Spruch
W144 2250011-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des mj. XXXX geb., StA. von Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.06.2022, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der 15-jährige Beschwerdeführer (BF), ein männlicher Staatsangehöriger von Syrien, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seinen eigenen Angaben bei der Erstbefragung zufolge habe er vor sieben Monaten (sohin Mitte Juli 2020) seinen Herkunftsstaat illegal verlassen und sich über die Türkei, Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich begeben, wo er am 21.02.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:
Im Verlauf seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die Landespolizeidirektion Burgenland vom 22.02.2021, gab BF neben seinen Angaben zum Reiseweg im Wesentlichen an, dass er sieben Jahre die Grundschule besucht habe und zuletzt als Arbeiter tätig gewesen sei. Seine Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder würden sich im Herkunftsland oder einem anderen Drittstaat aufhalten. Er sei in „ XXXX “ geboren und habe in Syrien in „ XXXX “ gewohnt. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, er habe sein Heimatland wegen des Krieges verlassen. Die kurdische Partei habe seinen Bruder und ihn rekrutieren wollen, sie hätten aber nicht für sie kämpfen wollen. Seine Eltern hätten sich entschlossen, dass er das Land verlasse, um eine Familienzusammenführung in Österreich organisieren zu können. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst vor der kurdischen Partei.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 23.07.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte der BF einen Personenregisterauszug in Vorlage und gab im Beisein seiner gesetzlichen Vertretung im Wesentlichen an, er sei gesund, sei in „ XXXX “ geboren und komme aus „ XXXX Er habe dort mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern in einer Wohnung gelebt. Seine Familie wohne jetzt noch in „ XXXX “, aber in einem anderen Bezirk, nämlich in XXXX . Er habe einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt, weil es keine Zukunft in seinem Land gebe und die Lage sehr schlecht sei. Es würden dort Kinder entführt werden und es gebe keine regelmäßige Schule. In Syrien sei auch alles sehr teuer und er habe dort keine Zukunft. Sie hätten aus der Nachbarschaft gehört, dass Burschen und Mädchen entführt werden würden, er selbst sei persönlich von keinen Vorkommnissen betroffen gewesen, sondern er habe nur von solchen Entführungen gehört. Die Frage, ob der BF jemals persönlich in Syrien von Übergriffen oder Bedrohungen betroffen gewesen sei, wurde von ihm verneint. Befragt nach den bei der Erstbefragung erwähnten Rekrutierungsversuchen seitens der kurdischen Partei führte der BF aus: „Ich hatte damals bei der Erstbefragung Angst, wieder zurückgeschickt zu werden. Deshalb habe ich das gesagt. Es stimmt aber schon, dass Leute rekrutiert werden, wobei ihnen Geld und Verpflegung versprochen wird. (…)“. Zu ihnen nach Hause sei keiner gekommen. Wenn man 17, 18 Jahre alt sei, könne es aber schon passieren, dass jemand komme. Er habe Angst davor zu kämpfen, wolle es nicht und wolle keine Waffen tragen.
Mit Schreiben vom 27.07.2021 übermittelte die gesetzliche Vertretung des BF eine Stellungnahme zu den Länderberichten, der Unterlagen der Familie des BF angeschlossen waren und worin im Wesentlichen vorgebracht wurde, der BF sei in Syrien wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder und im Speziellen der von Entführung und Zwangsrekrutierung betroffenen Kindern bzw. von Kindern, welche keinen Zugang zur Schule haben, Verfolgung ausgesetzt. Laut UNHCR-Richtlinien würden Kinder unter eine Reihe von Risikoprofilen fallen. Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD zur Zwangsrekrutierung von Minderjährigen gehe deutlich hervor, dass es zu Zwangsrekrutierungen von minderjährigen Kindern in der Heimatprovinz des BF komme, sodass dem BF die reale Gefahr der Zwangsrekrutierung bzw. die Entführung zum Einsatz im bewaffneten Kampf drohe. Es sei ihm daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Mit Bescheid vom 16.11.2021 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde zusammengefasst zu Spruchpunkt I. ausgeführt, der BF sei zu keinem Zeitpunkt Übergriffen durch militante oder kriminelle Gruppierungen ausgesetzt gewesen und es seien auch keine Anhaltspunkte für eine mögliche Rekrutierung bzw. Entführung festzustellen gewesen. Weder aus seinem Vorbringen noch aus internationalen Länderberichten hätten sich hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung ergeben, sodass kein unter die GFK zu subsumierender Sachverhalt ableitbar wäre. Zu Spruchpunkt II. wurde erwogen, dass aufgrund der gegenwärtigen Lage nicht mit der geforderten Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass der BF im Falle einer Rückkehr real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, worin im Wesentlichen geltend gemacht wurde, dass das BFA die Minderjährigkeit im Rahmen seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigt habe. Der BF gehöre einer Familie von Wehrdienstverweigerern an, weil beide Cousins in Österreich aufgrund ihrer Wehrdienstverweigerung asylberechtigt seien, der Vater des BF sich weigere, sich an einem völkerrechtswidrigen Konflikt zu beteiligen, und der gesamten Familie eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Im Fall einer hypothetischen Rückkehr würde der BF am Flughafen in Damaskus vom Regime verhaftet werden, bis seine Cousins bzw. gegebenenfalls sein Vater sich stellen würden, und der gesamte männliche Teil der Familie würde aufgrund der durch ihre Wehrdienstverweigerung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Regimes zumindest gefoltert und misshandelt werden. Das BFA habe sich darüber hinaus nicht mit der vorgebrachten Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch oppositionelle Gruppierungen auseinandergesetzt und die aktuelle ACCORD-Anfragebeantwortung „Provinz Al-Hasaka: Zwangsrekrutierung von 16-jährigen Arabern (Sunniten) durch die syrische Armee oder kurdische Kräfte“ nicht berücksichtigt. Auch gehe die belangte Behörde mit keinem Wort auf die illegale Ausreise des BF ein, obwohl Berichte zeigen würden, dass dem BF alleine bereits aufgrund seiner Ausreise und Flucht ins Ausland sowie seiner Herkunft aus einem oppositionellen Gebiet bei einer Rückkehr nach Syrien Inhaftierung, Entführung, Folter und sexuelle Gewalt drohen würden und ihm eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht aus Syrien unterstellt werden würde. Da der BF mehrere von UNHCR klassifizierte Risikoprofile erfülle und ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative offen stünde, würden im Hinblick auf eine Verfolgung durch das syrische Regime und die kurdischen Milizen die Konventionsgründe der unterstellten politischen Gesinnung bzw. Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung betroffenen Kinder vorliegen, weshalb ihm internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG gewährt hätte werden müssen.
Am 28.06.2022 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der BF eine ACCORD-Anfragebeantwortung über die Zwangsrekrutierung Minderjähriger insbesondere im Alter von 14 bis 16 Jahren vom 31.01.2022 in Vorlage brachte und in welcher er in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung zu seinen Familienangehörigen in Syrien, zu seinen Fluchtgründen und zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: 1. Feststellungen:
1.1. Der 15-jährige BF ist ein Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Am 21.02.2021 stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des BFA vom 16.11.2021 wurde ihm in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Der BF wurde in Syrien geboren und lebte mit seiner Familie in XXXX im Gouvernement Al-Hasaka. Die Eltern, zwei Schwestern und der 17-jährige Bruder des BF leben in XXXX . Die Stadt XXXX befindet sich in dem von der kurdisch geführten SDF kontrollierten Gebiet, einige Teile der Stadt werden vom syrischen Regime kontrolliert.
Der BF verließ seinen Herkunftsstaat Mitte Juli 2020 im Alter von dreizehn Jahren, weil ihm dies von seinen Eltern aufgetragen wurde. Er befindet sich aktuell nicht im wehrpflichtigen Alter und war in Syrien nicht einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt. Im Falle einer Rückkehr in ein vom syrischen Regime kontrolliertes Gebiet besteht keine aktuelle Gefahr, zum Dienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der BF seitens kurdischer Streitkräfte zwangsrekrutiert werden würden.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass der BF im Falle einer Rückkehr seitens des syrischen Regimes als politisch missliebige Person angesehen und verfolgt werden würde.
1.2. Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Syrien wird Folgendes festgestellt:
Politische Lage
Letzte Änderung: 08.04.2022
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019).
Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba’athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Obwohl das Regime oft als alawitisch und als Beschützer anderer religiöser Minderheiten bezeichnet wird, stellt die Regierung kein wirkliches Instrument für die politischen Interessen der Minderheiten dar (FH 3.4.2020).
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baʿath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen („Shabiha“). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baʿath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungsgremien und Vereinigungen der Bevölkerung wie Arbeiter- und Frauenorganisationen hat (USDOS 30.3.2021). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernst zu nehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten (FH 4.3.2020). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.11.2021).
Ausländische Akteure wie Russland, der Iran und die libanesische schiitische Miliz Hizbullah
üben aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg und ihrer materiellen Unterstützung für die Regierung ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus (FH 4.3.2020).
Zu den Machtverhältnissen in den Gebieten außerhalb der Regimekontrolle siehe die jeweiligen Abschnitte im Kapitel Sicherheitslage.
(…)
Gebietskontrolle
Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran
unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des
Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und „terroristische“ Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). [Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel „Sicherheitslage“.] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).
Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib (BS 29.4.2020). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). - Für mehr Informationen siehe insbesondere Unterkapitel „Nordwest-Syrien“ im Kapitel „Sicherheitslage“.
Der sogenannte Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).
Nordost-Syrien
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine „zweite Front“ in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baʿath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen „Rojava“ bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS
4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird mittlerweile von der Türkei und von mit ihr alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020). - Siehe dazu auch die Karten zum aktuellen Frontverlauf in den Unterkapiteln „Nordwest-Syrien“ sowie „Sicherheitslage“ im Kapitel Sicherheitslage.
Der militärische Arm der PYD, die YPG, ist die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet „belohnt“ zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 30.3.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert (ÖB 1.10.2021). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, weil die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019). - Siehe dazu auch die Karten mit den aktuellen Regimepositionen im Nordosten in den Abschnitten„Nordost-Syrien“sowie „Sicherheitslage“ im Kapitel Sicherheitslage.
Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a).
Die PYD hat zwar eine Reihe von Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader integriert sind. Obwohl es Lippenbekenntnisse zur Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deirez-Zourgibt, ist die Dominanz der PYDbei der Entscheidungsfindung offensichtlich (BS 29.4.2020). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD ist weniger gewalttätig in ihrer Repression, übt aber eine strikte Kontrolle in ihrem Einflussbereich aus (BS 23.2.2022).Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen
und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP (Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak) nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.] gilt nämlich als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018a).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 18.8.2020
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Savelsberg, Eva: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017). In STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2018): Die Kurden im Irak und in Syrien nach dem Ende der Territorialherrschaft des "Islamischen Staates", https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S11_srt.pdf, Zugriff 18.8.2020
TWP - The Washington Post (22.7.2020): Syria’s elections have always been fixed. This time, even candidates are complaining., https://www.washingtonpost.com/world/middle_east/syrias-elections-have-always-been-fixed-this-time-even-candidates-are-complaining/2020/07/22/76e0bb12-cb5f-11ea-99b0-8426e26d203b_story.html, Zugriff 18.8.2020
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USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 08.04.2022
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.).
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Dynamiken, wie durch die letzte türkischen Offensive im
Nordosten ausgelöst, verlässliche grundsätzliche Aussagen respektive die Einschätzung von
Trends schwierig machen. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien mit
Stand 10.3.2022:
Quelle: Liveuamap 10.3.2022
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der „wichtigsten“ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten des Irans bzw. durch Iran unterstützte Milizen einschließlich Hisbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Das Kampfgeschehen konzentriert sich insbesondere auf den Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Lattakia, Hama und Aleppo) sowie im Berichtszeitraum auch auf den Südwesten des Landes (Gouvernement Dara’a). (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) jedoch Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Türkische Militäroperationen gegen die PKK umfassten auch gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze. Am 2.2.2022 fand eine Luftwaffenoperation mit simultanen Angriffen auf die syrische Stadt Derik sowie die Gebiete Sinjar und Makhmour im Irak statt (ICG 2.2022). Die folgende Karte zeigt auch die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessensschwerpunkte in Syrien:
Quelle: Zenith 11.2.2022
Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien
(ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung lebt in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF), punktuell auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse
mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren
(AA 29.11.2021).
Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen,
die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Milllionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen des Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Die Konfliktintensität hat weiter abgenommen; die Sicherheitslage stellt sich jedoch nach wie vor volatil und instabil dar. Dies trifft auch auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete zu (ÖB 1.10.2021). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
In weiten Teilen des Landeseine besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der CoI gab es in Afrin und Ra’s al-’Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonieren und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS
(United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi starb mutmaßlich durch Selbstsprengung bei einem US-Angriff auf ihn in Syrien. Sein Nachfolger ist Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (DS 10.3.2022). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem
Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben auch im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere
der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt jedoch weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF. Deshalb zieht es der IS laut Fabrice Balanche vor, im Regimegebiet zu agieren. Der Schätzung des „Institute for the Study of War“ zufolge verfügt der IS über bis zu 15.000 Kämpfer in Syrien und dem Irak. Der Organisation gelingt es, eine neue Generation zu rekrutieren, die frustriert ist, ohne Hoffnung, ohne Zukunft und ohne Arbeit (Zenith 11.2.2022).
Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
Zum IS-Angriff vom 20.1.2022 in al-Hassakah siehe das Unterkapitel „Nordost-Syrien“ im Kapitel
„Sicherheitslage“.
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten wie auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von „Massakern“, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 1.1.2022):
Quelle: SNHR 1.1.2022
Laut Daten des Armed Conflict Location Event Data Project (ACLED) gab es im Jahr 2021 für die syrischen Provinzen folgende Zahlen an Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern:
(…)
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen.
Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).
Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung
des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein, gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OVCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten
Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8.4.2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte
die OVCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische
Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021).
Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021)
Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens, die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm
aufzuklären. Daher hat die Vertragsstaatenkonferenz des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) Syrien im April 2021 mit dem Entzug der Stimmrechte sanktioniert. Diese Entscheidung gilt bis zur Erfüllung verschiedener Auflagen, insbesondere der vollständigen Offenlegung von Chemiewaffenbeständen (AA 29.1.2021)
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
ACLED/ACCORD - Armed Conflict Location Event Data Project, zusammengestellt von ACCORD (25.3.2021): Syrien, Jahr 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050734/2020ySyria_en.pdf, Zugriff 21.6.2021
ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data https://acleddata.com/data-export-tool/, Zugriff 14.1.2022
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (29.6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf, Zugriff 9.10.2020
DS - Der Standard (10.3.2022): IS-Terrormiliz ernennt Abu Hassan zum neuen Anführer, https://www.derstandard.at/story/2000134011407/is-miliz-ernennt-abu-hassanneuen-anfuehrer, Zugriff 17.3.2022
DZ - Die Zeit (24.3.2019): Kurden warnen vor Wiederaufstieg des IS, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/syrien-islamischer-staat-terrormiliz-kalifat-wiederaufstieg, Zugriff 9.10.2020
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.3.2019): Sieg über Terrormiliz - Warum der IS weiter gefährlich bleibt, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-der-is-weiter-gefaehrlich-bleibt-16103411.html, Zugriff 9.10.2020
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.3.2019): Die letzte Schlacht gegen den „Islamischen Staat“ hat begonnen, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kurden-beginnen-angriff-auf-letzte-is-bastion-in-syrien-16082097.html, Zugriff 9.10.2020
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066477.html, Zugriff 1.3.2022
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ICG - International Crisis Group (o.D.): Syria, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/east-mediterranean-mena/syria, Zugriff 23.3.2022
KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Wörmer, Nils] (4.12.2018b): Assads afghanische Söldner, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/assads-afghanische-soldner,Zugriff 22.9.2020
Liveuamap - Live Universal Awareness Map [Karte] (10.3.2022): Map of Syrian Civil War, https://syria.liveuamap.com/en, Zugriff 10.3.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
Reuters (13.4.2016): Assad holds parliamentary election as Syrian peace talks resume, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-idUSKCN0XA2C5, Zugriff 9.10.2020
SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2022): 1,271 Civilians, Including 299 Children, 134 Women, and 104 Victims of Torture, Killed in Syria in 2021, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/1271_Civilians_Including_229_Children_134_Women_and_104_Victims_of_Torture_Killed_in_Syria_in_2021_en.pdf, Zugriff 7.1.2022
SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf, Zugriff 3.2.2021
SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2020): 3,364 Civilians Documented Killed in Syria in 2019, http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/3364_civilians_were_killed_in_Syria_in_2019_en.pdf, Zugriff 10.2.2020
UNHRC - United Nations Human Rights Council (14.9.2021): UN Syria Commission: Increasing violence and fighting add to Syria’s woes, making it unsafe for return, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/NewsDetail.aspx?NewsID=27456 LangID=E, Zugriff 1.10.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Zenith (11.2.2022): »Der IS rekrutiert eine neue Generation von Kämpfern«, https://magazin.zenith.me/de/politik/interview-mit-syrien-experte-fabrice-balanche-%C3%BCber-den-die-kurden-und-syrien, Zugriff 9.3.2022
„Versöhnungsabkommen“
Letzte Änderung: 22.04.2022
Die sogenannten „Versöhnungsabkommen“ sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung, während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese „Versöhnungsvereinbarungen“ sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den „Versöhnungsprozess“ als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 6.2021). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vgl. ÖB 1.10.2021).
Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen
bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen
gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara’a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 18.8.2020
EIP - European Institute of Peace (6.2019): Refugee return in Syria: Dangers, security risks and information scarcity, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018602/EIP+Report+-+Security+and+Refugee+Return+in+Syria+-+July.pdf, Zugriff 27.10.2020
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria June 2021, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/06/14/country-of-origin-information-report-syria-june-2021/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 21.9.2021
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
STDOK - Staatendokumentation of the BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Bericht Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Nordwest-Syrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Auf diesem Kartenausschnitt sind die Machtverhältnisse in Nordwest-Syrien eingezeichnet:
Quelle: Zenith 11.2.2022
Im Nordwesten Syriens gilt das Gebiet Idlib, das Teile des Gouvernements Idlib, Nord-Hama, Nord-Lattakia und West-Aleppo umfasst, als letzte verbleibende Hochburg der bewaffneten regierungsfeindlichen
Gruppen (BBC 18.2.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Idlib ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vgl. KAS 6.2020). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019).
Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front anzuschließen, heute als Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Anfang Januar 2019 drängte die jihadistische Allianz HTS die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Insbesondere ist HTS präsent, ehemals al-Nusra und affiliiert mit al-Qaida. Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB 1.10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara’a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020). Im Dezember 2021 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5 Autobahn (Liveuamap 10.3.2022; vgl. ISW 25.3.2021). Es wurde von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). HTS geht aktuell gegen den IS und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Jihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für EinwohnerInnen von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. HTS versucht demnachso, das Stigma der eigenen Vergangenheit sowie Spekulationen bezüglich des Umstandes, dass die letzten beiden IS-Anführer in Idlibzu Tode kamen, zu beseitigen (COAR 28.2.2022) Im Jahr 2019 eskalierte die Regierung von Syrien die Militäroperationen in Idlib, die in den ersten Monaten 2020 fortgesetzt wurden (USCRS 27.7.2020). Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts (AA 4.12.2020). Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation ’Spring Shield’ mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März 2020 vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht (AA 19.5.2020). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen (ÖB 1.10.2021). Die Offensive des syrischen Regimes auf das Gebiet von Idlib hatte eine hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung zur Folge (UNSC 28.2.2020). Mehr als eine Million Menschen wurden alleine zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 vertrieben, und es kam zu einer massiven humanitären Krise (UNOCHA 17.2.2020, vgl. OHCHR 18.2.2020). Ent lang der M4 und M5 Autobahnen kam es u.a zu täglichem Beschuss, periodischen Luftangriffen und internen Machtkämpfen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Der Beschuss betraf den Süden Idlibs. Luftangriffe erfolgten in von Zivilisten bewohnten Regionen in Nord-Idlib
(UNOCHA 26.2.2021, 26.1.2021, 6.3.2021).
Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar/Anfang März 2021 zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die türkische Verwaltung auf die besetzten Gebiete in Syrien aus und errichtet auch zivile Strukturen. In den letzten Wochen [Anm.: Stand September 2021] war eine Zunahme russischer Luftangriffe und Angriffe der syrischen Regierung auf Nordwest-Syrien (ÖB 1.10.2021) bzw. eine Intensivierung der Gewalt in der Deeskalationszone von Idlib festzustellen (UNSC 21.10.2021). Die Artillerieangriffe zielten immer wieder im Lauf von 2021 auch auf die zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ab (SN4HR 4.7.2021, 21.7.2021; vgl. HRW 8.12.2021, F24 7.3.2021). Im Herbst/Winter 2021 wurde ebenfalls von zivilen Opfern bei Kampfhandlungen in Nordwest-Syrien berichtet (MSF13.12.2021, HRW 8.12.2021, ACLED 27.10.2021, BAMF 25.10.2021, II 10.2021). Anfang Jänner 2022 führten die russischen Sicherheitskräfte in IdlibLuftangriffe durch, bei denen unter anderem eine Pumpstation getroffen wurde, welche die Stadt Idlib und angrenzende Dörfer mit Wasser versorgt (RFE/RL2.1.2022). Insgesamt nahmen die Gefechte, Luftschläge und Bombardierungen im vergangenen Jahr besonders im südlichen Idlib zu (BBC 15.3.2022)
Einem Untersuchungsbericht zu Vorgängen im ersten Halbjahr 2020 zufolge hat die Syrian National
Army (SNA) in Afrin und Umgebung möglicherweise Kriegsverbrechen, wie Geiselnahme, grausame Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. In der gleichen Region wurden zahlreiche Zivilisten durch große improvisierte Sprengsätze sowie bei Granaten- und Raketenangriffen getötet und verstümmelt. Plünderungen und die Aneignung von Privatland durch die SNA waren weit verbreitet, insbesondere in den kurdischen Gebieten (UNHRC 15.9.2020). Im Juli 2021 erlebten die Orte in Nordwest-Syrien und in den Gebieten Ra’s al-’Ayn and Tell Abyad die größte Eskalation seit Beginn des Waffenstillstands im März 2020. Durch Beschuss wurden im Juli 2021 mindestens 42 Zivilisten, davon sieben Frauen und 27 Kinder getötet und zumindest 89 Zivilisten (davon 15 Frauen und 36 Kinder) verletzt (UNOCHA 7.2021). In den Regionen Afrin und Ra’s al-’Ayn in Aleppo werden improvisierte Sprengsätze an Fahrzeugen (VBIEDs) häufig in frequentierten zivilen Gebieten wie Märkten und belebten Straßen gezündet. Bei sieben
derartigen Angriffen wurde die Tötung und Verstümmelung von mindestens 243 Frauen, Männern und Kindern dokumentiert - die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist jedoch wesentlich höher (UNHRC 14.9.2021).
Quellen:
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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Operation "Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten, ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).
Operation "Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der Operation "Olive Branch" die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Laut UN ist die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra's al-ʿAin und Tall Abyad schlecht - Gewalt und Kriminalität seien weit verbreitet (UN News 18.9.2020).
Operation "Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")
Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mit Hilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) komme (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB 1.10.2021).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Das Regime ist jedenfalls in allen größeren Städten im Nordosten präsent (AA 4.12.2020).
Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).
Siehe dazu auch das Unterkapitel "Nordost-Syrien" und "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".
Operation "Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")
Ab Ende Februar 2020 rückten die Regierungstruppen auch im Osten Idlibs vor, und die Frontlinien verschoben sich rasch. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Luftangriffe der Regierung und der regierungsnahen Kräfte im Nordwesten im Februar 2020 als "eines der höchsten Ausmaße seit Beginn des Konflikts [...] Zu den täglichen Zusammenstößen mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Zusammenstöße am Boden mit einer hohen Zahl von Opfern" (UNSC 23.4.2020). Die Offensive führte zu direkten Kämpfen zwischen Kräften der syrischen Regierung und türkischen Streitkräften, und bei einem Luftangriff der Regierungskräfte und Russlands auf einen türkischen Konvoi im Februar 2020 wurden in Idlib 33 türkische Soldaten getötet. Dies veranlasste die Türkei, die Operation "Spring Shield" einzuleiten, um die Offensive der syrischen Regierung im Gouvernement Idlib zu stoppen (CC 17.2.2021).
Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen. Obwohl die Türkei versucht hat, die Ordnung innerhalb der von ihr unterstützten oppositionellen Syrian National Army (SNA) aufrechtzuerhalten, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Zusammenstöße zwischen den Fraktionen der SNA finden oft aufgrund von Konkurrenz um Ressourcen und Einfluss statt (TCC 18.2.2021). In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG). Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB 1.10.2021).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
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DS - Der Standard (13.10.2019): Hunderte IS-Angehörige aus Lager im Norden Syriens geflohen, https://www.derstandard.at/story/2000109807141/usa-werfen-tuerkischer-armee-beschuss-von-us-truppen-in-syrien, Zugriff 12.10.2020
DS - Der Standard (20.1.2018): Erdogan: Bodenoffensive in Syrien hat "de facto" begonnen, https://derstandard.at/2000072656629/Tuerkische-Armee-attackierte-erneut-Kurden-Stellungen-in-Syrien?ref=rec, Zugriff 12.10.2020
DP - Die Presse (24.1.2018): Türkische Offensive in Syrien: 260 "Extremisten" getötet, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5359317/Tuerkische-Offensive-in-Syrien_260-Extremisten-getoetet, Zugriff 12.10.2020
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DZ - Die Zeit (23.1.2018): 5.000 Menschen auf der Flucht vor türkischer Offensive, http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/tuerkische-offensive-syrien-afrin-fluechtlinge-kurden/komplettansicht, Zugriff 12.10.2020
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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politk (1.1.2020): Repatriation to Turkey's "Safe Zone" in Northeast Syria, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020C01/, Zugriff 12.10.2020
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UNSC - United Nations Security Council (23.4.2020): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018), 2449 (2018) and 2504 (2020), https://undocs.org/S/2020/327, Zugriff 29.9.2021
Nordost-Syrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Mit Stand Ende Dezember 2021 befanden sich die Gouvernorate al-Hassakah und ar-Raqqa sowie Teile von Deir Ez-Zour nördlich des Flusses Euphrat und Teile des Gouvernements Aleppo um Manbij und Kobanê sowie das Gebiet um Tal Rifa'at unter der Kontrolle der kurdisch geführten SDF [Anm.: Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte] (Liveuamap 20.12.2021; vgl. EASO 7.2021). Die folgende Karte zeigt die Machtverhältnisse in der Region mit Stand 23.3.2022:
Liveuamap 23.3.2022
Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zu schaffen [Anm.: s. Abschnitt zu den türkischen Militäroperationen] (CMEC 2.10.2020). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 4.12.2020). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent. Russland weitete seine Präsenz aus (ÖB 1.10.2021). Die kurdischen, sogenannten "Selbstverteidigungseinheiten" (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation sog. Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen. Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Partei PYD (Democratic Union Party) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK (Kurdische Arbeiterpartei) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 4.12.2020). Siehe dazu auch die Karte von Februar 2022 von Zenith mit den militärischen Akteuren im Unterkapitel "Sicherheitslage".
Das militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2019 hat sich destabilisierend auf die in den vorangegangenen Jahren vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ausgewirkt (AA 4.12.2020). Die Türkei stützte sich bei der Militärinvasion auch auf Rebellengruppen, die in der Syrian National Army (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insb. auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB 1.10.2021). Nach wie vor kommt es trotz der am 22.10.2019 in Sotschi zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Waffenruhe immer wieder zu lokalen Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen am Rande der türkisch kontrollierten Zone zwischen pro-türkischen Milizen und Einheiten der SDF, insbesondere an den Rändern der türkisch kontrollierten Zone im Raum um Tal Tamar rund 30 km südlich von Ra's al-'Ayn sowie südlich von Tal Abyad (AA 4.12.2020; vgl. USDOD 4.11.2021). Von Tal Abyad und Ra's Al-'Ayn aus hält der Beschuss kurdischer Stellungen laut Fabrice Balanche an, ebenso die Angriffe im äußersten Nordosten der von den SDF gehaltenen Gebiete, nahe der Grenze zum Irak. Die Türkei will das Vertrauen in die Autonomieverwaltung in Nordost-Syrien zerstören. Die Offensive fordert bislang zwar nur wenige Todesopfer. Aber es geht der Türkei darum, Angst zu schüren, Menschen zur Flucht zu drängen und Investitionen zu blockieren. Vor vier Jahren war Kobane demnach noch eine dynamische Stadt, in welcher der Wiederaufbau lief. Die Menschen kamen aus Irakisch-Kurdistan zurück, weil es Arbeitsplätze gab. Jetzt ist Kobane laut Balanche eine sterbende Stadt. Wegen des türkischen Beschusses haben die Menschen Angst und fliehen. Die Türkei profitiert auch von der Destabilisierung durch IS-Angriffe (Zenith 11.2.2022).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen (AN 17.10.2021). Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen im Nordosten weiterhin ein großes Sicherheitsrisiko dar (AA 4.12.2020; siehe dazu auch weiter unten). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS gewesen (ICG 18.11.2021), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EASO 7.2021). Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt (ÖB 1.10.2021), jedoch setzten der IS und seine Schläferzellen 2021 ihre Angriffe in den von den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrollierten Gebieten fort und verübten mehrere Anschläge und Attentatsversuche (SOHR 26.12.2021).
Die SDF leiteten mit Unterstützung der internationalen Koalition gegen den IS regelmäßige Sicherheitskampagnen ein, die sich gegen IS-Zellen und Personen richteten, die beschuldigt wurden, "mit diesen Zellen zu verkehren" (SOHR 26.12.2021; vgl. USDOD 4.11.2021). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vgl. ICG 18.11.2021, COAR 28.5.2021) und Einrichtungen der Selbstverwaltung (COAR 28.5.2021). Es wurde auch von Angriffen auf Mitarbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zour berichtet (AM 29.12.2021). SOHR dokumentierte im Jahr 2021 [Anm.: bis zum 26.12.2021] neben 135 getöteten Angehörigen der SDF, Asayish [Anm.: die internen Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung], der YPG, YPJ und anderer von den SDF unterstützten militärischen Formationen auch 93 zivile Todesopfer bei IS-Anschlägen (SOHR 26.12.2021). Dem IS gelang es unterdessen, das arabische Viertel von al-Hassakah zu infiltrieren, und die dortige Bevölkerung meldete dies nicht der Polizei (Zenith 11.2.2022).
Am 20.1.2022 griffen Kämpfer des IS das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah an (ANI 26.1.2022). Im Sina'a-Gefängnis befanden sich geschätzte 3.500 inhaftierte IS-Kämpfer wie auch rund 700 Minderjährige, darunter 150 ausländische Staatsbürger, die von ihren Eltern in das selbsternannte Kalifat gebracht worden waren. Vertreter der SDF gaben an, dass IS-Kämpfer, die sich in einem Teil des Gefängnisses verschanzt hatten, Minderjährige als menschliche Schutzschilde verwendet hätten (NYT 25.1.2022). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer, die in den vergangenen Jahren administrative und militärische Positionen in den vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien innegehabt hatten (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022).
Der Angriff löste tödliche Zusammenstöße zwischen den SDF und den IS-Kämpfern aus. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Die Kämpfe zwischen der von den USA unterstützten kurdisch geführten Miliz und IS-Kämpfern weiteten sich auf Stadtteile rund um das Gefängnis im Nordosten Syriens aus. US-Truppen begannen am 24.1.2022, aus der Luft und auch am Boden einzugreifen. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; NYT 25.1.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. In den zehn Tagen andauernden Gefechten starben laut SDF über 500 Menschen, Dreiviertel davon IS-Kämpfer (TWP 24.2.2022). Die geflohenen BewohnerInnen durften danach zurückkehren, wobei es jedoch auch im Zuge der Kampfhandlungen und der Suche nach verschanzten IS-Kämpfern zu Zerstörungen von Privathäusern und Geschäften gekommen war (MPF 8.2.2022). Mit Stand 4.2.2022 war noch nicht bekannt, wieviele Insassen des Sina'a-Gefängnis - einschließlich der Minderjährigen - sich noch in Händen der SDF befanden (HRW 4.2.2022). Rund 550 mutmaßliche IS-Kämpfer waren von den SDF mit Stand 25.1.2022 wieder gefangen genommen worden (MEE 25.1.2022).
Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nützt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z.B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung (bezüglich IS) zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Der IS verübte zuletzt mehrere koordinierte und ausgeklügelte Anschläge in Syrien und im Irak, was von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen wird, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022).
Für weitere Informationen über die Aktivitäten des IS in Syrien siehe besonders das Kapitel "Sicherheitslage".
Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol mit knapp 60.000 Insassen (85 % syrische und irakische Staatsangehörige sowie 9.000 aus anderen Ländern inkl. Österreich) (ÖB 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen. Die Kurden möchten gemäß Fabrice Balanche nicht länger ohne Unterstützung und unter Lebensgefahr für den Westen deren Terroristen in Schach halten (Zenith 11.2.2022). Human Rights Watch dokumentierte nach eigenen Angaben die Bedingungen in den Unterkünften für ausländische Insassen in al-Hol und Roj, die einer grausamen, erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung gleichkamen, und kritisierte die unbefristete und willkürliche Inhaftierung (HRW 23.3.2021). Hinzukommen steigende Spannungen innerhalb der Lager. Allein in al-Hol gab es im Jahr 2021 mehr als 90 Morde und 40 Mordversuche (OHCHR 9.3.2022).
Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet:
Quelle: The Washington Institute for Near East Policy 15.3.2022
Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens. Die Grenze zu Irakisch-Kurdistan und damit eine wichtige Handelsroute für Nordost-Syrien wurde geschlossen (Zenith 11.2.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie steigende Treibstoffpreise protestiert (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Angesichts der IS-Befreiungsaktion in al-Hassakah übten die USA Druck auf die Autonomieregion Kurdistan im Irak aus, die Grenze wieder zu öffnen (Zenith 11.2.2022).
Für weitere Informationen zum Gouvernement Deir ez-Zour, das sich z.T. unter Kontrolle der SDF befindet, s. auch Abschnitt "Provinz Deir ez-Zour/Syrisch-irakisches Grenzgebiet".
