Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2024, Zahl 1274950106-230851358, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 02.05.2023 den verfahrensgegenständlich zweiten Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag), nachdem ihm im Vorverfahren zu seinem erster Antrag auf internationalen Schutz vom 21.02.2021 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und im darauffolgenden Beschwerdeverfahren seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.08.2022, W144 2250011-1/11E, abgewiesen worden war.
Das BFA wies diesen Folgeantrag vom 02.05.2023 mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 22.03.2024 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Der Bescheid wurde der damaligen Rechtsvertretung am 10.04.2024 zugestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 15.05.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
1. Sachverhaltsfeststellungen
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des jeweiligen Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme vor dem BFA; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister]
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig 18 Jahre und rund 3 Monate alt. Im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides war der Beschwerdeführer im Alter von 17 Jahren und 7 Monaten.
Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer wurde in Syrien geboren und lebte mit seiner Familie in Qamishli im Gouvernement Al-Hasaka. Der Beschwerdeführer verließ seinen Herkunftsstaat Mitte Juli 2020 im Alter von dreizehn Jahren, weil ihm dies von seinen Eltern aufgetragen wurde.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich rechtskräftig über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG. (BFA Bescheid vom 16.11.2021, Zahl zum ersten Antrag auf internationalen Schutz; sowie BFA Bescheid 03.03.2023, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.03.2025 verlängert wurde (IZR))
1.2 Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 21.02.2022
Der Beschwerdeführer reiste im Februar 2021 unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am 21.02.2022 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Das BFA wies jenen Antrag mit Bescheid vom 16.11.2021 (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab, erkannte dem Beschwerdeführer jedoch unter einem (II.) gem § 8 Abs 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte (III.) eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs 4 AsylG. Eine gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.08.2022, W144 2250011-1/11E, abgewiesen; jenes Erkenntnis wurde am 05.08.2022 der damaligen Rechtsvertretung postalisch zugestellt.
Begründung des ersten Antrages
Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst vor, dass ihm in seiner Herkunftsregion als Kind die Zwangsrekrutierung durch die Kurden sowie die Ableistung des Wehrdienstes in der Armee des syrischen Regimes drohe.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte im dazu ergangenen Erkenntnis vom 05.08.2022 fest, dass der (fünfzehnjährige) Beschwerdeführer nicht im wehrdienstfähigen Alter sei und keine aktuelle Gefahr bestehe, zum Dienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden. Es sei nicht wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer von kurdischen Streitkräften zwangsrekrutiert werden würde; es sei auch nicht wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr seitens des syrischen Regimes als politisch missliebige Person angesehen und verfolgt werde.
Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Begründung unter anderem aus, dass sich der 15-jährige Beschwerdeführer nicht im wehrdienstfähigen Alter befinde, er in Syrien keinen persönlichen Übergriffen oder Bedrohungen ausgesetzt gewesen sei und ausgehend von den herangezogenen Länderfeststellungen keine relevante Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass er als Minderjähriger von den syrischen Streitkräften zwangsrekrutiert werden würde.
Zur vorgebrachten drohenden Zwangsrekrutierung durch kurdische Streitkräfte führte das Bundesverwaltungsgericht – zusammengefasst – aus, dass es laut Länderfeststellungen zu solche Zwangsrekrutierungen kommen könne, aber im Falle des Beschwerdeführers kein über die bloße Möglichkeit einer Zwangsrekrutierung hinausgehendes erhöhtes Risiko im Falle einer Rückkehr bestehe, der Beschwerdeführer sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in Qamishli verbracht habe, ohne von Zwangsrekrutierungen betroffen gewesen zu sein und auch seine Familie nach wie vor in Qamishli lebe und er wieder deren Schutz genießen könne, sodass im Falle keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahr bestehe.
Zur vorgebrachten drohenden Verfolgung als politisch missliebige Person durch das syrische Regime führte das Bundesverwaltungsgericht – zusammengefasst – aus, dass der Beschwerdeführer noch nie in das Blickfeld des syrischen Regimes bzw regimetreuer Gruppierungen geraten sei, der Beschwerdeführer als 13-jähriger im nicht wehrpflichtigen Alter verlassen habe und daher nicht wahrscheinlich erscheine, dass ihm allein aufgrund seiner illegalen Ausreise eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Ausgehend von den Länderfeststellungen könne auch nicht angenommen werden, dass sämtliche aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation ins Ausland geflohene syrische Staatsangehörige als Regimegegner angesehen werden würden und im Falle des Beschwerdeführers seien keine gefahrenerhöhende Umstände vorliegend, da er noch nie in das Blickfeld der syrischen Behörden gelangt sei.
Es würden sich im Falle des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung sämtlicher individueller Umstände keine Hinweise darauf ergeben, dass dem Beschwerdeführer allein aufgrund seiner Herkunft aus einem von kurdischen Kräften kontrollierten Gebiet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine regierungsfeindliche Haltung unterstellt werden würde.
Zu der vorgebrachten Zugehörigkeit zu einer Familie von Reservisten und Wehrdienstverweigerern führte das Bundesverwaltungsgericht – zusammengefasst – aus, dass aus den Umständen, dass in Österreich zwei Cousins asylberechtigt seien sowie dem Vater des Beschwerdeführers möglicherweise in Zukunft die Einziehung zum Reservedienst drohe, nicht darauf geschlossen werden könne, das aufgrund deren Verhalten der gesamten Familie eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde und es erscheine daher auch unter Berücksichtigung der familiären Situation des Beschwerdeführers nicht wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr als politisch missliebige Person betrachtet und deswegen verfolgt werden würde. (BVwG W144 2250011-1/11E S 5, 81ff)
1.3 Zum gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz vom 02.05.2023
Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 02.05.2023 den verfahrensgegenständlich zweiten Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag)
Begründung des Folgeantrages
Bei der Erstbefragung am 02.05.2023 brachte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Folgeantrages zusammengefasst vor, er sein mit seinen 16 Jahren nun in einem Alter, wo er dem Militär beitreten müsse. Sein älterer Bruder sei bereits bei der PKK und müsse gegen das Assad-Regime kämpfen. Wenn der Beschwerdeführer nicht von der PKK eingezogen werde, müsse er für das syrische Regime kämpfen. (EB 02.05.2023 S 4)
In einer schriftlichen Stellungnahme vom 09.05.2023 wurde zur individuellen Situation des Beschwerdeführers – zusammengefasst – ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in wenigen Monaten die Ableistung des Wehrdienstes im syrischen Militär drohe, Wehrdienstverweigerung strafrechtlich verfolgt und als Ausdruck einer oppositionellen Haltung verstanden werde sowie auch der Anti-Terror-Gesetzgebung unterliege. Gefasste Wehrdienstverweigerer würden inhaftiert, gefoltert, getötet oder sofort einberufen werden. Es sei eine asylrelevante Verfolgung wegen einer (unterstellten) politischen/religiösen Gesinnung gegeben; auch aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der bald wehrpflichtigen jungen Männer und der Rückkehrer müsse der Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung befürchten. Dem Beschwerdeführer drohe aber auch die Zwangsrekrutierung bei den kurdischen Kräften. Für den Beschwerdeführer komme aus Gewissensgründe die Teilnahme an keinem dieser Wehrdienste in Frage. Durch die ihm drohende Rekrutierung für die syrische Armee müsste der Beschwerdeführer an Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilnehmen und er könnte sich einer solchen Teilnahme nicht entziehen.
