zufolge, haben vier Personen in einer Haftanstalt in Damaskus durch Folter ihr Leben verloren, nachdem sie bei Razzien in Homs festgenommen worden waren (ANHA 9.2.2025). Ende Jänner verstarb ein Mann, der wegen Unterstützung des Assad-Regimes verhaftet worden war, in Haft. Die syrischen Behörden kündigten an, eine Untersuchung wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einzuleiten. Die Verantwortlichen wurden verhaftet und der Militärjustiz übergeben (AAA 2.2.2025).
Alle bewaffneten oppositionellen Gruppierungen und Gruppierungen der SNA führten willkürliche Festnahmen durch. Zu den Opfern gehörten Personen, die aus den von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) kontrollierten Gebieten kommen, darunter auch Frauen. Die Festnahmen fanden ohne gerichtliche Anordnung oder Beteiligung der Polizei statt. Den Festgenommenen wurden keine klaren Angaben zu den gegen sie vorgebrachten Vorwürfen gemacht. Die SNA bzw. andere bewaffnete Gruppierungen waren für 41 willkürliche Verhaftungen verantwortlich, darunter sechs Frauen. Zwölf Personen wurden wieder freigelassen (SNHR 4.2.2025a).
Quellen […]
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:46
[…]
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). [Weitere Informationen zu "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025). [...]
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Quellen […]
Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[...]
Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.1.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer "dunklen Ära", weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 2.2.2025). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 21 Fälle (SNHR 3.3.2025).
Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024).
Seit die Rebellengruppierungen am 5.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.1.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären [Informationen zur militärischen Operationsabteilung finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.1.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.1.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 8.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.1.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 3.1.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid [Informationen zu dieser Gruppierung sind dem Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen. Anm.] an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 8.12.2024 und 8.1.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 9.1.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protesten unter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.1.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe [Informationen zu Übergriffen auf Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024).], sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.1.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024). Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 2.2.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 6.1.2025). Auch in Damaskus kam es am 8.1.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 8.1.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.1 bis 1.2.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 2.2.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.1.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den "Sicherheitseinsätzen" in der Region Homs (Spiegel 27.1.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer "kriminellen Gruppe" beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als "Angehörige der Sicherheitsdienste" ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.1.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 6.3.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.3.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 9.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 9.3.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.3.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 9.3.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). […] Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.2.2025b).
Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 2.2.2025).
Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara' hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024). […]
Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in 'Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive "Abschreckung der Aggression" hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024) [Weitere Informationen zu den Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). [...]
Nach al-Assads Sturz am 8.12.2024 sind einem französisch-syrischen Schriftsteller sowie syrischen Künstlern zufolge neue Formen der Zensur entstanden. Die Äußerung von nicht-islamischen Überzeugungen ist in Syrien zu einer ernsthaften Herausforderung geworden. Die syrischen Behörden haben ein neues Gesetz erlassen, das eine einjährige Gefängnisstrafe für jeden vorsieht, der das „Verbrechen der Gotteslästerung“ begeht. Die Angst vor Meinungsäußerung ist im öffentlichen Raum immer noch spürbar. Wenn Themen wie romantische Beziehungen, Säkularismus, Meinungsfreiheit und vor allem Religion diskutiert werden, vergewissern sich die Sprecher, ob kein HTS-Mitglied in der Nähe ist (MC Dawliya 29.1.2025). Am 26.12.2024 erließ das Informationsministerium ein Verbot der Veröffentlichung oder Verbreitung „jeglicher Inhalte oder Informationen mit sektiererischem Charakter, die darauf abzielen, Spaltung und Diskriminierung zu fördern“ (FR24 26.12.2024b).
Quellen […]
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 16:24
[...]
Der anhaltende Konflikt in Syrien hat zu erheblichen demografischen Verschiebungen geführt: Unzählige Männer wurden getötet, vertrieben oder durch militärische Einberufung, wirtschaftliche Not oder Beteiligung an Kämpfen ins Exil gezwungen. Infolgedessen tragen Frauen nun eine große Verantwortung für die Versorgung der Haushalte, die Arbeit in verschiedenen Sektoren und die Bewältigung der täglichen wirtschaftlichen Aktivitäten (AC 20.12.2024). Der Konflikt in Syrien hat die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verschärft und Frauen und Mädchen verstärkt Gewalt, Vertreibung und diskriminierenden Gesetzen ausgesetzt, die ihre Rechte einschränken. Viele weibliche Haushaltsvorstände haben Schwierigkeiten, die Geburt ihrer Kinder zu registrieren, was das Risiko der Staatenlosigkeit erhöht und den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung einschränkt (HRW 16.1.2025). Vertriebene Frauen sind ständig der Gefahr sexueller Übergriffe und anderer Formen von Missbrauch ausgesetzt, insbesondere wenn sie Kontrollpunkte passieren, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Frauen, die versuchen, das Land mit Hilfe von Schmugglern zu verlassen, sind auch der Gefahr der Ausbeutung ausgesetzt, in einigen Fällen sogar dem sexuellen Menschenhandel. In Syrien gibt es auch Hinweise darauf, dass sexuelle Gewalt in den Hafteinrichtungen der ehemaligen Regierung bewusst eingesetzt wurde, um Frauen einzuschüchtern und zu bestrafen, die direkt oder indirekt mit der Opposition in Verbindung gebracht wurden. Frauen, die in der Haft vergewaltigt wurden oder bei denen eine Vergewaltigung vermutet wird, laufen Gefahr, von ihren Familienmitgliedern verstoßen zu werden oder nach ihrer Entlassung sogar einem Ehrenmord zum Opfer zu fallen, da sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt kulturell stigmatisiert sind (MRG 1.2025). Eine vom Central Bureau of Statistics (CBS), einer staatlichen Einrichtung, in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen durchgeführte Mehrzweck-Demografieerhebung ergab, dass 518.000 Frauen ihre Ehemänner während des Krieges verloren haben. Aus einem internationalen Bericht des UNHCR geht hervor, dass mehr als 145.000 syrische Flüchtlingsfamilien im Libanon, in Jordanien, im Irak und in Ägypten sowie Zehntausende in der Türkei von Frauen geführt werden, die allein um ihr Überleben kämpfen, was etwa 22 % der Gesamtzahl syrischer Familien entspricht. Familien, die von verwitweten Frauen geführt werden, leiden oft unter fehlenden Ressourcen, hohen Schulden, fehlendem Zugang zu angemessenen Nahrungsmitteln, ein Großteil ihrer Kinder ist gezwungen, in der Schattenwirtschaft zu arbeiten, und einige von ihnen sind in unterschiedlichem Maße verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt. Die Armutsquote von Frauen ist mit der zunehmenden Zahl von Witwen in der Gesellschaft auf ein noch nie da gewesenes Ausmaß angestiegen (AJ 31.1.2025b).
Frauen haben unverhältnismäßig selten Rechtssicherheit. Dies hängt mit der Armut von Frauen, ihrer Anfälligkeit für Gewalt, diskriminierenden Praktiken lokaler Gemeinschaften, die oft durch Traditionen und eine enge Auslegung der Religion hervorgerufen werden, und anderen Faktoren zusammen, die zur allgemeinen Ungleichheit von Frauen beitragen. Einige Gruppen von Frauen werden auch aufgrund ihrer Klasse, ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, ihres Alters, Einkommens, Familienstandes oder anderer Faktoren diskriminiert. Die Zahl der Frauen, die Wohneigentum besitzen, wird auf nur 2–5 % geschätzt. Darüber hinaus sind Frauen mit Behinderungen zusätzlichen Risiken ausgesetzt, wodurch ihr Recht auf angemessenen Wohnraum noch weiter in die Ferne rückt (UNHCHR 18.7.2024). Eine Mitarbeiterin der feministischen Organisation Syrian Women's Political Movement betont, dass erhebliche Gesetzesreformen erforderlich sind, um die Frauenrechte in Syrien zu verbessern. Wesentlich ist die Arbeit an der Verfassung, um sicherzustellen, dass die Rechte der Frauen in Bezug auf Religion, Politik sowie Landrechte und Eigentum geschützt sind (DW 7.1.2025).
Bis 2017 machten Frauen 30 % des Justizkorps aus. Der Anstieg der weiblichen Vertretung war größtenteils auf den Verlust männlicher Richter durch Tod, Inhaftierung oder Vertreibung während des Bürgerkriegs zurückzuführen (TNA 2.1.2025a).
Präsident ash-Shara' sagte in einem Interview mit The Economist, dass Frauen der Arbeitsmarkt offen stünde und jede Frau, die arbeiten möchte, arbeiten kann (Economist 3.2.2025).
Frauen berichteten von Problemen mit Kämpfern der Rebellen. Beispielsweise gaben Richterinnen an, dass Kämpfer ihnen gesagt hätten, dass sie nicht mehr dienen dürften. Dabei dürfte es sich um Einzelpersonen handeln (PBS 16.12.2024). Internationale Medien, die berichtet hatten, dass es zukünftig keine Richterinnen mehr geben würde, korrigierten eine entsprechende Meldung später (Tagesschau 12.12.2024). Eine Erklärung von Ali al-Maghraby, dem ersten Inspektor des Justizministeriums in der von der HTS geführten Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG), schien auf das Treffen im Justizpalast in Homs einzugehen, dementierte aber Gerüchte, dass Frauen aus dem Justizwesen entfernt werden könnten, und sagte, dass die "Herrschaft der Richterinnen intakt" sei, aber andere Details wurden weder dementiert noch bestätigt (Nahar 14.12.2024). Der Sprecher der HTS fiel außerdem mit Äußerungen über die zukünftige Rolle der Frau in der syrischen Justiz auf. In einem Interview mit einem libanesischen Fernsehsender soll er es in Zweifel gezogen haben, ob Frauen richterliche Befugnisse übernehmen sollten. Die aktuelle Situation ist für Richterinnen im ganzen Land zunehmend prekär geworden. Zwar hat das Übergangskabinett Syriens keine formellen Anweisungen zur Entlassung von Richterinnen herausgegeben, doch Quellen aus dem Justizpalast des Gouvernements Homs berichten, dass sie mündliche Anweisungen erhalten haben, Frauen aus Justizpositionen zu entfernen (TNA 2.1.2025a). Weiters soll die HTS ein Verbot erlassen haben, sich hinsichtlich der Kleidung von Frauen einzumischen oder Forderungen in Bezug auf ihre Kleidung oder ihr Aussehen zu machen, einschließlich der Forderung nach Bescheidenheit (Nahar 14.12.2024; vgl. SyrNews 9.12.2024). Aleppo Today zitierte jedoch Mohammad al-Asmar, den Kommunikationsbeauftragten des Informationsministeriums der SSG der bestritt, dass diese Erklärungen von einer offiziellen Stelle abgegeben wurden, und darauf hinwies, dass die Quelle dieser Behauptungen Medienseiten waren, die bekanntermaßen pro-Assad sind (Nahar 14.12.2024). An Laternenpfählen wurden Aushänge angebracht, die Frauen befehlen, den Schleier zu tragen. Kinder, die aus der Schule nach Hause kommen, fragen ihre Mütter, warum sie nicht verhüllt sind. Ash-Shara' hat eine Frau zur Leiterin der Zentralbank ernannt, aber in einigen Regierungsbüros müssen Frauen und Männer jetzt durch getrennte Eingänge gehen (Economist 14.1.2025). Die deutsche Bundesaußenministerin will Hilfen für Syrien von der Achtung von Frauenrechten abhängig machen. Für islamistische Strukturen werde es keine EU-Gelder geben (DW 7.1.2025). In städtischen Zentren und ländlichen Gebieten sind Frauen aktiv im öffentlichen Raum präsent. Es wurden keine weitverbreiteten Versuche unternommen, restriktive Kleidervorschriften einzuführen oder die Mobilität von Frauen einzuschränken, was in krassem Gegensatz zu den Befürchtungen steht, die viele hegten, als HTS erstmals an Bedeutung gewann. Frauen nehmen in Städten und Dörfern frei an öffentlichen Feiern teil, was die relative Leichtigkeit unterstreicht, mit der sie sich unter der neuen Führung im öffentlichen Raum bewegen können (AC 20.12.2024). HTS-Chef Ahmed ash-Shara', der derzeit an der Spitze Syriens steht, versprach, dass Syrien nicht zu einem „zweiten Afghanistan“ werden würde, und verwies dabei auf die Bilanz der Provinz Idlib unter der HTS-Herrschaft, wo fast 60 % der Hochschulabsolventen Frauen sind (TNA 2.1.2025a).
