JudikaturBVwG

W164 2296710-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
13. Januar 2025

Spruch

W164 2296710-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Farid RIFAAT, Wien, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 29.05.2024, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Zur Vorgeschichte:

Mit Bescheid vom 07.07.2014 sprach die Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden: ÖGK) aus, dass der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) als Geschäftsführer der Firma XXXX gemäß § 67 Abs. 10 ASVG iVm § 83 ASVG für die von dieser Firma zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Februar 2012 bis März 2013 in Höhe von EUR 80.625,67 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe schulde, das seien ab 07.07.2014 7,88 % p.a. aus EUR 65.417,19.

Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schreiben vom 25.01.2022 ersuchte die ÖGK die Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA), eine Aufrechnung im Sinne des § 103 ASVG durchzuführen und die einzubehaltenden Beiträge auf das Konto der ÖGK abzuführen.

Mit Bescheid vom 02.02.2022 sprach die PVA aus, dass die offene Forderung der ÖGK an Beiträgen zur Sozialversicherung in der Höhe von EUR 97.889,86 zuzüglich Verzugszinsen ab 01.02.2022 auf den Leistungsanspruch des BF aufgerechnet werde.

Zum nun gegenständlichen Verfahren:

Mit Schreiben vom 19.03.2024 stellte der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden BF) unter gleichzeitiger Vollmachtsbekanntgabe durch seinen im Spruch genannten Rechtsvertreter bei der ÖGK einen Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG.

Zur Begründung wurde folgendes ausgeführt: Das Arbeits- und Sozialgericht Wien habe mit Beschluss vom 14.07.2022 eine Klage des BF dagegen, dass eine offene Forderung von € 97.889,86 zuzüglich Verzugszinsen ab 01.02.2022 auf den Leistungsanspruch des Klägers angerechnet werde, zurückgewiesen. Das Urteil sei rechtskräftig geworden. Der Rückstandsausweis habe auf einer Geschäftsführung des BF bei der eingangs genannten Primärschuldnerin ab 16.11.2011 bis zur Insolvenz 2013 und auf nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen gefußt. Nachfolgend sei in einem Strafverfahren vor dem Landesgericht Wien mit Urteil vom 14.02.2023, GZ XXXX zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den Feststellungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien (der BF legte den diesbezüglich abweisenden Berufungsentscheid vor) sei zu entnehmen, dass XXXX der de facto Geschäftsführer der eingangs genannten Primärschuldnerin während aller abgabengegenständlichen Zeiträume des ÖGK-Rückstandes gewesen sei, insbesondere für die Beitragsperiode 02/2012 bis 03/2013. Der de facto Geschäftsführer habe zufolge der Feststellungen des Strafgerichts sämtliche diesbezügliche Entscheidungen getroffen. Dieses Strafurteil entfalte Bindungswirkung auch für die PVA und die ÖGK. Demgemäß werde eine Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG/Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens nach „§ 67 AVG“ angeregt. Der BF habe nach Akteneinsicht durch eine Angestellte des Rechtsvertreters am 05.03.2024 vom genannten Strafurteil Kenntnis erlangt, es werde daher binnen offener Frist der oben bezeichnete Antrag auf Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG gestellt. Der BF sei ohne sein Verschulden erst nach Abschluss des Verfahrens in die Lage gekommen, die neuen Tatsachen und Beweismittel beizubringen. Er sei nicht wirtschaftlicher Eigentümer gewesen, noch habe er Befugnisse gehabt, sondern sei praktisch Strohmann gewesen.

Die ÖGK fasste dieses Schreiben als Antrag auf Wiederaufnahme auf und wies diesen mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 29.05.2024 gemäß § 410 ASVG iVm § 69 AVG als verspätet zurück. Zur Begründung verwies die ÖGK auf die objektive Frist von drei Jahren ab Erlassung des Bescheides gemäß § 69 Abs 2, letzter Satz AVG. Informationshalber machte die ÖGK weitere Ausführungen dazu, dass im Übrigen kein Wiederaufnahmegrund vorliege. Die strafrechtliche Verurteilung der XXXX bilde keine Vorfrage für die den BF betreffende Sache. Die bezüglich des BF festgestellte Haftung gem. § 67 Abs 10 ASVG werde davon nicht berührt. Das vom BF angeführte Strafurteil stehe in keinem Zusammenhang zur Haftung des BF gem. § 67 Abs 10 ASVG. Der BF hafte als ehemaliger Geschäftsführer der genannten Primärschuldnerin unabhängig davon, ob es einen weiteren Geschäftsführer gegeben habe.

