Spruch
L516 2276836-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2023, Zahl 1323107310-222791494, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 06.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 14.07.2023 den Antrag des Beschwerdeführers (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab. Das BFA erkannte dem Beschwerdeführer unter einem (II.) gem § 8 Abs 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte (III.) eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs 4 AsylG.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides.
Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Folge am 04.04.2024 eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsvertretung teilnahm; die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme und erschien nicht.
1. Sachverhaltsfeststellungen:
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich]
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Er ist syrische Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest. (BFA Bescheid 14.07.2023 S 4, 44)
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG. Die Aufenthaltsberechtigung wurde vom BFA zwischenzeitlich bis Juli 2026 verlängert. (siehe die rechtskräftigen Spruchpunkte II und III des angefochtenen Bescheides; IZR)
Einem 2002 geborenen Bruder wurde in Österreich mit Bescheid des BFA vom Oktober 2022 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. (IFA Zahl 1290300905)
Einem weiteren 2003 geborenen Bruder wurde in Österreich mit Bescheid des BFA der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts eine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen. (BVwG 02.04.2024, W252 2278993-1/11E)
1.2 Zum Herkunftsort und Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien
Der Heimatort des Beschwerdeführers ist XXXX im Gouvernement Aleppo geboren, wo er von Geburt an bis Ausreise in die Türkei im Alter von 13 Jahren im Jahr 2014 lebte, nachdem der IS XXXX angegriffen hatte. (NS EV 14.07.2023 S 3; VS 04.04.2024 S 4, 5)
Der Beschwerdeführer hat in Syrien 7 Jahre die Schule besucht. (NS EB 07.09.2022 S 2)
1.3 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz
Der Beschwerdeführer begründete seine Ausreise aus Syrien zusammengefasst damit, dass er nicht zum syrischen Militär und dort den Wehrdienst ableisten möchte. Bei einer Rückkehr würde er auch von der FSA, Al-Nusra Front, oder den Kurden eingezogen und in den Krieg geschickt werden. Mit „den Kurden“ meiner er die SDF. Wer in den Krieg geschickt werde, komme nicht mehr zurück. Er sei für keine Seite, wolle sich nicht einmischen und nur in Frieden leben. Er wolle nicht gegen sein Volk kämpfen. Er wolle niemanden töten und nicht getötet werden. Er habe auch in Österreich an Demonstrationen gegen das (vormalige) syrische Regime teilgenommen. Falls es in Syrien keinen Krieg gebe, würde er den Militärdienst ableisten. (NS EV 14.07.2024 S 3; VS 04.04.2024 S 5 ff)
1.4 Zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens und einer bestehenden Rückkehrgefährdung
1.4.1 Dem Beschwerdeführer droht zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt keine Verfolgung durch das im Dezember 2024 gestürzte syrische Assad-Regime.
1.4.2 Dem Beschwerdeführer droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung durch die SNA, FSA oder HTS bzw Al-Nusra-Front.
1.4.3 Der Beschwerdeführer war bisher keinen konkreten Rekrutierungsversuchen durch die SDF oder eine andere kurdische Gruppierung ausgesetzt war. Er hat auch bisher noch keine konkrete Aufforderung zum Antritt der Selbstverteidigungspflicht erhalten und auch keine strafrechtliche Verfolgung in Zusammenhang mit der unterbliebenen Ableistung des Wehrdienstes bei den Selbstverteidigungseinheiten erlitten.
Dem Beschwerdeführer droht im Fall einer Rückkehr in seiner Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die (Zwangs-)Rekrutierung durch die SDF oder ihre Teilorganisationen (insbesondere die YPG).
Allerdings befindet sich der Beschwerdeführer im wehrpflichtigen Alter und ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion zur Ableistung des Wehrdienstes bei den Selbstverteidigungseinheiten verpflichtet, da Männer in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien zum einjährigen Wehrdienst bei den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (HXP) einberufen werden.
Bei den kurdischen Einheiten dienen Wehrpflichtige in den Selbstverteidigungseinheiten (HXP), die von der YPG bzw. der YPJ zu unterscheiden sind. Die Selbstverteidigungseinheiten sind eine Hilfstruppe für die YPG. Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz. Der Beschwerdeführer wird somit im Fall der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Fronteinsatz zu gewärtigen haben und auch nicht in Kriegsverbrechen bzw. völkerrechtswidrigen Militäraktionen verwickelt werden.
Das Wehrpflichtgesetz der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien wird von den SDF durchgesetzt. Der Versuch, der Selbstverteidigungspflicht zu entgehen, wird mit einer Verlängerung der Selbstverteidigungspflicht um einen Monat sanktioniert, einigen Quellen zufolge auch in Verbindung mit einer Haftstrafe für einen kürzeren Zeitraum von ein bis zwei Wochen, während derer ein Einsatzort für die betroffene Person gesucht wird.
Seitens der Behörden der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien wird die Verweigerung der Selbstverteidigungspflicht nicht als Ausdruck einer oppositionellen politischen Gesinnung betrachtet. Sollte der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr zum Wehrdienst bei den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten eingezogen werden, ist er im Falle der Weigerung, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen, nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen zu werden. Der Beschwerdeführer weist auch keine glaubhafte politische Überzeugung gegen die SDF/YPG oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf.
Auch durch den Umstand, dass seine in Österreich befindlichen Brüder sich ebenso der Selbstverteidigungspflicht entzogen haben, drohen dem Beschwerdeführer keine Nachteile, insbesondere keine Reflexverfolgung durch kurdische Machthaber.
1.4.4 Der Beschwerdeführer hat somit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.
1.5 Zur Lage in Syrien
BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration
27.01.2025
Zahlreiche Tote durch Kriegsrückstände
Medienberichten zufolge kommt es derzeit häufig zu Todesfällen und Verwundungen aufgrund der Explosion von nicht explodierten Sprengkörpern und Kriegsüberresten, die sich in großen Teilen des Landes finden.
Der syrische Zivilschutz, auch bekannt als Weißhelme, erfasste zwischen dem 27.11.24 und dem 19.01.25 insgesamt 40 durch zurückgebliebene Sprengkörper getötete und 65 verwundete Personen. Das UN-Büro für die Koordinierung von humanitären Angelegenheiten (UN OCHA) veröffentlichte hingegen Zahlen ihrer Partnerorganisationen, denen zufolge in den ersten zwei Januarwochen allein mind. 45 Personen durch Blindgänger und Landminen getötet sowie 60 weitere verwundet worden sein sollen. Insbesondere Gebiete, in denen es in den vergangenen 13 Jahren zu intensiven Kampfhandlungen kam, seien hiervon betroffen. Die Weißhelme konnten seit dem 26.11.24 bereits mehr als 1.060 Kampfmittelrückstände beseitigen, identifizierte bislang jedoch auch 134 Minenfelder und einzelne verminte Punkte.37
DAANES bringt freiwillige Rückkehr aus al-Hol-Camp auf den Weg
Zum ersten Mal verlassen syrische Staatsangehörige das al-Hol-Camp im Nordosten Syriens, um in ihre Heimatregionen (außerhalb der Kontrolle der DAANES) zurückzukehren. Die Lagerdirektion verkündete die Vorbereitung für die freiwillige Rückkehr von insgesamt 66 Familien.
Das Lager hat eine Bevölkerung von etwa 40.000 Personen, ein großer Anteil hiervon soll in Verbindung zum IS stehen und seit dessen militärischer Niederlage im Jahr 2019 in dem Lager leben. Es gilt als Sicherheitsrisiko und Nährboden für extremistische Ideologie. Bereits seit Jahren ruft die sog. Demokratische Autonome Administration für Nord- und Ostsyrien (DAANES) Drittstaaten dazu auf, ihre Angehörigen aus dem Lager zu repatriieren. Bei einem Großteil der Einwohnerinnen und Einwohner handele es sich um ausländische Staatsangehörige, nur etwa 16.000 Syrerinnen und Syrer würden in dem Lager leben. Bereits seit Oktober 2020 wäre es Angaben der DAANES nach möglich gewesen, das Lager freiwillig zu verlassen, doch aufgrund der Herrschaft Bashar al-Assads sei dies von den Betroffenen nicht wahrgenommen worden.
Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo
Die Kämpfe zwischen den durch die Türkei unterstützten Milizen der sog. Syrischen Nationalarmee (SNA), mit militärischer Luftunterstützung durch die Türkei, und den kurdisch-dominierten sog. Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Osten des Gouvernements Aleppo dauern weiterhin an (vgl. BN v. 13.01.25).
Der Tishreen-Damm, auf den sich die Kämpfe und Luftangriffe weiter konzentrieren, liegt strategisch bedeutsam, generiert Strom und stellt Wassernachschub für einen großen Teil der SDF-kontrollierten Gebiete. Der Staudamm stellt dementsprechend ein wertvolles Druckmittel dar, sollte die SNA Kontrolle darüber erlangen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) erfasste seit Beginn der Auseinandersetzungen am 12.12.24 insgesamt 483 Personen, die im Rahmen der Kämpfe und Luftangriffe getötet worden seien. Darunter sollen sich demnach 51 Zivilpersonen, 363 SNA-Kämpfer und 76 SDF-Angehörige befinden. Medienberichten zufolge soll die HTS-geführte Abteilung für Militäroperationen einen Konvoi nach Manbij in die Nähe des Staudamms entsandt haben. Eine Beteiligung an den Kämpfen fand zunächst jedoch nicht statt.
Bewaffnete Auseinandersetzungen mit SDF in Raqqa und Deir ez-Zor
Medien berichteten am 25.01.25, dass im ländlichen Deir ez-Zor drei Kämpfer der SDF in einer Auseinandersetzung mit bewaffneten Stammesangehörigen, die nach dem Sturz Assads loyal gegenüber der Übergangsregierung in Damaskus gewesen sein sollen, getötet worden sind.
Mehrere Beiträge in sozialen Medien berichteten außerdem, dass es am 25.01.25 zwischen SDF-Truppen und der HTS-geführten Abteilung für Militäroperationen entlang der Grenze zu den durch die beiden Akteure kontrollierten Gebieten im Gouvernement Raqqa zu gegenseitigem Beschuss kam. Die genauen Hintergründe und potentielle Opferzahlen blieben zunächst jedoch unklar.