Quellen:
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AJ – Aljazeera (26.1.2022): Kurdish-led forces in Syria recapture prison from ISIL, https://www.aljazeera.com/news/2022/1/26/kurdish-led-forces-in-syria-recapture- prison-from-isil, Zugriff 27.1.2022
AM – Al-Monitor (26.1.2022): How attack on Kurdish-run prison in northeast Syria will affect Islamic State,https://www.al-monitor.com/originals/2022/01/how-attack-kurdish- run-prison-northeast-syria-will-affect-islamic-state, Zugriff 27.1.2022
AM - Al-Monitor (29.12.2021): Islamic State cells impose levy on oil investors in northeastern Syria, https://www.al-monitor.com/originals/2021/12/islamic-state-cells-impose-levy-oil-investors-northeastern-syria, Zugriff 3.1.2022
AM - Al-Monitor (30.5.2021): Syrian Arab tribes put Kurdish administration on notice, https://www.al-monitor.com/originals/2021/05/syrian-arab-tribes-put-kurdish-administration-notice, Zugriff 29.12.2021
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ANI – Asian News International (26.1.2022): Over 500 Islamic State terrorists surrender in Syrian Al-Hasakah after prison break: SDF, https://www.aninews.in/news/world/asia/over-500-islamic-state-terrorists-surrender-in-syrian-al-hasakah-after-prison-break-sdf20220126120507/, Zugriff 26.1.2022
Al-Sharq - Al Sharq Strategic Research (27.8.2021): Heated Conflict or Consolidation of the Status Quo in Northeast Syria: What is next for the AANES?, https://research.sharqforum.org/2021/08/27/heated-conflict-or-consolidation-of-the-status-quo-in-northeast-syria-what-is-next-for-the-aanes/, Zugriff 29.12.2021
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USDOD - United States Department of Defense [USA] (4.11.2021): Operation Inherent Resolve, Quarterly Report to the United States Congress | July 1, 2021 – September 30, 2021, https://media.defense.gov/2021/Nov/08/2002889206/-1/-1/1/LEAD%20INSPECTOR%20GENERAL%20FOR%20OPERATION%20INHERENT%20RESOLVE%20QUARTERLY%20REPORT%20JULY%201,%202021%20%E2%80%93%20SEPTEMBER%2030,%202021.PDF, Zugriff 30.12.2021
Zenith (11.2.2022): »Der IS rekrutiert eine neue Generation von Kämpfern«, https://magazin.zenith.me/de/politik/interview-mit-syrien-experte-fabrice-balanche-%C3%BCber-den-die-kurden-und-syrien, Zugriff 9.3.2022
Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet
Letzte Änderung: 22.04.2022
Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) war es nach Kämpfen mit der Nusra-Front und gegnerischen arabischen Stämmen im Juli 2014 gelungen, die Provinz Deir ez-Zour fast vollständig einzunehmen. 2017 führte die syrische Armee mit Unterstützung Russlands und des Iran größere Militäroperationen durch, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-Zour führten. Bis Ende 2017 verlor der IS den größten Teil seines Territoriums auf der Westseite des Euphrat. Auf der östlichen Seite des Flusses waren die Syrian Democratic Forces (SDF) bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt. Der IS kontrollierte damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze (EASO 5.2020). Im März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den SDF eingenommen (EASO 5.2020; vgl. DZ 24.3.2019). In den Wochen davor hatten bereits Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten (DZ 24.3.2019 - dazu sowie zu den Sicherheitsaspekten siehe auch Unterkapitel "Nordost-Syrien" des Kapitels "Sicherheitslage").
Das Gouvernement Deir Ez-Zour ist grob in zwei Kontrollbereiche unterteilt. Der westliche Teil des Gouvernements - d.h. vor allem die Gebiete westlich des Euphrat - wird von der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten kontrolliert. Dieses Gebiet umfasst die wichtigsten Städte (Deir Ez-Zour, Mayadin und Al-Bukamal) und die logistische Route, die die von der Regierung kontrollierten Gebiete mit der syrisch-irakischen Grenze verbindet. Der östliche Teil des Gouvernements - die meisten Gebiete östlich des Euphrat - wird von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und ihren Verbündeten in der US-geführten Koalition kontrolliert (JfS 6.1.2021). Die wichtigsten Ölfelder Syriens befinden sich in dem von den SDF kontrollierten östlichen Teil des Gouvernement Deir Ez-Zour, in dem hauptsächlich US-Truppen präsent sind (WI 17.8.2017, EASO 7.2021).
Im folgenden Kartenausschnitt sind die verschiedenen Einflusszonen in der Provinz Deir ez-Zour verzeichnet:
Quelle: Liveaumap 10.3.2022
Die Bemühungen der Regierung Syriens, in den 2017 vom IS zurückeroberten Gebieten die Kontrolle zu übernehmen, sind begrenzt, was der lokalen regierungsfreundlichen Miliz National Defense Force (NDF) freie Hand ließ und zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen führte, darunter Plünderungen und die gewaltsame Aneignung von zivilem Eigentum (WI 4.9.2020). Das vom Regime kontrollierte Deir ez-Zor wird von einem komplizierten Geflecht lokaler und nicht-lokaler Sicherheitskräfte bewacht, von denen viele auch wichtige soziale und wirtschaftliche Funktionen in ihren Städten erfüllen. Stammesmilizen, die mit den lokalen Nationalen Verteidigungskräften (NDF) verbündet sind, Geheimdienstoffiziere und ihre Milizen, Freiwillige und Wehrpflichtige der Republikanischen Garde und der Syrischen Arabischen Armee (SAA) aus dem Westen sowie eine Vielzahl ausländischer und syrischer Milizen, die unter anderem mit dem Iran verbündet sind, bemannen Außenposten und verwalten Städte im gesamten Gouvernement. Die Spannungen zwischen den lokalen Sicherheitskräften und der von Damaskus aus kommandierten SAA haben in den Jahren nach der Befreiung der Provinz vom IS stetig zugenommen (MEI 19.4.2021). Nach März 2019 ist die Präsenz der Regierung von Syrien in den westlichen Teilen des Gouvernements Deir Ez-Zour begrenzt geblieben, was zu iranisch-russischer Konkurrenz um Ressourcen und Land geführt hat (WI 4.9.2020).
Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019; vgl. DIS 29.6.2020, AM 17.6.2021) und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht (FAZ 22.3.2019; vgl. AA 4.12.2020). Schläferzellen des IS sind in Syrien weiterhin aktiv, sowohl in syrischen Städten als auch in ländlichen Gebieten, und besonders in den von der Regierung kontrollierten Gebieten (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu (AA 4.12.2020; vgl. AM 17.6.2021). Das Gebiet von Deir ez-Zour gilt als Kerngebiet der IS-Aktivität in Syrien, vor allem die Gebiete im Süden von Bosaira in Richtung Diban (BBC 27.10.2019). Das Tal des Mittleren Euphrat und die Wüstengebiete im Gouvernement Deir Ez-Zour werden als IS-Unterstützungsgebiet beschrieben, das seine Mitglieder nutzen können, um Sicherheitsoperationen zu umgehen und Waffen, Ausrüstung und Personal über die syrisch-irakische Grenze zu bringen (USDOD 3.11.2020). Der sogenannte IS nutzt die Gebiete in der syrischen Wüste im Gouvernement Deir ez-Zour als sicheren Zufluchtsort und als Basis für Angriffe auf die Streitkräfte der Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF) (UNSC 3.2.2021; vgl. AM 29.12.2021) sowie auf iranische Milizen und russische Streitkräfte. Auch wurde von Angriffen auf Arbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zour berichtet (AM 29.12.2021).
Die Sicherheitslage in Deir Ez-Zour wird durch Angriffe des IS gegen Regierungstruppen und zuletzt heftigen Kämpfen mit diesen (NPA 13.11.2021, Asharq 30.8.2021, USDOS 16.12.2021), wie auch Angriffen des IS gegen die SDF und Operationen der SDF gegen den IS, z.T. unter Beteiligung von US-Streitkräften (MEMO 29.12.2021, K24 23.9.2021, BAMF 20.12.2021, USDOD 3.11.2021), die Stammesproteste in den von den SDF kontrollierten Teilen von Deir Ez-Zour (AM 30.5.2021; vgl. AM 22.2.2021) und durch die mit dem Iran zusammenhängenden Sicherheitsvorfälle (hauptsächlich US-amerikanische und israelische Luftangriffe) in den von der Regierung Syriens kontrollierten Teilen des Gouvernements beeinträchtigt (AnA 13.1.2021, ACLED 13.10.2021, AC 18.5.2021; vgl. EASO 7.2021).
Für weitere Informationen zum Gebiet unter Kontrolle der SDF siehe auch Abschnitt "Nordost-Syrien". Bezüglich der verschiedenen militärischen Akteure siehe auch Karten im Kapitel "Sicherheitslage".
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AC - Atlantic Council (18.5.2021): Factbox: Iranian presence in Syria’s Deir ez-Zor province,https://www.atlanticcouncil.org/blogs/menasource/factbox-iranian-presence-in-syrias-deir-ez-zor-province/, Zugriff 30.12.2021
ACLED - Armed Conflict Location Event Data Project (13.10.2021): Regional Overview: Middle East 2-8 October 2021, https://acleddata.com/2021/10/13/regional-overview-middle-east2-8-october-2021/, Zugriff 30.12.2021
AM - Al-Monitor (29.12.2021): Islamic State cells impose levy on oil investors in northeastern Syria, https://www.al-monitor.com/originals/2021/12/islamic-state-cells-impose-levy-oil-investors-northeastern-syria, Zugriff 3.1.2022
AM - Al-Monitor (17.6.2021): Is Islamic State rebuilding in Syrian desert?, https://www.al-monitor.com/originals/2021/06/islamic-state-rebuilding-syrian-desert, Zugriff 3.1.2022
AM - Al-Monitor (30.5.2021): Syrian Arab tribes put Kurdish administration on notice, https://www.al-monitor.com/originals/2021/05/syrian-arab-tribes-put-kurdish-administration-notice, Zugriff 3.1.2022
AM - Al-Monitor (22.2.2021): In Syria’s Deir ez-Zor, SDF conscription ‘severs livelihoods’, https://www.al-monitor.com/originals/2021/02/syria-conscription-sdf-is-army-volunteer.html, Zugriff 30.12.2021
AnA - Anadolu Agency (13.1.2021): Assad regime claims Israel struck areas in Deir-ez-Zor, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/assad-regime-claims-israel-struck-areas-in-deir-ez-zor/2108001, Zugriff 30.12.2021
Asharq - Asharq al-Awsat (30.8.2021): ISIS Attacks Russian-Backed Militia in Deir Ezzor, https://english.aawsat.com/home/article/3160581/isis-attacks-russian-backed-militia-deir-ezzor, Zugriff 30.12.2021
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.12.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw51-2021.pdf?__blob=publicationFile v=3, Zugriff 30.12.2021
BBC - BBC News (27.10.2019): Abu Bakr al-Baghdadi: What his death means for IS in Syria, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50199437, Zugriff 12.10.2020
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf, Zugriff 9.10.2020
DZ - Die Zeit (24.3.2019): Kurden warnen vor Wiederaufstieg des IS, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/syrien-islamischer-staat-terrormiliz-kalifat-wiederaufstieg, Zugriff 9.10.2020
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EASO - European Asylum Support Office (5.2020): Syria Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029305/05_2020_EASO_COI_Report_Syria_Security_situation.pdf, Zugriff 12.10.2020
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.3.2019): Sieg über Terrormiliz - Warum der IS weiter gefährlich bleibt, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-der-is-weiter-gefaehrlich-bleibt-16103411.html, Zugriff 9.10.2020
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K24 - Kurdistan 24 (23.9.2021): Former SDF member killed in Deir al-Zor: SOHR, https://www.kurdistan24.net/en/story/25656-Former-SDF-member-killed-in-Deir-al-Zor:-SOHR, Zugriff 30.12.2021
Liveuamap - Live Universal Awareness Map (10.3.2022): Map of Syrian Civil War, https://syria.liveuamap.com/, Zugriff 10.3.2022
MEI - Middle East Institute (19.4.2021): A new general and a fragile peace in Deir ez-Zor, https://www.mei.edu/publications/new-general-and-fragile-peace-deir-ez-zor, Zugriff 30.12.2021
MEMO - Middle East Monitor (29.12.2021): ISIS claims killing Kurdish militia leader in Syria's Deir ez-Zor, https://www.middleeastmonitor.com/20211229-isis-claims-killing-kurdish-militia-leader-in-syrias-deir-ez-zor/, Zugriff 30.12.2021
NPA - North Press Agency (13.11.2021): 16 Syrian government soldiers killed by ISIS in Deir ez-Zor, https://npasyria.com/en/67609/, Zugriff 30.12.2021
UNSC - UN Security Council (3.2.2021): Twenty-seventh report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team submitted pursuant to resolution 2368 (2017) concerning ISIL (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals and entities [S/2021/68], https://www.ecoi.net/en/file/local/2045193/S_2021_68_E.pdf, Zugriff 29.9.2021
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USDOS - United States Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 5 - Islamic State of Iraq and Syria (ISIS), https://www.ecoi.net/en/document/2065686.html, Zugriff 30.12.2021
WI - Washington Institute (4.9.2020): Russian-Iranian Tensions in Deir al-Zour, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/russian-iranian-tensions-deir-al-zour, Zugriff 29.9.2021
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Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im März 2021 kontrollierte die Regierung den größten Teil des Landes, darunter die Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama sowie fast alle Hauptstädte der Gouvernements/Provinzen (ISW 26.4.2021). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; SWP 3.2020; FP 15.3.2021; EUI 13.3.2020). Die syrische Regierung hat nur begrenzten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Organisationen, die in Syrien operieren, darunter russische Streitkräfte, die libanesische Hizbullah, der iranischen Revolutionswächter (IRGC) und regierungsnahe Milizen wie die National Defence Force (NDF) (USDOS 30.3.2021). Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex. Die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren. Für alle Gebiete gilt weiter, dass eine pauschale Lagebeurteilung nicht möglich ist. Auch innerhalb einzelner Regionen unterscheidet sich die Lage von Ort zu Ort und von Betroffenen zu Betroffenen (AA 29.11.2021).
Die Sicherheitslage zwischen militärischer Situation und Menschenrechtslage
Die Regierung ist nicht in der Lage, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu verwalten und bedient sich verschiedener Milizen, um einige Gebiete und Kontrollpunkte in Aleppo, Lattakia, Tartus, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren (DIS/DRC 2.2019). Gebiete in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021). Unabhängig von militärischen Entwicklungen kam es im Berichtszeitraum laut Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteilen, insbesondere auch in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.11.2021). Dazu gehören Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020). Regierungsnahe Milizen sind zwar nominell loyal gegenüber dem Regime, können aber die Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten oft frei ausbeuten (FH 16.9.2021). In ehemals vom IS kontrollierten Gebieten im Gouvernement Deir ez-Zour sollen sich Milizen an Kriminalität und Erpressung von Zivilisten beteiligt haben (AM 21.12.2020, ICG 13.2.2020). In Gebieten wie Daraʿa, der Stadt Deir ez-Zour und Teilen von Aleppo und Homs sind Rückkehrer mit ihre Macht missbrauchenden regimetreuen Milizen, Sicherheitsproblemen wie Angriffen des sogenannten IS, mit schweren Zerstörungen, oder einer Kombination aus allen drei Faktoren konfrontiert (ICG 13.2.2020). Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun (AA 29.11.2021).
Gleichzeitig stellt sich im Zentralraum, insbesondere in den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Aleppo (allerdings nicht im Umland von Aleppo), Homs und Hama, die (militärische) Sicherheitslage als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der IS aktiv; es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021). Der Westen des Landes, insbesondere Tartus und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB 1.10.2021). Im Hinterland von Lattakia kommt es immer wieder zu einem Übergreifen des Konflikts von Idlib aus (ÖB 1.10.2021). Die Streitkräfte des Regimes sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben. Trotz des absoluten Rückgangs der Anzahl von Kampfhandlungen in Folge der Rückeroberung weiter Landesteile ist nicht von einer nachhaltigen Befriedung des Landes auszugehen (AA 29.11.2021).
Anfang des Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (TSO 10.3.2020) und auch 2021 wurde von gelegentlichen Anschlägen berichtet (COAR 25.10.2021). Darunter war z.B. die Bombenexplosion eines Militärbusses am 20.10.2022 in einem dicht besiedelten Gebiet von Damaskus, bei welcher 14 Personen getötet wurden (HRW 13.1.2022).
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Die Luftangriffe wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 1.10.2021; vgl. AA 4.12.2020, UNHCR 14.8.2020). Im November 2021 wurde von zwei israelischen Angriffen auf Ziele in der Umgebung von Damaskus berichtet (NPA 3.11.2021). Im Dezember 2021 führte Israel zwei Luftschläge auf den Hafen von Lattakia durch, welche mutmaßlich Warenlager von Iran-nahen Milizen zum Ziel hatten und erhebliche Sachschäden verursachten (Times of Israel 28.12.2021; vgl. MEE 7.12.2021). Der Hafen von Latakia ist der wichtigste Hafen der syrischen Regierung (MEE 7.12.2021). Über ihn wird ein Großteil der syrischen Importe in das vom Krieg zerrüttete Land gebracht (Times of Israel 28.12.2021). Rund 25 km vom Hafen entfernt liegt die russische Luftwaffenbasis Hmeymim [Khmeimim]. Russland verfügt außerdem über ein umfangreiches Marinekontingent, das im syrischen Hafen Tartus stationiert ist und die russischen Luft- und Bodenoperationen im Land unterstützt (RFE/RL 14.9.2021; JP 7.12.2021).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
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AM - al-Monitor (21.12.2020): Pro-Iran militias in Syria soak merchants for cash at checkpoints, https://www.al-monitor.com/originals/2020/12/syria-regime-iranian-militias-royalties-checkpoints-traders.html, accessed 21.9.2021
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KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2020): Syrien, Entwicklungen im Schatten von Corona, https://www.kas.de/documents/252038/7938566/Syrien+-+Entwicklungen+im+Schatten+von+Corona.pdf/a250276d-c6ca-81d2-87f8-1ed0febff82b?version=1.1 t=1598365598256, Zugriff 12.10.2020
MEE - Middle East Eye (7.12.2021): Syria: Latakia port hit by 'Israeli air strikes' for first time since 2011, https://www.middleeasteye.net/news/syria-israel-iran-weapons-shipment-latakia-port, Zugriff 21.12.2021
NPA - North Press Agency (3.11.2021): Israel re-attacks Damascus vicinity within days, https://npasyria.com/en/67122/, Zugriff 3.1.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (14.9.2021): Putin, Assad Meet For First Time In Over A Year, https://www.rferl.org/a/putin-assad-meeting/31459369.html, Zugriff 21.12.2021
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2020): Iran’s Multi-Faceted Strategy in Deir ez-Zor. From Fighting Terrorism to Creating a Zone of Influence, https://www.swp-berlin.org/publications/products/comments/2020C15_DeirEzZor.pdf, accessed 16.9.2021
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TSO - The Syrian Observer (10.3.2020): The Damascus Bombings: Settling Scores or Creative Chaos?, https://syrianobserver.com/EN/features/56592/the-damascus-bombings-settling-scores-or-creative-chaos.html, Zugriff 12.10.2020
Üngör, Uğur Ümit - Professor f. Geschichte, Universität Amsterdam/NIOD Institute (15.12.2021): Interview, via Videocall
UNHRC - United Nations Human Rights Council (14.8.2020): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/45/31], https://www.ecoi.net/en/file/local/2037646/A_HRC_45_31_E.pdf, Zugriff 12.10.2020
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices: Syria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SYRIA-2020-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, accessed 16.9.2021
Südsyrien
Letzte Änderung: 22.04.2022
Die Lage im Süden und Südwesten Syriens, den Gouvernements Quneitra, Dara‘a und Suweida, hat sich weiter destabilisiert (AA 29.11.2021). Bereits in den Jahren 2020 und 2021 verschlechterte sich die Sicherheitslage. Es kam zu einer Reihe von Zwischenfällen bewaffneter Gewalt zwischen der Vielzahl miteinander konkurrierender bewaffneter Akteure (UNHRC 14.8.2020, ORSAM 16.8.2021). De facto sind die Regimetruppen vor Ort mit Ausnahme von Eliteeinheiten personell und technisch unzureichend aufgestellt, sodass die tatsächliche Hoheit häufig bei lokal verwurzelten bewaffneten Gruppierungen liegt. Eine stabile politische und wirtschaftliche Lage ist nicht vorhanden: Mangelhafte Grundversorgung, fehlende öffentliche Gelder für medizinische Versorgung und für Bildung, eine äußerst eingeschränkte Stromversorgung und Korruption sind verbreitete Probleme (AA 29.11.2021). Im Süden/Südwesten Syriens kommt es aufgrund großer Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem syrischen Regime, vor allem aufgrund fehlender Grundversorgung, nicht eingehaltener Abmachungen im Rahmen von "Versöhnungsabkommen" und einer Zunahme an anhaltenden Verhaftungswellen, Gewaltausübung und gezielten Tötungen vermehrt zu Demonstrationen, Unruhen sowie bewaffneten Auseinandersetzungen, Anschlägen und gezielten Tötungen (AA 4.12.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020, ORSAM 3.2021).