Zwar sind Frauen in der Übergangsregierung in mittleren Verwaltungsfunktionen sichtbar, doch es wurden noch keine Anstrengungen unternommen, sie in Führungspositionen oder Ministerien zu berufen. Dies spiegelt einen breiteren Trend in konservativen Regierungsstrukturen wider, in denen die Beteiligung von Frauen oft auf symbolische Rollen beschränkt ist. Das Versäumnis der neuen Regierung, Frauen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, birgt die Gefahr, einen kritischen Teil der Bevölkerung zu entfremden und ihren Anspruch auf Inklusivität zu untergraben (AC 20.12.2024). Die einzige Frau in der Interimsregierung ist 'Aisha ad-Dabis, eine Menschen- und Frauenrechtsaktivistin, die in den letzten Jahren an humanitären Projekten in Flüchtlingslagern gearbeitet hat, wie lokale Medien berichten. Ihre Ernennung zur Direktorin des Büros für Frauenangelegenheiten erfolgte, nachdem der Sprecher der neuen Regierung, eine Kontroverse ausgelöst hatte, mit seiner Aussage, dass die Ernennung von Frauen in Minister- und Parlamentsämter verfrüht sei, weil die „biologische und psychologische Natur“ von Frauen sie daran hindere, bestimmte Rollen zu erfüllen (BBC 26.12.2024). Ad-Dabis selbst erklärte öffentlich, die Übergangsregierung habe ihr eigenes Modell für Frauen entworfen und wolle es umsetzen. Dieses Modell beschränkt Frauen im Wesentlichen auf den privaten Bereich und stützt sich auf die Scharia (ANF 9.1.2025). Gleichzeitig versprach sie, syrische Frauen in soziale, kulturelle und politische Institutionen einzubinden, und kündigte eine umfassende Initiative an, die sich mit den Bedürfnissen weiblicher Gefangener befasst, die unter dem vorherigen Regime gelitten haben (TNA 2.1.2025a). Der Außenminister zeigte sich als Reaktion auf Empörung in der Öffentlichkeit zuversichtlich, was die aktive Rolle der Frauen in der Gesellschaft angeht, und erklärte: „Wir glauben an die aktive Rolle der Frauen in der Gesellschaft und vertrauen auf ihre Fähigkeiten“ (TNA 1.1.2025). Die von Islamisten dominierte Übergangsregierung hat zwei Frauen in Ämter gehoben, die bisher Männern vorbehalten waren: Maysaa' Sabrin ist geschäftsführende Direktorin der syrischen Zentralbank und Muhsina al-Mahithawi die erste Gouverneurin in Syrien (DW 7.1.2025). Sie wurde zur Gouverneurin von Suweida ernannt. Die Drusin leitet damit ihre Heimatprovinz (TNA 1.1.2025).
Quellen […]
Kinder - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 16:32
[...]
UNICEF zufolge benötigen 7,5 Millionen Kinder humanitäre Hilfe, 6,4 Millionen benötigen dringend Schutz, weil Unsicherheit und wirtschaftliche Not die Verletzung von Kinderrechten, Angst und Not vertiefen. 3,7 Millionen Kinder benötigen Ernährungshilfe. Mehr als 2,4 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule und eine Million weitere Kinder laufen Gefahr, die Schule abzubrechen. Dadurch sind sie einem höheren Risiko von Kinderarbeit, Kinderheirat, Menschenhandel sowie Rekrutierung und Einsatz durch Konfliktparteien ausgesetzt. (UNICEF 17.12.2024). Mehr als 650.000 Kinder zeigen Anzeichen von Wachstumsstörungen aufgrund schwerer Unterernährung (OHCHR 3.2.2025).
Nach dem Sturz des Assad-Regimes ist das Schicksal von Hunderten von Kindern, die nach der Verhaftung ihrer Eltern verhaftet oder in Waisenhäuser gebracht wurden, weiterhin unklar. Das Medienbüro des syrischen Ministeriums für Soziales und Arbeit teilte mit, dass es mehrere geheime Bücher gefunden habe, die von den Sicherheitsbehörden während der Herrschaft al-Assads verschickt wurden und die die Überführung einer Reihe von Kindern in Waisenhäuser betreffen. Einige Mitarbeiter von Waisenhäusern haben zugegeben, dass eine Reihe von Kindern zu ihnen gebracht wurde und dass die Kinder manchmal aufgefordert wurden, die Namen ihrer Eltern zu ändern oder sie als verstorben zu registrieren (Arabiya 12.1.2025b).
Kinder sind der Gefahr von Landminen und Blindgängern in besonderem Maße ausgesetzt. Oft werden Blindgänger mit Spielzeug verwechselt oder stellen Gegenstände dar, die Kinder neugierig machen. Seit 2020 sind mehr als 1.260 Kinder durch Kampfmittelreste getötet worden (UNICEF 17.12.2024). In den letzten neun Jahren passierten 422.000 Zwischenfälle mit Blindgängern, bei der Hälfte davon waren Kinder involviert. 2024 wurden 116 Kinder durch nicht explodierte Munition oder Minen getötet oder verletzt. Blindgänger sind die Hauptursache für Opfer unter Kindern. Schätzungen zufolge sind fünf Millionen Kinder im ganzen Land gefährdet (UN News 14.1.2025).
Bildung und Schulen
Über zwei Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, und viele Schulen wurden zerstört oder beschädigt (UNESCWA 26.1.2025). Der Bildungssektor steht aufgrund der Zerstörung der Infrastruktur und des wirtschaftlichen Drucks vor erheblichen Hindernissen, was zu hohen Abbrecherquoten führt, insbesondere bei Mädchen. Viele Familien ziehen es vor, anstatt ihre Kinder zur Schule zu schicken, sie arbeiten zu lassen, um mit der wirtschaftlichen Not fertig zu werden. 35 % der Kinder im schulpflichtigen Alter besuchen keine Schule, was durch die Zerstörung der Infrastruktur und den wirtschaftlichen Druck noch verschärft wird. Das bedeutet, dass mehr als 2,4 Millionen Kinder keine Bildungschancen haben, während mehr als eine Million Kinder einem ähnlichen Risiko ausgesetzt sind (IHH 10.1.2025).
Flüchtlingskinder sehen sich großen Hindernissen für den Schulbesuch gegenüber, darunter überfüllte Lager, unzureichende Ressourcen und begrenzter Zugang zu Schulmöglichkeiten (UNESCWA 26.1.2025). Die Mehrheit der Lager in Nordwestsyrien, in den Gouvernements Aleppo und Idlib haben keine Schule. Meistens aufgrund einer niederen Anzahl an Lagerbewohnern in einigen Lagern gibt es möglicherweise alternative Bildungsprogramme oder die Kinder pendeln zur Schule in nahe gelegene Städte. Nur 40 % der Schulen verfügen über ausreichend Trinkwasser. Andererseits verfügen nur 35 % über ausreichend Toilettenwasser. Die Studie ergab eine vielfältige Bildungslandschaft in Lagerschulen, wobei die meisten den ersten und zweiten Zyklus der Grundbildung anbieten und nur sehr wenige bis zur Sekundarstufe reichen, was dazu führt, dass viele Schüler im Sekundarschulalter Schulen außerhalb der Lager besuchen (ACU 30.6.2024).
Das Bildungsministerium unter der Leitung des neu ernannten Ministers al-Qadri kündigte am 1.1.2025 umfassende Reformen des nationalen Lehrplans an, die eine breite Debatte ausgelöst haben. Die vorgeschlagenen Reformen, die alle Bildungsstufen betreffen, beinhalten erhebliche Überarbeitungen, wie die Streichung von Inhalten, die mit dem gestürzten Assad-Regime in Verbindung stehen, die Umformulierung von Passagen über Götter in Geschichte- und Philosophiebüchern, die Umschreibung oder Streichung des Fachs Englisch, das Ersetzen des Fachs "Nationale Bildung" durch das Fach "Islamische oder Christliche Religionslehre" (TNA 2.1.2025b). Die abgeänderten Lehrpläne sollen bestehen bleiben, bis Fachausschüsse gebildet werden, um die Lehrpläne zu überarbeiten (Sky News 2.1.2025). Im Gouvernement Suweida wurde daraufhin zu Protesten aufgerufen (Tayyar 1.1.2025).
[…]
Quellen […]
Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 21:23
[...]
Mit dem Sturz al-Assads kehrten Tausende Syrer aus dem Libanon und der Türkei nach Syrien zurück. Für viele war das Assad-Regime das Haupthindernis für die Rückkehr in ihre Heimat. Die Aufnahmeländer haben diese Begeisterung genutzt, um weitere Rückkehrer zu ermutigen (CSIS 11.12.2024). Zehn Tage nach dem Sturz des syrischen Regimes am 8.12.2024 erklärte die Europäische Union (EU), sie schätze, dass zwischen Januar und Juni 2025 etwa eine Million syrische Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Das wurde durch die Direktorin des Büros des UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika bestätigt. Ahmad ash-Shara', der Befehlshaber der Militäroperationen in Syrien, der später zum Übergangspräsidenten des Landes wurde, betonte bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Geir Pedersen, dass eine seiner ersten Prioritäten darin bestehe, zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Vertriebenen in das letzte Zelt zurückzubringen, während er gleichzeitig sehr wichtige wirtschaftliche Entscheidungen treffe (Almodon 13.2.2025).