Dem Beschwerdeführer drohe in Folge einer geänderten Sachlage aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seiner politischen Haltung asylrelevante Verfolgung, da ihm die Einberufung zu obligatorischen Militärdienst drohe und ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. (Stellungnahme 09.05.2023 (AS 15 ff)
Bei der Einvernahme vor dem BFA am 11.08.2023 führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Familie nach wie vor in XXXX in Qamishli im Haus des Vaters lebe, sein Vater pensionierter Lehrer sei, seine Mutter als Lehrerin nach wie vor unterrichte und sein älterer Bruder jetzt bei der PKK beim Militär sei. Er sei nun bald 17 Jahre und werde sich für das Militär bestellt, entweder vom Assad-Regime oder der von der PKK. Er habe Angst vor dem Assad-Regime. Es sei strafbar, wenn man von Syrien flüchte und wieder zurückkehre. Er wolle sich nicht am Krieg beteiligen, er sei noch jung und wolle noch leben und arbeiten. Sein Bruder sei seit ungefähr eineinhalb Jahren bei der PKK. Sein Vater habe seinen Militärdienst bereits gemacht und sei wieder einberufen worden, jedoch nicht hingegangen. Das habe keine Konsequenzen gehabt, da der Vater mit der ganzen Familie in ein Kurdengebiet gegangen sei und dort sei er nicht einberufen worden. Der Beschwerdeführer sei in Syrien nie für eine politische Partei tätig gewesen. Er sei auch in Syrien nie in den Fokus einer Behörde oder Gruppierungen geraten. Er habe keine Probleme gehabt, aber die Kurden seien öfters gekommen und hätten gefragt, ob er sich ihnen anschließe. Er habe immer nein gesagt und unter 17 Jahren könnten jene einen nicht dazu zwingen. Nun sei er knapp 17 Jahre alt und wäre gezwungen, mit den Kurden zu kämpfen. Wenn er innerhalb von Syrien woanders hingegangen wäre, wären dort das Assad-Regime oder andere bewaffnete Gruppierungen gewesen. Er sei von Syrien geflüchtet und das sei ungesetzlich. Wenn er jetzt zurückkehre, würde er sicher eine Strafe bekommen. Und er wolle nicht den Militärdienst beim Assad-Regime oder der PKK leisten. Das Gefängnis dort sei unmenschlich und die Leute dort würden geschlagen und gefoltert, das wolle er nicht erleben. (EV 11.08.2023 S 7, 9 ff)
1.4 Begründung des angefochtenen Bescheides vom 22.03.2024
Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid zu den Gründen für den neuen Antrag auf internationalen Schutz zunächst fest, der Beschwerdeführer habe keinen neuen Sachverhalt vorgebracht, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens entstanden sei. Die Vorbringen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren seien dieselben, welche er bereits im rechtskräftig negativ entschiedenen Erstverfahren vorgebracht habe, und seien in keiner Weise asylrelevant. Vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl könne insgesamt kein glaubhafter, neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Der Beschwerdeführer habe im gegenständlichen Verfahren keinen neuen entscheidungswesentlichen Sachverhalt vorgebracht. Daher habe sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. (BFA Bescheid 22.03.2024 S 20)
Im Rahmen der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides traf das BFA „[b]etreffend die Feststellungen zu den Gründen für Ihren neuen Antrag auf internationalen Schutz“ wörtlich die folgenden Ausführungen (Bescheid S 203 ff; Hervorhebungen und Orthografie im Original):„Eingangs ist zu beachten, dass Sie sowohl bei Stellung des vorherigen Antrages wie auch des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie auch bei der stattgefundenen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl minderjährig waren. Die geschilderten Erlebnisse beziehen sich demnach auf einen Zeitraum, in welchem Sie minderjährig waren. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist daher eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und darf die Dichte dieses Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung insbesondere VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020; 06.09.2018, Ra 2018/18/0150).
Jedoch auch unter Berücksichtigung Ihrer Minderjährigkeit, beziehen Sie sich im gegenständlichen Verfahrensgang nach wie vor auf Rückkehrhindernisse, welche Sie bereits im Kern in Ihrem Vorverfahren zur Sprache gebracht haben, nämlich, dass Sie aus Angst vor einer Rekrutierung durch das syrische Militär wie auch der kurdischen Verbände im kurdischen Autonomiegebiet (AANES) nicht nach Syrien zurückkehren können.
Ihr Vorverfahren wurde vom Bundesverwaltungsgericht in II. Instanz Rechtskräftig negativ entschieden, da Ihr Fluchtvorbringen keiner Weise asylrelevant gewesen ist.
Die einzige Änderung zu Ihrem Vorverfahren besteht darin, dass Sie nun mit 17 Jahren das wehrpflichtige Alter erreicht hätten und deswegen mit einer Einberufung/Einziehung rechnen müssen.
Im Zuge Ihrer Vernehmung vom 11.08.2023 gaben Sie an, dass Sie nun 17 Jahre sind und entweder vom Assad Regime oder der PKK einberufen werden würden. Außerdem fürchten Sie, dass Sie sich mit der Flucht aus Syrien strafbar gemacht haben. Sie gaben an, dass Sie sich nicht am Krieg beteiligen wollen und dass Sie noch jung sind und leben und arbeiten wollen.
