JudikaturBVwG

W200 2298997-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
10. Januar 2025

Spruch

W200 2298997-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Vorsitzende und die Richterin Mag. TAURER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. HALBAUER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt XXXX ., gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS) vom 31.07.2024, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer verfügte ab 26.11.2010 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 50%.

Am 16.10.2023 stellte der Beschwerdeführer unter Vorlage von medizinischen Unterlagen einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung.

Das vom SMS aufgrund des Antrages eingeholte Gutachten aufgrund der Aktenlage eines Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde vom 15.11.2023 ergab einen GdB von 20 von Hundert (vH).

Das vom SMS aufgrund des Antrages eingeholte Gutachten aufgrund der Aktenlage einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 15.11.2023 ergab einen GdB von 50 vH.

Die von einer Ärztin für Allgemeinmedizin erstellte Gesamtbeurteilung aufgrund der beiden genannten Gutachten ergab einen GdB von 50 vH und lautet auszugsweise wie folgt:

Gesamtgrad der Behinderung: 50 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 2 erhöht nicht weiter da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Die Hochtonschwäche beidseits kann aufgrund des nicht vorhandenen aktuellen Audiogrammes nicht eingestuft werden. […]“

Im gewährten Parteiengehör zu den beiden Gutachten aufgrund der Aktenlage sowie zum Gesamtgutachten brachte der Beschwerdeführer am 04.12.2023 eine Stellungnahme ein, in der er zusammengefasst ausführte, dass der Hochtonabfall in dem seinem Schreiben als Kopie beigelegten Audiogramm ersichtlich sei. Seine psychischen Leiden inklusive der Angststörung hätten sich aufgrund von Corona, des Terroranschlags am 02.11.2020, der verfassungswidrigen Impfpflicht und der chronisch drohenden Eskalation der globalen Kriege massiv verschlechtert. Er nehme aufgrund einer Familienkrise und der Angst um seinen Sohn Sozialberatung in Anspruch, mache eine Psychotherapie und sei in Behandlung bei einer Fachärztin für Psychiatrie. Er sei aktuell arbeitsunfähig und hoffe auf eine Besserung seiner Situation. Der Beschwerdeführer übermittelte mehrere ärztliche Bestätigungen und Honorarnoten einer Psychotherapeutin.

Das vom SMS aufgrund des Antrages eingeholte Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 06.06.2024, basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.05.2024, ergab einen GdB von 50 vH.

Das vom SMS aufgrund des Antrages eingeholte Gutachten aufgrund der Aktenlage eines Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde vom 01.07.2024 ergab einen GdB von 20 vH.

Die von einem Facharzt für Neurologie erstellte Gesamtbeurteilung vom 05.07.2024 ergab einen GdB von 50 vH und gestaltet sich auszugsweise wie folgt:

Gesamtgrad der Behinderung: 50 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch die nachfolgenden Leiden 2 und 3 im GdB nicht weiter angehoben, da kein maßgeblich ungünstiges Zusammenwirken

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

keine

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Die Hörschwäche beidseits im Hochtonbereich wird zusätzlich eingestuft.“

Im gewährten Parteiengehör zu den beiden Gutachten sowie der Gesamtbeurteilung brachte der Beschwerdeführer am 22.07.2024 eine Stellungnahme ein, in der er im Wesentlichen darlegte, dass er seit seinem Abschluss des Fachhochschulstudienganges „Elektronik“ im Jahr 2000 ausschließlich im Bereich Entwicklung bzw. Forschung und Entwicklung tätig gewesen sei, weswegen seiner Einschätzung nach Berufsschutz bestehe.

Mit Bescheid vom 31.07.2024 wurde der Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung abgewiesen. Begründend wurde auf das eingeholte Gutachten verwiesen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde zusammengefasst vorgebracht, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers verschlechterte. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Ausstellung des alten Behindertenpasses aktiv am Arbeitsleben beteiligt gewesen, was aufgrund des fortschreitenden verschlechternden Gesundheitszustandes nicht mehr möglich sei. Das Gutachten der belangten Behörde sei daher in mehrfacher Hinsicht unschlüssig. Die Hörbehinderung sei im Gutachten gar nicht angeführt worden. Die Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers sei nur unzureichend dokumentiert worden. Es sei davon auszugehen, dass bei einem Tinnitus bds. in massiver Zusammenhang mit der psychischen Angst- sowie Schlafsituation bestehe. Der Grad der Behinderung sei wesentlicher höher als von der belangten Behörde im Bescheid festgestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa das Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht – zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung – durchzuführen (VwGH 27.01.2016, Ra 2015/08/0178).

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123).

Wie im Verfahrensgang dargestellt, beantragte der Beschwerdeführer die Neufestsetzung des Grades seiner Behinderung im Behindertenpass aufgrund der nunmehr vorliegenden folgenden Gesundheitsschädigungen: Tinnitus bds., Hochtonabfall bds., Hyperakusis. Der Beschwerdeführer legte seinem Antrag mehrere Befunde eines Fachärztezentrums für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde bei. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Gesundheitsschädigung wurde von der belangten Behörde in zwei Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage berücksichtigt. Eine persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers fand lediglich durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie statt, nicht jedoch auch durch einen Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Der Beschwerdeführer brachte in dem gegenständlichen Antrag auch eine Hyperakusis vor, die im vorliegenden Gutachten nicht berücksichtigt wurde. Der erkennende Senat ist nach Durchsicht der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen der Ansicht, dass die ohne persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers vorgenommene Einschätzung der Positionsnummer 12.02.02 (dekompensierter chronischer Tinnitus beidseits) und Positionsnummer 12.02.01 (Hochtonschwäche beidseits) nicht bedenkenlos nachvollzogen werden kann und das SMS verpflichtet gewesen wäre, ein Gutachten eines Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde basierend auf einer Untersuchung unter Zugrundelegung sämtlicher vorgelegter Unterlagen einzuholen.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts erfolgte die Entscheidung über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS bloß ansatzweise Ermittlungen getätigt.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde im Verfahren betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung ein Sachverständigengutachten aus der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers zu den unten dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung der vorgelegten (für den begutachtenden Arzt leserlichen) medizinischen Beweismittel bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Folgende Punkte sind zu beurteilen:

1. Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung für jede festgestellte Gesundheitsschädigung

- Medizinisch exakte Bezeichnung der festgestellten Gesundheitsschädigungen

- Gewählte Position, wobei auf die Begründung der Wahl der Position besonders zu achten ist

- Zu Grunde gelegter Rahmensatz, wobei auf die Begründung der Einschätzung des GdB innerhalb des Rahmensatzes besonders zu achten ist

In weiterer Folge hat eine Zusammenfassung mit den weiteren Leiden des Beschwerdeführers zu erfolgen und es ist eine Gesamteinschätzung vorzunehmen und zu begründen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Von den vollständigen Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein und die Behörde im Anschluss zu entscheiden haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.