Bis August 2024 waren schätzungsweise 34.000 Flüchtlinge zurückgekehrt, aber nach der Invasion Israels im Libanon im Oktober 2024 flohen weitere 350.000 aus dem Libanon zurück nach Syrien, um dem Konflikt zu entkommen. Mit weiteren 125.000 Rückkehrern seit dem Sturz al-Assads Anfang Dezember erreichte die Gesamtzahl der Rückkehrer im Jahr 2024 fast eine halbe Million (FA 11.2.2025). Laut UNOCHA wurden bis 15.12.2024 225.000 Rückkehrer in ganz Syrien registriert. Die Mehrheit ist in die Gouvernements Hama und Aleppo zurückgekehrt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen, die neu vertrieben wurden, von 1,1 Millionen, wie am 12.12.2024 gemeldet, auf 882.000 Menschen am 15.12.2024 gesunken ist. Von dieser Zahl wurden mindestens 150.000 Menschen mehr als einmal vertrieben. Viele Familien sind in frühere Lager in ihren Herkunftsgebieten zurückgekehrt, weil es in ihren Heimatstädten an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelt oder die Infrastruktur beschädigt ist. Einige Familien gaben auch an, dass sie auf die Räumung von Kampfmittelrückständen in ihren Herkunftsgebieten warten, bevor sie zurückkehren (UNOCHA 16.12.2024). UNHCR schätzt, dass von 8.12.2024 bis 2.1.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind, basierend auf öffentlichen Erklärungen von Aufnahmeländern, Kontakten mit Einwanderungsbehörden in Syrien und dem UNHCR sowie der Grenzüberwachung durch Partner (UNHCR 2.1.2025). Insgesamt sind nach Angaben des UNHCR 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die Zahl der Personen, die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen (UNHCR 2.1.2025). Grundsätzlich verzeichnen die UN einen Anstieg an rückkehrwilligen Syrern, die im Nahen Osten leben. Fast 30 % geben an, in ihre Heimat zurückzuwollen. Als großes Hindernis für die Rückkehr sieht UNHCR-Chef Grandi die Sanktionen (Zeit Online 26.1.2025). Die syrischen Behörden gaben an, dass innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt sind. Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna' zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger und arabische und ausländische Gäste, und 288.269 Ausreisende. Im gleichen Zeitraum wurden am Grenzübergang Nassib/ al-Jaber zu Jordanien 174.241 Passagiere syrischer Staatsbürger und arabischer und ausländischer Gäste abgefertigt, davon 109.837 bei der Einreise und 64.404 bei der Ausreise. Am Grenzübergang al-Bu Kamal/ al-Qa'im wurden 5.460 syrische Staatsbürger abgefertigt, die im Irak leben und zurückkehren, um sich dauerhaft in Syrien niederzulassen (Nashra 11.2.2025). Bei den Angaben zu Rückkehrern sind die zuständigen Behörden und Forschungszentren nicht in der Lage festzustellen, ob diese Menschen lediglich zurückgekehrt sind, um ihre Familien zu besuchen und zu treffen, oder ob sie freiwillig und dauerhaft zurückgekehrt sind (Almodon 13.2.2025).
Die Karte von UNHCR zeigt die Aufteilung der seit Anfang 2025 zurückgekehrten Syrer nach Gouvernements: […]
CNN zufolge gab es nicht nur einen Strom von Rückkehrern, sondern auch zahlreiche Familien, die - meist aufgrund ihrer Konfession - aus Angst vor der neuen Regierung das Land verlassen wollten (CNN 12.12.2024).
Im Jänner 2025 führte UNHCR eine Befragung zu Wahrnehmungen und Absichten von Flüchtlingen in Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten durch. Ein zunehmender Anteil erklärte die klare Absicht, zurückzukehren. Insgesamt hoffen 80 % der Flüchtlinge, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können. Dies stellt eine deutliche Veränderung der Rückkehrabsichten der Flüchtlinge im Vergleich zur letzten Umfrage im April 2024 dar, bei der nur 57 % der Flüchtlinge die Hoffnung äußerten, eines Tages zurückkehren zu können. Viele Flüchtlinge weisen auf erhebliche Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter Schulden in den Aufnahmeländern und Schäden an ihren Häusern in Syrien (UNHCR 23.1.2025). In der erwähnten Umfrage gab ein Viertel der Befragten an, in den nächsten zwölf Monaten zurückkehren zu wollen. Mehr als die Hälfte der Befragten, die nicht innerhalb der nächsten zwölf Monate zurückkehren möchte, hat vor, innerhalb der nächsten fünf Jahre zurückzukehren. Fast alle möchten in ihre Herkunftsregion zurückkehren. Über 60 % der Befragten erachten einen "go and see"-Besuch für essenziell, bevor sie eine endgültige Rückkehrentscheidung treffen. 52 % gaben an, dass al-Assads Sturz ihre Rückkehrentscheidung beeinflusst hat. Aus dem Feedback, das UNHCR durch direkte Kommunikation mit Flüchtlingen erhalten hat, geht hervor, dass die Hauptanliegen derjenigen, die an einer Rückkehr interessiert sind, die Bereitstellung von Transportmitteln und Bargeldzuschüssen zur Deckung der Grundbedürfnisse sowie Unterstützung innerhalb Syriens beim Wiederaufbau ihrer Häuser und ihres Lebens sind. Während immer mehr Syrer ihre Absicht bekundeten, in den nächsten zwölf Monaten zurückzukehren, zeigt die Umfrage auch, dass 55 % der Flüchtlinge noch nicht beabsichtigen, zurückzukehren. Von den 61 % der Flüchtlinge, die ein Haus/Eigentum in Syrien besitzen, geben 81 % an, dass es entweder vollständig zerstört oder teilweise beschädigt und unbewohnbar ist, was nach wie vor ein großes Hindernis für ihre Rückkehr darstellt (UNHCR 6.2.2025). Einer Umfrage zufolge, bei der 1.100 in der Türkei ansässige Syrer zwischen 9. und 11.12.2024 befragt wurden, wollten 70 % nach Syrien zurückkehren, im Vergleich zu 45 % vor dem Sturz al-Assads. Die Studie ergab, dass 45,5 % der Syrer bereit sind, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn sich die Lage in Syrien verbessert, während 26,7 % "so schnell wie möglich" zurückkehren möchten (DS 27.12.2024). Das Journal "Just Security" führte zwischen Februar und April 2024 eine Umfrage unter 87 zurückgekehrten Syrern in verschiedenen Regionen Syriens durch. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten ist das Misstrauen unter den arabischen Rückkehrern besonders ausgeprägt. 60 % von ihnen haben überhaupt kein Vertrauen in die örtlichen Behörden. Auch unter den turkmenischen Rückkehrern herrscht große Skepsis. 55 % von ihnen haben wenig oder gar kein Vertrauen in diese Behörden (35 % haben wenig Vertrauen und 20 % gar kein Vertrauen). 50,6 % der befragten Rückkehrer aus allen Regionen Syriens berichteten von Erfahrungen mit Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Gewalt. Während in den von Kurden kontrollierten Gebieten der höchste Anteil der Befragten angab, sich in der Lage zu fühlen, ihre Rechte uneingeschränkt auszuüben, berichteten arabische Rückkehrer in den von der Türkei kontrollierten Gebieten am wenigsten, sich in der Lage zu fühlen, ihre Rechte auszuüben (JS 29.1.2025). Das Norwegian Refugee Council führte eine Befragung von 4.206 Vertriebenen im Nordwesten Syriens zu ihren Zukunftsplänen durch und sprach mit Hunderten von Familien, die Jahre nach ihrer Flucht zurückgekehrt sind. In Vertriebenenlagern im Nordwesten gaben nur 8 % der Befragten an, dass sie innerhalb der nächsten drei Monate in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren wollen (NRC 13.2.2025).
Das Land, in das die Menschen zurückkehren, unterscheidet sich grundlegend von jenem, das sie verlassen haben. Die Zerstörung von Häusern und wichtiger Infrastruktur, vermisste Angehörige, weitverbreitete Armut, das Risiko wieder aufflammender Gewalt und die Unsicherheit über die unerfahrenen neuen Staats- und Regierungschefs des Landes – zusätzlich zu der anhaltenden humanitären Krise des letzten Jahrzehnts – sind zu nennen (FA 11.2.2025). Die anhaltende Unsicherheit – einschließlich bewaffneter Zusammenstöße, zunehmender krimineller Aktivitäten und nicht-explodierter Kampfmittel – stellt die Zivilbevölkerung weiterhin vor Herausforderungen und wird wahrscheinlich die potenzielle Entscheidung der außerhalb des Landes lebenden Syrer, nach Hause zurückzukehren, beeinflussen (UNHCR 2.1.2025). Neben den Sicherheitsbedenken beeinflussen auch die Zerstörung von Eigentum und eine unzureichende Infrastruktur die Rückkehrentscheidungen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen (UNOCHA 30.1.2025). Viele wollen auch wegen des Mangels an Arbeitsplätzen und grundlegenden Dienstleistungen nicht zurückkehren. Viele Flüchtlinge haben auch kein Zuhause, in das sie zurückkehren können. Einige Häuser wurden während des Krieges zerstört, in anderen leben neue Bewohner und viele Flüchtlinge haben keine Dokumente, die ihre Besitzansprüche belegen (CSIS 11.12.2024). Viele Flüchtlinge und Vertriebene sind nach dem Sturz des Regimes bei der Rückkehr in ihre Gebiete, Städte und Dörfer schockiert, wenn sie feststellen, dass andere in ihren Häusern wohnen. In einigen Fällen besitzen diese derzeitigen Bewohner Dokumente, die belegen, dass sie die Immobilien gekauft haben, aber Untersuchungen zeigen, dass es sich oft um Fälschungen handelt, einschließlich gefälschter Eigentumsnachweise und Gerichtsurteile, die äußerst schwer aufzuspüren sind (HLP Syria 20.1.2025). [Weitere Informationen zu Problemen im Zusammenhang mit Besitz- bzw. Wohnverhältnissen finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen (Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024)) und Grundversorgung und Wirtschaft / Wohnsituation und Infrastruktur]. Die Rückkehr im Winter ist besonders schwierig, da die Flüchtlinge nicht wissen, ob ihre Häuser Schutz vor der Kälte bieten oder nicht. Es ist unklar, an wen sich Flüchtlinge wenden können, wenn sie nach ihrer Rückkehr Probleme mit Wohnraum oder Eigentumsrechten haben, und ob die Übergangsregierung in der Lage sein wird, grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen (CSIS 11.12.2024). Partnerorganisationen von UNOCHA betonen auch, dass der Zugang zu zivilen Dokumenten und Rechtsdienstleistungen, einschließlich solcher im Zusammenhang mit Fragen zu Wohnraum, Land und Eigentum, entscheidende Hindernisse für die Rückkehr darstellt. Gegenwärtig sind nicht alle Standesämter und Gerichte im ganzen Land funktionsfähig oder teilweise funktionsfähig, was den Zugang erschwert (UNOCHA 30.1.2025). Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die bestehenden Probleme allein durch die Absetzung al-Assads gelöst werden. Es gibt kaum Anhaltspunkte dafür, dass Syrien einen einzigartigen oder anderen Weg einschlagen wird als andere vergleichbare Fälle (JS 29.1.2025). Einem Wirtschaftswissenschaftler zufolge ist das größte Hindernis für die Rückkehrer das Fehlen staatlicher Institutionen, die in der Lage sind, grundlegende Dienstleistungen wie Strom und Wasser bereitzustellen, was das tägliche Leben kostspielig und schwierig macht. Das Fehlen von organisierten Märkten, die grundlegende Waren anbieten, und das Fehlen einer Angebotskontrolle haben zu einem wirtschaftlichen Chaos geführt, wodurch sich die Rückkehrer in einem finanziell instabilen Umfeld wiederfinden. Der dramatische Anstieg der Preise, sowohl bei den Mieten als auch bei den Grundversorgungsleistungen, stellt eine zusätzliche Belastung für die Rückkehrer dar, da sie bei begrenztem Einkommen hohe Lebenshaltungskosten zu tragen haben. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen erleben viele Rückkehrer aufgrund der großen Kluft zwischen ihren Hoffnungen und der Realität, die sie vorgefunden haben, eine psychische Krise (AlHurra 11.2.2025). Die meisten Flüchtlinge, die sich in die neuen Gesellschaften im Ausland integriert und Arbeitsmöglichkeiten und ein angemessenes Einkommen gefunden haben, wollen nicht zurückkehren, andere fürchten sich vor der Sicherheitslage, dabei zögern die Minderheiten am meisten, zurückzukehren (Almodon 13.2.2025). Eine schlecht organisierte Massenrückkehr werde die bereits begrenzten Ressourcen des Landes belasten und die syrischen Übergangsbehörden, die UN-Organisationen und die syrische Zivilgesellschaft unter enormen Druck setzen, schreibt das Magazin Foreign Affairs (FA 11.2.2025). Es gibt derzeit vor Ort moderate UN-Hilfen, etwa zum Wiederaufbau der Häuser (ÖB Amman 6.2.2025).