Diese Aussagen wurden auch in den beiden Stellungnahmen, die von Ihrer Vertretung eingebracht wurden, thematisiert und vorgebracht.
Sie gaben in Folgeverfahren nun an, dass Ihr Bruder mittlerweile seit 1 ½ Jahren bei der PKK sei, es ihm gut gehe und er sich auch um die Familie kümmert.
Sie gaben a, diese Information erst vor 4 Monaten bekommen zu haben.
Diesen Angaben wird seitens des Bundesamtes die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Dies begründet sich wie folgt:
Im Zuge Ihrer Einvernahme vor dem BFA im ersten Verfahren am 23.07.2021 geben Sie zu Protokoll, dass Ihr Bruder unter Blutarmut leidet, er sehr viel bricht und es keinen Tag ohne Essen aushält und es ihm auch immer schwindelig ist. Auf Nachfrage bestätigten Sie, dass er ständig Medikamente nehmen muss. Dies sei auch der Grund warum Sie und nicht Ihr Bruder von der Familie nach Österreich mitgeschickt wurde.
Sie gaben im Zuge der Vernehmung vor dem BVwG am 28.06.2022 zu Protokoll, dass Sie Kontakt zu Ihren Eltern haben und Ihr Bruder unter Anämie leidet.
Weiters gaben Sie an, dass der Bruder vor ca 4 Monaten auf der Straße von einer Gruppe angehalten wurde und diese Gruppe versucht habe, Ihren Bruder mitzunehmen. Seitdem bleibe er zu Hause und geht kaum aus dem Haus. Dieser Rekrutierungsversuch müsste demnach im Februar 2022 passiert sein.
Im Zuge Ihrer Erstbefragung zum Folgeantrag vom 02.05.2023 geben Sie bekannt, dass Sie von den geänderten Gründen seit ca. 4 Monaten Bescheid wissen. Ihr Bruder wäre von der PKK eingezogen worden und hätte Sie telefonisch kontaktiert. Seitdem hätten Sie keinen Kontakt mehr zu ihm. Sie wissen nur, dass dieser an der Front mit der PKK gegen das Assad Regime kämpfen muss. Sie erkundigen sich über Eltern über Ihren Bruder. Über die Einrückung Ihres Bruders wissen Sie demnach seit ca. Januar 2023 bescheid.
In Ihrer Vernehmung im Zuge Ihres Folgeantrages am 11.08.2023 gaben Sie an, dass Ihr Bruder seit ca. 1 ½ Jahren bei der PKK ist und es ihm gut geht. Er unterstützt, so wie Sie selbst die Familie. Über seinen momentanen Aufenthalt könnten Sie keine Auskunft geben, da Sie selbst keinen Kontakt zu Ihrem Bruder haben. Dieser Aussage folgend, müsste Ihr Bruder bereits im Februar 2022 zur PKK eingezogen worden sein.
Aufgrund der Widersprüchlichkeiten, dass Sie Ihren Bruder im Juli 2021 als zu krank für die Reise nach Europa darstellen, dieser im Februar 2022 einer Gruppe von Rekrutierern entkommen kann und sich versteckt hält, einer anderen Aussage nach aber bereits ab Februar 2022 für die PKK kämpfen muss, Sie aber erst, trotz ständigem Kontakt zu Ihren Eltern in Syrien, erst im Januar 2023 von dessen Rekrutierung erfahren, schenkt das Bundesamt Ihren Aussagen dahingehend keinen Glauben. Auch widerspricht Ihre Aussage, dass Ihr Bruder seit 1 ½ Jahren an der Front gegen das Assad Regime kämpfen muss, den Inhalten der Länderfeststellungen, aus denen hervorgeht, dass Wehrpflichte in den Selbstverteidigungskräften zum Objektschutz oder Nachschub eingesetzt werden. Nur bei Freiwilligkeit erfolgt fallweise eine Versetzung an die Front.
Auch beträgt aktuell die Dauer des Wehrdienstes ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird.
Auch aus dem Umstand, dass Sie nun in das Wehrpflichtige Alter von 17 bzw 18 Jahren gekommen sind, ergibt sich keine Änderung des Sachverhalts.
Sie sind aufgrund Ihres Alters beim syrischen Militär grundsätzlich wehrpflichtig, da jeder männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 42 Jahren seinen Wehrdienst abzuleisten hat. Sie haben jedoch nie einen Einberufungsbefehl zum syrischen Militär erhalten. Zum einen, weil Sie bereits im jugendlichen Alter ausgereist sind und zum anderen, weil Sie sich ständig in einem Gebiet aufgehalten haben, in welchem die syrische Regierung keine Kontrolle ausübte. Auch zum jetzigen Zeitpunkt steht Ihre Heimatregion nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes, womit eine Einberufung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu erwarten ist.
Eine Rekrutierung durch die syrische Armee im Gebiet in und um Qamischli ist aufgrund der Inhalte der Länderfeststellung nicht wahrscheinlich, da in diesem Gebiet zwar das syrische Regime präsent ist, eine Rekrutierung jedoch aufgrund mangelnder Durchsetzungskraft praktisch nicht erfolgt.
Siehe dazu auch eine Accord Anfragebeantwortung vom 17.08.2023:
Laut einem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten sehe die allgemeine Realität in Nordostsyrien wie folgt aus: Die Regierung sei in kleinen Teilen der Stadt al-Qamischli und in zahlreichen Dörfern südlich der Stadt sowie in kleinen Teilen der Stadt al-Hasaka stark vertreten. Außerhalb dieser Gebiete sei die Kontrolle der Regierung locker und umstritten. Die Regierung sei daher nicht in der Lage, die Wehrpflicht durchzusetzen oder Oppositionelle zu verhaften. Die Gebiete in und um Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat und an der türkischen Grenze würden sich zwar durch Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF (Syrian Democratic Forces) seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF hätten der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. Zurzeit seien die SDF der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften (Syrienexperte, 17. August 2023).