20.01.2025
Vergeltungsakte und Selbstjustiz
Berichte über Vergeltungsakte und Selbstjustiz in Syrien nach dem Ende der Assad-Herrschaft dauern weiterhin an. Immer wieder gibt es Berichte über Einzelfälle, in denen die lokale Bevölkerung, Nachbarn und Bekannte zu Gewalt greifen und Vergeltung an (tatsächlichen oder vermeintlichen) Anhängerinnen und Anhängern der Assad-Regierung verüben. Eine internationale Tageszeitung berichtete am 16.01.25 von einem Vorfall, in dem eine betroffene Familie angab, dass eines ihrer Mitglieder ermordet wurde, obwohl es sich bei dem Opfer um einen einfachen, wehrdienstleistenden Soldaten gehandelt habe, der zweimal versucht haben soll zu desertieren. Die lokale Bevölkerung, aus der die Täter stammen sollen, die den Mann nach seiner Rückkehr nach Hause umgebracht hätten, unterstellte ihm jedoch, Informationen an die damalige Regierung weitergegeben zu haben, die zur Inhaftierung und Tötung von anderen geführt haben sollen. Ein Mitarbeiter der Polizei, die den Fall untersucht, sagte ebenfalls aus, die Familie des Ermordeten sei bekannt dafür gewesen, mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Zunächst wurde niemand für die mutmaßlich außergerichtliche Tötung verhaftet.
Selbst einfachen Wehrdienstleistenden, die nach dem Sturz Assads nach Hause zurückkehrten, würde dem Zeitungsbericht zufolge mit Misstrauen begegnet. Es werde ihnen vorgeworfen, sie hätten die Verbrechen der Regierung ermöglicht.
Häufig wird außerdem über außergerichtliche Tötungen vormaliger Funktionäre unter der Assad-Regierung berichtet sowie Tötungen vor unklarem Hintergrund.
Israelischer Luftangriff auf HTS-Mitglieder in Quneitra
Bei einem israelischen Luftangriff auf Ziele in der Ortschaft Ghadir al-Bustan im südlichen Gouvernement Quneitra wurden drei Personen getötet und fünf weitere verwundet. Zwei der Getöteten sollen Angehörige von Hay’at Tahrir al-Shams (HTS) gewesen sein, während der Dritte ein Gemeindebeamter war, der ebenfalls mit der HTSÜbergangsregierung in Verbindung stand. Das israelische Militär gab an, dass Fahrzeuge, die Waffen transportierten, das Ziel der Luftschläge gewesen seien.
Israel führte nach dem Sturz Assads hunderte Luftschläge gegen staatliche militärische Ziele und Ausstattung aus (vgl. BN v. 23.12.24). Die syrische Übergangsregierung hatte bislang signalisiert, keinen Konflikt mit Israel zu suchen und die Luftangriffe und Bodenoperationen zwar verurteilt, aber keine militärischen Schritte eingeleitet. Es handelt sich jedoch um den ersten Luftangriff mit Opfern, die direkt mit der HTS-Übergangsregierung in Verbindung stehen.
13.01.2025
Andauernde Kämpfe zwischen SDF und SNA in Ost-Aleppo
Im Norden Syriens dauern türkische Luftangriffe und Kämpfe zwischen dem durch die Türkei unterstützten Milizenbündnis, der sog. Syrische Nationalarmee (SNA), und den kurdisch-dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) weiterhin an.
Im Fokus türkischer Angriffe steht nach der Einnahme Manbijs und Tall Rif’ats durch die SNA (vgl. BN v. 23.12.24) besonders der Tishreen-Staudamm. Am 08.01.25 sammelten sich über 1.000 Protestierende, um auf Aufforderung der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) gegen den andauernden Beschuss zu demonstrieren. Medienberichten zufolge sollen während des Protestzugs Ziele in der Nähe bombardiert worden sein. Die Gesundheitsbehörde in Ayn al-Arab (Kobanê) berichtete, dass fünf Zivilpersonen getötet und 15 weitere verwundet worden seien. Türkische Behörden lehnten eine türkische Verantwortung hierfür ab und beschuldigten die DAANES und SDF, die Zivilbevölkerung als menschliche Schilde zu missbrauchen. Am Tag darauf sollen Berichten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge 37 Personen getötet worden sein. Darunter befanden sich demnach primär SNA-Kämpfer, aber auch sechs Mitglieder der SDF. Insgesamt steigt die Todeszahl des vergangenen Monats damit auf 332 Tote. Ferner sollen SDF-Angaben zufolge am 11.01.25 drei Zivilpersonen durch türkische Luftangriffe getötet worden sein.
Proteste der alawitischen Bevölkerung; Berichte über Tote bei Ausschreitungen und Vergeltungsakten
Am 25.12.24 brachen in mehreren Städten des Landes Proteste der alawitischen Bevölkerung aus, nachdem online ein Video zirkulierte, dass die Zerstörung eines alawitischen Schreins in Aleppo zeigte. Die Behörden gaben später an, es habe sich um ein älteres Video gehandelt. Homs neu ernannter Polizeichef berichtete von friedlichen Protesten in Homs-Stadt, die von Gruppierungen, die mit der gestürzten Assad-Regierung in Verbindung standen, missbraucht worden seien. Dabei sollen Einzelne das Feuer auf Protestierende und anwesende Sicherheitskräfte eröffnet haben, wodurch eine Person getötet und mehrere verletzt worden sein sollen. Sicherheitskräfte erließen temporäre Ausgangssperren und errichteten Checkpoints, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. SOHR berichtete zunächst, dass die Proteste von HTS-Kämpfern niedergeschlagen worden sein sollen.
Weitere Proteste brachen in Damaskus aus, nachdem ein Video, das die Verbrennung eines Weihnachtsbaums zeigte, publik wurde. Am Folgetag gab das Informationsministerium der Übergangsregierung bekannt, die Verbreitung von Videos mit einem „sektiererischen Charakter, der auf die Verbreitung von Spaltung abzielt“ zu verbieten.
Seit der Machtübernahme der HTS sollen Dutzende Syrerinnen und Syrer durch Racheakte getötet worden sein, insbesondere Mitglieder der alawitischen Bevölkerungsgruppe. Die Sorge vor Vergeltungsschlägen unter Alawitinnen und Alawiten ist weiterhin groß. Eine konkrete Opferzahl liegt nicht vor.
Vorgehen gegen Assad-treue Milizen
Bewaffnete Gruppen der Übergangsregierung führen in verschiedenen Orten Verhaftungskampagnen durch, um die Auflösung Assad-treuer Milizen voranzutreiben. So fand am 30.12.24 eine Verhaftungskampagne in der Ortschaft Adra nahe Damaskus statt, in deren Zuge mehrere Anführer solcher Milizen inhaftiert worden sein sollen.
Am 25.12.24 kam es in der Küstenstadt Tartous zu Kämpfen zwischen HTS-Kämpfern und Unterstützern der gestürzten Regierung, nachdem Medienberichten zufolge ein hochrangiger Funktionär der vormaligen Regierung verhaftet werden sollte. Dabei sollen 14 HTS-Kämpfer getötet und weitere verwundet worden sein.
Im Nachgang an die in Kämpfe eskalierten Proteste in Homs-Stadt (s.o.) führten die neuen syrischen Sicherheitskräfte am 02.01.25 unter dem Einsatz von Panzern eine weitere Verhaftungskampagne gegen ehemalige Milizenangehörige und Soldaten in Homs-Stadt durch, die sich ihrer Entwaffnung verweigert und der Beteiligung an Kriegsverbrechen verdächtigt werden sollen. Bereits am ersten Tag der mehrtägigen Kampagne sollen über 100 Personen inhaftiert worden sein.
Das Vorgehen gegen Mitglieder und Funktionäre der ehemaligen Regierung führte auch zu Kritik. Menschenrechtsorganisationen warfen der Übergangsregierung willkürliche Verhaftungen und intransparentes Vorgehen gegen mutmaßliche Assad-Unterstützer vor. Dies bestritten die Übergangsbehörden und verwiesen darauf, gegen bewaffnete, gewaltbereite Assad-Loyalisten vorzugehen, nicht jedoch gegen einfache Sympathisanten.
Einige Tage später, am 12.01.25 ergingen Berichte, dass etwa 360 Personen, die im Zuge der Verhaftungskampagnen in Gewahrsam genommen worden waren, durch die Abteilung für Allgemeine Sicherheit, freigelassen wurden. Es hätte sich bestätigt, dass sich die betroffenen Personen der Entwaffnung und der Übergangsregierung nicht widersetzen würden und sich keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. Wie viele der Inhaftierten aus Homs in Gewahrsam verblieben, war zunächst nicht bekannt.
Wirtschaftliche Situation und Lockerung von Sanktionen
Die desolate wirtschaftliche Lage sorgt weiterhin für Herausforderungen bei der Versorgung der syrischen Bevölkerung. Während Hilfsorganisationen davon ausgehen, dass noch immer ca. 90 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und etwa 13,1 Mio. Menschen in Syrien nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung haben, bemüht sich die Übergangsregierung um das Einholen weiterer Hilfsgelder und Wiederaufbauhilfen.
Zuletzt kamen am 10.01.25 vor der Umayyaden-Moschee in Damaskus mind. drei Personen in der sich dort versammelnden Menschenmasse zu Tode. Berichten zufolge kommen zahlreiche Menschen zur Moschee und auf den Vorplatz, um dort das Freitagsgebet zu verrichten, aber auch um dort Lebensmittelhilfen zu erhalten.
Nachdem zuletzt die Verlängerung der US-Sanktionen des Caesar Act, der eines von mehreren Sanktionspaketen darstellt, um weitere fünf Jahre eingeleitet wurde, lockerte die US-Regierung am 06.01.25 einige Restriktionen für die kommenden sechs Monate, um es Investoren zu ermöglichen, mit syrischen Behörden zusammenzuarbeiten. Insbesondere in Bereichen die zur Versorgung der Bevölkerung beitragen, wie die humanitäre Hilfe, aber auch Strom, Energie, Wasser, Sanitäranlagen, sollen die Lockerungen der Sanktionen Wirkung zeigen.
In einem weiteren Schritt der Öffnung Syriens nahm der internationale Flughafen Damaskus am 07.01.25 den kommerziellen internationalen Luftverkehr wieder auf.
Die Zusammenführung der syrischen Wirtschaft nach der mehrjährigen de-facto-Teilung stellt die Übergangsregierung vor Herausforderungen. Aufgrund einer angestrebten Angleichung öffentlicher Gehälter zwischen den vormaligen Gebieten der HTS-geführten Administration in Idlib und den vormals durch die Assad-Regierung kontrollierten Gebieten, nahm die Übergangsregierung temporäre Kürzungen der Gehälter in Idlib um die Hälfte der Gesamtsumme vor (diese lagen bislang bei etwa 100-170 USD/Monat). Gleichzeitig wurden im Rahmen von Notfallmaßnahmen öffentliche Gehälter in den vormaligen Gebieten der Assad-Regierung erhöht, da diese bislang bei nur etwa 17 USD/Monat lagen. Lehrkräfte in Idlib kündigten daraufhin einen Streik gegen die temporären Kürzungen an, da auch sie trotz der verhältnismäßig höheren Gehälter unter großem finanziellem Druck stünden.