Viele vertriebene Familien, die sich auf die Rückkehr vorbereiten, äußerten auch Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der Kontaminierung durch explosive Kampfmittel. Seit November 2024 wurden in Idlib, Aleppo, Hama, Deir ez-Zour und Latakia insgesamt 136 Landminenfelder und Minenpräsenzpunkte neu identifiziert. Allein in den ersten drei Januarwochen wurden bei 87 Vorfällen mit explosiven Kampfmitteln im ganzen Land nach Angaben von Partnerorganisationen von UNOCHA mindestens 51 Menschen getötet und 75 weitere verletzt(UNOCHA 30.1.2025).
Die neue Regierung hat die Zollgebühren vereinheitlicht. Diese Entscheidung dient nicht den Interessen der Syrer, sondern belastet ihren Lebensunterhalt. Diese Maßnahme soll zum einen so schnell wie möglich den Weg für die Rückkehr Hunderter syrisches Fabriken und Unternehmen in den Nachbarländern zu ebnen, damit diese wieder auf syrischem Territorium arbeiten können. Zum anderen möchte man syrische Auswanderer und ausländische Investoren einladen, Fabriken und Unternehmen in Syrien zu gründen, mit dem Ziel, das Rad der Wirtschaft in Bewegung zu setzen, Tausende von Arbeitsplätzen für Syrer zu schaffen und so eine integrierte Volkswirtschaft aufzubauen. Dadurch werden syrische Produkte nun mit Zollgebühren nach Syrien eingeführt, um es für und syrische Händler und Unternehmen im Ausland attraktiver zu machen, wieder nach Syrien kommen. Die neue Regierung hat viele Vorteile angeboten, um Investitionen nach Syrien zu locken (AJ 10.2.2025b).
[…]
Quellen […]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien
2.1.1. Die Feststellung zu den von den beschwerdeführenden Parteien geführten Personalien (Namen und Geburtsdaten) beruht auf ihren gleichbleibenden Angaben im Verfahren. Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten im Original steht die genaue Identität der beschwerdeführenden Parteien jeweils nicht zweifelsfrei fest (Verfahrensidentität). Die Feststellungen zu ihrer Staatsbürgerschaft, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie ihren Sprachkenntnissen ergeben sich aus ihren gleichbleibenden Ausführungen während des Verfahrens und dem Umstand, dass sämtliche Befragungen in der Sprache Arabisch durchgeführt werden konnten. Die familiären Bindungen untereinander konnten angesichts ihrer übereinstimmenden glaubwürdigen Aussagen festgestellt werden.
2.1.2. Die Feststellungen zur Herkunft der beschwerdeführenden Parteien, ihren Wohnorten in Syrien, ihrer Schulbildung, ihrer Arbeitserfahrung, ihrem Familienstand, ihren Familienangehörigen sowie dem Aufenthaltsort ihrer Familienangehörigen beruhen auf ihren konsistenten Ausführungen im Verfahren.
Die Feststellungen zur im Jahr 2013 erfolgten gemeinsamen Ausreise aus Syrien, ihrem anschließenden mehrjährigen Aufenthalt in der Türkei und ihrer Reiseroute nach Österreich beruhen auf den übereinstimmenden und gleichbleibenden Angaben der beschwerdeführenden Parteien im Verfahren. Die Feststellungen zur Einreise und Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt, insbesondere den Protokollen der polizeilichen Erstbefragungen.
2.1.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand sind ebenfalls aus den Angaben der beschwerdeführenden Parteien im Verfahren sowie den von der Erstbeschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Schilddrüsen-Erkrankung vorgelegten medizinischen Unterlagen abzuleiten. Darüber hinaus wurden keine medizinischen Unterlagen vorgelegt, aus denen aktuell bestehende körperliche Beeinträchtigungen, regelmäßige medizinische Behandlungen oder eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abzuleiten wären.
2.1.4. Die Unbescholtenheit geht aus amtswegig eingeholten Strafregisterauszügen hervor. Der aufrechte Status als subsidiär Schutzberechtigte beruht auf der Aktenlage.
2.2. Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen der beschwerdeführenden Parteien
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie dem vor dem Bundesverwaltungsgericht geführten Verfahren und im Besonderen der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass die beschwerdeführenden Parteien ausreichend Zeit und Gelegenheit hatten, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung ihres Vorbringens vorzulegen. Sie wurden auch mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung ihrer Fluchtgründe und ausdrücklich zur Vorlage von Beweismitteln aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Wie in der Folge dargestellt, ist das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien objektiv nicht geeignet, eine ihnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung ersichtlich zu machen:
2.2.1. Die Feststellung, dass die beschwerdeführenden Parteien im Vorfeld ihrer Ausreise aus Syrien keinen Verfolgungshandlungen oder persönlichen Bedrohungen ausgesetzt gewesen sind, ergibt sich aus den Angaben der beschwerdeführenden Parteien, die Derartiges zu keinem Zeitpunkt behaupteten.
Die Feststellungen zu den Gründen der Ausreise aus Syrien ergeben sich aus den insofern konsistenten Angaben der beschwerdeführenden Parteien, die in der Erstbefragung jeweils ausschließlich den Krieg in Syrien als den Grund der im Jahr 2013 erfolgten Ausreise in die Türkei erwähnten, individuelle Verfolgungsbefürchtungen jedoch nicht nannten. Auch in ihren weiteren Befragungen ergab sich, dass ihre Ausreise und ihre aktuellen Rückkehrbefürchtungen im Wesentlichen durch die kriegsbedingt allgemein schlechte Sicherheitslage begründet war bzw. sind. So erwähnte die Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung, dass ihr Ehemann infolge seiner Desertation in die Türkei geflüchtet sei und sie selbst und die Kinder ihm nachgereist seien, da ihre Herkunftsregion in diesem Zeitraum schwer bombardiert worden sei und sie nicht mehr alleine mit den Kindern im Dorf habe bleiben können (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 13). Auch der Zweitbeschwerdeführer hielt in der mündlichen Verhandlung fest, dass die Familie Syrien wegen des Krieges verlassen habe und nannte keine in Syrien erlebte persönliche Bedrohung (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 22). Da die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien Syrien bereits im Alter von sieben, sechs und zwei Jahren verlassen haben und die Fünftbeschwerdeführerin erst nach der Ausreise aus Syrien geboren wurde, liegt es auch insofern nahe, dass sie dort bislang keinen individuellen Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren.
Soweit die beschwerdeführenden Parteien darüber hinaus eine persönliche Verfolgung aufgrund der Familienzugehörigkeit als Grund ihrer Ausreise nannten, erwies sich ihr dahingehendes Vorbringen aus den unter Punkt 2.2.4.3. dargestellten Erwägungen als unglaubwürdig. Es war daher festzustellen, dass der Flucht aus Syrien keine individuelle Bedrohungssituation bzw. entsprechende Befürchtungen zugrunde lagen.
2.2.2. Die – an sich notorischen – Feststellungen zu den politischen Umbrüchen in Syrien Ende November/Anfang Dezember 2024, zur neuen syrischen Regierung sowie zur aktuellen Gebietskontrolle in Idlib und Aleppo gründen auf das oben zitierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, die aktuelle Berichtslage der European Union Agency for Asylum (EUAA) und die Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/.
2.2.3. Zur Gefahr einer Verfolgung durch das ehemalige syrische Assad-Regime:
Die beschwerdeführenden Parteien begründeten ihre Anträge auf internationalen Schutz im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der Beschwerde mit einer ihnen drohenden Verfolgung durch das syrische Assad-Regime, weil der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien im Jahr 2011 von seiner Tätigkeit im Behördenapparat des syrischen Assad-Regimes desertiert sei; auch die Brüder des Genannten seien desertiert. Aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu diesen würde das syrische Regime den beschwerdeführenden Parteien eine oppositionelle Gesinnung unterstellen. Der Zweitbeschwerdeführer brachte überdies vor, dass ihm im Fall einer Rückkehr die Einberufung zum Grundwehrdienst drohe, dessen Ableistung er ablehne.
Dieses Vorbringen erweist sich aufgrund der geänderten politischen und militärischen Rahmenbedingungen in Syrien nicht mehr als aktuell und es lässt sich aus diesem (ungeachtet der Glaubwürdigkeit der behaupteten Desertation von Angehörigen) keine potentielle Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien im Fall einer (hypothetischen) Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ableiten:
Wie den Länderberichten zu entnehmen ist, starteten Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Assad-Regime und nahmen innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens ein. Am 08.12.2024 drangen Kämpfer in die Hauptstadt Damaskus ein und die Oppositionskräfte erklärten die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Bashar al-Assad floh aus Damaskus. Noch vor seiner Flucht löste al-Assad die Syrische Arabische Armee per Befehl auf. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen. Auch die Sicherheitskräfte des Assad-Regimes wurden aufgelöst. Seither bestehen in Syrien nur mehr bewaffnete Gruppierungen von Regimeüberbleibseln, welche sporadische Angriffe auf (aktuelle) Regierungstruppen und Sicherheitskräfte der (vormaligen) Übergangsregierung bzw. der nunmehr neuen syrischen Regierung verüben. Folglich verfügt das ehemalige Assad-Regime in ganz Syrien über keine Präsenz bzw. Kapazität mehr, die eine aktuell bestehende, die Personen der beschwerdeführenden Parteien betreffende Verfolgungsgefahr nahelegen könnte. Im Besonderen ist auch eine Rekrutierung des Zweitbeschwerdeführers oder eine Bestrafung der beschwerdeführenden Parteien wegen einer allfälligen Desertation von Angehörigen oder wegen Wehrdienstentziehung durch das ehemalige Assad-Regime im Fall einer Rückkehr auszuschließen, weil die Syrische Arabische Armee aufgelöst wurde. Die beschwerdeführenden Parteien selbst brachten in der mündlichen Verhandlung nicht konkret vor, dass sie trotz der geänderten Machtverhältnisse in Syrien von einem Weiterbestehen der zur Begründung ihrer Anträge geltend gemachten Verfolgungsbefürchtungen ausgehen würden.