Fabrice Balanche, Associate Professor und Forschungsdirektor an der Universität Lyon 2, erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom August 2023, dass das Gebiet an der türkischen Grenze in der Provinz Hasaka (östlich von Ras Al-Ain) unter der Kontrolle der SDF stehe. Es gebe ein paar syrische Militärposten, doch diese seien isoliert und symbolischer Natur. Die syrische Armee könne in dieser Gegend nichts unternehmen (Balanche, 23. August 2023).
Wladimir van Wilgenburg[1] legt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD dar, dass die syrischen Behörden in den Gebieten um Manbij, Ain Al-Arab und in der Nähe der türkischen Grenze nicht in der Lage seien, Reservepersonal einzuziehen. In Tal Rifaat sei die Situation eine andere als in den anderen Gebieten. Van Wilgenburg könne aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden würden es allgemein nicht gestatten, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einziehe (Van Wilgenburg, 17. August 2023).
Daraus ergibt sich, dass in dieser Hinsicht (es wird jedoch auch auf die Möglichkeit des Freikaufs hingewiesen) keine Gefahr Ihrer Rekrutierung durch die syrischen Kräfte besteht.
Ein Erreichen Ihrer Heimatregion, ohne Gebiete unter alleiniger Kontrolle des syrischen Regimes durchqueren zu müssen, ist gewährleistet, auch wenn einige Grenzübergänge nicht regelmäßig geöffnet haben. So besteht, um ein Beispiel anzuführen, die Einreisemöglichkeit über den Grenzübergang Semalka. Der Grenzübergang Semalka/Fishkabour – politisch wie auch wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebietes Nord – und Ostsyrien, stellt einen offiziellen Grenzübergang dar, der genutzt werden kann. Dass das syrische Regime – das naturgemäß kein Interesse daran hat, dass dieser Grenzübergang zur Einreise genutzt wird, weil es dort über keine Kontrollmöglichkeit verfügt – diesen als illegal erachtet, vermag nichts daran zu ändern, ebenso wenig, dass das syrische Regime – gerüchteweise – die bloße Tatsache des Grenzüberritts in Erfahrung bringen könnte, zumal die Möglichkeit zu überwachen oder zu kontrollieren, wer das Gebiet betritt, gerade nicht für das syrische Regime besteht. Das weitere Gebiet ist hauptsächlich und durchgehend von kurdischen Kräften kontrolliert. Hinsichtlich kurzfristiger Schließungen von Grenzübergängen wird angemerkt, dass auch der Flughafen in Damaskus regelmäßig von solchen Schließungen betroffen ist.
Auch ist Ihren Ausführungen folgend davon auszugehen, dass Sie vor Ihrer Ausreise aus Syrien, auch wegen Ihres damaligen Alters, nicht persönlich bedroht oder verfolgt wurden.
Festgehalten wird jedoch auch, dass Sie aufgrund Ihres Auslandsaufenthaltes (Sie haben nach eigenen Angaben Syrien ca Mitte Juli 2020 verlassen) die Möglichkeit hatten bzw. gehabt hätten, sich - ohne Angabe von Gründen - vom Militärdienst in Syrien frei zu kaufen.
Die Voraussetzungen dafür liegen nun durch Ihren circa vier Jahre Aufenthalt außerhalb von Syrien vor. Auch aufgrund Ihrer finanziellen Möglichkeiten war bzw. ist es Ihnen nach wie vor zumutbar, sich vom Militärdienst freizukaufen. Sie bezahlten € 9.000,-- (Erstbefragung 2021) bzw €13.000,-- (Vernehmung vom 11.08.2023) für Ihre Reise von Syrien bis nach Österreich. Sie bzw Ihre Eltern haben sich bewusst gegen den Freikauf und dafür entschieden, das vorhandene Geld dafür zu nützen, schlepperunterstützt Syrien zu verlassen und nach Österreich zu immigrieren, mit dem Ziel eine Familienzusammenführung zu erreichen. Ihre Entscheidung zur Reise nach Österreich erfolgte somit nicht aus asylrelevanten Gründen.
Auch ist darauf hinzuweisen, dass das Asylrecht und die GFK wohl nicht dazu dienen, einer Person, die über entsprechende Geldmittel verfügt, die Wahlfreiheit zu überlassen, ob sie diese Geldmittel für ihre Befreiung von einem Pflichtdienst im Herkunftsstaat verwendet oder ob diese Person in der Situation bewusst die entsprechenden Geldmittel zur Bezahlung von Schleppern verwendet, um im Rahmen eines Asylverfahrens in einem bewusst ausgesuchten Staat einen Flüchtlingsstatus zu erwirken.
Es ist einem Staatsbürger, der über die entsprechenden Geldmittel verfügt, zumutbar diese Geldmittel für die Befreiung vom Pflichtdienst zu verwenden und nicht - wegen deren absichtlich gewollter Nichtverwendung - in einem anderen, von der Person ausgewählten angenehmeren Staat die Genfer Flüchtlingskonvention als Rechtfertigung für das Verlassen des Heimatstaates oder die Nichtrückkehr in den Heimatstaat zu „benützen“.
Selbst für den Fall, dass Sie bei einer – hypothetischen – Rückkehr – wie jeder andere männliche syrische Staatsbürger, der älter als 18 Jahre alt ist –zum Militärdienst eingezogen werden würden/könnten, wenn Sie den notwendigen Gesundheitszustand aufweisen, wird Folgendes ausgeführt: Auch eine Einziehung in den syrischen Militärdienst indiziert aufgrund der aktuellen Lage und der Länderberichte, die ausweisen, dass es keine offenen großflächigen militärischen Kampfhandlungen – mehr - gibt, in der gegenwärtigen Lage nicht, dass jegliche Person, die zur Ableistung des syrischen - Militärdienstes herangezogen wird, in dessen Ableistung Menschenrechtsverletzungen im Zuge des Wehrdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit begehen müsste.
Die Wehrpflicht ist grundsätzlich die Pflicht eines Staatsbürgers, für einen gewissen Zeitraum in den Streitkräften oder einer anderen Wehrformation seines Landes zu dienen.