23.12.2024
Statusklärungsprozesse für ehemalige Angehörige der SAA und NDF
Ehemalige Angehörige der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und irantreuer Milizen, welche unter dem Verbund der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) organisiert waren, sollen nach Angaben der neuen Herrscher die Möglichkeit bekommen, einen Statusklärungsprozess zu durchlaufen, in dem festgestellt werden soll, ob die betreffende Person entweder für Verbrechen unter der Assad-Regierung verantwortlich gewesen war und eine entsprechende Strafverfolgung zu erwarten hat, oder ob sie eine Amnestie erhalten kann.
Ehemalige Soldaten, Offiziere und medizinisches Personal der SAA wurden dazu aufgerufen, sich dafür in sogenannten Versöhnungszentren zu melden, um sich auszuweisen und Waffen sowie Gerätschaften abzugeben. Einer internationalen Tageszeitung zufolge öffnete am 18.12.24 in Latakia eines der ersten solcher Versöhnungszentren auf dem Boden einer ehemaligen Sicherheitsbehörde. Am ersten Tag sollen mehr als 600 Personen erschienen sein, gefolgt von einer noch größeren nicht näher bestimmten Zahl am Tag darauf.
Alle Personen, überwiegend Männer, aber auch einzelne Frauen, würden abfotografiert und ein zunächst für drei Monate gültiges Ausweisdokument erhalten. Einem örtlichen Vertreter des Innenministeriums in Latakia zufolge müssten sich die Betroffenen im Rahmen des Aussöhnungsprozesses nach drei Monaten bei einem Sicherheitshauptquartier melden, um das Verfahren weiter betreiben zu können.
Vor dem Sturz der Assad-Regierung am 08.12.24 ist bereits im zuvor von HTS eroberten Aleppo am 06.12.24 ein sogenanntes Versöhnungszentrum eingerichtet worden.
Ehemalige bewaffnete Oppositionsgruppen sollen in die syrische Armee eingegliedert werden
Wie syrische Staatsmedien am 17.12.24 berichteten, sollen dem Anführer von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zufolge alle bewaffneten Gruppen im Land aufgelöst und deren Kämpfer dem Verteidigungsministerium unterstellt werden. Unterdessen rief das neue Innenministerium Interessierte dazu auf, sich in den Polizeiakademien des Landes für den Sicherheitsdienst zu bewerben.
Berichte über einzelne Übergriffe auf Alawitinnen und Alawiten
Dem Bericht einer internationalen Presseagentur vom 21.12.24 zufolge dokumentierte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit dem Sturz der Assad-Regierung am 08.12.24 mindestens 72 Fälle von Tötungen an verschiedenen ethnischen und religiösen Minderheiten. Alle Vorfälle wurden demnach in den religiös vielfältigen Gouvernements Hama, Homs, Tartus und Latakia verortet.
Zwischen dem 09.12. und 11.12.24 wurden dem Presseagenturbericht zufolge in der Ortschaft Bahra (Hama) etwa ein Dutzend Alawitinnen und Alawiten von bewaffneten Männern erschossen. In den benachbarten Ortschaften Mouaa und Um al-Amad wurden ebenfalls jeweils sechs und zwei Personen getötet. Alle drei Orte sollen inzwischen nahezu verlassen sein, nachdem die Bewohnerinnen und Bewohner nach Tartus geflohen seien.
Am Wochenende des 20.12. und 21.12.24 soll daraufhin die HTS-Miliz ein Treffen veranstaltet haben, zu dem sunnitische und alawitische Würdenträger aus den Ortschaften Rabia, Tizin, Metnine und Mouaa erschienen sein und ein Ende der gewalttätigen Übergriffe beschlossen haben sollen.
Besetzte Pufferzone: Israel geht von längerer Präsenz aus
Nachdem die israelische Armee kurz nach dem Sturz der Assad-Regierung in die entmilitarisierte Pufferzone entlang den Golanhöhen im syrischen Gouvernement Quneitra eingedrungen war (vgl. BN v. 09.12.24) und den Gipfel des Hermon, Syriens höchstem Berg, eingenommen hat, besuchte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am 17.12.24 einen der neu errichteten Stützpunkte und bekräftigte die Absicht Israels, die Pufferzone solange militärisch zu halten bis ein Abkommen mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei, das die Sicherheit Israels garantiere.
Der Hermon ist weniger als zehn km von den seit 1967 israelisch besetzten Golanhöhen entfernt und stellt einer Presseerklärung des israelischen Verteidigungsministeriums vom 17.12.24 zufolge eine strategisch wichtige Position dar, von der aus man Hisbollah-Einheiten in der Bekaa-Ebene des benachbarten Libanon besser beobachten könne. Außerdem würde die israelische Präsenz eine abschreckende Wirkung auf Rebellen in Damaskus haben, die eine moderate Fassade für sich behaupten, aber den extremsten Zweigen des Islamismus zuzurechnen seien.
Ahmad al-Shara, Anführer der HTS-Miliz, kritisierte das israelische Vorgehen und versicherte, dass Syrien das im Jahr 1974 geschlossene Waffenstillstandsabkommen mit Israel wahren werde. Vielmehr sei die Gefahr, die von irantreuen Milizen für Israel ausgegangen sei, durch den Sturz der Assad-Regierung gebannt worden.
Am 15.12.24 genehmigte die israelische Regierung zudem den Ausbau weiterer Siedlungen auf den Golanhöhen. Eine Verdoppelung der israelischen Bevölkerung in den Golanhöhen, die mit den Siedlungsgenehmigungen erreicht werden soll, diene der Verteidigungsfähigkeit der Region.
Gegenwärtig leben schätzungsweise 20.000 israelische neben 20.000 syrischen Staatsangehörigen auf den Golanhöhen. Letztere setzen sich vor allem aus der drusisch-arabischen Minderheit Syriens zusammen. Anders etwa als das Westjordanland, das Israel als umstrittenes Gebiet betrachtet, werden die Golanhöhen seit ihrer Annexion von Syrien im Jahre 1981 als israelisches Staatsgebiet behandelt.19
Nordosten: Angriffe der SNA auf Ain al-Arab (Kobanê)
Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) berichteten, am 18.12.24 an zahlreichen Stellungen um die im Gouvernement Aleppo gelegene Ortschaft Ain al-Arab (kurdisch Kobanê) und entlang des Euphrat von Kämpfern der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (SNA) angegriffen worden zu sein.
Die Ortschaft ist die letzte größere Bastion der SDF im Gouvernement Aleppo zwischen Tal Abyad im Osten und Jarabulus sowie Manbij im Westen, die sich inzwischen allesamt unter der Kontrolle der SNA und des türkischen Militärs befinden. Zugleich ist Ain al-Arab bzw. Kobanê mehrheitlich kurdisch bewohnt. Der Stadt wird durch den hart erkämpften Sieg über die IS-Herrschaft im Jahr 2016 große symbolische Bedeutung beigemessen. Nach der Einnahme Manbijs durch die SNA am 11.12.24 (vgl. BN v. 16.12.24) wurde eine zeitlich begrenzte Waffenruhe für die gesamte Region beschlossen. Vorausgegangene Kämpfe hatten Tausende Menschen zur Flucht bewegt.
Die Führung der SDF bekannte sich am 17.12.24 öffentlich zu einem Friedensplan, wonach sie ihre Kämpferinnen und Kämpfer aus Kobanê abziehen würden, wenn dafür eine entmilitarisierte Zone unter Aufsicht der US-Armee geschaffen werde.
Am 20.12.24 wurden Medienberichten zufolge eine Journalistin und ein Journalist bei einem türkischen Drohnenangriff nahe der Tischrin-Talsperre, etwa 60 km südlich von Ain al-Arab bzw. Kobanê, getötet. Die beiden arbeiteten für kurdische Medienunternehmen in der Türkei.
16.12.2024
Machtwechsel; Schicksal vieler Assad-Getreuer ungewiss
Am 13.12.24 kamen in Damaskus Zehntausende Menschen am Umayyaden-Platz, einem Kreisverkehr nahe der gleichnamigen Moschee im Zentrum der Stadt, zusammen, um das Freitagsgebet zu begehen und das Ende der Assad-Herrschaft zu feiern. Die Predigt in der Umayyaden-Moschee wurde von Interims-Premierminister al-Bashir gehalten. Der Anführer der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmad al-Sharaa, der inzwischen seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Jolani abgelegt hat, wandte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung, um ihr zu gratulieren.
Am 11.12.24 hatte al-Sharaa in einer schriftlichen Stellungnahme angekündigt, keine Begnadigungen für Personen auszusprechen, die an der Folter oder dem Mord von Häftlingen unter der Assad-Regierung beteiligt waren. Man werde die im Land verbliebenen Täter ausfindig machen und ausländische Staaten um eine Überstellung bitten. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete am selben Tag von Übergriffen bewaffneter Gruppen auf Personen in Wohnvierteln, die als Assad-Hochburgen bekannt waren. Es soll demnach zu Plünderungen und Einschüchterungen gekommen sein. Während prominente Assad-Anhänger wie dessen Bruder Maher oder Generalmajor Al Mamlouk Berichten zufolge nach Russland bzw. Libanon geflohen sein sollen, ist der Verbleib vieler weiterer Führungspersönlichkeiten der gestürzten Regierung ungeklärt.
Am 14.12.24 eröffnete der türkische Außenminister Hakan Fidan die türkische Botschaft in Damaskus, die seit dem Jahr 2012 geschlossen war.
Nordostsyrien: SDF geben Manbij auf; hissen die neue Flagge Syriens
Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) erklärten am 11.12.24, einem durch die USA und Türkei vermittelten (vgl. BN v. 09.12.24) Waffenstillstandsabkommen zugestimmt zu haben, wonach sie ihre Streitkräfte aus Manbij abziehen mussten. Die Ortschaft steht damit unter der Kontrolle der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einem aus der Türkei geförderten islamistischen Rebellenverbund. Manbij befand sich seit mehr als acht Jahren unter Kontrolle der SDF, nachdem sie den IS im August 2016 aus der Ortschaft vertrieben hatten. Die Führung der SDF kritisierte die USA dafür, die Angriffe der Türkei und der mit ihr verbündeten Milizen auf die Kurden nicht verhindert haben zu können, schließlich sei Manbij auch mit Hilfe des US-Militärs vom IS befreit worden. Dieser könne eine Schwächung der SDF in der Region möglicherweise auch für sich zu nutzen wissen. US-Angaben zufolge halten die SDF derzeit noch ca. 9.000 IS-Kämpfer in über 20 Haftanstalten verteilt über Nordostsyrien gefangen.