2.2.4. Zur Gefahr einer Rekrutierung und Verfolgung durch die neue syrische Regierung, durch Kräfte der (ehemaligen) HTS oder durch sonstige Gruppierungen:
2.2.4.1. Den der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten ist auch keine den beschwerdeführenden Parteien, insbesondere dem volljährigen Zweitbeschwerdeführer und dem vierzehnjährigen Viertbeschwerdeführer, im Fall einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr einer Rekrutierung durch die neue syrische Regierung, durch die (ehemalige) HTS oder durch sonstige Gruppierungen zu entnehmen. Wie sich aus den Länderinformationen ergibt, wurde die Syrische Arabische Armee noch von Bashar al-Assad vor seiner Flucht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst. Der nunmehrige Übergangspräsident und Anführer der (ehemaligen) HTS, Ahmed ash-Shara’, kündigte in der Folge an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und „für kurze Zeiträume“. In einem Interview am 10.02.2025 wiederholte ash-Shara’, dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen. Festgehalten wird daher, dass die Wehrpflicht in Syrien abgeschafft wurde und die Armee künftig als Freiwilligenarmee organisiert werden soll. Zwar ist den Länderinformationen zu entnehmen, dass laut syrischen Medien die neue syrische Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiere. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Ein zwangsweises Vorgehen ist in den Länderberichten in diesem Zusammenhang allerdings nicht beschrieben. Eine den beschwerdeführenden Parteien (insbesondere dem Zweitbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführer) im Fall einer Rückkehr drohende Zwangsrekrutierung in die Armee der neuen syrischen Regierung ist damit nicht maßgeblich wahrscheinlich; entsprechende Befürchtungen wurden auch von Seiten der beschwerdeführenden Parteien im Verfahren nicht konkret geäußert.
Darüber hinaus ist unter Zugrundelegung der Länderberichtslage auch eine zwangsweise Rekrutierung der beschwerdeführenden Parteien, insbesondere des Zweitbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers, durch bewaffnete Gruppierungen – etwa die (ehemalige) HTS – im Fall einer Rückkehr nach Syrien und im Speziellen in ihr Herkunftsgebiet nicht maßgeblich wahrscheinlich. Den Länderinformationen sind keine Berichte von Zwangsrekrutierungen durch die (offiziell aufgelöste) HTS zu entnehmen. Ebensowenig liegen bezogen auf das Herkunftsgebiet der beschwerdeführenden Parteien Berichte bezüglich Rekrutierungen durch sonstige bewaffnete Gruppierungen vor. Die von der Erstbeschwerdeführerin in diesem Zusammenhang allgemein geäußerte Befürchtung einer Rekrutierung ihrer Söhne ist vor diesem Hintergrund als rein spekulativ zu erachten.
2.2.4.2. Die beschwerdeführenden Parteien haben auch sonst keine konkrete Gefahr einer Verfolgung durch die neue syrische Regierung, die (ehemalige) HTS oder eine sonstige bewaffnete Gruppierung behauptet. Eine derartige Gefährdung ergibt sich auch aus ihrem sonstigen Vorbringen und ihrem persönlichen Hintergrund nicht. Der beschwerdeführenden Parteien haben Syrien bereits in der Anfangsphase des Bürgerkrieges im Jahr 2013 verlassen und haben keine Handlungen gesetzt, die sie ins Blickfeld der nunmehrigen syrischen Regierung hätten bringen können. Insbesondere haben sie nie an Kampfhandlungen teilgenommen, standen zu keinem Zeitpunkt in einem Naheverhältnis zum Assad-Regime und haben sich nie kritisch gegenüber der nunmehrigen Regierung oder ihren Vorgängerorganisationen geäußert.
Die Erstbeschwerdeführerin hielt in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich fest, dass sie nie politisch aktiv gewesen sei und – ebenso wie ihre Familie – keiner Gruppierung des syrischen Bürgerkrieges nahestehe. Sie seien neutral und hätten sich in die Ereignisse in Syrien nicht eingemischt (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 16). Überdies hielt sie ausdrücklich fest, dass weder sie persönlich noch Familienangehörige in Syrien jemals Probleme mit der HTS oder sonstigen Gruppierungen, die nicht dem syrischen Regime zuzuordnen sind, gehabt hätten (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 18). Auch der Zweitbeschwerdeführer gab ausdrücklich an, dass er nie politisch aktiv gewesen sei und weder er selbst noch seine Familienangehörigen Probleme mit der HTS oder sonstigen Gruppierungen, die nicht dem syrischen Regime zuzuordnen sind, gehabt hätten (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 22 f).
Auch auf die Frage nach ihren konkreten Befürchtungen für den (hypothetischen) Fall einer Rückkehr nach Syrien äußerte die Erstbeschwerdeführerin keine individuellen Verfolgungsbefürchtungen, sondern berief sich auf die prekäre Allgemeinsituation in Syrien, indem sie angab, dass ihr Haus – ebenso wie der Großteil ihres Dorfes – zerstört worden sei. Sie erwähnte zudem, dass sie Angst habe, dass ihre Kinder „diese“ Ideologie annehmen würden, dass ihre Söhne rekrutiert werden würden und dass die Drittbeschwerdeführerin im Alter von 18 Jahren heiraten müsste (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 17, 18). Sie ergänzte, dass sie nur wolle, dass ihre Kinder in Sicherheit leben und ein stabiles Leben führen können; sie hätten bereits 14 Jahre lang gelitten (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 20). Auch der Zweitbeschwerdeführer bezog seine aktuellen Rückkehrbefürchtungen ausschließlich auf die allgemein unsichere Lage in Syrien. Er hielt fest, dass er dort keine Unterkunft habe, nicht studieren und sich keine Zukunft aufbauen könne; es sei ungewiss, wie die Zukunft unter dem neuen Regime aussehen werde. Für ihn sei es wichtig, dass er und seine Schwestern in Sicherheit leben, weiter lernen und erfolgreich werden könnten (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 23 f). Befürchtete individuelle Verfolgungshandlungen sind diesen Ausführungen insgesamt nicht zu entnehmen.
2.2.4.3. Soweit die beschwerdeführenden Parteien in der zuletzt eingebrachten Stellungnahme vom 18.07.2025 vorbrachten, dass ihnen die nunmehrige syrische Regierung aufgrund der früheren Tätigkeit des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin respektive Vater der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien eine oppositionelle Haltung unterstellen würde, erwies sich eine solche Gefährdung als unglaubwürdig:
Dies beruht zunächst darauf, dass bereits die behauptete frühere Tätigkeit des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin respektive Vaters der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien für das syrische Assad-Regime als unglaubwürdig zu qualifizieren ist. Dafür sprechen die auffallend vage gehaltenen Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin, die im gesamten Verfahren keine näheren Angaben zur behaupteten beruflichen Tätigkeit ihres Ehemannes erstatten konnte. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin im behördlichen Verfahren beschränkte sich im Wesentlichen darauf, dass ihr Ehemann beim Staat gearbeitet habe; Angaben dazu, bei welcher Behörde ihr Ehemann gearbeitet habe, was sein Tätigkeitsfeld gewesen sei und wie lange er diese Funktion ausgeübt habe, vermochte sie auch auf mehrfache Nachfrage hin nicht zu erstatten (vgl. Akt Erst-Bf., S. 87 ff: „LA: Welcher Tätigkeit ging Ihr Ehemann nach? VP: Ich weiß es nicht genau, bei der Polizei beim Staat war er. […] LA: Wo befand sich die Dienststelle Ihres Ehemannes? VP: Das weiß ich nicht, ich war immer nur mit den Kindern zu Hause. Ich weiß nur, dass er beim Staat gearbeitet hat, er und seine Brüder. LA: Woher wissen Sie das? VP: Das weiß ich, er hat das erzählt, dass er beim Staat arbeitet. LA: Welcher Tätigkeit genau ging Ihr Ehemann beim Staat nach? VP: Aber ich glaube so ähnlich wie hier bei einer Behörde, eine Beamtenposition.“).
In der mündlichen Verhandlung konkretisierte die Erstbeschwerdeführerin ihre Aussagen lediglich insofern, als sie nunmehr angab, dass ihr Ehemann als Sicherheitsbeamter im Zollamt gearbeitet habe; Näheres über sein Aufgabenfeld war ihr jedoch weiterhin nicht bekannt (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 12) und es blieb auch unklar, weshalb ihr eine Tätigkeit beim Zollamt nicht bereits anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesamt bekannt gewesen sei. Die Frage, ob sie ihren Ehemann nie Näheres zu seiner beruflichen Tätigkeit – insbesondere betreffend sein konkretes Aufgabengebiet und seinen Berufsalltag – gefragt habe, verneinte die Erstbeschwerdeführerin; sie ergänzte, ihr Ehemann sei ein normaler Beamter gewesen, der um 7 Uhr morgens in die Arbeit gegangen und um 19 Uhr nach Hause gekommen sei. Nach Ausbruch des Krieges habe er begonnen, Einsätze zu verrichten und sei manchmal zwei bis drei Tage nicht nach Hause gekommen. Auf Nachfrage gab sie an, dass ihr nicht bekannt sei, um welche Einsätze es sich gehandelt habe und ihr Ehemann nie davon erzählt habe (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 12).
Konkrete Angaben zur beruflichen Tätigkeit ihres Ehemannes wurden somit im gesamten Verfahren nicht erstattet. Da die Erstbeschwerdeführerin seit knapp 20 Jahren mit ihrem Ehemann verheiratet ist und ihren Antrag auf internationalen Schutz (u.a.) auf eine aus der beruflichen Tätigkeit ihres Mannes resultierende Verfolgung ihrer Familie stützte, ist es als lebensfern zu erachten, dass sie nicht einmal ungefähre Kenntnis über die von ihm ausgeübte Berufstätigkeit haben sollte. Dass die Tätigkeit ihres Ehemannes während des Zusammenlebens in der Familie nie thematisiert worden sei – nicht einmal nachdem dieser desertiert sei und dadurch die Flucht der Familie aus XXXX erforderlich geworden sei – ist keinesfalls glaubwürdig.
Die Erstbeschwerdeführerin legte auch keine geeigneten schriftlichen Unterlagen vor, die eine berufliche Tätigkeit ihres Ehemannes für die syrischen Behörden untermauern könnten. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung erstmals eine Kopie eines Militärausweises ihres Ehemannes vorlegte, ist festzuhalten, dass das lediglich in Kopie vorgelegte Dokument einer Echtheitsüberprüfung nicht zugänglich ist, sodass ihm schon insofern kein maßgeblicher Beweiswert beigemessen werden kann. Dessen ungeachtet lässt auch der Inhalt des Ausweises keinen konkreten Rückschluss auf eine tatsächliche berufliche Tätigkeit für die Behörden des Assad-Regimes zu (zur Übersetzung des Inhaltes des Ausweises vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 19).
Hinzukommt, dass die Erstbeschwerdeführerin – wie auch der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin – ihre Anträge auf internationalen Schutz anlässlich ihrer polizeilichen Erstbefragungen ausschließlich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg begründeten, eine ihnen individuell drohende Verfolgung aufgrund der Angehörigeneigenschaft zum Ehemann/Vater jedoch nicht einmal andeutungsweise erwähnten. Jenes Aussageverhalten wurde weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt. Auch wenn die Erstbeschwerdeführerin – wie sie in der mündlichen Verhandlung betonte – im Zeitpunkt der Erstbefragung von der langen Reise erschöpft gewesen sei, wäre zu erwarten, dass sie eine tatsächliche individuelle Verfolgung der Familie in Syrien bereits anlässlich ihres ersten Behördenkontaktes angesprochen hätte, anstatt sich lediglich auf die Allgemeinsituation im Herkunftsstaat zu berufen. Auch ihre weitere – in keiner Weise präzisierte – Angabe, dass sie Angst gehabt hätten, die Desertation des Ehemannes zu erwähnen, überzeugt nicht, zumal sie bewusst nach Österreich reisten und um internationalen Schutz ansuchten, sodass es nicht nachvollziehbar ist, dass sie etwaige Verfolgungsbefürchtungen im Verfahren – das der Feststellung eines etwaigen Schutzbedürfnisses dient – nicht offenlegen würden (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 9).