Der Umstand, dass Sie nichts mit dem Militärdienst zu tun haben wollen, allein daraus kann für die erkennende Behörde noch keine für Sie bestehende „asylrechtsrelevante“ Verfolgungsgefahr seitens des syrischen Regimes erkannt werden. Dieser Wunsch und diese Befürchtung sind für jeden Durchschnittsmenschen nachvollziehbar. Unabhängig von den in Syrien herrschenden Zuständen liegt ein militärischer Einsatz jedoch im Wesen einer Wehrpflicht. An einer (auch in Österreich herrschenden) Wehrpflicht kann abstrakt nichts Verwerfliches erkannt werden. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass für Sie immer noch die zumutbare Möglichkeit besteht, sich vom Militärdienst freizukaufen.
Wie sich aus den Länderinformationen zu Syrien ergibt, konnten bis 2020 Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021; vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 106 31 (Rechtsexperte 14.9.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden.
Auch Ihnen steht damit die Möglichkeit, sich von einem, wenn für Sie auch unwahrscheinlichen, Wehrdienst bei der syrischen Armee freizukaufen.
Auch geht aus den Länderberichten nicht hervor, dass jeder Mann, der eine Befreiungsgebühr geleistet hat, trotzdem mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zwangsweise zum Militärdienst eingezogen wird.
Auch kommt einer etwaigen Ablehnung der Zahlung einer Befreiungsgebühr durch einen wehrpflichtigen Syrer aus moralischen oder politischen Gründen, weil er das syrische Regime nicht unterstützen will, jedenfalls keine asylrelevante Bedeutung zu.
Auch Ihre befürchtete Einberufung zur sogenannten Selbstverteidigungspflicht im ANNES-Gebiet stellt sohin keine Änderung der Sachlage dar.
In den Gebieten der AANES besteht laut Länderberichten seit Juni 2019 eine Wehrpflicht. Diese Wehrpflicht trifft alle in dem Gebiet der AANES lebenden Menschen, egal welcher Ethnie sie angehören. Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) beschränkt.
Wie bereits oa ausgeführt, ist die Wehrpflicht grundsätzlich die Pflicht eines Staatsbürgers, für einen gewissen Zeitraum in den Streitkräften oder einer anderen Wehrformation seines Landes zu dienen.
Alleine aus dem Umstand, dass Sie nichts mit dem Militärdienst zu tun haben wollen, kann für die erkennende Behörde noch keine für Sie bestehende „asylrechtsrelevante“ Verfolgungsgefahr seitens der ANNES erkannt werden. Dieser Wunsch und diese Befürchtung sind für jeden Durchschnittsmenschen nachvollziehbar. Unabhängig von den in Syrien herrschenden Zuständen liegt ein militärischer Einsatz jedoch im Wesen einer Wehrpflicht. An einer (auch in Österreich herrschenden) Wehrpflicht kann abstrakt nichts Verwerfliches erkannt werden.
Aufgrund der Inhalte der Länderberichte und Anfragebeantwortungen steht fest, dass Rekruten normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen eingesetzt werden. Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch.
Sie dazu auch Anfragebeantwortung:
Laut RIC würden Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden (RIC, Juni 2020). Laut der syrisch-kurdischen Nachrichtenagentur North Press Agency (NPA) würden Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes dazu eingesetzt, Militärgebäude zu bewachen und würden an Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat (IS) teilnehmen (NPA, 23. Februar 2022). Die Interviewpartner·innen von DIS hätten übereinstimmend berichtet, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt würden (DIS, Juni 2022, S. 37; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 57; DIS, Juni 2022, S. 60; DIS, Juni 2022, S. 63; DIS, Juni 2022, S. 67; DIS, Juni 2022, S. 71) Der Universitätsprofessor habe 5/11 gegenüber DIS erklärt, dass der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht darin bestehe, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten. Die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit in den Städten eingesetzt (DIS, Juni 2022, S. 67). Der/die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe angegeben, dass die Aufgabe der Selbstverteidigungspflichtigen darin bestehe, das Sicherheitsvakuum in Nordostsyrien zu füllen. In städtischen Gebieten seien sie für die Bewachung der öffentlichen Gebäude und der AANES-Institutionen verantwortlich. Wehrpflichtige könnten auch an der Front eingesetzt werden, um professionelle Kräfte, die an vorderster Front kämpfen, zum Beispiel durch Logistik und Bewachung der eroberten Gebiete etc. zu unterstützen (DIS, Juni 2022, S. 57). Laut Aram Hanna, Sprecher der SDF, würden die Selbstverteidigungspflichtigen zum Schutz von befreiten Gebieten, nicht jedoch zum Kampf in selbigen, eingesetzt (DIS, Juni 2022, S. 37-38). Laut Wladimir von Wilgenburg sei es die Hauptaufgabe von Wehrpflichtigen, Versorgungswege im Hintergrund zu schützen (DIS, Juni 2022, S. 71). Zwei lokale Bewohner hätten gegenüber DIS erklärt, dass es als Rekruten der Selbstverteidigungspflicht ihre Aufgabe gewesen sei, die Straße zwischen dem Al-Omar-Ölfeld und dem Al-Tanak-Ölfeld in der Provinz Deir Ezzour zu schützen und zu sichern. Andere hätten die drei Hauptstaudämme in Syrien, die sich in den von der AANES kontrollierten Gebieten befinden, geschützt (DIS, Juni 2022, S. 63). Drei der Interviewpartner·innen hätten gegenüber DIS angegeben, dass die Wehrpflichtigen dafür eingesetzt würden, Checkpoints zu sichern (DIS, Juni 2022, S. 43; DIS, Juni 2022, S. 46; DIS, Juni 2022, S. 71). Laut Fabrice Balanche gebe es Fälle, bei denen Rekruten an Checkpoints getötet worden seien (DIS, Juni 2022, S. 43). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group würden Wehrpflichtige meist in ihren eigenen Provinzen eingesetzt. Araber hätten sich darüber beschwert, dass die Provinzen, in denen sie dienen, weniger sicher seien, da es dort mehr IS-Angriffe gebe als in anderen Gebieten Nordostsyriens (DIS, Juni 2022, S. 46). Der Journalist und Autor habe angemerkt, dass es angesichts der Tatsache, dass es sich beim Selbstverteidigungsdienst um einen Militärdienst handle, möglich sei, dass Militärkommandanten entscheiden würden, Rekruten auch für Kämpfe einzusetzen (DIS, Juni 2022, S. 49-50). Auch der syrisch-kurdische Journalist habe angegeben, dass Wehrpflichtige der Selbstverteidigungspflicht in Konfliktzeiten zum Kampf eingesetzt werden könnten (DIS, Juni 2022, S. 60). Laut des politischen Analysten sowie dem/r Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan sei es möglich, dass Wehrpflichtige freiwillig kämpfen würden (DIS, Juni 2022, S. 53; DIS, Juni 2022, S. 57). Die drei lokalen Bewohner hätten angegeben, dass es Situation gegeben habe, in denen die Behörden die Selbstverteidigungskräfte für Kämpfe eingesetzt hätten, wie zum Beispiel während der Operation in Raqqa im Jahr 2017 und beim Gefängnisaufstand in Hasaka im Jänner 2022 (DIS, Juni 2022, S. 63). Fabrice Balanche merkte in seiner E-Mail-Auskunft an ACCORD an, dass es im Gebiet der AANES seit Oktober 2019 keine aktive Front mehr gebe. Wehrpflichtige würden nicht an die Front geschickt. Sie könnten jedoch durch Terroranschläge hinter der Frontlinie getötet werden. Es gebe gefährliche Gebiete, wie beispielsweise südöstlich der Provinz Deir Ezzour und Wehrpflichtige würden regelmäßig bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet (Balanche, 9. August 2023). Auch der kontaktierte Syrienexperte gab in seiner E-Mail an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt würden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich 6/11 durch eingefrorene Frontlinien und einem Konflikt von geringer Intensität aus (Syrienexperte, 15. August 2023)
Aufgrund der Inhalte der Länderfeststellungen und einer Anfragebeantwortung kann ausgeschlossen werden, dass eine oppositionellen Gesinnung aufgrund einer Wehrdienstverweigerung angenommen wird.