Ende September bis Anfang Oktober 2020 kam es erneut zu umfangreichen Kampfhandlungen zwischen bewaffneten Gruppen aus den Gouvernements Dara'a und Suweida, darunter Kämpfer der drusischen Minderheit, Regimetruppen und -Milizen, sowie von Russland unterstützte Einheiten ehemaliger Oppositionskämpfer (AA 4.12.2020).
Die Provinzen Dara'a und Quneitra
In der Provinzhauptstadt Dara'a im Süden Syriens waren 2011 die ersten Proteste gegen das Assad-Regime ausgebrochen. Im Juli 2017 wurde dort eine Deeskalationszone eingerichtet, dennoch startete die syrische Regierung im Juni 2018 eine Offensive zur Rückeroberung der Provinzen Quneitra und Dara'a (DS 5.7.2018). Die beiden Provinzen wurden durch die Regierung zurückerobert und Ende Juli 2018 wurden auch die letzten Dörfer, die sich noch unter Kontrolle einer mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehenden Gruppierung befanden, erobert. Die meisten dieser Städte und Dörfer kapitulierten unter sogenannten Versöhnungsabkommen, wobei Kämpfern und Zivilisten die Möglichkeit gegeben wurde, in von oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete im Norden Syriens zu ziehen (TG 31.7.2018). Gemäß einem Bericht von Human Rights Watch gingen die Angriffe auf oppositionelle Gruppen und Einzelpersonen nach dem von Russland unterstützten Waffenstillstandsabkommen im Jahr 2018 trotz der Tatsache, dass Kämpfer der Opposition ihren Status mit der Regierung "klären" oder im Rahmen dieses Abkommens sicher nach Idlib ausreisen durften, weiter. Die allgemeine Destabilisierung hielt an. Befragte aus Dara'a berichteten Human Rights Watch, dass Mitglieder der syrischen Sicherheitskräfte, regierungsnahe Milizen und Oppositionsgruppen an gezielten Tötungen und Entführungen beteiligt waren (HRW 10.2021).
Im März 2020 kam es zu umfangreichen Kampfhandlungen, als Regimetruppen bewaffnete Oppositionelle im südsyrischen Ort Sanamayn (Anm.: Provinz Dara‘a) belagerten und sie unter Einsatz von Panzern innerhalb weniger Tage besiegten (AA 4.12.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020).
Die Bevölkerung lehnte das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom Mai 2021 ab (HRW 13.1.2022), nachdem große Teile der lokalen Bevölkerung ihre Teilnahme an den Wahlen verweigert hatten (AA 29.11.2021). Als tiefere Ursache wird jedoch das fortgesetzte Beharren von Dara'a auf Halbautonomie angesehen, das sich in der Weigerung des Gebiets ausdrückte, an den syrischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 teilzunehmen (COAR 5.7.2021). Die Regierung schränkte daraufhin die Mobilität in der Stadt Dara'a ein, reduzierte die Stromversorgung in den Gebieten, in denen Versöhnungsabkommen geschlossen wurden, und widerrief die Reisegenehmigung für "versöhnte" Kämpfer (COAR 7.6.2021). In Folge kam es in und um die Provinzhauptstadt Dara’a im Juli und August 2021 zu den schwersten Auseinandersetzungen seit 2018 zwischen Regimetruppen sowie Iran-nahen Milizen einerseits und lokalen bewaffneten Gruppierungen („versöhnte Rebellen“) andererseits (AA 29.11.2021). Zwischen Juni und September 2021 führten die syrischen Streitkräfte und mit ihnen verbündete Milizen Dutzende willkürliche Angriffe auf bewohnte Gebiete in Dara'a aus, während die gegnerischen Kämpfer Gebiete unter Regimekontrolle angriffen, was dort zivile Opfern verursachte. Bei den Kämpfen wurde ein Gebiet mit 55.000 EinwohnerInnen belagert und mehr als 38.000 Menschen vertrieben (HRW 13.1.2022): Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert, die den Zugang zu Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern blockierten und zeitweise Strom und Wasser abschalteten (COAR 5.7.2021; vgl. AJ 29.7.2021). Am 29.7.2021 begann das syrische Regime eine Bodenoffensive gegen Dara'a Al-Balad und versuchte, das Viertel durch Aushungern und Beschuss zu unterwerfen. In den folgenden Wochen kam es zu schweren Kämpfen zwischen den beiden Seiten (TNA 24.9.2021). Die Belagerung führte zu Engpässen bei Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten (AM 13.8.2021, EB 11.7.2021).
Schlussendlich rückten am 8.9.2021 syrische Regierungstruppen gemäß einer Vereinbarung mit Rebellengruppen in Dara'a al-Balad ein. Regierung und Rebellen hatten sich am 7.9.2021 auf ein Abkommen geeinigt, das die Beendigung der Belagerung des Gebiets durch die Regierung, die Einrichtung von Checkpoints der Regierung unter russischer Aufsicht, "Versöhnungsabkommen" mit Deserteuren der syrischen Armee und anderen gesuchten Personen, die Übergabe von Waffen und die Evakuierung von Personen, die sich dem Abkommen verweigern, in den von Rebellen gehaltenen Norden Syriens, vorsieht (AM 8.9.2021). Die von Russland vermittelte Vereinbarung sah den Zutritt der Regierung zu den Gebieten vor sowie die Unterzeichnung von "Versöhnungsabkommen" durch Zivilisten und Rebellen, um in ihrem Gebiet verbleiben zu dürfen. Dutzende SyrerInnen, welche dies verweigerten, wurden nach Idlib transferiert. Die Garantien in den "Versöhnungsabkommen" bieten nicht den nötigen Schutz für die Betreffenden (HRW 13.1.2022). Trotzdem stabilisierte sich die Sicherheitslage in Dar'a al-Balad, und die meisten Vertriebenen kehrten nach Hause zurück. Öffentliche Dienstleistungen wurden wiederhergestellt (UNSC 21.10.2021). Rund 3.700 Vertriebene waren bis Anfang November 2021 aufgrund der Beschädigungen ihrer Häuser jedoch noch nicht nach Dar'a al-Balad zurückgekehrt. Auch explosive Kampfmittelrückstände behindern die Rückkehr und Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung (UNOCHA 9.11.2021; USAID 3.12.2021).
Mitte Oktober 2021 wurde von einer Zunahme an Morden in Dara'a berichtet. Lokale Quellen machten den militärischen Sicherheitsdienst des Regimes für die Morde verantwortlich, um diejenigen, die an Versöhnungsaktionen teilgenommen und sich geweigert haben, der Armee des Regimes beizutreten sowie einflussreiche Persönlichkeiten zu beseitigen (SHRC 17.10.2021).
Die Vereinbarungen mit verschiedenen Städten und Dörfern in der Provinz Dara'a unterscheiden sich von Ort zu Ort, aber im Allgemeinen beinhalten die neuen Vereinbarungen die Abgabe von leichten Waffen, die Einberufung in die syrische Armee und die Regelung des Status von oppositionellen Individuen. Die Regelung des Status ist zwar eine nominelle Begnadigung, garantiert aber in der Praxis nicht die Sicherheit der Betroffenen vor dem Regime. Trotz der Regelung des Status sind die Menschen in Dara'a willkürlichen Verhaftungen und Entführungen ausgesetzt. Die Betroffenen haben drei Monate Zeit, um sich bei der Syrischen Arabischen Armee zu melden. Durch die Einberufung von versöhnten Personen kann das Regime unerwünschte ehemalige Oppositionelle aus Dara'a entfernen und so die künftige Opposition schwächen. In der Vergangenheit wurden "versöhnte" Personen oft auf die gefährlichsten Posten an die Front in Syrien geschickt (TNA 24.9.2021).
Mit dem Vorgehen in Dara'a verfolgt das Regime laut einem Medienbericht auch nach außen gerichtete Ziele. Regionale Mächte - wie die arabischen Golfstaaten und Jordanien - bemühen sich, die Beziehungen zum Assad-Regime zu normalisieren. Ein offener Krieg mit nicht-jihadistischen Kämpfern lässt Assads Einfluss auf Syrien schwächer erscheinen, und lässt schwerer die Repression des Regimes gegen seine eigenen Bürger verbergen (TNA 24.9.2021).
Die Provinz Suweida
Suweida wird von der syrischen Regierung nicht militärisch kontrolliert. Das Gouvernement hat seit dem Beginn der syrischen Revolution 2011 keine wirklichen Militäroperationen erlebt. Die Sicherheitskräfte des Regimes kontrollieren Suweida jedoch über lokale Banden und mittels der National Defence Forces (NDF). Seit 2011 hat das syrische Regime in Suweida bewaffnete Gruppen in seine Sicherheitsdienste rekrutiert. Im Verlauf der Ereignisse in der Region verwandelten sich diese Gruppen in Banden, die Entführungen, Raubüberfälle und Attentate verübten. Einige Banden gaben ihre Zugehörigkeit zu den Sicherheitsdiensten bekannt. Außerdem besitzen ihre Mitglieder Sicherheitsausweise, mit denen sie sich innerhalb des Gouvernements frei bewegen können. Parallel dazu wurden andere bewaffnete Gruppen mit dem Ziel der Bekämpfung dieser Banden gebildet, um die Sicherheit von Suweida und seiner Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Im Oktober 2021 wurde von zunehmenden Kämpfen zwischen verschiedenen Gruppierungen in Suweida berichtet (EB 3.10.2021; vgl. AM 18.7.2021). Der Iran und russische Kräfte verfügen über eine Präsenz im Süden Syriens (EB 3.10.2021; vgl. NPA 22.11.2021).
In Suweida wurde in der ersten Jahreshälfte 2020 aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage gegen das Regime demonstriert (UNHRC 14.8.2020; vgl. HRW 28.6.2020, DP 18.6.2020). Bei Protesten am 15.6.2020 kam es zu Festnahmen und Misshandlungen von Demonstranten (HRW 28.6.2020). Im Dezember 2021 führte die Festnahme eines Aktivisten zu Protesten und Auseinandersetzungen zwischen einer bewaffneten Oppositionsgruppe und Regierungskräften, bei denen eine Person starb und drei weitere verletzt wurden (NPA 28.12.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AJ - Al-Jazeera (29.7.2021): Heavy clashes grip southern Syria’s Deraa province, monitor says, https://www.aljazeera.com/news/2021/7/29/syrias-daraa-gripped-by-worst-clashes-in-three-years-monitor, Zugriff 27.9.2021
AM - Al-Monitor (8.9.2021): Syrian forces enter war-torn Daraa, opposition alleges rights abuses, https://www.al-monitor.com/originals/2021/09/syrian-forces-enter-war-torn-daraa-opposition-alleges-rights-abuses, Zugriff 27.9.2021
AM - Al-Monitor (13.8.2021): UN Syria envoy urges end to 'siege-like' situation in Daraa, https://www.al-monitor.com/originals/2021/08/un-syria-envoy-urges-end-siege-situation-daraa, Zugriff 27.9.2021
AM - Al-Monitor (30.7.2021): Fighting between government, rebels intensifies in Syria's Daraa, https://www.al-monitor.com/originals/2021/07/fighting-between-government-rebels-intensifies-syrias-daraa, Zugriff 27.9.2021
AM - Al-Monitor (18.7.2021): New Druze political party, military faction take shape in Suwayda, https://www.al-monitor.com/originals/2021/07/new-druze-political-party-military-faction-take-shape-suwayda, Zugriff 3.1.2022
COAR - Center for Operational Analysis and Research (5.7.2021): Dar’a Siege: Russia Abouts Face, Amps up Pressure, https://coar-global.org/2021/07/05/dara-siege-russia-abouts-face-amps-up-pressure/, Zugriff 27.9.2021
COAR - Center for Operational Analysis and Research (7.6.2021): Deadly SDF Crackdown as Conscription Sparks Menbij Unrest, https://coar-global.org/2021/06/07/deadly-sdf-crackdown-as-conscription-sparks-menbij-unrest/, Zugriff 14.6.2021
DP - Die Presse (18.6.2020): "Caesar Act" soll Assad in die Knie zwingen, https://www.diepresse.com/5827895/caesar-act-soll-assad-in-die-knie-zwingen, Zugriff 12.10.2020
DS - Der Standard [Harrer, Gudrun] (5.7.2018): Assad wird wieder zum Nachbarn Israels, https://derstandard.at/2000082904700/Assad-wird-wieder-zum-Nachbarn-Israels, Zugriff 12.10.2020
EB - Enab Baladi (3.10.2021): Multiple conflicting forces on the ground portend possible clash in Syria’s As-Suwayda, https://english.enabbaladi.net/archives/2021/10/multiple-conflicting-forces-on-the-ground-portend-possible-clash-in-syrias-as-suwayda/, Zugriff 30.12.2021
EB - Enab Baladi (11.7.2021):النظام يواصل حصاره ويمنع دخول المساعدات إلى درعا البلد [Das Regime setzt die Belagerung fort und verhindert, dass Hilfsgütern in Dara'a al-Balad eintreffen], https://www.enabbaladi.net/archives/492508, Zugriff 27.9.2021
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HRW - Human Rights Watch (28.6.2020): Syria: Protesters Describe Beatings, Arrests, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032299.html, Zugriff 12.10.2020
NPA - North Press Agency (28.12.2021): Dozens protest against government in Syria’s Suwayda, https://npasyria.com/en/69898/, Zugriff 30.12.2021
NPA - North Press Agency (22.11.2021): Russia’s patrols out of Suwayda as local people lose trust, https://npasyria.com/en/68086/, Zugriff 30.12.2021
ORSAM - Ortadoğu Araştırmaları Merkezi - Center for Middle Eastern Studies [al-Ghazi, Suhail] (16.8.2021): Insecurity in Southern Syria: The Case of Quneitra and Suwayda (April – June 2021), https://orsam.org.tr//d_hbanaliz/insecurity-in-southern-syria-the-case-of-quneitra-and-suwayda-april-june-2021.pdf, Zugriff 30.12.2021
ORSAM - Ortadoğu Araştırmaları Merkezi - Center for Middle Eastern Studies [al-Ghazi, Suhail] (3.2021): Insecurity in Southern Syria: Tracking Daraa, Quneitra and Suwayda (January - February 2021), https://orsam.org.tr/d_hbanaliz/insecurity-in-southern-syria-tracking-daraa-quneitra-and-suwayda-january-february-2021.pdf, Zugriff 10.6.2021
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Report_2019_07.pdf, Zugriff 17.8.2020
SHRC - The Syrian Human Rights Committee (17.10.2021): Escalation of assassinations in Daraa province, https://www.shrc.org/en/?p=33915, Zugriff 22.12.2021
SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (8.2.2021): Growing tension - Regime forces bring in military reinforcement to positions in western Daraa, amid popular fear of new security campaign, https://www.syriahr.com/en/204101/, Zugriff 14.6.2021
TG - The Guardian (31.7.2018): Syrian government forces seal victory in southern territories, https://www.theguardian.com/world/2018/jul/31/syrian-government-forces-seal-victory-in-southern-territories, Zugriff 12.10.2020
TNA - The New Arab (24.9.2021): Syria Insight: What do the regime and Russia want from Daraa province?, https://english.alaraby.co.uk/analysis/syria-insight-what-do-regime-and-russia-want-daraa, Zugriff 27.9.2021
UNHRC - United Nations Human Rights Council (14.8.2020): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/45/31], https://www.ecoi.net/en/file/local/2037646/A_HRC_45_31_E.pdf, Zugriff 12.10.2020
UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.11.2021): Syria: Dar’a Governorate Situation Report No. 03, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/211117_OCHA%20Situation%20Report_Dar%27a_FINAL.pdf, Zugriff 22.12.2021
UNSC - United Nations Security Council (21.10.2021): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018), 2449 (2018), 2504 (2020), 2533 (2020) and 2585 (2021) Report of the Secretary-General, https://www.ecoi.net/en/file/local/2063267/S_2021_890_E.pdf, Zugriff 22.12.2021
USAID - United States Agency for International Development (3.12.2021): Syria – Complex Emergency, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2021_12_03%20USG%20Syria%20Complex%20Emergency%20Fact%20Sheet%20%231.pdf, Zugriff 22.12.2021
Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, jedoch nur beschränkten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, die mit dem Iran verbündete Hizbullah und die iranischen Islamischen Revolutionsgarden (USDOS 30.3.2021). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 4.12.2020).
Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weitverbreitetes Problem (USDOS 30.3.2021; vgl. BS 29.4.2020). In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung bekannt. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 30.3.2021). Dekrete fungieren de facto als gesetzlicher Schutzmechanismus für Mitglieder des Sicherheitsapparats vor eventueller Strafverfolgung bei Verbrechen während der Dienstausübung (OSS 1.10.2017, vgl. HRW 12.2015). Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens (USDOS 11.3.2020). In keinem Teil des Landes besteht ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen (AA 19.5.2020).
Russland, Iran, die libanesische Hizbullah (KAS 4.12.2018a; vgl. DW 20.5.2020) und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).
Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind, bzw. aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade), wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengestellt wurde (Kozak 28.12.2017).
Kämpfe um die lokale Vorherrschaft unter den verschiedenen Sicherheitsakteuren (Offiziere, Soldaten, Miliz-Kämpfer und lokale Polizei) des Regimes sind eskaliert und haben zu gegenseitigen Verhaftungen von Personal, offenen Zusammenstößen und Gewalt geführt (TWP 30.7.2019).
Anm.: In den folgenden Unterkapiteln werden einige wichtige Gruppen, Einheiten, Milizen und Sicherheitsbehörden, die auf der Seite der Regierung zum Einsatz kommen, beschrieben. Dies stellt jedoch keine abschließende Aufstellung dar.
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report – Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf, Zugriff 19.8.2020
DW – Deutsche Welle (20.5.2020): Syrien: Wie mächtig ist Assad noch?, https://www.dw.com/de/syrien-wie-m%C3%A4chtig-ist-assad-noch/a-53495592, Zugriff 14.9.2020
HRW – Human Rights Watch (12.2015): If the Dead Could Speak: Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, https://www.hrw.org/report/2015/12/16/if-dead-could-speak/mass-deaths-and-torture-syrias-detention-facilities, Zugriff 2.12.2021
KAS – Konrad Adenauer Stiftung [Gürbey, Gülistana] (4.12.2018a): Zwischen den Fronten – Die Kurden in Syrien, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/zwischen-den-fronten-1, Zugriff 18.8.2020
Kozak, Christopher [Senior Research Analyst am Insitute for the Study of War] (28.12.2017): Auskunft, per E-Mail
OSS - Omran for Strategic Studies (1.10.2017): Changing the Security Sector in Syria, https://omranstudies.com/publications/papers/download/55_fb0be25bfd0fd60b1efe022f2d8ae158.html, Zugriff 22.4.2021
TWP – Washington Post (30.7.2019): Assad’s control over Syria’s security apparatus is limited, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/07/30/assads-control-over-syrias-security-apparatus-is-limited/, Zugriff 14.9.2020
USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020
Streitkräfte
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF, regierungstreue Milizen und Hilfstruppen). Vor dem Konflikt sollen die Truppen eine Mannstärke von geschätzt 300.000 Personen gehabt haben, mit Stand 2018 waren sie wohl aufgrund von Verlusten und Desertionen auf weniger als 100.000 geschrumpft. Momentan versuchen die Streitkräfte, sich wieder aufzubauen und alliierte Milizen und Hilfstruppen zu integrieren, während sie weiterhin an aktiven Militäroperationen teilnehmen (CIA 11.8.2020). Die syrische Regierung arbeitet daran, auch Milizen zu demobilisieren (CIA 11.8.2021; vgl. Üngör 15.12.2021).
Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen (CMEC 26.3.2020a). Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf verbessern zu können (ISW 8.3.2017). Der Aufbau basiert auf dem sogenannten Qutaʿa-System [arab. Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (qutaʿa) zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere überlaufen. Gleichzeitig hatte der Divisionskommandeur für den Fall eines Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle freie Hand über dieses Gebiet. Dadurch kann der Präsident auch den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt (CMEC 14.3.2016).
Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per Definition zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen "schmutzigen" Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird (Üngör 15.12.2021). Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee, Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten (Khaddour 24.12.2021).
Anmerkung: für Informationen zum 4. und 5. Korps der syrischen Armee s. auch Kap. "Regierungstreue Einheiten, ausländische Kämpfer, russischer und iranischer Einfluss".
Quellen:
Balanche, Fabrice - Universität von Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videocall
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.8.2021): The World Factbook: Syria – Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html, Zugriff 20.8.2021 [Quellenlink nicht mehr abrufbar, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf]
CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020a): Russia and Syrian Military Reform: Challenges and Opportunities, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/russia-and-syrian-military-reform-challenges-and-opportunities-pub-81154, Zugriff 14.9.2020
CMEC - Carnegie Middle East Center (14.3.2016): Strength in Weakness: The Syrian Army’s Accidental Resilience, http://carnegie-mec.org/2016/03/14/strength-in-weakness-syrian-army-s-accidental-resilience-pub-62968, Zugriff 14.9.2020
ISW - Institute for the Study of War [Kozak, Christopher] (8.3.2017): Iran’s Assad Regime, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iran%27s%20Assad%20Regime.pdf, Zugriff 14.9.2020
Khaddour, Kheder - Gastwissenschaftler beim Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center (24.12.2021): Interview, per Videocall
Üngör, Uğur Ümit - Professor f. Geschichte, Universität Amsterdam/NIOD Institute (15.12.2021): Interview, per Videocall
Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (USDOS 30.3.2021).
Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für politische Sicherheit und das allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 30.3.2021; vgl. EIP 6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 4.12.2020). Innerhalb der Sicherheitsdienste ist bekannt, dass die Nachrichtendienste der Luftwaffe am wenigsten einer Kontrolle unterliegen und mit der geringsten Zurückhaltung agieren (BS 29.4.2020). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzt Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern, wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).
Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; vgl. USDOS 30.3.2021). Gebiete, in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, stehen nun unter verstärkter Beobachtung der Geheimdienste (Üngör 15.12.2021).
Der Sicherheitssektor übt eine allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) aus. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen, und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).
In jüngster Zeit hat das syrische Regime seine Sicherheitsdienste umgebaut, indem es neue "Loyalisten" in leitende Sicherheitspositionen berufen hat. Es handelt sich um Personen, die sich durch ihre Rolle bei der Eskalation der Gewalt nach 2011 einen Namen machten, und gegen die das Regime in Form von Akten über Korruption erhebliche Druckmittel besitzt. Es zeigt sich außerdem grundsätzlich eine breitere Dynamik der russisch-iranischen Konkurrenz um die Gestaltung des syrischen Sicherheitstrukturen (Clingendael 5.2020). Die Führung der Sicherheitsdienste hat oft enge familiäre und persönliche Beziehungen zum Präsidenten, der Alawit ist. Im Allgemeinen sind diese Behörden weitgehend mit Personen aus Gemeinschaften besetzt, die historisch der herrschenden Familie gegenüber loyal sind. Das klarste Beispiel hierfür ist die verhältnismäßig große Anzahl an Alawiten, die im Sicherheitssektor arbeiten (NMFA 5.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf, Zugriff 19.8.2020
Clingendael (5.2020): The nature of the Syrian regime, Chapter 1, CRU Report, https://www.clingendael.org/pub/2020/pandoras-box-in-syria/1-the-nature-of-the-syrian-regime/, Zugriff 14.9.2020
EIP - European Institute of Peace (6.2019): Refugee return in Syria: Dangers, security risks and information scarcity, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018602/EIP+Report+-+Security+and+Refugee+Return+in+Syria+-+July.pdf, Zugriff 27.10.2020
GS - Global Security (11.2.2017): Syria Intelligence Security Agencies, http://www.globalsecurity.org/intell/world/syria/intro.htm, Zugriff 14.9.2020
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of Origin Information Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf, Zugriff 17.8.2021
Üngör, Uğur Ümit - Professor f. Geschichte, Universität Amsterdam/NIOD Institute (15.12.2021): Interview, via Videocall
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Regierungstreue Einheiten, ausländische Kämpfer, russischer und iranischer Einfluss
Letzte Änderung: 22.04.2022
Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet (FIS 14.12.2018). Der Iran und die libanesische Hizbullah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten (ISW 8.3.2017; vgl. JTF 24.3.2017, CMEC 26.3.2020a). Die NDF sind nicht Teil der syrischen Armee, aber offiziell als "Verbündete" und als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten. Die regierungstreuen Milizen stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar, z.B. in Zusammenhang mit der Rekrutierung, weil die Milizen teilweise über bessere Finanzierung verfügen, und somit höheren Sold bezahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen (FIS 14.12.2018). Pro-Regime Milizen wie die NDF üben ähnliche Aufgaben wie andere regimenahe Kräfte aus, wobei ihre Kompetenzen nicht klar definiert sind (USDOS 30.3.2021). Die regierungsnahen Milizen stellen mittlerweile selbst eine Bedrohung der staatlichen Souveränität dar, weil sie an Größe, Anzahl und Einfluss gewonnen haben (CMEC 26.3.2020a). Bei Übergriffen regimetreuer Milizen ist der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend (AA 29.11.2021).
Iran und Russland unterstützen jeweils unterschiedliche Einheiten bzw. Akteure des syrischen Sicherheitssektors (TWP 30.7.2019). Russland konzentriert sich vor allem auf den Aufbau von staatlichen Institutionen, während der Iran auch Einfluss außerhalb syrischer staatlicher Institutionen ausübt (Clingendael 5.2020; vgl. CMEC 26.3.2020a). Milizen, die von der libanesischen Hizbullah und den iranischen Quds-Brigaden eingerichtet wurden, treten als nahezu unabhängige Einheiten auf (JTF 26.6.2020; vgl. CMEC 26.3.2020a).
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezial- und Lufteinheiten, sowie die ausgeweitete Bodenintervention Irans konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Das Eingreifen Russlands, Irans und der Hizbollah bilden seit 2011 jedoch auch die wichtigste Quelle für die Erosion der Autonomie und Souveränität des syrischen Regimes: Dieses ist weiterhin abhängig von der politischen und militärischen Unterstützung Russlands und Irans (Clingendael 5.2020).
Russland ist besonders in die Reform der syrischen Streitkräfte involviert (CMEC 26.3.2020c). Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming Corps/Fifth Assault Corps) gegründet (Kozak 3.2018). Ähnlich wie die NDF sollten auch diese beiden Einheiten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert, und so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden (CEIP 12.12.2018; vgl. TWP 30.7.2019). In das Vierte Korps wurden neben Einheiten aus den syrischen Streitkräften auch irreguläre Einheiten aus NDF-Mitgliedern und Wehrpflichtigen aus Lattakia aufgenommen (CMEC 26.3.2020b). Das Fünfte Korps besteht ausschließlich aus Freiwilligen, einerseits aus verschiedenen Einheiten der syrischen Armee, andererseits vor allem aber aus irregulären Einheiten wie den NDF oder loyalen Ba'ath-Bataillonen. Rekrutiert wurde in ganz Syrien. 2018 wurden auch ehemalige Rebellen aus der Provinz Dara’a in das Fünfte Korps integriert. Zu Beginn oblag das Kommando vollständig dem russischen Militär, mittlerweile haben russische Berater weniger Einfluss (CMEC 26.3.2020b).
Von Russland gestützte Milizen stellen eine große Bedrohung für die Bevölkerung dar, weil sie an keine Gesetze oder Regeln gebunden sind (DIYARUNA 20.8.2020). Angesichts der Sensibilität der russischen öffentlichen Meinung in Bezug auf militärische Verluste sind viele der in Syrien kämpfenden Russen Söldner eingesetzt - offiziell auf Eigeninitiative, aber in Wirklichkeit von privaten Militärunternehmen mit mutmaßlichen Verbindungen zum Kreml, wie z.B. der Wagner-Gruppe (EPRS 11.2018). Es gibt zahlreiche Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der Wagner-Gruppe gegen Zivilisten, oftmals mit extremer Brutalität (FIDH 22.3.2021, vgl. RFE/RL 15.3.2021).
Die traditionelle Strategie des Iran besteht darin, parallele nicht-staatliche Militärstrukturen zu schaffen und zu entwickeln, die dem syrischen Staat nicht direkt unterstellt und dem Iran gegenüber loyaler sind als dem syrischen Zentralkommando (CMEC 26.3.2020a). Das syrische Regime hat während des Konflikts ausländische schiitische Milizen eingesetzt, die vor allem vom Iran getragen werden (CMEC 26.3.2020a). Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten der Iranischen Revolutionswächter und der regulären iranischen Streitkräfte - sogenannte "Artesh"-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern (ISW 8.3.2017), darunter Pakistanis und Afghanen (KAS 4.12.2018b; vgl. CMEC 26.3.2020a). Iranische Offiziere unterstützen auch Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die (libanesischen) Hizbullah sowie irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert (KAS 4.12.2018b; vgl. CMEC 26.3.2020a).
Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen Militärkooperation führte (KAS 4.12.2018b). Im Zuge dessen kam es auch zu Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen von niederrangigen oder auch höherrangigen syrischen Offizieren, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten (ISW 8.3.2017). Im Jahr 2017 und vor allem im Jahr 2018 standen sich die verschiedenen Unterstützer des syrischen Regimes immer stärker konfrontativ gegenüber. Im Juni 2018 kam es beispielsweise zu einem offenen Zusammenstoß zwischen der Hizbullah und syrischen Truppen unter russischer Führung und im Januar 2019 zu Kämpfen zwischen dem Vierten (de facto iranisch kontrolliert) und dem Fünften (unter russischer Dominanz) Korps der syrischen Armee in der Provinz Hama (BS 29.4.2020). Spannungen entstehen auch oft durch das Aufeinanderprallen lokaler Organisationen des Sicherheitsapparats bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen bezüglich Einnahmen, Personalstärke und Relevanz. Derart eskalierende Interessenskonflikte zwischen Offizieren, Soldaten, Milizionären und lokalen Polizisten umfassen z.B. Verhaftungen von niedrigrangigeren Mitgliedern der konkurrierenden Sicherheitsorganisation und offene Konfrontationen auch mit Gewalt - Berichten zufolge auch in Form von Attentaten auf die durch die "Versöhnungsabkommen" rekrutierten ehemaligen Oppositionskämpfer der gegnerischen Organisation (TWP 30.7.2019). Im Dezember 2021 wurde von der Ermordung prominenter Offiziere in der Küstenregion Syriens berichtet, welche möglicherweise mit dem Machtkampf zwischen Russland und dem Iran zu tun hatten. Der Konflikt konzentriert sich derzeit auf die vom Iran unterstützte Vierte Division, die vom Bruder des Regimepräsidenten Maher al-Assad angeführt wird, und auf das Fünften Korps, das neben mehreren anderen Brigaden Russland vertritt (TSO 15.12.2021).
Die Diversifizierung der bewaffneten Akteure im Sicherheitsapparat hat zur Etablierung lokaler, mafiaartiger Machtzentren geführt und verschafft Warlords Einfluss (BS 23.2.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069699/country_report_2022_SYR.pdf, Zugriff 25.3.2022
BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf, Zugriff 19.8.2020
CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (12.12.2018): Reintegrating Syrian Militias: Mechanisms, Actors, and Shortfalls, https://carnegieendowment.org/publications/?fa=77932, Zugriff 22.9.2020
CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020a): Russia and Syrian Military Reform: Challenges and Opportunities, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/russia-and-syrian-military-reform-challenges-and-opportunities-pub-81154, Zugriff 14.9.2020
CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020b): The Efficiency of the Syrian Armed Forces: An Analysis of Russian Assistance, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/efficiency-of-syrian-armed-forces-analysis-of-russian-assistance-pub-81150, Zugriff 22.9.2020
CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020c): Russia’s Role in Reforming Syrian Special Services, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/russia-s-role-in-reforming-syrian-special-services-pub-81151, Zugriff 22.9.2020
Clingendael (5.2020): The nature of the Syrian regime, Chapter 1, CRU Report, https://www.clingendael.org/pub/2020/pandoras-box-in-syria/1-the-nature-of-the-syrian-regime/, Zugriff 14.9.2020
DIYARUNA (20.8.2020): Russian private military companies pose grave threat to Syria: experts, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2020/08/20/feature-01, Zugriff 20.8.2021
EPRS - European Parliamentary Research Service (11.2018): Russia in the Middle East https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/630293/EPRS_BRI(2018)630293_EN.pdf, Zugriff 17.8.2021
FIDH - International Federation for Human Rights (22.03.2021): Complaint filed in Moscow against Wagner paramilitary fighters, on behalf of Syrian victim, https://www.fidh.org/en/region/europe-central-asia/russia/breaking-legal-action-complaint-filed-in-moscow-against-wagner, Zugriff 18.8.2021
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
ISW - Institute for the Study of War [Kozak, Christopher] (8.3.2017): Iran’s Assad Regime, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iran%27s%20Assad%20Regime.pdf, Zugriff 14.9.2020
JTF - Jamestown Foundation (26.6.2020): Could Russia Lose the Syrian Arab Army to Iran or General Maher al-Assad?, https://jamestown.org/program/could-russia-lose-the-syrian-arab-army-to-iran-or-general-maher-al-assad/, Zugriff 22.9.2020
JTF - Jamestown Foundation (24.3.2017): Institutionalized 'Warlordism': Syria’s National Defense Force; Terrorism Monitor Volume: 15 Issue: 6, https://www.ecoi.net/local_link/338196/481168_de.html, Zugriff 22.9.2020
KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Wörmer, Nils] (4.12.2018b): Assads afghanische Söldner, www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/assads-afghanische-soldner, Zugriff 22.9.2020
Kozak, Christopher (3.2018): 'Pro-Assad Forces'. In EASO - European Asylum Support Office: EASO COI Meeting Report - Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427709/1226_1522073171_syria-coi-meeting-report-nov-dec-2017-published-march-2018.pdf, Zugriff 22.9.2020
NLM - Newline Magazine (22.12.2021): A Syrian Army Deserter Was Savagely Killed by Putin’s Wagner. Now His Family Seek Justice in Russia, https://newlinesmag.com/reportage/family-seek-justice-in-russia-fo-syrian-army-deserter-was-savagely-killed-by-putins-wagner/, Zugriff 12.1.2022
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (15.3.2021): Complaint Filed In Moscow Against Vagner Mercenary Group Over Torture Of Syrian Detainee, https://www.ecoi.net/en/document/2047249.html, Zugriff 17.8.2021
TMT - The Moscow Times (9.1.2020): Russia’s Role in Syria is Changing, https://www.themoscowtimes.com/2020/01/09/russias-role-syria-changing-a68823, Zugriff 22.9.2020
TSO - The Syrian Observer (15.12.2021): Assassination of Senior Officers in Coastal Syria: Struggle for Power?, https://syrianobserver.com/security/72034/assassination-of-senior-officers-in-coastal-syria-struggle-for-power.html, Zugriff 12.1.2022
TWP - Washington Post (30.7.2019): Assad’s control over Syria’s security apparatus is limited, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/07/30/assads-control-over-syrias-security-apparatus-is-limited/, Zugriff 25.3.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 22.04.2022
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichteten jedoch von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung vermeintlicher Oppositioneller einsetzten, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und sogar schon vor 2011 dokumentiert wurde. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte kam zu dem Schluss, dass Einzelpersonen zwar häufig gefoltert wurden, um Informationen zu erhalten, der Hauptzweck der Anwendung von Folter durch das Regime während der Verhöre jedoch darin bestand, die Gefangenen zu terrorisieren und zu demütigen (USDOS 30.3.2021). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021, AA 4.12.2020).