Den – wie dargestellt überaus vagen – Angaben der beschwerdeführenden Parteien zu einer beruflichen Tätigkeit des Ehemannes bzw. Vaters für die Behörden des Assad-Regimes wäre im Übrigen auch im Fall ihrer Zugrundelegung kein Anhaltspunkt für eine Verfolgung durch die nunmehrige syrische Regierung zu entnehmen. Die beschwerdeführenden Parteien behaupteten zu keinem Zeitpunkt, dass der Ehemann bzw. Vater in führender Position für das Assad-Regime tätig gewesen bzw. eine besondere Funktion im syrischen Bürgerkrieg wahrgenommen hätte. Vielmehr gaben die beschwerdeführenden Parteien an, dass der Ehemann bzw. Vater als Beamter im Bereich des Zollwesens tätig gewesen, im Jahr 2011 bei Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges von seiner Tätigkeit desertiert und in seine von der Opposition kontrollierte Herkunftsregion geflüchtet sei. Bereits angesichts der nur untergeorneten Tätigkeit im Bereich des Zollwesens, die der Genannte bei Ausbruch des Bürgerkrieges vor mehr als 14 Jahren beendet habe, ist auszuschließen, dass das nunmehrige Regime ihm ein Naheverhältnis zum syrischen Assad-Regime und den diesem zugeschriebenen Kriegsverbrechen unterstellen würde. Zudem ist nochmals festzuhalten, dass die beschwerdeführenden Parteien betonten, dass der Ehemann bei Beginn des syrischen Bürgerkrieges von seinem Dienst im Assad-Regime desertiert und mit seiner Familie in seinen – von der Opposition (HTS) kontrollierten – Herkunftsort in Syrien zurückgekehrt sei. Auch insofern ist es keinesfalls naheliegend, dass das nunmehrige syrische Regime dem Ehemann/Vater bzw. dessen Familie eine Unterstützung des syrischen Assad-Regines unterstellen würde, zumal er durch seine Desertation und Flucht in ein oppositionell kontrolliertes Gebiet gerade seine Ablehnung des Assad-Regimes zum Ausdruck gebracht hätte.
Folglich bestünde selbst im Fall der Glaubwürdigkeit der behaupteten beruflichen Tätigkeit kein Anhaltspunkt dafür, dass das nunmehrige syrische Regime den Ehemann bzw. Vater als politischen Gegner verfolgen würde, sodass eine Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien aufgrund der bloßen Angehörigeneigenschaft schon insofern auszuschließen ist. Zum Vorbringen in der am 18.07.2025 eingebrachten Stellungnahme ist im Übrigen anzuführen, dass die darin zitierten Berichte ausschließlich auf mögliche Verfolgungshandlungen gegen Männer, die selbst in den Streitkräften des Regimes gedient haben, Bezug nehmen, jedoch keinen Hinweis enthalten, dass auch Familienangehörige von (ehemaligen) Bediensteten des syrischen Regimes aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft Ziel von Repressalien geworden seien.
Im Übrigen legt auch der Umstand, dass der Vater der Erstbeschwerdeführerin, ihre drei Brüder und fünf Schwestern weiterhin in Syrien wohnhaft sind und die Erstbeschwerdeführerin keine aus dem Verwandtschaftsverhältnis resultierenden Probleme nannte, nahe, dass den beschwerdeführenden Parteien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Reflexverfolgung aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zum Ehemann der Erstbeschwerdeführerin oder dessen Brüdern droht.
Auch unter hypothetischer Zugrundelegung einer früheren Tätigkeit des Ehemannes bzw. Vaters für das syrische Regime ließe sich aus dieser sohin keine den beschwerdeführenden Parteien drohende Verfolgungsgefahr ableiten.
2.2.4.4. Soweit die Erstbeschwerdeführerin darüber hinaus erwähnte, dass ihr Ehemann auch von Angehörigen der in Idlib ansässigen (damaligen) Opposition zu einer Zusammenarbeit aufgefordert worden sei, erwies sich auch dieses Vorbringen als auffallend vage und konnte von ihr auch auf Nachfrage hin nicht konkretisiert werden. In der Einvernahme vor dem Bundesamt gab sie in diesem Kontext lediglich an, dass ihr Ehemann nach der Rückkehr in den Heimatort im Jahr 2011 „auch von der Opposition gesucht“ worden sei (vgl. Akt Erst-Bf., S. 87). In der mündlichen Verhandlung erwähnte sie, dass Leute der Opposition von ihrem Ehemann nach dessen Desertation verlangt hätten, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. Darum ersucht, näher auszuführen, was damals passiert sei, gab die Erstbeschwerdeführerin – auffallend allgemein gehalten und ohne Bezugnahme auf einen konkreten Vorfall – an: „Viele sind desertiert. Die Opposition bestand damals aus unbekannten Gruppierungen. Man wusste nicht, für wen diese arbeiten. Diejenigen, die desertiert sind, müssten für die Opposition arbeiten, weil sie viele Informationen über das Regime hatten. Mein Ehemann und seine Brüder haben das abgelehnt. Es herrschte damals Chaos. Viele Deserteure wurden entführt. Das Regime behauptete, dass die Opposition diese entführt haben und die Opposition behauptete das Gegenteil.“ (Verhandlungsprotokoll, S. 14). Die Nachfrage, ob ihr Ehemann jemals konkret persönlich von der Opposition hinsichtlich einer Zusammenarbeit angesprochen worden sei, bejahte die Erstbeschwerdeführerin. Ersucht, näher zu beschreiben, was damals passiert sei, gab die Erstbeschwerdeführerin wiederum nur vage an, dass sie nicht genau wisse, was die Opposition von ihrem Ehemann verlangt habe; er habe Anrufe bekommen, dass er nach Syrien zurückkehren und für die Opposition arbeiten solle (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 14). Die Erstbeschwerdeführerin vermochte sohin weder anzugeben, von wem ihr Ehemann konkret angesprochen worden sei, noch, was man von diesem verlangt habe; eine gegen ihn ausgesprochene Bedrohung erwähnte sie nicht. Der Zweitbeschwerdeführer hielt fest, dass ihm die Gründe, aus denen sein Vater in Syrien gesucht werde, nicht bekannt seien (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 23).
Anhand der auffallend oberflächlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin, die sich im Wesentlichen darauf beschränken, dass ihr Ehemann vor rund 14 Jahren von der Opposition in Idlib zu einer nicht näher spezifizierten Zusammenarbeit aufgefordert worden sei, lässt sich somit nicht darauf schließen, dass ihr Ehemann im damaligen Zeitpunkt einer tatsächlichen Bedrohung ausgesetzt gewesen sei; umso weniger bestehen vor diesem Hintergrund Anhaltspunkte dafür, dass rund 14 Jahre später Familienangehörige des Genannten einer Gefährdung ausgesetzt sein könnten. Danach gefragt, ob sie im Fall einer Rückkehr nach Syrien konkrete Probleme befürchten würde, weil ihr Mann damals von der Opposition angesprochen worden sei, gab die Erstbeschwerdeführerin dementsprechend auch nur vage an, dass sie glaube, dass dies der Fall sein würde, da sich die HTS in ihrer Region aufgehalten habe (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 14 f). Ein Anhaltspunkt für eine tatsächliche Bedrohung der beschwerdeführenden Parteien lässt sich vor dem Hintergrund dieser auffallend vagen und rein spekulativen Angaben nicht erkennen.
2.2.4.5. Soweit die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte, dass sie während ihres Aufenthaltes in XXXX über ihre Geschwister Nachrichten erhalten habe und gefragt worden sei, weshalb ihr Ehemann noch dem Regime diene und noch nicht desertiert sei, sowie, dass sie nach der Rückkehr in ihr Heimatdorf in Idlib als Frau eines Regimebediensteten „schief angeschaut“ worden sei (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 15), ist festzuhalten, dass sich aus den zuvor dargestellten Gründen bereits die behauptete Tätigkeit ihres Ehemannes für das syrische Assad-Regime als nicht glaubwürdig erwiesen hat, sodass Gleiches für das darauf aufbauende Vorbringen gilt. Zudem hat die Erstbeschwerdeführerin lediglich von Fragen bzw. davon berichtet, „schief angeschaut“ worden zu sein, jedoch keine in diesem Zusammenhang erlebte Bedrohung erwähnt. Eine solche wäre auch insofern nicht nachvollziehbar, als sie gleichzeitig vorbrachte, dass ihr Ehemann vom Dienst beim syrischen Regime desertiert sei, womit er gerade seine Ablehnung des Regimes zum Ausdruck gebracht habe.
2.2.4.6. Somit ist keine Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien, von Seiten der neuen syrischen Regierung, der (ehemaligen) HTS oder sonstiger bewaffneter Gruppierungen individuell und gezielt verfolgt zu werden, zu erkennen.
Den oben zitierten Länderberichten sind zwar Verhaftungen und Hinrichtungen von Personen, die mit dem Assad-Regime in Verbindung gebracht werden und/oder die in den Streitkräften des Assad-Regimes in führenden Positionen gedient haben, zu entnehmen, auch wenn grundsätzlich umfangreiche Versöhnungsprozesse in Gang gesetzt wurden. Ausgehend von den Länderberichten richten sich bewaffnete Angriffe aber insbesondere gegen Regimestraftäter, Anhänger des ehemaligen Assad-Regimes sowie gegen Schiiten und Angehörige der alawitischen Gemeinschaft und ereignen sich insbesondere in den Gouvernements Latakia und Tartus. So wurden etwa auch Checkpoints installiert, beispielsweise um Menschen zu verhaften, die für Verbrechen gegen das syrische Volk in der Zeit des Regimes verantwortlich sind. Davon, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr nach Syrien von derartigen Übergriffen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit betroffen wären, ist mangels jeglicher Verbindung zum ehemaligen Assad-Regime nicht auszugehen.
Die beschwerdeführenden Parteien sind zudem Sunniten und gehören sohin auch nicht den Alawiten, Schiiten oder Christen an, die nach den Länderberichten vermehrt Gewaltakten ausgesetzt sind, dies insbesondere dann, wenn sie mit dem ehemaligen Regime in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus haben die beschwerdeführenden Parteien auch nicht konkret zum Ausdruck gebracht, dass sie der neuen syrischen Regierung bzw. der (ehemaligen) HTS politisch oppositionell gesinnt seien. Die lediglich pauschale Aussage in der Stellungnahme vom 18.07.2025, wonach sie gegenüber der neuen syrischen Regierung oppositionell eingestellt seien, lässt keine ihnen im Fall der Rückkehr drohende persönliche Verfolgung erkennen.