Siehe dazu:
Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern (als Gegner/ Oppositionelle)
Es konnten online keine Informationen über die Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern, gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, AANES, Rojava, Selbstverteidigungsdienst, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungskräfte, verweigern, weglaufen, verstecken, Wahrnehmung, Probleme, Gegner, Oppositionelle, Anfeindung, Gesellschaft, Araber, Kurden, Stämme, Behörden Fabrice Balanche schreibt in seiner E-Mail an ACCORD, dass Kurden Arabern im Allgemeinen nicht vertrauen und annehmen würden, dass sie gegen die AANES seien. Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, würden nicht als Terroristen wahrgenommen, sondern eher als Feiglinge und Gegner der AANES. Die Kurden seien pragmatisch und es sei ihnen lieber, Araber, die den Dienst verweigern, nicht in der Armee zu sehen, weil sie sich unter Umständen als Verräter entpuppen könnten (Balanche, 9. August 2023). Laut dem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden Araber, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern würden, als Gegner der kurdischen Hegemonie im Nordosten Syriens wahrgenommen (Syrienexperte, 15. August 2023).
Situation von Arabern
Ein Universitätsprofessor in Erbil habe gegenüber DIS im Jänner 2022 ausgesagt, dass er davon ausgehe, dass Araber, die sich dem Dienst in den Selbstverteidigungskräften entzogen hätten, nicht im gleichen Ausmaß zum Beitritt gezwungen würden wie Kurden (DIS, Juni 2022, S. 66). Fabrice Balanche erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom August 2023, dass Araber und Kurden, die keinen Selbstverteidigungsdienst leisten, vor dem Gesetz gleichbehandelt würden. Es gebe eine Verhaftung und Zwangsbeitritt in die Selbstverteidigungskräfte. Laut Balanche zeige man in der AANES jedoch mehr Flexibilität gegenüber Arabern, um einen Aufstand zu 4/11 vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken (Balanche, 9. August 2023). Laut dem Syrienexperten seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF [Syrian Democratic Forces, Demokratische Kräfte Syriens] kontrollierten Gebiete würden unter derselben Art von Kontrolle stehen. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir Ezzour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz Hasaka durchzusetzen (Syrienexperte, 15. August 2023)
Ebenso wenig kann aus den Länderfeststellungen entnommen werden, dass gleichsam jedem Flüchtling, der aus Europa nach Syrien zurückkehrt, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird. In Ihrem Fall ist daher festzuhalten, dass keine wie auch immer geartete gefährdungserhöhende Umstände ersichtlich sind, die in Ihrer Person gelegen sind, sodass die Annahme, dass Ihnen im Falle einer Rückkehr eine missliebige politische Gesinnung unterstellt werden würde, nichtzutreffend ist, und jedenfalls keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden kann, dass Ihnen im Falle der Rückkehr aus asylrechtlich relevanten Motiven Verfolgung drohen könnte.
Auch bestehen hinsichtlich Ihrer Wehrdienstverweigerung auch keine Befürchtungen als oppositionell angesehen zu werden.
Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt Syrien der Staatendokumentation vom März 2024 geht insbesondere aus dessen Kapitel 9 „Wehrdienst und Rekrutierungen“ und dem Unterkapitel 9.4. „Wehrdienstverweigerung / Desertion“ keine maßgeblich andere Lageinformation hervor als aus jener Version des Länderinformationsblattes, die u.a. auch von den deutschen Gerichten als Erkenntnisquelle genutzt wurde. Die im aktuellen Länderinformationsblatt unter der Überschrift „Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern“ dokumentierten Informationen stützen weiterhin die plausible Annahme, dass es hinsichtlich Wehrdienstverweigerer nicht grundsätzlich zu einer Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung durch die syrische Regierung bei der Setzung von Strafverfolgungs- oder Bestrafungshandlungen wegen eines verweigerten Wehrdiensts kommt. So sind etwa die Ausführung in früheren Versionen des Länderinformationsblattes (vgl. noch Version 8 vom Dezember 2022) in Unterkapitel 9.4 „Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).“ in der nunmehr aktuellen Version 10 des Länderinformationsblattes nicht mehr enthalten. Auch sind die Meinungen zur Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern danach uneinheitlich. Die Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ist auch laut Syrien-Experten Fabrice Balanche uneinheitlich, weil das Regime mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen könne und sie daher besser außer Landes sehen wolle. Inoffiziell könnten sie aber als Verräter gesehen werden, da sie sich ins Ausland gerettet hätten, statt ihr Land zu verteidigen. Wehrdienstverweigerung wird laut Balanche aber nicht unbedingt als oppositionsnahe Gesinnung oder Handlung angesehen, da sich das syrische Regime der Tatsache bewusst sei, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach, um nicht zu sterben. Daher habe das Regime, wie erwähnt, die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Auch vor dem Hintergrund dieser Informationslage ist es für die erkennende Behörde nicht ersichtlich, warum eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit bestehen sollte, dass das syrische Regime - selbst bei Herkunft aus einer ehemals oppositionellen Region - eine politische oder oppositionelle Gesinnung unterstellen sollte.