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen (SHRC 24.1.2019).
Das Auswärtige Amt fasst die Haftbedingungen in Syrien als "unverändert grausam und menschenverachtend" zusammen. Dies ist allgemein der Fall, gilt jedoch besonders für diejenigen Haftanstalten, in denen DissidentInnen und sonstige politische Gefangene festgehalten werden (AA 29.11.2021). Seit Ausbruch des Konflikts haben sich die Zustände danach aufgrund von Überfüllung und einer gestiegenen Gewaltbereitschaft der Sicherheitskräfte und Gefängnisbediensteten erheblich verschlechtert (AA 29.11.2021). NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 30.3.2021; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet (USDOS 30.3.2021). Unter den von der UN Commission of Inquiry (COI) dokumentierten Fällen waren die jüngsten betroffenen Buben und Mädchen elf Jahre alt (HRW 13.1.2022). Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 30.3.2021). Daneben sind zahllose Fälle dokumentiert, in denen Familienmitglieder, nicht selten Frauen oder Kinder, oder auch Nachbarn für vom Regime als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen anderer inhaftiert und gefoltert werden. Solche Kollektivhaft wird Berichten zufolge in einigen Fällen auch angewendet, wenn vom Regime als feindlich angesehene Personen Zuflucht im Ausland gesucht haben. (AA 29.11.2021; vgl. bzgl. eines konkreten Falles Üngör 15.12.2021).
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leer stehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden (USDOS 30.3.2021; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 30.3.2021). SNHR schätzt die Gesamtzahl der verschwunden gelassenen Personen auf mindestens 100.000, hinter fast 85% dieser steckt das Regime (HRW 13.1.2022). Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021).
In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 1.10.2021).
Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen, darunter 181 Kinder und 93 (erwachsene) Frauen, durch Folter durch die Konfliktparteien und die kontrollierenden Kräfte in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021). Im gesamten Jahr 2021 zählte SNHR insgesamt 104 Todesopfer aufgrund von Folter (SNHR 1.1.2022). Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Neben gewaltsamen Todesursachen ist jedoch eine hohe Anzahl der Todesfälle auf die desolaten Haftbedingungen zurückzuführen. (AA 29.11.2021). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert, und diese nur nach und nach bekannt macht: Im Jahr 2020 lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, weil der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert. So müssen die Familien aktiv im Melderegister suchen, um den Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische Regierung übergibt nicht die sterblichen Überreste der Verstorbenen an die Familien (HRW 14.1.2020).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Gefängnissen sind jedoch keine Neuerungen der Jahre seit Ausbruch des Konflikts, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Am 4.11.2020 ließ die syrische Regierung 60 Personen aus Gefängnissen im südlichen Syrien und Damaskus frei (HRW 13.1.2022).
Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (NMFA 7.2019). Laut Menschenrechtsorganisationen und Familien von Inhaftierten bzw. Verschwundenen nutzen das Regime und ein korruptes Gefängnispersonal die erheblichen Zugangsbeschränkungen und -erschwernisse in Haftanstalten, aber auch die schlechte Versorgungslage, nicht zuletzt auch als zusätzliche Einnahmequelle. Grundlegende Versorgungsleistungen sowie Auskünfte zum Schicksal von Betroffenen werden vom Justiz- und Gefängnispersonal häufig nur gegen Geldzahlungen gewährt. Zudem sei es in einigen Fällen möglich, gegen Geldzahlung das Strafmaß bzw. Strafvorwürfe nachträglich zu reduzieren und so von Amnestien zu profitieren. Ein im Dezember 2020 von der Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison veröffentlichter Bericht quantifiziert anhand von Interviews mit Familienangehörigen von 508 Verschwundenen erstmals das wirtschaftliche Ausmaß dieses Systems. Anhand von Hochrechnungen auf Basis der dokumentierten Fälle geht ADMSP von Zahlungen in einer Gesamthöhe von mehr als 100 Mio. USD in Vermisstenfällen aus, bei Einberechnung aller erkauften Freilassungen von über 700 Mio. USD (AA 29.11.2021).
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen (USDOS 30.3.2021). Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung (USDOS 11.3.2020). Auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nutzten in ihren Haftanstalten Folter, um Geständnisse zu erhalten - oft als Rache und basierend auf ethnischen Vorurteilen. Der Menschenrechtsmonitor, Syrian Network for Human Rights, konnte im Jahr 2020 zumindest 14 Todesfälle aufgrund von Folter und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung in den Haftanstalten der SDF dokumentieren (SNHR 26.1.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.11.2019): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/21601427/Deutschland___Auswärtiges_Amt%2C_Bericht_über_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_20.11.2019)%2C_20.11.2019.pdf?nodeid=21602084 vernum=-2, Zugriff 26.8.2020
AI - Amnesty International (7.4.2021): Syrien 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048575.html, Zugriff 10.6.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Syria, https://freedomhouse.org/country/syria/freedom-world/2021, Zugriff 1.10.2020
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2043510.html, Zugriff 26.1.2021
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2022683.html, Zugriff 22.7.2020
NMFA - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports [Niederlande] (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation [Niederlande], per E-Mail am 27.8.2019
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020
SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2022): 1,271 Civilians, Including 299 Children, 134 Women, and 104 Victims of Torture, Killed in Syria in 2021, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/1271_Civilians_Including_229_Children_134_Women_and_104_Victims_of_Torture_Killed_in_Syria_in_2021_en.pdf, Zugriff 12.1.2022
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SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf, Zugriff 3.2.2021
TWP - The Washington Post (23.12.2018): Syria’s once teeming prison cells being emptied by mass murder, https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/syria-bodies/?noredirect=on utm_term=.6a8815bb3721, Zugriff 22.7.2020
Üngör, Uğur Ümit - Professor f. Geschichte, Universität Amsterdam/NIOD Institute (15.12.2021): Interview, via Videocall
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 25.04.2022
Anmerkung:
In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.
Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht, klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Letzte Änderung: 25.04.2022
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).
Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018).
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).
Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EUAA 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).
Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden(DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung
Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.11.2021). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).
Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Ende März 2020 beendeten zwei Erlässe mit 7. April 2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EUAA 11.2021).
Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 20201 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen sowie ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Disloyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
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STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (22.8.2019): TIMEP Brief: Conscription Law, https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-conscription-law/, Zugriff 24.8.2020
TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 24.8.2020
Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs
ohne Ableistung des Wehrdiensts
Letzte Änderung: 25.04.2022
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021 vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung des Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.). Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).
Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017). Eine Änderung des syrischen Wehrpflichtgesetzes (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern. Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021).
Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten
Christliche und muslimische Geistliche können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 12.5.2021). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018). Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen (COAR 24.11.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 18.8.2020
Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videotelefonie
COAR - Center for Operational Analysis and Research (24.11.2020): Changes to military service reflect Damascus’s unrealistic aims, growing socio-economic divide, https://coar-global.org/2020/11/24/changes-to-military-service-reflect-damascuss-unrealistic-aims-growing-socio-economic-divide/, Zugriff 24.8.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria – Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf, Zugriff 24.8.2020
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf, Zugriff 22.7.2021
DRC/DIS – Danish Refugee Council [Dänemark]/ The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da amp;hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D, Zugriff 25.8.2020
EB – Enab Baladi (9.2.2019): Military Service Exemption Fee: Expensive Return Ticket To Homeland, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/09/military-service-exemption-fee-expensive-return-ticket-to-homeland/, Zugriff 25.8.2020
FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf, Zugriff 17.8.2021
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 27.8.2021
ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf, Zugriff 12.10.2020
PAR – Website of the Parliament [Syria] (15.11.2017): القانون رقم /35/ لعام 2017 القاضي بتعديل قانون خدمة العلم الصادر بالمرسوم التشريعي رقم /30/ لعام /2007/ [Law No. 35 of 2017 amending the Military Service Law issued by Legislative Decree No. 30 of 2007], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201 nid=18681 RID=-1 Last=10262 First=0 CurrentPage=0 Vld=-1 Mode= Service=-1 Loc1= Key1= SDate= EDate= Year= Country= Num= Dep=-1 , Zugriff 24.8.2020
SANA – Syrian Arab News Agency (8.11.2017): مجلس الشعب يقر مشروع قانون يتعلق بمن تجاوز سن التكليف للخدمة ربط الإلزامية وآخر حول السجل العام للعاملين في الدولة بوزارة التنمية الإدارية [The People's Assembly passes a draft law related to those who have passed the age of mandatory service and another about linking the public registry of workers in the country to the Ministry of Administrative Development], http://www.sana.sy/?p=656572, Zugriff 24.8.2020
SB Berlin - Botschaft der Syrischen Arabischen Republik Berlin (o.D.): شؤون التجنيد http://mofaex.gov.sy/berlin-embassy/ar/pages738/%D8%B4%D8%A4%D9%88%D9%86-%D8%A7%D9%84%D8%AA%D8%AC%D9%86%D9%8A%D8%AF, Zugriff 16.3.2022
SLJ – Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Newsflash of 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320, Zugriff 24.8.2020
STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
USDOS – United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html, Zugriff 10.6.2021
Amnestien mit folgendem Militärdienst
Letzte Änderung: 25.04.2022
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020).
Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Im Laufe des Jahres 2019 häuften sich Berichte über Regimekräfte, die gegen frühere Amnestievereinbarungen verstießen, indem sie Razzien und Verhaftungskampagnen durchführten, die sich auf Zivilisten und ehemalige Angehörige bewaffneter Oppositionsfraktionen in Gebieten konzentrierten, die zuvor Versöhnungsvereinbarungen mit dem Regime unterzeichnet hatten (USDOS 11.3.2020; vgl. DIS 5.2020). Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Auch wenn Assad allen gesagt hat, dass es eine Amnestie geben wird, kann er nicht kontrollieren, was vor Ort passiert, und Vergeltung ist ein weitverbreitetes Phänomen (Balanche 13.12.2021).
Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristischen" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]
Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen AA 29.11.2021).
Am 10.10.2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalamnestie“ für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).
Zu Amnestien der syrischen Regierung für Reservepflichtige siehe Unterkapitel "Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst".
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien,https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview per Videotelefonie
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria - Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf, Zugriff 22.7.2020
EB - Enab Baladi (3.4.2020): Decrees for detainees .. without including them Syrian detainees off legislators’ table, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/04/decrees-for-detainees-without-including-them-syrian-detainees-off-legislators-table/, Zugriff 19.8.2020
MEE - Middle East Eye (2.5.2021): Syria: Amnesty announced ahead of presidential elections, https://www.middleeasteye.net/news/syria-amnesty-offered-ahead-presidential-elections, Zugriff 21.5.2021
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 30.8.2021
Reuters (11.5.2021): Syria releases hundreds of social media critics ahead of election, https://www.reuters.com/world/middle-east/syria-releases-hundreds-social-media-critics-ahead-election-2021-05-11/, Zugriff 10.6.2021
SANA - Syrian Arab News Agency (2.5.2021a): President al-Assad grants general amnesty for crimes committed before May 2nd, https://sana.sy/en/?p=231570, Zugriff 20.5.2021
SANA - Syrian Arab News Agency (2.5.2021b): الرئيس الأسد يصدر مرسوماً بمنح عفو عام عن الجرائم المرتكبة قبل تاريخ 2 أيار-فيديو [Präsident Assad erlässt ein Dekret zur Gewährung einer Amnestie für Verbrechen, die vor dem 2. Mai begangen wurden - Video], http://www.sana.sy/?p=1373048, Zugriff 21.5.2021
SD - Syria Direct (10.5.2021): Bashar al-Assad issues general amnesty excluding prisoners of conscience: Who benefits and why now?, https://syriadirect.org/bashar-al-assad-issues-general-amnesty-excluding-prisoners-of-conscience-who-benefits-and-why-now/, Zugriff 20.5.2021
SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 24.8.2020
Üngör, Uğur Ümit - Geschichtsprofessor, Universität Amsterdam und NIOD Institut (15.12.2021): Interview per Videotelefonie
USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung: 25.04.2022
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).
Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).
Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021).
Für nähere Informationen siehe auch das Unterkapitel "Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts".
Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021).
Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).
Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
Bzgl. Konfiszierungsmöglichkeiten im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes siehe Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".
Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost- Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021) Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).
Zu den "Versöhnungsabkommen" siehe auch Abschnitt "Versöhnungsabkommen" im Kapitel "Sicherheitslage".
Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut einem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit oder ohne mangelhaftem Training direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videotelefonie
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf, Zugriff 22.7.2020
DIS/DRC - Danish Immigration Service [Denmark]/ Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC, Zugriff 8.9.2020
FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
Khaddour, Kheder - Gast-Wissenschaftler am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center (24.12.2021): Interview, per Videotelefonie
Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 7.9.2020
STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
Üngör, Uğur Ümit - Professor für Geschichte, Universität Amsterdam und NIOD Institut (15.12.2021): Interview, per Videotelefonie
Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen
Letzte Änderung: 25.04.2022
Das Gesetz N. 11/2013 kriminalisiert alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die Syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen. Allerdings hat die Regierung keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Die Regierung berichtete nicht von der Untersuchung, Verfolgung oder Verurteilung von verdächtigten Menschenhändlern, noch wurden Regierungsmitarbeiter, die an Menschenhandel, inklusive der Rekrutierung von Kindern, beteiligt waren untersucht, verfolgt oder verurteilt. Die Regierung führt weiterhin Verhaftungen und Inhaftierungen durch und misshandelte Opfer von Menschenhandel schwer - inklusive Kindersoldaten - und bestrafte diese für illegale Taten, zu denen sie von Menschenhändler gezwungen wurden. Sie hat regelmäßig Kinder für die vermeintliche Verbindung zu bewaffneten Gruppen inhaftiert, vergewaltigt, gefoltert und exekutiert. Sie hat keine Bemühungen gezeigt, diesen Kindern irgendwelche Schutzdienste zur Verfügung zu stellen. Die Regierung schützte Kinder auch nicht vor der Rekrutierung und dem Einsatz durch bewaffnete Oppositionsgruppen und Terrororganisationen. (USDOS 1.7.2021).
Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten ist Regierungslinie ("government policy or pattern"). (USDOS 1.7.2021). Der UN-Sicherheitsrat konnte die Rekrutierung von insgesamt 1.423 Kindern zwischen 1.7.2018 und 30.6.2020 in 11 von 14 Gouvernements verifizieren, 73 % der Fälle wurden im Nordwesten Syriens (Idlib, Aleppo und Hama) bestätigt und 26 % im Nordosten (Raqqa, Hassakah und Der az-Zour). Zum Zeitpunkt der Rekrutierung waren 250 Kinder (18 %) unter 15 Jahre alt (UNSC 23.4.2021). In ihrem 2021 Bericht über Kinder und bewaffneten Konflikt verifizierten die UN die Rekrutierung und den Einsatz von 813 Kindern (777 Buben, 36 Mädchen) von Jänner bis Dezember 2020 durch: - Hay’at Tahrir ash-Sham (390); syrische bewaffnete oppositionelle Gruppen (früher als Freie Syrische Armee - FSA) bekannt) (170); - die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) (119) unter dem Schirm der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF); - regierungstreue Milizen (42); - Ahrar ash-Sham (31), Nur ad-Din az-Zanki (3) und die Armee des Islam (Jaysh al-Islam) (3), alle dem Namen nach unter dem Schirm der oppositionellen Syrischen Nationalen Armee (SNA) operierend; - die Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) (30); - die Internen Sicherheitskräfte (13); - Hurras ad-Din (6); - IS (sog. Islamischer Staat) (4); - syrische Regierungskräfte (2). Die Fälle wurden vor allem in Idlib (477) und Aleppo (119) verifiziert. Von 813 Kindern wurden 99% (805) in Kampfhandlungen eingesetzt (UNGASC 6.5.2021). In Idlib werden von HTS Kinder für Kampfhandlungen eingesetzt, ebenso durch den sog. Islamischen Staat (IS), die Opposition und in geringerer Anzahl von regierungsnahen Milizen (ÖB 10.2021).
Die Regierung und regimenahe Milizen führten weiterhin Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten und deren Einsatz durch, was dazu führte, dass Kinder extremer Gewalt und Vergeltungsschlägen durch oppositionelle Kräfte ausgesetzt waren. Manche bewaffneten Gruppen, die für die syrische Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und regierungstreue Milizen, die als National Defence Forces oder „Shabiha“ bekannt sind, rekrutieren zwangsweise Kinder im Alter von sechs Jahren . Der Iran rekrutierte im Iran minderjährige Afghanen - darunter auch Zwölfjährige - unter Androhung von Abschiebung nach Afghanistan sowie iranische Minderjährige für schiitische Milizen in Syrien (USDOS 1.7.2021).