Am 12.12.24 erklärte die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES), das zivile Pendant zu den SDF, auf allen Gebäuden ihrer Institutionen die neue Flagge Syriens gehisst zu haben. In der Stellungnahme bekannte sie sich zur Einheit Syriens und ihrer nationalen Identität. Bis dato positionierte sich die DAANES seit Jahren als dritte Partei zwischen syrischer Regierung und der bewaffneten Opposition. In dem symbolischen Akt kann eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Herrschern in Damaskus gesehen werden.
Fluchtbewegungen
Aktualisierten Zahlen der UN zufolge sind im Zuge der HTS-Offensive 1,1 Mio. Menschen zu Binnenflüchtlingen geworden, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner der Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Homs. Fluchtbewegungen können vor allem in die Gouvernements Idlib, Hama, Rif Dimashq, Aleppo und Tartus verzeichnet werden. Demgegenüber hätten ca. 5.000 Menschen ihre Notunterkunft in Binnenvertriebenenlagern verlasen, um in ihre Häuser zurückzukehren. In den meisten Regionen habe sich die Sicherheitslage zuletzt verbessert, nur in Nordostsyrien sprechen die UN von einer volatilen Situation infolge von großen territorialen und politischen Veränderungen.
Die UN berichten außerdem mit Stand 13.12.24, dass seit dem 08.12.24 etwas weniger als 10.000 Menschen aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt seien. Zehntausende wären zur selben Zeit (vor dem Hintergrund des Waffenstillstandes zwischen Israel und Hisbollah) von Syrien in den Libanon zurückgekehrt. Etwa 1.000 Syrerinnen und Syrer wären demnach in den Irak geflohen, 800 Personen alleine am 11.12.24.
09.12.2024
Sturz der Assad-Regierung
Mit der weitgehend kampflosen Einnahme weiterer Gouvernementhauptstädte (05.12.24 Hama, 07.12.24 Homs) fiel am Morgen des 08.12.24 schließlich auch die Hauptstadt Damaskus unter die Kontrolle von Hayat Tahrir al-Sham (HTS).
Zur Offensive aus dem Nordwesten (vgl. BN v. 02.12.24) kamen spontan regionale bewaffnete Aufstände hinzu, wodurch auch die südlichen Gouvernements Suweida und Dar’a von Umstürzen erfasst wurden. Am 06.12.24 rief außerdem die russische Botschaft in Damaskus ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum Verlassen des Landes auf und das iranische Militär verließ das Land über die Grenzübergänge nach Irak und Libanon oder den Luft- bzw. Seeweg über Latakia.
Die syrische Armee verließ Medienberichten zufolge in großer Zahl ihre Posten und ließ militärisches Gerät und Ausrüstung zurück. Zu Tausenden sollen Soldaten desertiert sein, ihre Militäruniformen durch zivile Kleidung ersetzt und sich unter die Zivilbevölkerung gemischt haben. Die staatlichen Institutionen des Landes würden der HTS-Miliz zufolge zunächst unter der Aufsicht des bisherigen Premierministers stehen, der die Übergangszeit begleite. Nach gegenwärtiger Informationslage ist noch nicht bekannt, ob HTS-Kämpfer bereits in die Gouvernementhauptstädte der syrischen Küste, Latakia und Tartus, vorgedrungen sind, wo sich die große Mehrheit der Alawiten im Land und eine Machtbasis des laut Medienberichten mit russischer Unterstützung nach Moskau geflohenen ehemaligen Präsidenten Assad befindet. Abu Mohammed al-Jolani, Anführer der islamistischen HTS-Miliz, betrat am 08.12.24 medienwirksam die Umayyaden-Moschee in Damaskus, wo er eine Siegesrede über die Assad-Herrschaft und „iranische Bestrebungen“ in Syrien hielt.
Außerdem große Beachtung fand die Einnahme des berüchtigten Sednaya-Gefängniskomplexes, wo zahlreiche Männer, Frauen und Kinder befreit wurden. Die Gefängnisanlage enthält Berichten zufolge mehrere unterirdische und zum Teil verbarrikadierte Etagen, zu denen am Morgen des 09.12.24 Rettungskräfte noch immer nicht vollständig durchgedrungen waren. Eine Untersuchung durch die UN im Jahr 2016 hatte ergeben, dass während der Assad-Herrschaft so viele Menschen in den Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, dass sie in ihrem Bericht den Begriff „Vernichtung“ verwendet hat.
Aus den Protesten gegen die Assad-Herrschaft, die im Jahr 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings ihren Anfang nahmen, gelang es der Opposition nie, jenseits der Forderung nach dem Sturz der Regierung eine gemeinsame Vorstellung hinsichtlich einer neuen Staatsordnung für die Zeit nach Assad zu formulieren.
Nordsyrien: SNA und türkische Armee greifen SDF an
Mehreren übereinstimmenden Berichten zufolge griff die türkische Armee am 08.12.24 Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in Manbij im Norden des Gouvernements Aleppo mit Drohnen an, nachdem es am Vortag bereits zu Kämpfen zwischen den SDF und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) gekommen war. Den SDF zufolge waren dabei mindestens 22 ihrer Kämpfer getötet und 40 weitere verletzt worden.
Den UN zufolge sollen in Nordsyrien bereits zum 05.12.24 etwa zwischen 60.000 und 80.000 Personen vor anhaltenden Kämpfen zwischen SDF und SNA geflohen sein.
Sowohl SDF als auch SNA begrüßten den Fall der Assad-Regierung, stehen sich im Kampf um die Kontrolle der nördlichen (teils mehrheitlich kurdisch bevölkerten) Gebieten jedoch feindlich gegenüber. Die Verteidigungsminister der USA und der Türkei telefonierten nach den Kampfhandlungen miteinander, um eine Deeskalation zu bewirken.
USA bombardieren IS-Stellungen; Israel sichert Golanhöhen
Die USA verkündeten am 08.12.24, Dutzende Stellungen des IS in Zentralsyrien aus der Luft angegriffen zu haben. Insgesamt 75 Ziele sollen demnach getroffen worden sein. Es lägen demnach keine Berichte über zivile Opfer vor. Der Zeitpunkt der Angriffe sei so gewählt worden, damit der IS die volatile politische Lage im Land nicht für sich nutzen könne.
Einem Zeitungsbericht zufolge hat sich das israelische Militär am 08.12.24 erstmals seit dem Oktober- bzw. Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 auf syrisches Territorium jenseits der annektierten Golanhöhen bewegt. Es sei die Bergregion im syrischen Gouvernement Quneitra um den Gipfel Hermon, der höchste Berg Syriens, gesichert worden, um eine temporäre „Pufferzone“ einzurichten, bis eine Vereinbarung über die Nachbarschaft mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei.
Außerdem habe die israelische Luftwaffe am 07.12. und 08.12.24 mehrere Militäranlagen Syriens bombardiert. Diese sollten das verbliebene Chemiewaffenarsenal des Landes lagern. Dabei wurden auch Elemente russischer Luftabwehrsysteme und ein Arsenal an ballistischen Boden-Boden-Raketen zerstört.
Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024
Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht
1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).
Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).
Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024
HTS Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember, dass er Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (https://www.ecoi.net/de/dokument/2119182.html; https://understandingwar.org/backgrounder/iran-update-december-16-2024 : HTS leader Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) stated on December 15 that he will end mandatory conscription in Syria.)
ACCORD - Zusammenstellung von Informationen zum Wehrdienst (bei den syrischen Streitkräften und in der DAANES), 23.09.2024
Den von DIS befragten Quellen waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder aufgrund der Flucht oder Desertion ihrer Angehörigen Schikanen oder Ähnlichem ausgesetzt waren (DIS, Juni 2024, S.44, 57), selbst in Fällen, in denen die Fluchtwilligen an einem Kontrollpunkt festgenommen wurden (DIS, Juni 2024, S.66).
[Verweis auf DIS – Danish Immigration Service Bericht mit Informationen von einer Fact-Finding-Mission in die Autonome Region Kurdistan vom 27. April bis 4. Mai 2024 zur militärischen Rekrutierung im Norden und Osten Syriens (Profile der Rekrut·innen; Aufschub und Ausnahme von der Selbstverteidigungspflicht; Einberufungsprozess; Verwendung von Einberufenen in Kampfhandlungen; Menschenrechtsverletzungen an Zivilist·innen; Behandlung anderer ethnsicher Gruppen im Dienst; Rekrutierung durch Syrisch Demokratische Kräfte (SDF), PKK und die Syrische Arabische Armee (SAA)), Juni 2024]
Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024
DEMOKRATISCHE SELBSTVERWALTUNG FÜR NORD- UND OSTSYRIEN
Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"
Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).
Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).
Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).
Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).
Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen
Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).
Rekrutierungspraxis
Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022). Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 2.2.2024).
Wehrdienstverweigerung und Desertion
Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleichbehandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD 6.9.2023).
Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).
Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vgl. EB 12.7.2019).
NICHT-STAATLICHE BEWAFFNETE GRUPPIERUNGEN (REGIERUNGSFREUNDLICH UND REGIERUNGSFEINDLICH)
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
NORDWEST-SYRIEN
Die Gebiete unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen
Die Opposition im Nordwesten Syriens ist in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA im Gouvernement Aleppo. Die SNA setzt sich in erster Linie aus ehemaligen Gruppen der FSA zusammen, hat sich jedoch zu einer gespaltenen Organisation mit zahlreichen Fraktionen entwickelt, die zu internen Kämpfen neigen (CC 1.5.2023). Die SNA ist auf dem Papier die Streitkraft der syrischen Übergangsregierung (SIG), die rund 2,3 Millionen Syrer regiert. In Wirklichkeit ist die SNA allerdings keine einheitliche Truppe, sondern setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die unterschiedliche Legionen bilden und nicht unbedingt der Führung des Verteidigungsministers der SIG folgen (Forbes 22.10.2022). Eine hochrangige syrische Oppositionsquelle in Afrîn sagte, dass innerhalb der SNA strukturelle Probleme bestehen, seit die von der Türkei unterstützten Kräfte das Gebiet 2018 von kurdischen Kräften erobert haben (MEE 15.10.2022) und es wird von internen Kämpfen der SNA-Fraktionen berichtet (MEE 25.10.2022). Trotz der internen Streitigkeiten operieren die SIG-Verwaltungen und die bewaffneten Gruppen innerhalb der SNA innerhalb der von Ankara vorgegebenen Grenzen (Forbes 22.10.2022; vgl. Brookings 27.1.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden von bewaffneten Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Duldung des Missbrauchs und der Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023).