Es wird nochmals explizit auf die Möglichkeit für wehrpflichtige Syrer, eine Befreiungsgebühr vom Wehrdienst zu bezahlen, verwiesen, die unterstreicht, dass das syrische Regime dem normalen Wehrdienstverweigerer bzw. -entzieher durch Ausreise und Aufenthalt im Ausland im Allgemeinen keine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Angesichts des in den Länderinformationen umfangreich dokumentierten unerbittlichen Vorgehens des syrischen Regimes gegenüber Personen, die vom Regime tatsächlich als oppositionell angesehen werden, wäre es nicht nachvollziehbar, dass das syrische Regime diese Möglichkeit einem als oppositionell erachteten Personenkreis einräumen sollte.
Auch eine Verfolgung aufgrund illegaler Ausreise ist nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit gegeben. Laut Rechtsprechung des VwGH, und laut den aktuellen Länderberichten, ergibt sich nicht, dass jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird.
Auch wird nochmals darauf hingewiesen, dass Sie zum Zeitpunkt der Ausreise aus Syrien minderjährig waren und es dahingehend unwahrscheinlich ist, dass Ihnen persönlich aufgrund der Ausreise eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird.
Wie in den Länderinformationen, im Speziellen im EASO-Bericht Syrien: Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, näher ausgeführt (siehe insb. S 18 f.; siehe auch ausführlich Country Guidance: Syria, November 2021, S. 52 ff.), hatte im Übrigen auch eine illegale Ausreise aus Syrien nur früher eine Haftstrafe und/oder eine Geldbuße zur Folge. Im Jahr 2019 wurden derartige Strafen aufgehoben. Eine illegale Ausreise zieht zwar ein förmliches Verfahren vor der Rückkehr nach Syrien nach sich. Allein daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung droht. Dem Bericht des Danish Immigration Services aus dem Mai 2022 ist ebenso zu entnehmen, dass die Tatsache, einen Asylantrag gestellt zu haben, alleine nicht zu Misshandlungen führe. Vielmehr sei dem syrischen Regime bewusst, dass Syrer auch deshalb im Ausland um Asyl ansuchen, weil dies die einzige Möglichkeit ist, im Ausland einen legalen Status zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist unter anderem auch festzuhalten, dass etwaige Asylantragstellungen den syrischen Behörden grundsätzlich nicht bekannt werden, da es den österreichischen Behörden verboten ist, entsprechende Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben.
Weiters gibt es keine Hinweise darauf, dass Sie oder jemand aus Ihrer Familie an (exil)politischen gegen das Regime gerichteten Aktivitäten, wie z.B. Demonstrationen innerhalb oder außerhalb Ihres Landes teilgenommen hätte oder auch nur eine derartige regimekritische Gesinnung haben bzw. öffentlich kundgetan hätten.
Die Begründung des neuerlichen Asylantrages ist aufgrund des vorliegenden Ermittlungsergebnisses zur Gänze nicht asylrelevant und reicht nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Für das Bundesamt weisen die von Ihnen neu vorgebrachten Gründe keinen asylrelevanten Kern auf.
Es ist festzuhalten, dass im Hinblick auf Ihre vorgebrachten Fluchtgründe kein glaubhafter geänderter Sachverhalt dargestellt wurde, weswegen sich zum jetzigen Zeitpunkt auch hinsichtlich der im Vorverfahren getroffenen Feststellung keine Änderung ergeben hat.
Das Bundesamt kommt somit zu der Erkenntnis, dass Sie keinen glaubhaften und neu entstandenen Sachverhalt vorgebracht haben, welcher nach Abschluss Ihres vorherigen Asylverfahrens entstanden wäre.
Auch konnte bei Ihnen keine pazifistische Grundhaltung festgestellt werden, noch eine Weigerung zum Wehrdienst aus Gewissensgründen.
Ihre Aussage im Zuge Ihrer Vernehmung vom 23.07.2021, dass Sie Angst davor haben, zu kämpfen und sich nicht vorstellen können, wie man kämpft, ist Ihrem damaligen jungen Alter zuzuschreiben.
Im Zuge Ihrer Vernehmung vor dem BFA am 11.08.2023 gaben Sie lediglich an, dass Sie sich nicht am Krieg beteiligen wollen, da Sie jung sind und noch leben und arbeiten wollen.
Auch ist der Grund für Ihre Stellung eines Folgeantrag und den Wahrheitsgehalt Ihrer Aussage, im Lichte Ihrer Aussage betrachtet, dass Ihnen gesagt wurde, dass Ihr Asylverfahren negativ entschieden wurde und es Ihnen im Grunde aber egal sei ob Sie 1 Jahr oder 3 Jahre bekommen (Anmerkung: umgangssprachlich für subsidiärer Schutz = 1 Jahr und asylberechtigt = 3 Jahre), Sie wollen nur hier bleiben und Ihre Familie nachholen, zu hinterfragen.
Mit oa Ausführungen wurde auch den Inhalten der dem BFA übermittelten Stellungnahmen Ihrer Vertreter entgegengetreten.“
2. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den vorgelegten Verwaltungsverfahrensakt des BFA und den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.
2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers (oben 1.1)
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Herkunft und Familie in Syrien ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Diese Feststellungen wurden auch bereits im Wesentlichen im rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.08.2022, W144 2250011-1/11E getroffen.
Das Alter des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem von ihm vorgebrachten Geburtsdatum und den Feststellungen des BFA im angefochtenen Bescheid, wonach die Identität des Beschwerdeführers feststeht. (BFA Bescheid 22.03.2024 S 19)
Der festgestellte gegenwärtige Aufenthaltsstatus ergibt sich aus den rechtskräftigen Spruchpunkten II und III des im Verfahren zum ersten Antrag auf internationalen Schutz erlassenen Bescheides des BFA vom 16.11.2021, Zahl 1274950106/210250759, in Zusammenschau mit den dazu korrespondierenden Eintragungen im Zentralen Fremdenregister (IZR).