2.2.5. Zur Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung
Soweit in der Beschwerde auf das Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt hingewiesen wird, ergibt sich aus der Länderberichtslage, dass Frauen und Mädchen in allen Teilen Syriens – im regional unterschiedlichen Ausmaß – mit vielfältigen Formen von physischer und psychischer Gewalt, insbesondere sexueller und häuslicher Gewalt, Zwangs- und Kinderehen, (sexueller) Gewalt durch Angehörige des syrischen Assad-Regimes und anderer Konfliktparteien sowie der Verweigerung von wirtschaftlichen Ressourcen oder Bildung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Ausbeutung konfrontiert sind. Das Ausmaß von geschlechtsspezifischer Gewalt hat vor dem Hintergrund des bewaffneten Konflikts zugenommen, während (staatliche) Schutzmechanismen kaum bis gar nicht vorhanden sind. Besondere Gefährdungspotentiale bestehen für (potentiell) von Zwangs- und Kinderehen betroffene Frauen und Mädchen, Frauen (insbesondere Opfer von sexueller Gewalt), denen vorgeworfen wird, die „Familienehre“ verletzt zu haben, sowie verwitwete oder geschiedene Frauen und Mädchen (siehe dazu die von EUAA und UNHCR definierten Risikoprofile; EUAA, Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, S. 35 ff; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, S. 175 ff; zu deren Relevanz siehe auch Punkt 3.3.).
Eine – von individuellen Umständen unabhängige – systematische Verfolgung aller Frauen alleine aufgrund ihres Geschlechts ist aus der Berichtslage zu Syrien im Entscheidungszeitpunkt nicht abzuleiten.
Zur Situation in den von der syrischen Übergangsregierung kontrollierten Gebieten ist den herangezogenen Länderberichten insbesondere zu entnehmen, dass Frauen in städtischen Zentren und ländlichen Gebieten aktiv im öffentlichen Raum präsent sind und frei an öffentlichen Feiern teilnehmen, sowie dass keine weitverbreiteten Versuche unternommen worden sind, restriktive Kleidervorschriften einzuführen oder die Mobilität von Frauen einzuschränken. Von (systematischer) Gewalt oder maßgeblichen, einer Verfolgung gleichkommenden Diskriminierungen wird in den herangezogenen Länderberichten nicht berichtet. Es finden sich im Entscheidungszeitpunkt auch keine Berichte, dass Frauen in Syrien ein Zugang zu Erwerbstätigkeit oder Bildung systematisch versagt wird. Der neue syrische Außenminister erklärte, die Behörden würden die Rechte der Frauen unterstützen und Ahmed al-Sharaa versprach, die Bildung von Frauen fortzusetzen (vgl. EUAA, Syria: Country Focus, März 2025, S. 34 f).
Auch die aktuellen Leitlinien der EUAA aus Juni 2025 und die (aus dem Jahr 2021 stammenden) Richtlinien des UNHCR gehen von keiner generellen asylrelevanten Gefährdung aller in Syrien lebenden Frauen aus, sondern setzen eine Risikobewertung unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles, insbesondere anhand der konkreten familiären und sozioökonomischen Situation der jeweiligen Frau voraus.
Gefahrenerhöhende Umstände, welche eine geschlechtsspezifische Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin im Fall ihrer (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat (insbesondere unter Berücksichtigung der in den Leitlinien der EUAA genannten Gesichtspunkte) als wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden im Verfahren nicht aufgezeigt.
Diesbezüglich ist insbesondere auszuführen, dass die weiblichen Beschwerdeführerinnen nicht den Risikoprofilen zuzuordnen sind, die nach der Einschätzung der EUAA und des UNHCR innerhalb der Gruppe der Frauen bzw. Mädchen einem erhöhten Risiko unterliegen, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Die weiblichen beschwerdeführenden Parteien brachten nicht vor, dass sie im Vorfeld ihrer Ausreise aus Syrien geschlechtsspezifischer bzw. sexueller Gewalt ausgesetzt oder von dieser konkret bedroht gewesen seien und äußerten auch keine konkreten dahingehenden Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr nach Syrien. Die Beschwerdeführerinnen würden nach Syrien in einem intakten Familienverband, insbesondere gemeinsam mit ihrem volljährigen Sohn bzw. Bruder, dem Zweitbeschwerdeführer, zurückkehren. In Syrien leben weiterhin mehrere (auch männliche) Angehörige der Erstbeschwerdeführerin, darunter insbesondere ihr Vater und vier Brüder. Zudem ist von einer nach wie vor aufrechten familiären Bindung zum gegenwärtig in der Türkei lebenden Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der übrigen beschwerdeführenden Parteien auszugehen. Diese Einschätzung beruht auf den Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin, die vorbrachte, dass ihr Ehemann sie deshalb nicht nach Europa begleitet habe, weil er sich am Bein verletzt habe und sich in der Türkei um seinen schwer erkrankten Vater kümmere (vgl. Akt Erst-Bf., S. 93). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass lediglich die genannten Umstände (Beinverletzung und erforderliche Pflege des Vaters) für die räumliche Trennung des Familienverbandes ausschlaggebend gewesen seien, jedoch keine dauerhafte Trennung beabsichtigt war. In diesem Sinn lassen auch die Angaben der Erstbeschwerdeführerin anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt erkennen, dass sie selbst davon ausgeht, dass eine allfällige Rückkehr nach Syrien im Familienverband mit ihrem Ehemann erfolgen würde (vgl. Akt Erst-Bf., S. 93: „Wenn wir zurückgehen müssten, wäre mein Mann gezwungen, für sie zu arbeiten.“). Wie zuvor ausgeführt, waren den Angaben der beschwerdeführenden Parteien keine glaubwürdigen Anhaltspunkte für eine dem Ehemann/Vater in Syrien individuell drohende Verfolgung zu entnehmen, sodass auch insofern davon ausgegangen werden kann, dass einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien im Familienverband nichts entgegenstünde.
Folglich ist davon auszugehen, dass die weiblichen Beschwerdeführerinnen im Fall einer (ohnedies nur hypothetischen) Rückkehr Unterstützung durch männliche Angehörige erfahren würden.
Soweit die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erwähnte, dass ihre Töchter in Syrien im Alter von 18 Jahren heiraten müssten, lässt sich aus den Länderberichten ableiten, dass das Risiko einer Zwangsheirat maßgeblich vom familiären Hintergrund abhängt; dass ein solches Risiko für alle jungen Frauen unabhängig von ihrem familiären Hintergrund besteht, lässt sich der Länderberichtslage und den Leitlinien der EUAA und des UNHCR hingegen nicht entnehmen. Angesichts ihres konkreten familiären Hintergrundes kann insbesondere im Fall der 18-jährigen Drittbeschwerdeführerin (wie auch im Fall der gegenwärtig erst acht Jahre alten Fünftbeschwerdeführerin) kein konkretes Risiko einer Zwangsverheiratung erkannt werden. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Verhandlung danach gefragt, wie sie selbst und der Vater ihrer Kinder zur Thematik einer arrangierten Eheschließung ihrer Tochter stehen und ob es für die Drittbeschwerdeführerin möglich sein würde, selbst darüber zu entscheiden, ob und mit wem sie eine Ehe schließen möchte. Dazu gab sie an, dass sie es nicht erlauben werde, dass ihren Töchtern dasselbe passiere, was ihr passiert sei, nämlich, dass sie im Alter von 18 Jahren nicht weiter lernen habe dürfen und heiraten musste. Sie hielt auch ausdrücklich fest, dass ihr Ehemann „ein guter Mann“ sei und ihre Töchter frei wählen dürften, wen sie heiraten und was sie studieren möchten (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 18 f). Insofern kann – zumal beide Elternteile einer solchen Praxis ablehnend gegenüberstehen – nicht erkannt werden, dass für die 18-jährige Drittbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr ein maßgebliches Risiko bestehen würde, gegen ihren Willen verheiratet zu werden. Im Verfahren wurde auch nicht konkretisiert, von wem das Risiko einer Zwangsverheiratung der Drittbeschwerdeführerin konkret ausgehen sollte.
Soweit die Erstbeschwerdeführerin erwähnte, dass sie von einer Schwägerin – bereits vor vielen Jahren – erfahren habe, dass sich die Frauen in Syrien verschleiern sollen bzw. das Mädchen in Syrien ein Kopftuch tragen müssten (vgl. Verhandlungsprotokoll, S. 17), ist auszuführen, dass den Länderberichten zu entnehmen ist, dass die neue syrische Regierung keine Kleidungsvorschriften für Frauen eingeführt hat.
Soweit zuletzt in einem Bericht des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) ausgeführt wurde, dass Frauen und Mädchen im Zuge der jüngsten bewaffneten Angriffe auf die drusische Gemeinde im Süden Syriens Opfer von Entführungen und sexualisierter Gewalt geworden seien (vgl. https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/08/syria-un-experts-alarmed-attacks-druze-communities-including-sexual-violence), ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerinnen aus dem Gouvernement Idlib im Norden Syriens stammen und nicht der drusischen Gemeinde angehören, sodass auch vor diesem Hintergrund kein erhöhtes Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt festzustellen war.
Im Verfahren wurde überdies zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass die weiblichen Beschwerdeführerinnen in Österreich eine bestimmte („westliche“) Lebensweise angenommen haben, die sie in ihrer Herkunftsregion in Syrien exponieren würde und die mit den dortigen gesellschaftlichen Werten unvereinbar wäre. Ein derartiges Vorbringen ist weder vor dem Bundesamt noch vor dem Bundesverwaltungsgericht erstattet worden. Soweit die Drittbeschwerdeführerin eine Ausbildung in Österreich absolviert und künftig im medizinischen Bereich arbeiten möchte und auch die Erstbeschwerdeführerin den Wunsch äußerte, künftig in Österreich berufstätig sein zu wollen, lässt sich alleine aus diesem Vorbringen keine verfestigte Lebensweise ableiten, die bei einer Rückkehr nach Syrien nicht aufrecht erhalten werden könnte, zumal Frauen, wie erwähnt, nach den Länderberichten auch in Syrien grundsätzlich Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit haben.
2.2.6. Zur Situation von Kindern in Syrien ist festzuhalten, dass die minderjährigen viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien zusammen mit ihrer Mutter und ihren volljährigen Geschwistern nach Syrien zurückkehren würden, wo sie weitere Verwandte haben, sodass sie über ein familiäres Netzwerk verfügen und im Fall der Rückkehr im Familienverband leben könnten. Durch ihr intaktes familiäres Netz könnten sie von den in den Länderberichten und den Leitlinien der EUAA und des UNHCR genannten kinderspezifischen Gefährdungen (z.B. sexuelle Übergriffe, Entführung, Tötung, Kinderarbeit, Zwangsrekrutierung, Zwangsheirat; vgl. dazu EUAA, Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, S. 38 ff; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, S. 178 ff) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geschützt werden. Eine Verfolgung, die sich systematisch gegen alle Kinder in Syrien richtet, kann den Länderberichten nicht entnommen werden.
2.2.7. Zu einer möglichen Gefährdung aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung:
Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass die neue syrische Regierung oder sonstige bewaffnete Gruppierungen Rückkehrende, die illegal aus Syrien ausgereist sind und im Ausland um Asyl angesucht haben, gezielt verfolgen würden, dies auch unter Berücksichtigung der hohen Anzahl an Menschen, die seit dem Sturz des ehemaligen Assad-Regimes bereits nach Syrien in unterschiedliche Gouvernements zurückgekehrt sind. So erreicht die Gesamtzahl der Rückkehrer im Jahr 2024 – ausgehend von den hier zugrunde gelegten Länderberichten – mit weiteren 125.000 Rückkehrenden seit dem Sturz al-Assads Anfang Dezember fast eine halbe Million. Auch UNHCR schätzt, dass von 08.12.2024 bis 02.01.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind. Laut Regional Flash Update zu Syrien vom 09.05.2025 schätzt UNHCR, dass mit Stand vom 08.05.2025 rund 481.730 Syrer seit dem 08.12.2024 über die Nachbarländer nach Syrien zurückgekehrt sind. Dass die Rückkehrenden insgesamt einer gezielten Verfolgung oder willkürlicher Gewalt unterliegen würden, ist den Länderberichten nicht zu entnehmen. Es ist somit auch davon auszugehen, dass die Einreise der beschwerdeführenden Parteien nach Syrien und die Weiterreise in ihre Heimatregion ohne eine ihnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung möglich ist.