TÜRKISCHE MILITÄROPERATIONEN IN NORDSYRIEN
"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der "Operation Olive Branch" (OOB) den zuvor von der YPG kontrollierten Distrikt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der "Terroristen" in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der "Terroristen". Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde (MFATR o.D.). Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht (TWI 26.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019).
"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")
Nachdem die syrische Regierung im Dezember 2019 eine bewaffnete Offensive gestartet hatte, gerieten ihre Streitkräfte im Februar 2020 mit den türkischen Streitkräften in einen direkten Konflikt (CC 17.2.2021). Während des gesamten Februars führten die syrische Regierung und regierungsnahe Kräfte im Nordwesten Syriens Luftangriffe durch, und zwar in einem Ausmaß, das laut den Vereinten Nationen zu den höchsten seit Beginn des Konflikts gehörte. Auch führten die syrischen Regierungskräfte Vorstöße am Boden durch. Zu den täglichen Zusammenstößen mit nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Bodenkämpfe mit einer hohen Zahl von Opfern (UNSC 23.4.2020). Nach Angriffen syrischer Streitkräfte auf Stellungen der türkischen Armee, bei denen 34 türkische Soldaten getötet wurden, leitete Ankara die Operation "Frühlingsschild" in der Enklave Idlib (INSS 4.9.2022) am 27.2.2020 ein (UNSC 23.4.2020). Die Türkei versuchte damit ein Übergreifen des syrischen Konflikts auf die Türkei als Folge der neuen Regimeoffensive - insbesondere in Form eines Zustroms von Extremisten und Flüchtlingen in die Türkei - zu verhindern. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, welche die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein - wenn auch unintendierter - wichtiger Profiteur der Operation (Clingendael 9.2021). Im März 2020 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Türkei und Russland in Idlib unterzeichnet, das die Schaffung eines sicheren Korridors um die Autobahn M4 und gemeinsame Patrouillen der russischen und türkischen Streitkräfte vorsah (INSS 4.9.2022). Der zwischen den Präsidenten Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien (ÖB Damaskus 12.2022). Rund 8.000 Soldaten des türkischen Militärs verbleiben in der Region und unterstützen militärisch und logistisch die dort operierenden Organisationen, vor allem die Syrian National Army (SNA, ehemals Free Syrian Army, FSA) und die HTS (INSS 4.9.2022).
DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE – WEHR- UND RESERVEDIENST
Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle
Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).
ALLGEMEINE MENSCHENRECHTSLAGE
Teile der SDF, einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen ebenfalls für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter Angriffe auf Wohngebiete, willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Versammlungs- und Redefreiheit wie auch die willkürliche Zerstörung von Häusern. Die SDF untersuchen die meisten gegen sie vorgebrachten Klagen, und einige SDF-Mitglieder werden wegen Misshandlungen angeklagt, wozu aber keine Statistiken vorliegen (USDOS 20.3.2023). Die SDF führten im Jahr 2023 willkürliche Verhaftungen von Zivilisten, darunter Journalisten durch (HRW 11.1.2024). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.3.2023). Im Nordosten Syriens dokumentierte die CoI im Berichtszeitraum mehrere Todesfälle in den Zentralgefängnissen von Hasakeh und Raqqa und stellt fest, dass diese möglicherweise auf schlechte Behandlung oder Folter zurückzuführen sein könnten. Laut SNHR seien im Gewahrsam der SDF / Partei der Demokratischen Union (PYD) seit März 2011 insgesamt 96 Menschen durch Folter zu Tode gekommen. Kontakte der Botschaft berichteten zudem von Repressionen durch die kurdische sogenannte „Selbstverwaltung“ (AANES) gegen politische Gegner, wie z.B. Angehörige von Oppositionsparteien. Daneben kritisiert die CoI in ihrem jüngsten Bericht auch die, ihrer Einschätzung nach, menschenrechtswidrige Inhaftierung und Behandlung zehntausender IS-Affiliierter in nordostsyrischen Haftanstalten und lagerähnlichen Camps (AA 2.2.2024). Obwohl der Spielraum der Redefreiheit etwas größer ist, als in Gebieten unter Kontrolle der Regierung oder extremistischer Gruppierungen, schränkt die PYD und einige andere Oppositionsfraktionen Berichten zufolge auch die Redefreiheit ein. So suspendierte die PYD-geführte Verwaltung im Februar 2022 die Lizenz der im Nordirak ansässigen Rudaw-Mediengruppe unter dem Vorwurf der Falschinformation und Aufhetzung. Mitte März 2022 verlangte dieselbe Verwaltung von JournalistInnen den Beitritt zur Union of Free Media, welche sich unter ihrem Einfluss befindet (FH 9.3.2023).
Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 06.09.2023:
[…]
Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften (Tod, Folter, Freiheitsentzug)
Das Rojava Information Center (RIC) veröffentlicht im Juni 2020 eine englische Übersetzung des Militärdienstgesetzes von Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Laut Artikel 13 werde jede Abwesenheit mit einer Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat bestraft. Ein Wehrpflichtiger gelte als abwesend, wenn die Person kein Selbstverteidigungsdienstbuch erhalten habe und/oder nicht binnen 60 Tagen ab Datum des Einzugs in den Selbstverteidigungsbüros vorstellig geworden sei (RIC, Juni 2020).
Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über militärische Rekrutierung in der Provinz Hasaka. Für den Bericht führte DIS im Jänner und Februar 2022 fünfzehn Interviews mit Expert·innen und Informanten, die unter anderem über die Situation von Personen, die sich dem Selbstverteidigungsdienst entziehen, befragt wurden. Laut einem kurdisch-syrischen Journalisten und Autoren aus Qamischli, sowie Wladimir van Wilgenburg (Journalist, politischer Analyst und Autor mehrerer Bücher über Kurd·innen in Syrien) sei Kriegsdienstverweigerung für Wehrpflichtige in der AANES keine Option (DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 70).
Fabrice Balanche, Associate Professor an der Universität von Lyon 2, ein/e Expert·in der International Crisis Group, der genannte syrisch-kurdische Journalist und Autor, ein syrisch-kurdischer politischer Analyst, ein/e Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak und ein syrisch-kurdischer Universitätsprofessor im Irak bestätigen gegenüber DIS, dass eine Person, die den Selbstverteidigungsdienst verweigere oder sich ihm entziehe („draft evader“), wenn sie aufgegriffen werde, direkt in ein Trainingslager überstellt werde, um ihren Dienst anzutreten (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 45; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 57; DIS, Juni 2022, S. 66).
Laut Fabrice Balanche und drei lokalen Bewohnern der Provinz Hasaka könnten gefasste Wehrpflichtige, die sich dem Dienst entzogen hätten, von den Behörden festgehalten werden, bis ihr Status geklärt sei (DIS, Juni 2022, S. 42) oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde (DIS, Juni 2022, S. 61). Laut Fabrice Balanche könnten Wehrpflichtige aus diesem Grund für ein bis zwei Tage (DIS, Juni 2022, S. 42), laut den Bewohnern von Hasaka ein bis zwei Wochen (DIS, Juni 2022, S. 61) inhaftiert werden. Beide Quellen hätten nicht von Misshandlungen während der Haftzeit gehört (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 62).
Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, S. 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, S. 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, S. 49). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group gebe es keine Strategie zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern (DIS, Juni 2022, S. 45). Der syrisch-kurdische Journalist und Autor erklärt gegenüber DIS, dass Wehrdienstverweigerer ihren Selbstverteidigungsdienst einen Monat länger als die anderen Rekruten ableisten müssten. Er habe nicht von Misshandlungen von Wehrdienstverweigerern während ihres Dienstes aufgrund ihres Entzugs vom Wehrdienst gehört (DIS, Juni 2022, S. 49-50). Auch die drei Bewohner von Hasaka hätten berichtet, dass ihrer Erfahrung nach die Wehrdienstverweigerung keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers habe (DIS, Juni 2022, S. 62). Der syrisch-kurdische politische Analyst habe erklärt, dass es Wehrdienstverweigerern, die gefasst würden, nicht gestattet sei, nach Hause zu gehen, um ihre Sachen zu holen oder sich von ihrer Familie zu verabschieden. Die Person könne um Erlaubnis bitten, während ihres Dienstes ihre Familie zu besuchen. Sollten die Behörden jedoch vermuten, dass die Person bei einer Freistellung desertieren könnte, werde die Genehmigung nicht erteilt. Nach Beendigung der Dienstzeit werde die Person entlassen und ihre ursprüngliche Weigerung habe keinen Einfluss auf die Dauer der Dienstzeit (DIS, Juni 2022, S. 53-54). Laut dem syrisch-kurdischen Journalisten würden Wehrdienstverweigerer in ein Gebiet weit von ihrem Wohnort entfernt geschickt und mit schwierigen Aufgaben betraut. Sie würden keine Geldstrafe erhalten (DIS, Juni 2022, S. 59).
Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (Syrienexperte, 15. August 2023).
Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Asayish (kurdische Sicherheitsbehörde, Anmerkung ACCORD) würde den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (Al-Mustafa, 1. September 2023).
UNHCR - Regional Flash Update #10 Syria situation crisis 17.01.2025
Syrien
Seit dem 15. Januar sind schätzungsweise mehr als 195.000 Syrer seit dem 8. Dezember wieder in das Land eingereist. Dies basiert auf einer Triangulation von Informationen von außerhalb und innerhalb Syriens, einschließlich offizieller Regierungsdaten, und umfasst syrische Flüchtlinge, die beim UNHCR registriert sind, sowie andere Gruppen von Syrern.
Proteste brachen in Nordsyrien in dieser Woche nach der Einführung erhöhter Zolltarife aus, was zu einem Anstieg der Preise für wesentliche, importierte Waren, einschließlich Kraftstoff, um bis zu 500 % führte. Nach Angaben der temporären Übergangsregierung zielt der überarbeitete Tarif darauf ab, lokale Produkte zu schützen, die lokale Industrie zu fördern, Investitionen anzuziehen und den Lebensstandard zu erhöhen.
Während Beschuss und Luftangriffe deutlich zurückgegangen sind, treffen Landminen und nicht explodierte Kampfmittel weiterhin Zivilisten im ganzen Land, was zu regelmäßigen Todesfällen und Verletzungen führt. In dieser Woche führte das UNHCR Sensibilisierungssitzungen über die Gefahr nicht explodierter Kampfmittel in den Gouvernements Hama und As-Sweida durch.
Seit dem 13. Januar bleiben neu rund 627.000 Menschen in Syrien seit dem 27. November 2024 vertrieben. Nach Angaben des CCCM-Clusters verließen zwischen dem 3. Dezember 2024 und dem 11. Januar 2025 über 37.700 Menschen die Vertriebenenlager im Nordwesten Syriens.