Jabhat an-Nusra und der sogenannte IS haben Kinder auch als menschliche Schutzschilder, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und Henker eingesetzt. Kämpfer haben auch Kinder für Zwangsarbeit oder als Informanten eingesetzt, wodurch diese Vergeltungsschlägen und extremer Bestrafung ausgesetzt waren (USDOS 1.7.2021).
2014 haben die Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) – Kernbestandteile der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) - die Geneva Call Verpflichtungserklärung zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten und der Vermeidung ihrer Rekrutierung unterzeichnet. Im Juni 2019 gelobten die SDF wieder, die Rekrutierung von Kindern zu stoppen, indem sie einen Aktionsplan mit den UN zur Beendigung und Vorbeugung der Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 unterschrieben (STJ 2.6.2021, ÖB 10.2021). Im September 2018 erließen die SDF einen Befehl, der die Rekrutierung von Minderjährigen verbietet und für Alterskontrollen der aktuellen Mitglieder der SDF sorgt (HRW 11.9.2018; cf. EB 7.12.2019). Zudem kündigte die sog. Selbstverwaltung am 30.8.2020 an, ein Büro für den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten einzurichten. Das Büro und seine Außenstellen sollen seit Oktober 2020 operativ sein und Berichte und Beschwerden über die Zwangsrekrutierung Minderjähriger durch die SDF entgegennehmen. Laut den VN und dem SNHR wurden zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert (AA 29.11.2021).
2019 wurden 30 rekrutierte Kinder vom Dienst bei den SDF entlassen. Mit Stand Juni 2020 wurde die Entlassung von 51 Mädchen berichtet (UNGASC 9.6.2020). Trotz dieser Schritte gab es Berichte von breiten Rekrutierungskampagnen durch die SDF und die Inhaftierung und zwangsweise Einziehung von Jugendlichen, sowie die Rekrutierung von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren vom al-Hol Camp, darunter viele Waisen (EMHRM 18.9.2019). Obwohl die Auflistung von Kindersoldaten in Nordost-Syrien im Vergleich zu den Vorjahren zurückgegangen ist, beinhalten bewaffnete Einheiten weiterhin Minderjährige, die gerade mal 16 Jahre alt sind (STJ 2.6.2021). Die Praxis der Rekrutierung Minderjähriger scheint nach wie vor nicht eingestellt worden zu sein (AA 29.11.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
EB - Enab Baladi (7.12.2019): Compulsory military recruitment in Jazira Region: SDF imposing their authority, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/07/compulsory-military-recruitment-in-jazira-region-sdf-imposing-their-authority/#, Zugriff 19.8.2021
EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (18.9.2019): SDF kidnaps dozens of children and youths in eastern Syria, https://euromedmonitor.org/en/article/3136/SDF-kidnaps-dozens-of-children-and-youths-in-eastern-Syria, Zugriff 19.8.2021
HRW - Human Rights Watch (11.9.2018): Key Steps Taken to End Use of Child Soldiers in Syria, https://www.ecoi.net/en/document/1443322.html, Zugriff 19.8.2021
ÖB - Österreichische Botschaft (10.2021): Asylländerbericht Syrien (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2066258/SYRI_%C3%96B-Bericht_2021_09.pdf, Zugriff 13.1.2022
STJ - Syrians for Truth and Justice (2.6.2021): Northeastern Syria: 50 Child Soldiers Demobilized, 19 Others Still Commissioned, https://stj-sy.org/en/northeastern-syria-50-child-soldiers-demobilized/, Zugriff 19.8.2021
UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (6.5.2021): Children and Armed Conflict, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N2111309.pdf, Zugriff 19.8.2021
UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (9.6.2020): Children and Armed Conflict, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031779/15-June-2020_Secretary-General_Report_on_CAAC_Eng.pdf, Zugriff 19.8.2021
UNSC - United Nations Security Council (23.4.2021): Children and armed conflict in the Syrian Arab Republic - Report of the Secretary-General, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N2110167.pdf, Zugriff 10.6.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Syria, https://www.state.gov/reports/2021-trafficking-in-persons-report/syria/, Zugriff 19.8.2021
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Letzte Änderung: 25.04.2022
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 1.7.2021). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in ihre eigenen Strukturen zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).
Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten hoch (STDOK 8.2017). Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 6.2021).
Quellen:
DRC/DIS - Danish Refugee Council / The Danish Immigration Service [Dänemark] (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da amp;hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D, Zugriff 25.8.2020
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
MEI - Middle East Institute (18.7.2019): The Lion and The Eagle: The Syrian Arab Army’s Destruction and Rebirth, https://www.mei.edu/publications/lion-and-eagle-syrian-arab-armys-destruction-and-rebirth#pt5, Zugriff 19.8.2020
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021) - Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069799/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 27.8.2021
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
USDOS - US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2055129.html, Zugriff 25.8.2021
Nordost-Syrien
Letzte Änderung: 25.04.2022
Wehrpflichtsgesetz der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“
Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsieht, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in der YPG dient. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 29.11.2021). Einer anderen Quelle zufolge dauert der Wehrdienst sechs Monate mit Ausnahme des Zeitraums Mai 2018 bis Mai 2019, als dieser zwölf Monate umfasste (EUAA 11.2021).
Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden. Selbst einige Beschäftigte im Bildungssektor sind von diesen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen nicht ausgenommen, obwohl sie im Besitz von Dokumenten für eine Befreiung sind (EB 12.7.2019). Laut Medienberichten waren insbesondere Lehrer von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen betroffen (AA 29.11.2021).
Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes. Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB 29.9.2020). Im Fall von Verweigerung aus Gewissensgründen oder im Fall einer Verhaftung wegen Wehrdienstverweigerung erhöht sich der Wehrdienst auf 15 Monate. Spät eintreffende Wehrdienstpflichtige müssen einen Monat länger Wehrdienst leisten (EUAA 11.2021).
Laut UNHCR kann die Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, weil die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017). Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Mehrfach ist es dazu gekommen, dass Männer von der YPG rekrutiert wurden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).
Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] leisten (AA 29.11.2021), wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 29.11.2021; vgl. SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen gibt (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (IWPR 29.3.2018; vgl. Savelsberg 3.11.2017).
Proteste gegen die Wehrpflicht
Das Gesetz stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung. Sie haben mehrfach gegen die Zwangsrekrutierungen demonstriert, insbesondere viele junge Männer, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021).
Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der Syrian Democratic Forces (SDF) gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).
Quellen:
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COAR - Center for Operational Analysis and Research (7.6.2021): Deadly SDF Crackdown as Conscription Sparks Menbij Unrest, https://coar-global.org/2021/06/07/deadly-sdf-crackdown-as-conscription-sparks-menbij-unrest/, Zugriff 26.8.2021
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EUAA – European Union Agency for Asylum (ehemals: European Asylum Support Office, EASO) (11.2021): Country Guidance: Syria; Common analysis and guidance note, November 2021 https://www.ecoi.net/en/file/local/2064844/Country_Guidance_Syria_2021.pdf, Zugriff 7.3.2022
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IWPR - Institute for War and Peace Reporting (29.3.2018): Underage Girls Recruited to Kurdish Forces, https://iwpr.net/global-voices/underage-girls-recruited-kurdish-forces, Zugriff 7.9.2020
NMFA - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports [Niederlande] (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation, per E-Mail am 27.8.2019
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf, Zugriff 12.10.2020
Savelsberg, Eva [Vorsitzende des Europäischen Zentrum für Kurdische Studien] (3.11.2017): Informationen per E-Mail
SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf, Zugriff 3.2.2021
UNGASC - United Nations General Assembly (20.6.2019): Report of the Secretary-General [A/73/907-S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 7.9.2020
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.11.2017): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic; Update V, https://english.alaraby.co.uk/english/news/2020/6/17/turkey-bolsters-reinforcements-in-northern-syria, Zugriff 26.8.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die Menschenrechtslage in Syrien hat sich trotz eines messbaren Rückgangs der gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht verbessert (AA 29.11.2021). Laut UN-Menschenrechtsrat erlaubt die Situation in Syrien unter Einbeziehung der Menschenrechtslage keine nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen (UNHRC 13.8.2021). Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) vom 8.2.2022 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht von z.B. Angriffen auf die Zivilbevölkerung über Folter bis hin zur Beschlagnahmung des Eigentums von Vertriebenen (UNHRC 8.2.2022). Human Rights Watch (HRW) bezeichnet einige Angriffe der russisch-syrischen Allianz als Kriegsverbrechen, die möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen (HRW 13.1.2022).
In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich am Fehlen freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).
Es gibt erhebliche Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten mit einem in sich geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten (BS 29.4.2020). Konfessionelle und ethnische Zugehörigkeit, der Herkunftsort, der familiäre Hintergrund, etc. entscheiden über den Zugang zu Leistungen und Privilegien - oder deren Vorenthaltung. Dieser Umstand hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 23.2.2022).
Das Regime bezeichnete Meinungsäußerungen routinemäßig als illegal, und Einzelpersonen konnten das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Das Regime übt strikte Kontrolle über die Verbreitung von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus, aus und verbietet die meiste Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Probleme, einschließlich der Rechte von und Spannungen zwischen religiösen und ethnischen Minderheiten (USDOS 30.3.2021).
Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Das Gesetz erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen, offizielle Parteien zu gründen, und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften (USDOS 30.3.2021).
Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020). Im Rahmen der systematischen Gewalt, die von allen bewaffneten Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung angewandt wurde, wurden insbesondere Frauen Opfer sexueller Gewalt. Regierungstruppen und der Regierung zurechenbare Milizkräfte übten bei Hausdurchsuchungen, im Rahmen von Internierungen sowie im Rahmen von Kontrollen an Checkpoints Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt an Frauen und teilweise auch Männern aus (ÖB 1.10.2021).
In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2022). Syrische Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen nehmen weiterhin willkürlich Menschen im ganzen Land fest, lassen sie verschwinden und misshandeln sie, auch Personen in zurückeroberten Gebieten, die sogenannte Versöhnungsabkommen unterzeichnet haben (HRW 13.1.2022; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021). Berichten zufolge zögern Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).
Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, unterliegen einem besonders hohen Folterrisiko. Auch Kollektivhaft von Angehörigen - auch Kindern - oder Nachbarn ist dokumentiert, fallweise auch wegen als regimefeindlich geltenden Personen im Ausland (AA 29.11.2021). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).
Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 29.11.2021).
Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021). Dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) zufolge beläuft sich die Zahl von Inhaftierten und Verschwundenen mit Stand September 2021 auf rund 150.000. Für das erste Halbjahr 2021 dokumentierte SNHR 972 Fälle willkürlicher oder unrechtmäßiger Verhaftungen, darunter mindestens 45 Kinder und 42 Frauen. Willkürliche Verhaftungen blieben eine gezielte Vergeltungsmaßnahme u. a. für Kritik am Regime. Das Regime macht in diesen Fällen wie auch bei Verhaftungen von Wehrdienstverweigerern regelmäßig Gebrauch von der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) (AA 29.11.2021).
Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten. Es findet keine zuverlässige und für die Betroffenen verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Laut UNO ist in derartigen Fällen ein zentralisiertes Muster von Verlegungen in den Raum Damaskus erkennbar. In nur wenigen Fällen werden Betroffene in reguläre Haftanstalten oder an die Justiz überstellt. Häufiger werden die Festgenommenen in Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, zu denen Familienangehörige und Anwälte in der Regel keinen oder nur eingeschränkten Zugang haben. In vielen Fällen bleiben die Personen hiernach verschwunden. Unterrichtungen über den Tod in Haft erfolgen häufig nicht oder nur gegen Zahlung von Bestechungsgeldern, eine Untersuchung der tatsächlichen Todesumstände erfolgt in aller Regel nicht. Oft werden die Familien unter Androhung von Gewalt und Repressionen zu Stillschweigen verpflichtet. Die VN und IKRK haben unverändert keinen Zugang zu Gefangenen in Haftanstalten des Militärs und der Sicherheitsdienste und erhalten keine Informationen zum Verbleib von Verschwundenen (UNHRC 11.3.2021).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 30.3.2021).
Nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen
In ihrem Bericht von März 2021 betont der Bericht der UN-Kommission zu Syrien (CoI), dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten ausdrücklich nicht andere Konfliktparteien entlaste. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u.a. Free Syrian Army, Syrian National Army, Syrian Democratic Forces) und terroristische Organisationen (u.a. HTS - Hay'at Tahrir ash-Sham, bzw. Jabhat an-Nusra, IS - Islamischer Staat) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählten für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie Verschwindenlassen Verhafteter. Insbesondere in den Fällen der Free Syrian Army, HTS bzw. Jabhat al-Nusra, sowie IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNHRC 11.3.2021).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, extreme körperliche Misshandlungen, Tötungen von Zivilisten bei Angriffen, die als wahllos beschrieben wurden, und Zwangsräumungen von Häusern auf der Grundlage der konfessionellen Identität, verantwortlich (USDOS 30.3.2021).
Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden. Die HTS hat neben der militärischen Kontrolle über den Großteil des verbleibenden Oppositionsgebiets der „Deeskalationszone“ Idlib dort auch lokale Verwaltungsstrukturen unter dem Namen „Errettungsregierung“ aufgebaut. Auch unterhält die HTS ein eigenes Gerichtswesen, welches die Scharia anwendet, sowie eigene Haftanstalten (AA 29.11.2021). In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten wurden exekutiert (ÖB 1.10.2021).
In Idlib verhaftet Hay'at Tahrir al-Sham AktivistInnen, MitarbeiterInnen humanitärer Organisationen sowie HTS kritische ZivilistInnen. Im ersten Halbjahr waren laut Syrian Network for Human Rights mindestens 57 Personen Ziel willkürlicher Verhaftungen durch HTS. In einigen Fällen verhängte HTS die Todesstrafe ((HRW 13.1.2021)). Berichtet werden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden „unmoralisches Verhalten“ wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der CoI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab al-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet und 120 verletzt wurden (AA 29.11.2021) Die HTS greift in vermehrtem Ausmaß in alle Aspekte zivilen Lebens ein, z.B. durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen, Vorschreiben von Kleidungsvorschriften und Frisuren sowie durch die wahllose Einhebung von Steuern und Geldbußen. Sie beschlagnahmte auch viele Häuser und Immobilien von ChristInnen (HRW 13.1.2021).
Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das Vorgehen der HTS zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Mitglieder der HTS lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der CoI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch Mitglieder der HTS, auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA 29.11.2021)
Nach der territorialen Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Nordosten Syriens müssen die kurdisch geführten Behörden und die US-geführte Koalition noch Entschädigungen für zivile Opfer leisten, Unterstützung bei der Ermittlung des Schicksals der vom IS Entführten anbieten und sich angemessen mit der Notlage von mehr als 60.000 syrischen und ausländischen Männern, Frauen und Kindern befassen, die auf unbestimmte Zeit als IS-Verdächtige und als deren Familienmitglieder unter schlechten Bedingungen in geschlossenen Lagern und Gefängnissen festgehalten werden (HRW 13.1.2022).
In den von der Türkei besetzten Gebieten verletzen die Türkei und lokale syrische Gruppierungen ungestraft die Rechte der Zivilbevölkerung und schränken ihre Freiheiten ein. Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der Syrian National Army (SNA) sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen. Mit Dezember 2019 hatten die türkischen Behörden und die mit der ihre verbündete bewaffnete Gruppe - die Syrian National Army (SNA) - mindestens 63 syrische Staatsbürgerinnen verhaftet und illegalerweise in die Türkei verbracht. Dort stehen sie wegen Anklagen vor Gericht, die lebenslange Haftstrafen nach sich ziehen könnten. Fünf der 63 SyrerInnen wurde bereits im Oktober 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt. In der ersten Jahreshälfte 2021 verhaftete die SNA laut SNHR (Syrian Network for Human Rights) willkürlich 162 Personen (HRW 13.1.2022). Die Festnahme syrischer Staatsangehöriger in Afrin und Ra's al 'Ayn sowie deren Verbringung in die Türkei durch die SNA könnte laut CoI das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen (AA 29.11.2021).
Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Korruption und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018, SNHR 26.1.2021). Die SDF führen Massenverhaftungen von ZivilistInnen, darunter AktivistInnen, JournalistInnen und LehrerInnen, durch. In der ersten Jahreshälfte 2021 belief sich die Zahl der Verhafteten laut Syrian Network for Human Rights auf 369 Personen (HRW 13.1.2022). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).
Quellen:
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UNHRC - United Nations Human Rights Council (13.8.2021): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, [A/HRC/48/70], https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G21/223/82/PDF/G2122382.pdf?OpenElement, Zugriff 30.3.2022
UNHRC - United Nations Human Rights Council (11.3.2021): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, [A/HRC/46/55], https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G21/059/73/PDF/G2105973.pdf?OpenElement, Zugriff 30.3.2022
UNHRC - United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 8.9.2020
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020
Welt (30.6.2020): Deutschland sagt Opfern des Syrienkrieges Milliarden-Hilfe zu, https://www.welt.de/politik/ausland/article210741853/Syrienkrieg-Deutschland-sagt-Opfern-Milliarden-Hilfe-zu.html, Zugriff 21.8.2020
Todesstrafe und außergerichtliche Tötungen
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die Todesstrafe blieb für viele Straftaten in Kraft (AI 29.3.2022): Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat und weitere Delikte (AA 29.11.2021), wie zum Beispiel die Zerstörung öffentlicher Gebäude und Transport- sowie Kommunikationswege, die Todesstrafe vor (UNHRC 17.11.2021). In der juristischen Praxis wird der Begriff Hochverrat sehr weit gefasst und kann schon bei wahrgenommener Dissidenz erfüllt sein. Dies dient nicht zuletzt politischen Zwecken: Politische Gegner, bewaffnete Rebellen oder die humanitär tätigen syrischen „Weißhelme“ werden weitgehend unterschiedslos als „Terroristen“ eingestuft und sind damit von der Todesstrafe bedroht. Nach Definition des Regimes können bereits die Belieferung von Gebieten unter Kontrolle der Opposition mit humanitären Gütern oder die medizinische Behandlung von Oppositionellen mit der Todesstrafe geahndet werden. Regelmäßig vom Regime verkündete Amnestien (so zuletzt Dekret 13/2021) verringern ausgesprochene Todesurteile für eine Vielzahl von „klassischen“ Vergehen auf lebenslange harte Strafarbeit. Urteile wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft, auf welche ebenfalls die Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Bei anderen Vergehen, z.B. im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes von 2012, besteht die Todesstrafe jedoch in der Regel fort (AA 29.11.2021). Offizielle Zahlen zu vollstreckten Todesurteilen liegen seit Beginn des bewaffneten Konflikts nicht mehr vor. Immer wieder werden jedoch Einzelfälle vom Regime bekannt gemacht, so im Oktober 2021 die Hinrichtung von 24 vermeintlich Verantwortlichen für die schweren Waldbrände in Nordsyrien im Jahr 2020 (AA 29.11.2021, vgl. AI 29.3.2022). Die Todesstrafe wird oftmals ohne vorangegangenes faires Verfahren und im Geheimen vollstreckt (ÖB 1.10.2021). Die Gerichtsverfahren vor einem militärischen Feldgericht erfüllten die internationalen Mindeststandards für faire Gerichtsverfahren bei Weitem nicht (AI 22.2.2018).