2.2.8. Zusammengefasst ergibt sich aus dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien in Verbindung mit den herangezogenen Länderberichten daher keine Gefährdung aufgrund ihrer ethnischen, religiösen oder nationalen Zugehörigkeit, wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung.
2.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen, die den beschwerdeführenden Parteien zur Kenntnis gebracht wurden. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten entscheidungsmaßgeblichen Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums und der medialen Berichterstattung nicht wesentlich geändert haben. Die beschwerdeführenden Parteien sind der Richtigkeit der herangezogenen Berichtslage nicht entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Verfahren der beschwerdeführenden Parteien waren gemäß §§ 34 Abs. 4 und 5 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a und lit. c AsylG 2005 unter einem zu führen.
Zu A) Abweisung der Beschwerden (Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten)
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108; 10.11.2024, Ra 2024/20/0580, jeweils mwN).
3.2. Den beschwerdeführenden Parteien ist es jeweils nicht gelungen, eine ihnen in Syrien drohende Verfolgungsgefahr, die ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.
3.2.1. Die beschwerdeführenden Parteien begründeten ihre Anträge einerseits mit einer Furcht vor Verfolgung durch das syrische Assad-Regime aufgrund der Desertation ihres Ehemannes bzw. Vaters sowie einer dem Zweitbeschwerdeführer drohenden Einberufung zum Grundwehrdienst.
Wie oben dargelegt, ereigneten sich Anfang Dezember 2024 in Syrien politische Umbrüche, welche zur Flucht des Langzeitmachthabers Bashar al-Assad aus Syrien und zur Beendigung des Assad-Regimes führten. Weite Teile Syriens, einschließlich der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Parteien, stehen nunmehr unter der Kontrolle der neuen syrischen Regierung. Das ehemalige Assad-Regime verfügt in Syrien über keine Gebietshoheit mehr. Die Sicherheitskräfte des Assad-Regimes und die Syrische Arabische Armee wurden aufgelöst.
Es besteht daher keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass den beschwerdeführenden Parteien von Seiten des ehemaligen syrischen Assad-Regimes eine Einziehung zum Wehrdienst in die (nunmehr aufgelöste) Syrische Arabische Armee oder eine asylrelevante Verfolgung im Zusammenhang mit der behaupteten Desertation eines Angehörigen bzw. der Wehrdienstverweigerung des Zweitbeschwerdeführers droht. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung weiters dargelegt wurde, droht den beschwerdeführenden Parteien, insbesondere dem Zweitbeschwerdeführer, auch keine Einziehung zu einem Militärdienst der neuen syrischen Regierung, zumal die Wehrpflicht in Syrien abgeschafft wurde und die Armee künftig als Freiwilligenarmee organisiert werden soll. Auch eine den beschwerdeführenden Parteien drohende Zwangsrekrutierung durch andere Gruppierungen, etwa die (ehemalige) HTS oder die SNA (vormals: FSA), ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Darüber hinaus droht den beschwerdeführenden Parteien auch sonst nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung von Seiten der neuen syrischen Regierung, der (ehemaligen) HTS oder einer sonstigen bewaffneten Gruppierung. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, haben sich insbesondere keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf ein aktuell bestehendes Interesse der (ehemaligen) HTS oder der neuen syrischen Regierung an den Personen der beschwerdeführenden Parteien schließen lassen würden. Die beschwerdeführenden Parteien, Angehörige der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, welche Syrien bereits zu Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 2013 verlassen hatten, waren nicht in den Streitkräften des ehemaligen Assad-Regimes oder in sonstiger Weise für das ehemalige Assad-Regime tätig, haben sich in keiner Weise politisch exponiert und auch nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Die beschwerdeführenden Parteien gehören auch nicht den Alawiten, Schiiten oder Christen an, die nach den Länderfeststellungen vermehrten Angriffen ausgesetzt sind. Eine besondere Exposition der beschwerdeführenden Parteien, als oppositionell oder regierungsfeindlich wahrgenommen zu werden, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.
3.2.2. Aus den Feststellungen ist auch keine asylrelevante Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin als Frauen bzw. der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin als Mädchen abzuleiten. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass Frauen in Syrien – insbesondere vor dem Hintergrund der Bürgerkriegssituation – mannigfaltigen Gefährdungen ausgesetzt sind, die bei Hinzutreten bestimmter individueller risikoerhöhender Umstände Asylrelevanz erreichen können. Eine systematische Verfolgung aller Frauen in Syrien bzw. eine einer solchen gleichkommende systematische Diskriminierung ist den Länderberichten jedoch – in Einklang mit der Einschätzung der EUAA und des UNHCR, die eine Risikobewertung im jeweiligen Einzelfall als erforderlich erachten – nicht zu entnehmen. Wie festgestellt und in der Beweiswürdigung näher ausgeführt, war im Fall der Beschwerdeführerinnen kein maßgeblich erhöhtes Risiko zu erkennen, dass sie aufgrund ihrer individuellen Situation im Fall einer Rückkehr von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sein werden. Dies beruht insbesondere auf dem Umstand, dass sie über ein intaktes, auch aus männlichen Angehörigen bestehendes, familiäres Netz in Syrien verfügen, sodass sie in der dortigen Gesellschaft nicht als schutzlos angesehen werden würden; eine Rückkehr würde insbesondere gemeinsam mit dem volljährigen Zweitbeschwerdeführer erfolgen. Die Beschwerdeführerinnen waren in der Vergangenheit keiner sexuellen oder geschlechtsspezifischen Gewalt ausgesetzt und es liegen keine aktuellen Berichte vor, dass gerade in ihrer Heimatregion ein besonderes diesbezügliches Risiko besteht. In ihrem Familienverband ist die Entscheidungsfreiheit von Frauen (etwa was die Wahl des Berufes oder des Ehepartners anbelangt) anerkannt, sodass auch kein maßgebliches Risiko zu erkennen ist, dass sie innerhalb der Familie Opfer von Gewalt (zB häuslicher Gewalt, Ehrenverbrechen, Zwangsverheiratung) werden würden.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0459, mwN). Wie in der Beweiswürdigung aufgezeigt, ergab sich im konkreten Fall nicht, dass bei der Erst-, Dritt- und Fünftbeschwerdeführerin eine solche maßgeblich geänderte Lebensweise im Vergleich zu ihrer vormaligen Lebenssituation in Syrien vorliegt.
3.2.3. Betreffend den minderjährigen Viertbeschwerdeführer und die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin, die angesichts der Eingliederung in einen intakten Familienverband in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von kinderspezifischen Gefährdungen betroffen sein werden bzw. aufgrund ihres individuellen Hintergrundes kein erhöhtes Risiko aufweisen, Opfer kinderspezifischer Gewalt zu werden, ist im Verfahren auch darüber hinaus keine asylrelevante Verfolgungsgefahr hervorgekommen bzw. wurde eine solche auch nicht konkret behauptet.
Den aus den Länderfeststellungen abzuleitenden generellen Gefahren für Frauen und Mädchen sowie für Kinder wurde durch die Gewährung von subsidiärem Schutz Rechnung getragen (vgl. idS VwGH 07.08.2025, Ra 2024/18/0486, mwN).
3.2.4. Mit Blick auf die Länderinformationen haben sich auch keine Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass die beschwerdeführenden Parteien aufgrund ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein könnten, zumal Sunniten mit etwa 74% die Mehrheit der syrischen Bevölkerung stellen und Araber die überwältigende Mehrheit in Syrien darstellen. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, haben sich weiters auch keine Hinweise ergeben, dass Rückkehrende, die Syrien illegal verlassen und im Ausland um Asyl angesucht haben, gezielt verfolgt werden.
3.2.5. Auch sonst haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung der beschwerdeführenden Parteien aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist daher nicht gegeben.
3.3. Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit den aktuellen Leitlinien der European Union Agency for Asylum (EUAA) und des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), denen nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung Indizwirkung zukommt (vgl. VwGH 25.06.2024, Ra 2024/18/0151, mwN).
EUAA ist der Auffassung, dass Risiken im Zusammenhang mit dem Assad-Regime als Verfolgungsakteur, insbesondere im Hinblick auf Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben oder desertiert sind, oder die gegenüber dem Assad-Regime als politisch oppositionell angesehen wurden, nicht mehr vorliegen (vgl. EUAA, Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, 27 ff). Wie zuvor aufgezeigt, war aufgrund ihrer individuell-familiären Situation auch von keiner den erst- und dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Frauen bzw. Kinder auszugehen (vgl. EUAA, Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, S. 35 ff; EUAA, Syria: Country Focus, Juli 2025, 59 ff, 62 ff; EUAA, Syria: Country Focus, März 2025, S. 33 ff, 38 ff). Die beschwerdeführenden Parteien fallen darüber hinaus nicht unter den Personenkreis, der nach den aktuellen Leitlinien der EUAA im Fall einer Rückkehr nach Syrien einem erhöhten Risiko asylrelevanter Verfolgung unterliegen könnte (vgl. dazu die in EUAA, Interim Country Guidance: Syria, Juni 2025, 42 ff, definierten Risikoprofile; sowie EUAA, Syria: Country Focus, Juli 2025, 31 ff).
Auch UNHCR vertritt in seiner Position vom 16.12.2024 („Position on returns to the Syrian Arab Republic“) die Auffassung, dass Risiken im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die ehemalige syrische Regierung nicht mehr bestehen. Der Position des UNHCR ist auch darüber hinaus keine der im vorliegenden Verfahren getroffenen Entscheidung entgegenstehende Einschätzung zu entnehmen. Die beschwerdeführenden Parteien verfügen weiterhin über internationalen Schutz in Form des Status der subsidiär Schutzberechtigten, sodass sie vor diesem Hintergrund nicht von einer Rückführung nach Syrien bedroht sind.
3.4. Dem Schutz vor (mit realem Risiko drohenden) willkürlichen Zwangsakten wird bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund durch die – auch vorliegend erfolgte – Gewährung subsidiären Schutzes hinreichend Rechnung getragen (vgl. VwGH 11.10.2024, Ra 2024/20/0580, mwN).
3.5. Die beschwerdeführenden Parteien vermochten daher eine ihnen im Herkunftsstaat, insbesondere in ihrer Herkunftsregion (sowie bei der Einreise und Rückkehr in diese), aktuell drohende Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, nicht glaubhaft darzutun.
3.6. Die gegen Spruchpunkt I. der Bescheide vom 09.05.2024 bzw. 16.05.2024 gerichteten Beschwerden sind daher jeweils als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des VwGH die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, ist eine Entscheidung im Einzelfall, die grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. VwGH 11.10.2024, Ra 2024/20/0580, mwN). Die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache hing im Wesentlichen von der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens sowie der Beurteilung sich aus den Länderberichten ergebender allgemeiner Gefährdungspotentiale – und somit von Tatsachenfragen – ab. Die relevante Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen zu Spruchteil A) wiedergegeben. Eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt daher nicht vor.