In dieser Woche hat der UNHCR-Repräsentant in Syrien eine zweitägige Mission nach Aleppo abgeschlossen. Während des Besuchs traf er mit dem Koordinator der Behörden für humanitäre Maßnahmen (HAC) für Aleppo und Idleb, Rückkehrern von Flüchtlingen und dem Rat der Christen zusammen. Er besuchte auch den Grenzübergang Bab al Hawa, um Einwanderungs- und Rückkehrprozesse zu beobachten. Das UNHCR bekräftigte sein anhaltendes Engagement für die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Koexistenz sowie seine Bereitschaft, die Behörden der Verwalter bei der Verbesserung ihrer Koordinierungskapazitäten zu unterstützen, insbesondere in Bezug auf Rückführungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen.
Türkei
Am 16. Januar gab Turkish Airlines die Wiederaufnahme der Flüge nach Damaskus ab dem 23. Januar mit drei Flügen pro Woche bekannt.
Die Bearbeitung der freiwilligen Rückkehr wird in den Provinzen und an fünf Grenzübergängen fortgesetzt, während drei Grenzübergänge für die Bearbeitung von Go-and-See-Besuchen offen sind. Dies folgt auf die Ankündigung des Vorsitzes des Migrationsmanagements (PMM) vom 13. Januar, dass der Grenzübergang Karkamış / Jarablus in Gaziantep auch für die Bearbeitung vorübergehender Besuche zusammen mit Çobanbey / Al Rai und Zeytindali / Jinderes bestimmt wurde, während letztere nicht mehr für die regelmäßige freiwillige Rückkehrverarbeitung verwendet werden.
Das UNHCR überwacht derzeit Rückführungsgespräche in 12 Provinzen und an vier Grenzübergangsstellen im Südosten. Allein zurückkehrende Personen machen weiterhin den Großteil der freiwilligen Rückkehr aus, oft aufgrund der Abwesenheit von abhängigen Familienangehörigen in der Türkei oder um die Bedingungen in Syrien vor der Wiedervereinigung mit ihren Familien zu beurteilen. Während verbesserte Sicherheit und politische Veränderungen in Syrien Haupttreiber sind, spielen Familienzusammenführung und Nostalgie auch eine wichtige Rolle bei der Entscheidung. Die meisten Rückkehrer wollen in ihre Herkunftsprovinz zurückkehren, wobei Aleppo, Idleb, Damaskus und Hama die Top-Destinationen sind. Faktoren wie die Zerstörung von Eigentum, Familienumsiedlung und Sicherheitsbedenken beeinflussen die Entscheidungen; Ein erheblicher Teil der Rückkehrer meldet Schäden oder Zerstörungen an Eigentum. Dokumentationsprobleme sind ebenfalls weit verbreitet, wobei es vielen an wichtigen Zivilakten mangelt. Die Beschäftigungs- und Existenzchancen in Syrien sind nach wie vor von entscheidender Bedeutung, ebenso wie der fehlende Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen.
Libanon
Drei offizielle Grenzübergänge zwischen dem Libanon und Syrien sind nach wie vor geöffnet, wobei der offizielle Grenzübergang Masnaa in Bekaa der einzige Grenzübergang ist, der für den Fahrzeugverkehr geöffnet ist. An den offiziellen Grenzübergängen, meist über Masnaa, gehen die Bewegungen täglich mit einem niedrigen Tempo weiter.
Durch seinen engen Kontakt zu syrischen Flüchtlingsgemeinschaften im Libanon beobachtet das UNHCR seit dem 8. Dezember die Gefühle und Sorgen von Flüchtlingen in Bezug auf die Rückkehr. Die meisten Syrer bekunden ein Interesse daran, Syrien vorübergehend zu besuchen, um die Situation zu beurteilen. Berichten zufolge untersuchen einige syrische Flüchtlinge einen schrittweisen Ansatz für die Rückkehr, wobei einige Familienmitglieder zuerst zurückkehren, um die Situation zu bewerten und sich auf den Beitritt des Rests der Familie vorzubereiten.
Jordanien
Am 11. Januar berichtete das Innenministerium, dass seit dem 8. Dezember 2024 über 52.000 Syrer Jordanien über den Grenzübergang Jaber verlassen haben, darunter beim UNHCR registrierte Flüchtlinge, andere Syrer im Land und Syrer, die aus anderen Ländern durch Jordanien gereist sind.
In der ersten Januarhälfte verlagerte sich die demografische Entwicklung der Rückkehrer, wobei der Anteil der Frauen und Mädchen, die nach Syrien zurückkehren, von 36 % im Dezember auf 45 % stieg. Dementsprechend sank der Anteil der Männer und Jungen von 64 % im Dezember auf 55 % im Januar. Auch der Anteil der Kinder, die zurückkehren, stieg im Januar von 27 % im Dezember auf 44 % im Januar. Die Zahlen, die als vollständiger Familienhaushalt zurückkehren, stiegen ab Dezember um 10% und liegen jetzt bei 46%. Eine leichte Mehrheit (54 %) der Rückkehrer insgesamt kehrt weiterhin allein oder als unvollständige Familieneinheiten zurück.
Am 12. Januar gab das Innenministerium bekannt, dass syrische Staatsbürger mit Wohnsitz in europäischen Ländern, Amerika, Australien, Japan, Südkorea und den Staaten des Golfkooperationsrates ohne vorherige Genehmigung nach Jordanien einreisen können. Die Entscheidung gilt für Syrer, die eine gültige Aufenthaltserlaubnis für mindestens vier Monate in ihrem jeweiligen Wohnsitzland besitzen. Ebenfalls am 12. Januar gab die syrische Botschaft in Amman bekannt, dass Syrer mit Wohnsitz in Jordanien die vom jordanischen Innenministerium ausgestellte „Servicekarte“ als Reisedokument verwenden können.
Syrische Fahrzeuge können nun nach der Ankündigung des Innenministeriums vom 9. Januar über die Wiederaufnahme grenzüberschreitender Verkehrsdienste nach Jordanien einreisen. In den letzten Tagen wurde am Jaber-Grenzübergang ein starker Verkehr beobachtet, einschließlich syrischer Fahrzeuge. Seit diesen Änderungen berichten Flüchtlinge, dass die Transportkosten für Menschen und Gepäck je nach Ziel zwischen 200 und 350 JOD (282 bis 493 USD) liegen, verglichen mit einem Durchschnitt von 500 bis 700 JOD (705 bis 987 USD) in den vergangenen Wochen.
Syrische Flüchtlinge in Jordanien zeigen weiterhin ihr Interesse an einer Rückkehr in Interaktionen mit dem UNHCR unter Berufung auf Gründe wie fehlende Heimat, den Wunsch, sich mit Familien zu vereinigen und ihr Eigentum in Syrien zu überprüfen, und fehlende Existenzmöglichkeiten in Jordanien. Gleichzeitig äußern Flüchtlinge Bedenken hinsichtlich der Sicherheit in Syrien; Einige Frauen berichteten auch über Befürchtungen hinsichtlich einer Aushöhlung der Rechte von Frauen und des Zugangs zu Bildung. Einige Flüchtlinge nannten auch finanzielle Schwierigkeiten, einschließlich Transportkosten und angehäufter Schulden, als eines der Hindernisse für die Rückkehr. Flüchtlinge geben an, dass sie die Möglichkeit bevorzugen, vorübergehende Besuche zu unternehmen, bevor sie langfristige Entscheidungen über die Rückkehr treffen.
Als Reaktion auf die zunehmenden Anfragen von Flüchtlingen an das UNHCR, ihre Rückkehr zu unterstützen, bereitet das UNHCR ein Pilotprojekt vor, um Flüchtlingen, die freiwillig zurückkehren möchten, Bustransporte von Jordanien nach Syrien anzubieten. UNHCR wird Flüchtlinge vor ihrer Abreise beraten. Das UNHCR hat auch eine Reihe von Fragen, die häufig von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr nach Syrien gestellt werden, sowie entsprechende Antworten auf seine Hilfeseite hochgeladen, die regelmäßig aktualisiert wird.
Irak
Die Zahl der Syrer, die aus dem Irak zurückkehren, ist in der vergangenen Woche stabil geblieben, ohne nennenswerte Veränderungen. Seit dem 8. Dezember sind mehr als 3.000 Syrer aus dem Irak nach Syrien zurückgekehrt, darunter 190 registrierte Flüchtlinge. Dazu gehören auch Syrer, die über den Peshkhabour-Grenzübergang und den Al-Qaim-Grenzübergang zurückgekehrt sind. Die verbesserte Sicherheitslage in Syrien, die hohen Lebenshaltungskosten in der Region Kurdistan und die Abschaffung der Wehrpflicht werden von Syrern häufig als Gründe für ihre Rückkehr genannt.
Im Vergleich zu den Trends vor dem 8. Dezember ist die Zahl der Syrer, einschließlich der registrierten Flüchtlinge, die über den Peschkhabour-Grenzübergang aus dem Irak nach Syrien zurückkehren, zurückgegangen. Dieser Rückgang ist darauf zurückzuführen, dass viele syrische Flüchtlinge im Irak aus dem Nordosten Syriens kommen, einer Region, die immer noch instabil ist. Infolgedessen haben die meisten syrischen Flüchtlinge im Irak eine vorsichtige, abwartende Haltung gegenüber der Rückkehr.
Ägypten
Die Zahl der Anträge auf Schließung syrischer Flüchtlinge, die in Ägypten leben, nimmt weiter zu. Zwischen dem 8. Dezember 2024 und dem 15. Januar 2025 wurden 3 100 Anträge auf Schließung eingereicht, an denen 6 050 Personen beteiligt waren, was einem Durchschnitt von 119 Anträgen pro Tag entspricht, verglichen mit dem Tagesdurchschnitt vom November 2024 von 7 Anträgen.
Am 12. Januar bestätigte der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums, Tamim Khallaf, dass die ägyptische Botschaft in Syrien weiterhin in Betrieb ist.
UNHCR POSITION ÜBER DIE RÜCKKEHR IN DIE SYRISCHE ARABISCHE REPUBLIK, Dezember 2024
Freiwillige Rückkehr
Syrien befindet sich an einem Scheideweg – zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Es gibt jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit für Syrien, sich in Richtung Frieden zu bewegen, und für sein Volk, nach Hause zurückzukehren. Seit vielen Jahren besteht das UNHCR auf der Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für Flüchtlinge und Vertriebene zu schaffen, damit sie nach Hause zurückkehren können, und die derzeitige Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehört auch die Beseitigung und/oder das Thematisieren neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und administrativer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden; umfangreiche humanitäre Hilfe und Soforthilfe, die von den Geberstaaten für Rückkehrer, Gemeinschaften, die sie zurückerhalten, und Gebiete mit tatsächlicher und potenzieller Rückkehr im Allgemeinen bereitzustellen ist; und die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückführungen an Grenzübergängen und an Orten, an denen sich die Menschen für die Rückkehr entscheiden, zu überwachen.
Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich nach umfassender Information über die Lage an ihren Herkunftsorten oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl freiwillig für eine Rückkehr entscheiden. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist, darunter eine groß angelegte humanitäre Krise, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und die weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und kritischer Infrastruktur, fördert das UNHCR jedoch vorerst keine groß angelegte freiwillige Rückführung nach Syrien.
Moratorium für Zwangsrückführungen
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien weiterhin von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes betroffen; großflächige interne Verdrängung; Kontamination vieler Teile des Landes mit explosiven Kriegsresten; eine verwüstete Wirtschaft und eine große humanitäre Krise, in der vor den jüngsten Entwicklungen bereits über 16 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, kritischen Infrastrukturen und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, wobei in den letzten zehn Jahren weit verbreitete Verstöße gegen Wohn-, Grundstücks- und Eigentumsrechte verzeichnet wurden, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund fordert das UNHCR die Staaten vorerst weiterhin auf, syrische Staatsangehörige und ehemalige gewöhnliche Bewohner Syriens, einschließlich Palästinenser, die zuvor in Syrien wohnhaft waren, nicht gewaltsam in einen Teil Syriens zurückzuführen.
Aussetzung der Ausstellung negativer Entscheidungen für syrische Antragsteller auf internationalen Schutz
Das UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilisten, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihren Hoheitsgebieten zu gewähren, das Recht auf Asyl zu gewährleisten und jederzeit die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten.
Während die Risiken im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die ehemalige Regierung aufgehört haben, können andere Risiken bestehen bleiben oder sich verstärken. Angesichts der rasch veränderten Dynamik und der sich wandelnden Lage in Syrien ist das UNHCR derzeit nicht in der Lage, den Asylentscheidern detaillierte Leitlinien für den internationalen Schutzbedarf der Syrer zur Verfügung zu stellen. Das UNHCR wird die Lage weiterhin genau beobachten, um detailliertere Leitlinien bereitzustellen, sobald die Umstände dies zulassen. Angesichts der derzeitigen Ungewissheit über die Lage in Syrien fordert das UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz durch syrische Staatsangehörige oder Staatenlose, die ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung des Erlasses negativer Entscheidungen sollte so lange in Kraft bleiben, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und zuverlässige Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage vorliegen, um eine umfassende Bewertung der Notwendigkeit vorzunehmen, einzelnen Antragstellern den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.
Das UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde und die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.
2. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung in Klammer angeführt.
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers (oben 1.1)
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Seine Identität wurde bereits vom BFA festgestellt.
Der festgestellte gegenwärtige Aufenthaltsstatus ergibt sich aus den rechtskräftigen Spruchpunkten II und III des gegenständlich angefochtenen Bescheides in Zusammenschau mit den dazu korrespondierenden Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (IZR).
Die Feststellungen zu den zwei Brüdern des Beschwerdeführers ergeben sich aus den dazu geführten Verfahren vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht und den entsprechenden Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (IZR) und der bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2 Zum Herkunftsort und Aufenthalt des Beschwerdeführers in Syrien (oben 1.2)
Die Feststellungen zum Heimatort und Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Syrien sowie seiner Ausbildung beruhen auf den dazu widerspruchsfreien und schlüssigen Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA sowie in der mündlichen Verhandlung. (NS EV 14.07.2023 S 3; VS 04.04.2024 S 4, 5; EB 07.09.2022 S 2)
2.3 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit und dem Bestehen einer Rückkehrgefährdung(oben 1.3 und 1.4)
2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Befragungen durch den öffentlichen Sicherheitsdienst, der Einvernahme vor dem BFA sowie seiner Beschwerde und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung.
Zu einer Verfolgung durch das vormalige syrische Assad-Regime (oben 1.4.1)
2.3.2 Glaubhaft ist die vom Beschwerdeführer als Ausreisegrund vorgebrachte Furcht vor dem vormaligen syrischen Regime, der drohenden Einberufung zum Militärdienst in der syrischen Armee, der Bestrafung durch das vormalige syrische Regime wegen seiner Wehrdienstentziehung und Teilnahme an Demonstrationen gegen das vormalige Regime sowie des Krieges in Syrien, da der Beschwerdeführer dies während des gesamten Verfahrens vor dem BFA, in der Beschwerde und auch in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen übereinstimmend, widerspruchsfrei und schlüssig darlegen konnte. (NS EB 15.09.2023 S 6; EV 29.02.2024 S 14 ff; Beschwerde 08.07.2024 S 2 ff; VS 18.11.2024 S 5 ff)
Aufgrund der festgestellten aktuellen Lage in Syrien seit 08.12.2024 besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung oder seiner Asylantragstellung im Ausland bestraft zu werden.
Zu einer Verfolgung durch die SNA, FSA oder HTS bzw Al-Nusra-Front (oben 1.4.2)
2.3.3 Der Beschwerdeführer hat die Befürchtung geäußert, von der FSA (Free Syrian Army) oder der Al-Nusra Front zwangsrekrutiert zu werden. Der Beschwerdeführer war bisher keinen konkreten Rekrutierungsversuchen ausgesetzt, da er bereits im Alter vom 13 Jahren mit seiner Familie vor dem IS, der damals XXXX angegriffen hatte, in die Türkei geflüchtet ist. Dies ergibt sich aus seinen eigene Angaben im Zuge des Verfahrens.
Zunächst ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass die FSA in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert, sondern aktuell im Wesentlichen Teil der SNA (Syrian National Army) ist. Auch die Al-Nusra-Front existiert in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr, sondern diese hat sich zur aktuellen HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) formiert. (siehe oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024 (Kapitel NORDWEST-SYRIEN, TÜRKISCHE MILITÄROPERATIONEN IN NORDSYRIEN und DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE – WEHR- UND RESERVEDIENST); Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024 (Kapitel Akteure))
Des Weiteren ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA und HTS Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auferlegen. Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA. Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front. (siehe oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, NICHT-STAATLICHE BEWAFFNETE GRUPPIERUNGEN (REGIERUNGSFREUNDLICH UND REGIERUNGSFEINDLICH)
Ausgehend von diesen Länderfeststellungen ist daher eine zwangsweise Rekrutierung des Beschwerdeführers durch die SNA (einschließlich FSA) oder HTS jedenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich.
In Bezug auf die HTS hat zudem deren Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani), der am 29.01.2025 zum Übergangspräsidenten Syriens gewählt wurde, bereits am 15.12.2024 verkündet, dass er eine Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (oben 1.5 ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024) Dem Beschwerdeführer droht damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Wehrpflicht in einer Armee der aktuellen Machthaber.
Zu einer Verfolgung durch die SDF bzw „die Kurden“ (oben 1.4.3)
2.3.4 Der Beschwerdeführer befürchtet des Weiteren, gegen seinen Willen von der SDF (Syrian Democratic Forces) rekrutiert und an die Front geschickt zu werden.
Zunächst ergibt sich aus seinen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer bisher keinen konkreten Rekrutierungsversuchen durch die SDF oder eine andere kurdische Gruppierung ausgesetzt war, er auch noch keine konkrete Aufforderung zum Antritt der Selbstverteidigungspflicht erhalten hat und auch keiner strafrechtlichen Verfolgung in Zusammenhang mit der unterbliebenen Ableistung des Wehrdienstes bei den Selbstverteidigungseinheiten erfolgte, weshalb die entsprechende Feststellung zu treffen war. (vgl NS EV 14.07.2023 S 3 f; VS 04.04.2024 S 4 ff)
Ausgehend von den Länderfeststellungen (dazu im Detail oben 1.5 Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, Kapitel DEMOKRATISCHE SELBSTVERWALTUNG FÜR NORD- UND OSTSYRIEN, Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien") unterliegt der aktuell 24-jährige Beschwerdeführer der „Selbstverteidigungspflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“. Artikel 2 des Gesetzes über die „Selbstverteidigungspflicht“ vom Juni 2019 sieht eine Dauer des Wehrdienstes von zwölf Monaten vor. Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. Der Herkunftsort XXXX befindet sich, wie festgestellt, im AANES Gebiet und wird von der kurdisch geführten SDF kontrolliert.
Die Rekrutierungen erfolgen durch jährliche Aufrufe für die „Selbstverteidigungspflicht“ durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten beim „Büro für Selbstverteidigungspflicht“ ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts, beispielsweise die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung, dokumentiert wird. Es kommt jedoch zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen an der eigenen Wohnadresse.
Aus den getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich auch nicht, dass die rekrutierten Syrer im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ an Menschenrechtsverletzungen teilnehmen müssten. Die Einsätze der Rekruten erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in ar-Raqqa. Damit übereinstimmend belegt die öffentlich zugängliche ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien „Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front“ vom 06.09.2023, dass Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden. Der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht bestehe darin, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten und die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit und zum Schutz von Versorgungswegen eingesetzt. Laut Balanche gibt es seit 2019 im AANES-Gebiet keine aktive Front mehr. Auch ein anderer Syrienexperte gab an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt wurden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich durch eingefrorene Frontlinien und einen Konflikt von geringer Intensität aus.
Unter Zugrundelegung der Länderberichte liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass im Falle der Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ schwerwiegende Konsequenzen drohen würden, sondern den Länderinformationen ist in Übereinstimmung mit der bereits erwähnten Anfragebeantwortung als Strafe lediglich eine Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat zu entnehmen. Personen, die den Selbstverteidigungsdienst verweigern oder sich ihm entziehen, würden, wenn sie aufgegriffen werden direkt in ein Trainingslager überstellt, um ihren Dienst anzutreten. In manchen Fällen komme es zu einer vorübergehenden Haft von einigen Tagen bis zu zwei Wochen, bis der Status der selbstverteidigungspflichtigen Person geklärt sei oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde. Weder Fabrice Balanche noch die von Danish Immigration Service befragten Bewohner der Provinz Al-Hasakah in Syrien berichteten über Misshandlungen in der Haftzeit, eine andere Quelle berichtet, dass auch Misshandlungen während der Ableistung des Wehrdienstes nicht bekannt seien und die eine vorangehende Verweigerung des Selbstverteidigungsdienstes keinen Einfluss auf die Behandlung der eingezogenen Person habe. Auch gemäß anderer Quellen werde bei Wehrdienstverweigerung nicht einmal eine Geld- oder Haftstrafe verhängt.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten insgesamt erkennbar weniger gravierend darstellt, ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Verweigerung, den Wehrdienst abzuleisten, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gewalt oder im Falle einer Inhaftierung Folter oder sonstigen unmenschlichen Behandlungen ausgesetzt wäre.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die kurdischen Autonomiebehörden laut den vorliegenden Länderinformationen die Verweigerung der Leistung ihres Wehrdienstes nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung ansehen. Laut den UNHCR-Richtlinien benötigen Männer, die die Ableistung des Dienstes bei den „Selbstverteidigungseinheiten ablehnen, wenn die Ablehnung als Ausdruck einer SDF/YPG-feindlichen Gesinnung und/oder einer Unterstützung von ISIS oder SNA wahrgenommen wird, je nach Umständen des Einzelfalles aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer religiösen oder ethnischen Identität wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz (UNHCR-Richtlinien, S. 147).