Dagegen erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte zur Begründung vor, den BF habe mangels Einfluss auf die Lohnzahlungen und Entrichtung der Abgaben kein Verschulden iSd § 67 Abs 10 ASVG getroffen. Dies sei nun aufgrund des genannten Strafurteils ersichtlich. Es sei sehr wohl eine Vorfrage mit Bindungswirkung gegeben. Der BF sei ohne sein Verschulden erst nach Abschluss des Verfahrens in der Lage gewesen, neue Tatsachen und Beweismittel beizubringen. Der BF wäre vollständig zu entlasten. Der BF wäre einzuvernehmen gewesen.

Der BF beantragte, den angefochtenen Bescheid abzuändern, in der Sache selbst zu entscheiden und antrags- oder anregungsgemäß eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zu veranlassen, in eventu der ÖGK eine Neudurchführung des Verfahrens nach allfälliger Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die ÖGK legte den Bezug habenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Hinsichtlich der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts wird auf Punkt I., Verfahrensgang, verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes. Der Sachverhalt ist soweit hier wesentlich unbestritten. Es handelt sich um eine reine Beurteilung einer Rechtsfrage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. In der vorliegenden Angelegenheit wurde kein derartiger Antrag gestellt. Somit obliegt die Entscheidung der vorliegenden Beschwerdesache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens:

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist Sache des Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheides gebildet hat (vgl. VwGH 08.05.2018, 2018/08/0011). Es ist der Rechtsmittelinstanz verwehrt, diesen Gegenstand des Verfahrens zu überschreiten, da der Partei in diesem Fall eine Instanz genommen werden würde. (vgl. VwGH 20. März 2012, 2012/11/0013).

Wenn aufgrund des aus dem Verfahren hervorgehenden Gesamtzusammenhangs fraglich ist, ob mit dem Spruch des erstinstanzlichen Bescheides implizit Feststellungen getroffen wurden, ohne dass diese im Spruch ausdrücklich ausgeführt wurden, ist auch die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides -für den Fall des Vorliegens eines Parteienantrags in Verbindung mit diesem- mit einzubeziehen. (VwGH 2009/08/0106 vom 06.06.2012, VwGH 98/08/0127 vom 20.10.1998).

Im vorliegenden Fall hat die ÖGK den Antrag des BF vom 19.03.2024 als Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 69 AVG aufgefasst. Da der Antrag sinngemäß die Neubeurteilung einer Verwaltungssache der Sozialversicherung begehrte, war die Deutung des Antrags als Wiederaufnahmeantrag iSd § 69 AVG vertretbar. Die Beschwerde wendet sich ferner nicht dagegen, dass die belangte Behörde vom Vorliegen eines Wiederaufnahmeantrags ausging. Somit ist auch im Beschwerdeverfahren vom Vorliegen eines Wiederaufnahmeantrages vom 19.03.2024 und einer Entscheidung über diesen durch die belangte Behörde auszugehen.

Inhaltlich hat die belangte Behörde den Antrag auf Wiederaufnahme als verspätet zurückgewiesen.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher die Rechtsfrage, ob der Wiederaufnahmeantrag des BF vom 19.03.2024 zu Recht als verspätet zurückgewiesen wurde.

In der Sache:

Gemäß § 69 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. […]

Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag vom 19.03.2024 unter Anwendung der in § 69 Abs 2, letzter Satz AVG normierten objektiven Frist zur Recht als verspätet zurückgewiesen (vgl. dazu auch VwGH Ra 2015/10/0069 vom 11.08.2015).

Die Beschwerdevorbringen wenden sich ausschließlich gegen die in der Begründung des angefochtenen Bescheides informationshalber eingefügte Mitteilung, dass im Übrigen kein Wiederaufnahmegrund gegeben wäre. Sie sind nicht geeignet, die Richtigkeit der zur Sache dieses Verfahrens getroffene Entscheidung der belangten Behörde in Zweifel zu ziehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.