2.2 Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 21.02.2021 (oben 1.2) Die Feststellungen zum ersten Antrag auf internationalen Schutz (oben 1.1) ergeben sich aus dem dazu geführten Verwaltungsakt des BFA und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, welche die dazu geführten Niederschriften und Entscheidungen beinhalten.
2.3 Die Feststellungen zum gegenständlichen Folgeantrag (oben 1.3)
Die Feststellungen zum gegenständlichen Folgeantrag (oben 1.2), beruhen auf den dazu geführten Befragungen, Stellungnahmen und Einvernahmen des Beschwerdeführers und dem angefochtenen Bescheid, welche im vorgelegten Verwaltungsakt des BFA enthalten sind.
In seiner Stellungnahme vom 09.05.2023 wurde vorgebracht, dass für den Beschwerdeführer aus Gewissensgründe die Teilnahme an keinem dieser Wehrdienste in Frage komme; er durch die ihm drohende Rekrutierung für die syrische Armee an Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilnehmen und er könnte sich einer solchen Teilnahme nicht entziehen. Dieses Vorbringen wurde vom BFA nicht für unglaubhaft erachtet.
2.4 Zur Begründung des angefochtenen Bescheides vom 22.03.2024 (oben 1.4)
Die Feststellung zur Begründung des BFA im angefochtenen Bescheides ergibt sich im hier dargestellten Umfang aus dessen Inhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zur Stattgabe der Beschwerde und ersatzlosen Behebung des bekämpften Bescheides § 28 Abs 2 iVm § 68 Abs 1 AVG)
3.1 Das gegenständlich zu beurteilende Verfahren ist als Verfahren über einen Folgeantrag zu qualifizieren, da ihm ein Antrag zugrunde liegt, der nach einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag gestellt wurde (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG). Das Bundesverwaltungsgericht hat gegenständlich ausschließlich zu prüfen, ob der Folgeantrag vom BFA zu Recht als unzulässig zurückgewiesen wurde. Sache des Beschwerdeverfahrens ist damit lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung.
Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall ist dies das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.08.2022, W144 2250011-1/11E, welches der damaligen Vertretung postalisch am 05.08.2022 zugestellt und damit rechtskräftig wurde.
Zum gegenständlichen Verfahren
3.2 Vorweg ist darauf zu verweisen, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt "entschiedene Sache" vorgenommenen Antragszurückweisung jener der Erlassung des behördlichen Bescheides ist und für diese Prüfung jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind, im vorliegenden Fall somit der 10.04.2024. Änderungen und Ereignisse, die – wie etwa die jüngsten Ereignisse in Syrien mit dem Fall des syrischen Assad-Regimes – nach Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides eingetreten sind, haben dabei außer Betracht zu bleiben.
Im Verfahren zum ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer zum damaligen Entscheidungszeitpunkt 15 Jahre alt gewesen sei, dieser sich nicht im wehrdienstfähigen Alter befinde und daher keine aktuelle Gefahr bestehe, zum Dienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht stellte auch fest, dass dem damals 15-jährigen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung von Seiten der kurdischen Streitkräfte drohe.
Zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides befand sich der Beschwerdeführer im Alter von 17 Jahren und 7 Monaten. Ausgehend von diesem Alter und den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid ist nunmehr – anders als im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im vorangegangene Verfahren – nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine mögliche (Zwangs-)Rekrutierung ab Erreichen des 18. Lebensjahres durch die Kurden sowie die allfällige Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes in der syrischen Armee als reale Verfolgungsgefahr nicht auszuschließen. (siehe VfGH 10.06.2024, E 546/2024; 28.11.2023, E 1106/2023; 28.11.2023, E 46/2023; 27.11.2023, E 2533/2023) Damit enthält das Vorbringen des Beschwerdeführers jedenfalls einen „glaubhaften Kern“, der eine wesentliche Sachverhaltsänderung darstellt und dem für die Entscheidung Relevanz zukommt.
Zudem hat der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 09.05.2023 vorgebracht, dass für ihn aus Gewissensgründe die Teilnahme an keinem dieser Wehrdienste in Frage komme, er durch die ihm drohende Rekrutierung für die syrische Armee an Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilnehmen und er könnte sich einer solchen Teilnahme nicht entziehen. Er hat damit eine politische Überzeugung iSd Artikel 10 Abs 1 lit e der Richtlinie 2011/95/EU artikuliert. Dieses Vorbringen wurde vom BFA nicht für unglaubhaft erachtet.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155; Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 68, Rz 26 mit Judikaturnachweisen; vlg iZm auch VwGH 05.05.2015, Ra 2014/22/0115: „Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste“; oder etwa in Bezug auf die Änderung der allgemeinen Lage VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221).
Die Sache verliert ihre Identität, wenn in den entscheidungsrelevanten Fakten bzw in den die Entscheidung tragenden Normen wesentliche, das heißt die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ermöglichende oder gebietende Änderungen eintreten. Dabei ist das Wesen der Sachverhaltsänderung nicht nach der objektiven Rechtslage, sondern nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen rechtskräftigen Entscheidung erfahren hat. (vgl VwGH 21.06.2007 2006/10/0093)
Unter der Zugrundelegung dieser Judikatur ist daher im vorliegenden Fall des Beschwerdeführers eine die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides ermöglichende Änderung eingetreten, zumal ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vorliegt, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr dem Antrag stattgegeben werden müsste.
3.3 Der Beschwerde wird daher stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird spruchgemäß ersatzlos aufgehoben.
Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag hätte demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).
3.4 Für das vom BFA in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der Behörde – unter Beachtung der höchstgerichtlichen Judikatur neuerlich, nämlich meritorisch – in der Sache – abzusprechen ist. Das BFA wird im fortzusetzenden Verfahren das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete Parteivorbringen – im gegenständlichen Fall somit die Beschwerdeausführungen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass getätigte Angaben ergänzt bzw vervollständigt werden.
3.5 Eine zurückweisende Entscheidung wegen entschiedener Sache kommt im vorliegenden Fall nicht mehr in Betracht.
Entfall der mündlichen Verhandlung
3.6 Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu B)
Revision
3.7 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.
3.8 Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.