Den Aussagen des Beschwerdeführers lässt sich zudem keine oppositionelle Gesinnung den Kurden gegenüber entnehmen. So gab er in der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung zur Begründung seiner Ablehnung eines Militärdienstes an, dass, wer in den Krieg geschickt werde, nicht mehr zurückkomme, er für keine Seite sei, sich nicht einmischen und nur in Frieden leben wolle, er wolle nicht gegen sein Volk kämpfen und niemanden töten wolle, auch nicht selbst getötet werden wolle. (NS EV 14.07.2024 S 3; VS 04.04.2024 S 5 ff) Dass der Beschwerdeführer nicht prinzipiell gegen den Dienst an der Waffe ist, zeigen seine diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach er den Militärdienst ableisten würde, falls es in Syrien keinen Krieg geben würde. (VS 04.04.2024 S 5/6)
Unter Betrachtung der Gesamtumstände besteht bei einer allfälligen Weigerung des Beschwerdeführers, der „Selbstverteidigungspflicht“ in seinem Herkunftsgebiet nachzukommen, mangels Konnex zu einem Konventionsgrund keine maßgebliche Bedrohung vonseiten der SDF (in diesem Zusammenhang wird auf die entsprechenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung unter Punkt 3.5 verwiesen).
Auch durch den Umstand, dass seine in Österreich befindlichen Brüder sich ebenso der Selbstverteidigungspflicht entzogen haben, drohen dem Beschwerdeführer keine Nachteile, insbesondere keine Reflexverfolgung. Laut den Länderfeststellungen ergibt sich, dass den vom Dänischen Immigration Service (DIS) befragten Quellen keine Fälle bekannt waren, in denen Familienmitglieder aufgrund der Flucht oder Desertion ihrer Angehörigen Schikanen oder Ähnlichem ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen die Fluchtwilligen an einem Kontrollpunkt festgenommen wurden. (siehe oben 1.5 ACCORD - Zusammenstellung von Informationen zum Wehrdienst (bei den syrischen Streitkräften und in der DAANES), 23.09.2024)
Keine weiteren oder neuen Verfolgungsgründe
2.3.5 Der Beschwerdeführer hat im Verfahren keine weiteren oder anderen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.
Über die Lageentwicklung und Lageänderung in Syrien wird seit Anfang Dezember 2024 weltweit in den „klassischen“ Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen, Print) sowie Sozialen Medien laufend mit aktuell erhöhter Aufmerksamkeit berichtet, weshalb es sich dabei um offenkundige Tatsachen handelt und vorausgesetzt werden kann, dass sie auch dem Beschwerdeführer bekannt sind. (siehe VwGH 05.09.1997, 96/02/0306, wonach eine Behörde nicht gehalten ist, offenkundige Tatsachen, von denen feststeht, dass sie der Partei bekannt sind, vorzuhalten, sowie VwGH 05.08.2021, Ra 2021/21/0188, wonach es am Fremden liegt, allfällige maßgebliche Änderungen in seinen persönlichen Verhältnissen von sich aus mitzuteilen.)
Der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer hat bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt gegeben, dass sich seine Ausreisegründe oder Rückkehrbefürchtungen seit der mündlichen Verhandlung oder aufgrund der nun aktuellen Lage in Syrien geändert hätten.
Ergebnis
2.3.6 Der Beschwerdeführer hat somit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – in Syrien – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer aktuellen und unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.
2.4 Zur aktuellen Lage in Syrien (oben 1.5)
Die Feststellungen zur aktuellen Lage beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes seit 09.12.2024, der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024 zu Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, den Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation aus dem COI-CMS, Syrien, Version 11, 27.03.2024, dem Bericht des ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024, der ACCORD - Zusammenstellung von Informationen zum Wehrdienst (bei den syrischen Streitkräften und in der DAANES) vom 23.09.2024, der Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 06.09.2023, dem UNHCR - Regional Flash Update #10 Syria situation crisis vom 17.01.2025 und der UNHCR Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)
3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).
Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
3.2 Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).
Zum gegenständlichen Fall
3.3 Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes und der aktuellen Lage in Syrien besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung bestraft zu werden.
3.4 Ebenso besteht ausgehend vom festgestellten Sachverhalt für Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt keine Gefahr, bei einer Rückkehr nach Syrien dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch die SNA, FSA oder HTS bzw Al-Nusra-Front zwangsrekrutiert zu werden. Dem Beschwerdeführer droht zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Wehrpflicht in einer Armee der aktuellen Machthaber.
3.5 Zu der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Befürchtungen, im Falle einer Rückkehr von der SDF oder anderen kurdischen Gruppierungen rekrutiert zu werden, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zwar in das wehrdienstfähige Alter für die „Selbstverteidigungspflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ fällt, ihm jedoch aufgrund einer Weigerung, zu kämpfen, keine unverhältnismäßigen Sanktionen drohen würden.
So droht dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seiner Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die (Zwangs-)Rekrutierung durch die SDF oder ihre Teilorganisationen (insbesondere die YPG). Allerdings befindet sich der Beschwerdeführer im wehrpflichtigen Alter und ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion zur Ableistung des Wehrdienstes bei den Selbstverteidigungseinheiten verpflichtet, da Männer in der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien zum einjährigen Wehrdienst bei den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (HXP) einberufen werden. Der Beschwerdeführer wird im Fall der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Fronteinsatz zu gewärtigen haben und auch nicht in Kriegsverbrechen bzw. völkerrechtswidrigen Militäraktionen verwickelt werden.
Eine drohende Zwangsrekrutierung stellt keine asylrelevante Verfolgung per se dar, sondern ist auf den Einzelfall abzustellen, dies bestätigt auch EUAA (vgl. EUAA, Country Guidance Syria, Februar 2023, S. 86: „Auch wenn die Gefahr einer Zwangsrekrutierung als solche im Allgemeinen keinen Zusammenhang mit einem Verfolgungsgrund impliziert, könnten die Folgen einer Verweigerung je nach den individuellen Umständen einen solchen Zusammenhang unter anderem mit einer (unterstellten) politischen Meinung begründen.“ (freie Übersetzung aus dem Englischen)).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung von der – nicht asylrelevanten – Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist daher, mit welchen Reaktionen durch die genannten Milizen die Revisionswerberin auf Grund ihrer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsste und ob in ihrem Verhalten eine – sei es auch nur unterstellte – politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079, Rz 15 mwN; auch VfGH 25.02.2019, E4032/2018, Pkt. 2.1., mwN; auch VwGH 11.10.2023, Ra 2023/18/0258).
Eine Verbindung zum Konventionsgrund der politischen Gesinnung ist bei gesamthafter Betrachtung der Reaktionen der de facto Behörden der kurdischen Selbstverwaltung nicht herzustellen. Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, sehen die kurdischen Autonomiebehörden die Verweigerung der Ableistung des Wehrdienstes nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung. Das Bestehen einer solchen konnte beim Beschwerdeführer auch nicht festgestellt werden. Sollte der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr zum Wehrdienst bei den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten eingezogen werden, ist er im Falle der Weigerung, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen, nicht der Gefahr ausgesetzt, von den kurdischen Autonomiebehörden als der Opposition zugehörig wahrgenommen zu werden.
In diesem Zusammenhang ist zusätzlich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach es für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten für sich genommen nicht ausreichend ist, wenn der asylwerbende Fremde, der angegeben hat, dass er keine Waffe tragen und keine Menschen töten wolle - Gründe, warum er den Militärdienst nicht ableisten möchte, ins Treffen führt, die Ausdruck einer politischen oder religiösen Gesinnung sein können. Nach der Rechtsprechung müssen nämlich, damit der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden kann, die Verfolgungshandlungen aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten drohen. Es kommt somit für die Gewährung von Asyl darauf an, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verfolgungshandlung (oder dem Fehlen von Schutz vor der Verfolgung) und einem Verfolgungsgrund im Sinn der GFK besteht (vgl. VwGH 26.06.2024, Ra 2024/20/0154 mHa VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619).
Aus den zur Verfügung stehenden Länderberichten sind auch keine Hinweise für, auf Konventionsgründen beruhende, unverhältnismäßige Bestrafungen im Zusammenhang mit der Verweigerung der „Selbstverteidigungspflicht“ in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ abzuleiten.
Auch durch den Umstand, dass seine in Österreich befindlichen Brüder sich ebenso der Selbstverteidigungspflicht entzogen haben, drohen dem Beschwerdeführer keine Nachteile, insbesondere keine Reflexverfolgung durch kurdische Machthaber.
3.6 Der Beschwerdeführer hat im Verfahren bis zum Entscheidungszeitpunkt keine weiteren oder anderen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.
3.7 Der Beschwerdeführer hat somit mit seinem Vorbringen insgesamt nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Syrien – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – tatsächlich – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – dort individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung oder Verfolgung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive Schutz durch die gegenwärtigen Machthaber in Syrien verweigert werden würde.
3.8 Im gegenständlichen Fall liegen somit keine substantiellen stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs 1 AsylG iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vor.
Es sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben.
3.9 UNHCR fordert in seiner Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024 dazu auf, keine negativen Entscheidungenüber Anträge auf internationalen Schutz zu treffen, differenziert dabei jedoch nicht zwischen Personen, denen bereits internationaler Schutz in Form des subsidiären Schutzes zukommt, und Personen, denen noch keine Form des Schutzes zukommt. Im vorliegenden Fall kommt dem Beschwerdeführer jedoch bereits rechtskräftig der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und an diesem Status ändert sich auch nichts durch die hier zu treffende Entscheidung. Sollte der Beschwerdeführer in naher oder entfernterer Zukunft eine Verfolgung iSd GFK befürchten, so hat der Beschwerdeführer weiterhin das Recht, dann einen neuen Antrag auf internationalen Schutz in Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu stellen.
3.10 Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher als unbegründet abgewiesen.
Zu B)
Revision
3.11 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.
3.12 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.