Neben vollstreckten Todesurteilen kommt es zu Tötungen und Hinrichtungen von Inhaftierten ohne Anklage oder Urteil (AA 29.11.2021). Amnesty International schätzte 2017 allein die Zahl der zwischen 2011 und 2015 in Saydnaya hingerichteten Personen auf nicht weniger als 13.000 Menschen (AI 22.10.2021). Im Jahr 2017 äußerte die US-Regierung öffentlich die Vermutung, dass syrische Behörden in Saydnaya jeden Freitag eine zwei- bis dreistellige Anzahl Häftlinge hinrichteten und hierfür eigens ein Krematorium angelegt hätten, um die Leichen von Gefangenen ohne Spuren zu beseitigen (AA 29.11.2021).
Auch im Jahr 2021 gab es weitere Berichte über hunderte Tote im Saydnaya-Gefängnis und den Einrichtungen der Sicherheitsdienste sowie über dutzende Tote nach einem Gefangenentransfer in das Tishrin Militärspital. Ehemalige Insassen von Saydnaya berichteten auch über Tote durch Folter und unmenschliche Behandlung vor dem Hintergrund von weitverbreitetem Hunger und Tuberkulose (UNHRC 13.8.2021).
Todesfälle in der Haft und standrechtliche Hinrichtungen wurden in Hafteinrichtungen aller Parteien dokumentiert. Der sogenannte Islamische Staat (IS) führte Hinrichtungen in der Öffentlichkeit durch und zwang die Bewohner, einschließlich Kinder, zuzusehen (UNHRC 17.11.2021). Bis zu seiner territorialen Niederlage im April 2019 tötete der IS Hunderte von Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, durch öffentliche Hinrichtungen, wie Kreuzigungen und Enthauptungen unter dem Vorwurf des Glaubensabfalls, der Blasphemie und der Homosexualität (USDOS 10.6.2020). In seinem Bericht für das Jahr 2020 stellte Human Rights Watch fest, dass türkische Truppen und die Syrian National Army (SNA) mindestens sieben standrechtliche Hinrichtungen in den von ihnen besetzten Gebieten im Nordosten Syriens durchgeführt haben. Auch Hay'at Tahrir ash-Sham, die überwiegend mehrere Regionen in Idlib kontrolliert, hat Berichten zufolge standrechtliche Hinrichtungen durchgeführt (HRW 13.1.2021).
Im Laufe des bewaffneten Konflikts wurden wiederholt auch Hinrichtungen von gefangenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch bewaffnete, zumeist radikalislamische Oppositionsgruppen und terroristische Gruppierungen von der UNO dokumentiert (AA 29.11.2021).
Anm.: Das Gefängnis Saydnaya dient lediglich als vergleichsweise gut belegtes Beispiel. Tatsächlich gibt es eine große Bandbreite an staatlichen wie nicht-staatlichen Gerichten und bewaffneten Akteuren mit jeweils eigenen offiziellen oder geheimen Gefängnissen.
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Syrien 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070231.html, Zugriff 31. 3.2022
AI – Amnesty International (22.10.2021): Syria: Chilling execution spree with 24 people put to death over last year’s wildfires, https://www.ecoi.net/de/dokument/2062813.html, Zugriff 3.3.2022
AI - Amnesty International (22.2.2018): Jahresbericht Syrien 2017/2018, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/syrien, Zugriff 22.7.2020
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021, https://www.hrw.org/world-report/2021/country-chapters/syria, Zugriff 28.9.2021
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
TNYT - The New York Times (11.5.2019): Inside Syria’s Secret Torture Prisons: How Bashar al-Assad Crushed Dissent, https://www.nytimes.com/2019/05/11/world/middleeast/syria-torture-prisons.html, Zugriff 22.7.2020
TWP - The Washington Post (23.12.2018): Syria’s once teeming prison cells being emptied by mass murder, https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/syria-bodies/?noredirect=on utm_term=.6a8815bb3721, Zugriff 22.7.2020
UNHRC - United Nations Human Rights Council (17.11.2021): Compilation on the Syrian Arab Republic, Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065950/A_HRC_WG.6_40_SYR_2_E.pdf, Zugriff 4.1.2022
UNHRC - United Nations Human Rights Council (13.8.2021): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, [A/HRC/48/70], https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G21/223/82/PDF/G2122382.pdf?OpenElement, Zugriff 31.3.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (11.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2031230.html, Zugriff 22.7.2020
Ethnische und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung: 22.01.2022
Anm.: Viele der angeführten Minderheiten sind ethno-religiöse Minderheiten (z.B. armenische Christen, kurdische Jesiden) oder sie verfügen über kulturell bedingte eigene Interpretationen des Islams im Alltag (z.B. viele sunnitische Kurden). Nähere Informationen zu einzelnen Minderheiten können nach Bedarf im Rahmen von Anfragebeantwortungen geboten werden.
Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demografischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese sich unter anderem aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10% (USDOS 10.6.2020; vgl. MRG 5.2018a, CIA 12.8.2020), wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2.5% nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden (USDOS 12.5.2021).
Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Assad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär (USDOS 30.3.2021).
In Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit besteht die syrische Bevölkerung zum Großteil aus Arabern (Syrer, Palästinenser, Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen (MRG 5.2018a).
Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheitengruppen ist von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren, von den Ansichten und Wahrnehmungen dieser Akteure gegenüber Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheitengruppen sowie von den spezifischen Konfliktentwicklungen in diesen Gebieten (UNHCR 3.2021).
Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere nicht für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3% (vor dem Konflikt über 10%) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen. – Ihre Rückkehr scheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist die Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden. Sowohl auf Seiten der regierungstreuen als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten. Aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72%) in der (auch bewaffneten) Opposition finden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückeroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demografischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt. Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten (ÖB 1.10.2021).
Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt von Seiten der Regierung gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl konfessionelle Elemente als auch Elemente ohne konfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionsgruppen, welche die Vormachtstellung der Regierung bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeige sie konfessionelle Auswirkungen (USDOS 10.6.2020). So versucht die syrische Regierung konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor Angriffen von gewalttätigen sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Muslime und haben Beobachtern zufolge eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis (USDOS 12.5.2021). Dies gibt dem Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle Gruppen auch ein konfessionelles Element. Der Einsatz von schiitischen Kämpfern, z.B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellt die Regierung die bewaffnete Opposition auch als religiös motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang setzt, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen (USDOS 10.6.2020).
Dies führt dazu, dass manche Führer religiöser Minderheitengruppen der Regierung Präsident Assads ihre Unterstützung aussprechen, da sie diese als ihren Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen (USDOS 10.6.2020; vgl. USCIRF 4.2019, FA 27.7.2017). Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Auch die Alawiten sind in ihrer Unterstützung bzw. Ablehnung der syrischen Regierung nicht geeint. Manche Mitglieder der Minderheiten sehen die Regierung als Beschützer, andere sehen einen Versuch der Regierung die Minderheiten auszunutzen, um die eigene Legitimität zu stärken, indem zum Beispiel konfessionell motivierte Propaganda verbreitet, und so die Ängste der Minderheiten geschürt und deren empfundene Vulnerabilität vertieft wird (MRG 5.2018b). So werden Berichten zufolge auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung (USDOS 30.3.2021).
Alawiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen (USDOS 30.3.2021).
In den unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder der islamistischen Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) stehenden Gebieten wurden Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten sowie auch Sunniten, inklusive Kurden, Ziele von Tötung, Entführung, Verhaftung oder Misshandlung. Christen wurden gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren, oder liefen Gefahr getötet zu werden (USDOS 12.5.2021). In seit 2018 bzw. 2019 türkisch kontrollierten Gebieten im Norden Syriens ist es zu Vertreibungen und Drohungen gegen Minderheiten gekommen (JP 13.6.2020; vgl. Wilson Center 7.2020).
Der sogenannte IS entführte tausende großteils jesidische, aber auch christliche und turkmenische Frauen und Mädchen im Irak und verschleppte sie nach Syrien, wo sie als Sexsklavinnen verkauft und als Kriegsbeute an IS-Kämpfer verteilt wurden. Durch die Zurückdrängung des IS wurde dessen Herrschaft über Teile der Bevölkerung beendet und seine Möglichkeit, religiöse Minderheiten zu unterdrücken und Gewalt auszusetzen, eingedämmt (USDOS 21.6.2019). Trotz der territorialen Niederlage des IS berichteten Medien und NGOs, dass seine extremistische Ideologie weiterhin stark im Land präsent ist (USDOS 12.5.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918 vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019 [Report about the situation in the Syrian Arab Republic], https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
CIA – Central Intelligence Agency [USA] (12.8.2020): The World Factbook: Syria – Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html, Zugriff 21.8.2020
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (29.6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf, Zugriff 8.9.2020
FA – Foreign Affairs (27.7.2017): The Problem With Syria’s Demographics, https://www.foreignaffairs.com/articles/syria/2017-07-27/problem-syrias-demographics, Zugriff 8.9.2020
JP – The Jerusalem Post (13.6.2020): Turkey’s occupation of Syria slammed for ethnic cleansing, https://www.jpost.com/middle-east/turkeys-occupation-of-syria-slammed-for-ethnic-cleansing-631255, Zugriff 8.9.2020
MRG – Minority Rights Group International (5.2018a): Syria – Minorities and indigenous peoples, https://minorityrights.org/country/syria/, Zugriff 8.9.2020
MRG – Minority Rights Group International (5.2018b): Syria – Current Issues, https://minorityrights.org/country/syria/, Zugriff 17.8.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (3.2021): International Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2049565/606427d97.pdf, Zugriff 14.6.2021
USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: USCIRF Recommended Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008202/Tier1_SYRIA_2019.pdf, Zugriff 8.9.2020
USDOS – United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html, Zugriff 10.6.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2031230.html, Zugriff 23.7.2020
USDOS – United States Department of State [USA] (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2011033.html, Zugriff 8.9.2020
Wilson Center (7.2020): Syrian Yezidis under Four Regimes: Assad, Erdogan, ISIS and the YPG , https://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/media/uploads/documents/MEP_200710_OCC%2037_FINAL.pdf, Zugriff 8.9.2020
(…)
RELIGIONSFREIHEIT
Letzte Änderung: 25.04.2022
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss und dass die islamische Rechtsprechung eine Hauptquelle der Gesetzgebung darstellt. In Angelegenheiten des Personenstandsrechtes fallen alle Bürger unter die Gesetzgebung ihrer jeweiligen religiösen Gruppe (Christentum, Islam oder Judentum) (USDOS 12.5.2021). Seit 2006 existiert ein eigenes Personenstandsgesetz für Katholiken (Dekret Nr. 31/2006 vom 18.6.2006), die daher gänzlich aus dem Anwendungsbereich des syrischen Personenstandsgesetzes fallen (ÖB 1.10.2021). Zur Klärung von Fragen des Familienstandes verlangt die Regierung daher von ihren Bürgern, ihre Glaubenszugehörigkeit zu einer dieser drei Religionen registrieren zu lassen. Die Religionszugehörigkeit, abgesehen von der jüdischen Religionszugehörigkeit, wird nicht im Pass und auf dem Personalausweis vermerkt (USDOS 12.5.2021). Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu registrieren (Eijk 2013). Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften" (USDOS 12.5.2021). Die syrische Gesetzgebung stellt Blasphemie unter Strafe. Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), zum Beispiel, konnte in ihrem letzten Fünfjahresbericht (Zeitraum 2014-2018) jedoch keine Fälle einer Anwendung dokumentieren (USCIRF 2020).
Bereits vor dem Konflikt wuchs die Bedeutung von religiösen Stiftungen, um fehlende staatliche soziale und wirtschaftliche Leistungen auszugleichen. Im Zuge des Konfliktes verstärkte sich diese Rolle abermals. Religiöse Netzwerke in oppositionellen Gebieten, die in Verbindung mit bewaffneten Fraktionen stehen, wurden zu Pseudo-Organen der Lokalverwaltung und übernahmen Aufgaben wie z.B. die Verteilung von Hilfsgütern, Sozialleistungen, Bildung, Verwaltung von Bäckereien und die Verwaltung von Flüchtlingslagern. Begleitend zu diesen sozialen Diensten gab es klare Bemühungen um religiöse Indoktrination, z.B. die Vereinheitlichung der Verschleierung, die Verbreitung des Korans und den Betrieb von Waisenhäusern (in denen sich das Leben um religiöse Lehren und das Auswendiglernen des Korans dreht). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten wurden religiösen Akteuren, die vom Staat als vertrauenswürdig erachtet wurden, beispiellose Vorrechte innerhalb ihrer Gemeinschaften eingeräumt. Sie übernahmen kommunale Aufgaben, um den Zerfall staatlicher Strukturen und Leistungen auszugleichen, wie beispielsweise die Stromversorgung durch privat betriebene und in Privatbesitz befindliche Stromgeneratoren (CMEC 19.3.2019).
Gesetz Nr. 31 vom Oktober 2018 verleiht dem syrischen Ministerium für Religiöse Stiftungen („Ministry of Awqaf“) zusätzliche Befugnisse (CEIP 14.11.2018; vgl. CMEC 19.3.2019). So beinhaltet das Gesetz die Einrichtung eines "Rechtswissenschaftlichen und Gelehrtenrates" mit der Entscheidungshoheit über die Definition, welche Inhalte im religiösen Diskurs angemessen sind. Der Minister wird mit der Kompetenz ausgestattet, religiöse Persönlichkeiten zu bestrafen, wenn diese "extremistische" oder auch "abweichende" religiöse Lehren verbreiten, indem ihnen die Lizenz entzogen oder gegen sie ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Der Rat soll außerdem jede Fatwa, die in Syrien veröffentlicht wird, überwachen, um die Verbreitung wahhabitischen oder mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Gedankenguts zu verhindern (CEIP 14.11.2018). Einem syrischen Anwalt zufolge kann der Minister durch diese Gesetzesänderung auch in Bereichen, die nicht direkt mit der Verwaltung dieses Ministeriums in Zusammenhang stehen, Einfluss ausüben, so z.B. auf religiöse Literatur (France24 14.10.2018).
Das syrische Eherecht kennt das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nicht-muslimischen Mann nichtig (MPG o.D.a). Sie wäre laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn sie bereits vollzogen wurde (Eijk 2013). Nach dem Konsens der islamischen Juristen ist eine Ehe zwischen einem Muslim und einer nicht-muslimischen Frau wirksam, sofern diese einer der zwei anderen Buchreligionen - also Christentum und Judentum - angehört (MPG o.D.a). Eine christliche Ehefrau eines muslimischen Mannes kann jedoch nichts von ihrem Mann erben, selbst wenn sie zum Islam konvertiert, und sie kann nur auf einem islamischen Friedhof begraben werden, wenn sie konvertiert (USDOS 12.5.2021). Ihre Kinder werden automatisch Muslime (Eijk 2013). Der gesellschaftliche Druck führt außerdem dazu, dass Konversionen, insbesondere vom Islam zum Christentum, relativ selten sind, und viele Konvertiten gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 gezwungen sind, aus dem Land zu fliehen (HI 25.9.2021).
In den [Anm.: nordöstlichen, nicht staatlich anerkannten] selbstverwalteten Gebieten des Landes sind Konversionen und interreligiöse Ehen erlaubt (UNHRC 1.11.2021).
Der syrische Bürgerkrieg hat alle religiösen und ethnischen Gemeinschaften in Mitleidenschaft gezogen. Religiöse Gemeinschaften in den von islamistischen Milizen kontrollierten Zonen, darunter die Baha'i, Ahmadis, Juden, Jesiden und Christen, wurden jedoch besonders schlecht behandelt. Viele waren gezwungen, aufgrund des feindlichen Umfelds aus dem Land zu fliehen, sodass einige Gebiete "religiös gesäubert" wurden (UNHRC 1.11.2021).
[Anm.: Siehe auch Kapitel „Ethnische und religiöse Minderheiten“.]
Quellen:
CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (14.11.2018): Formalizing Regime Control over Syrian Religious Affairs, https://carnegieendowment.org/sada/77712, Zugriff 24.7.2020
CMEC - Carnegie Middle East Center (19.3.2019): The Religious Domain Continues to Expand in Syria, https://carnegie-mec.org/2019/03/19/religious-domain-continues-to-expand-in-syria-pub-78624, Zugriff 24.7.2020
Eijk - Esther van Eijk (2013): Family law in Syria: a plurality of laws, norms, and legal practices. Dissertation, Universität Leiden, https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/21765/Binnenwerk%20Proefschrift_EvanEijk_26July%202013%20corr.pdf?sequence=20, Zugriff 24.7.2020
France24 (14.10.2018): Syria ‘expands state control’ with strict new laws governing religious affairs, https://www.france24.com/en/20181014-syria-adopts-law-expanding-government-control-over-religious-affairs-assad-muslim, Zugriff 24.7.2020
HI - Humanists International (25.9.2020): The Freedom of Thought Report - Syria, https://fot.humanists.international/countries/asia-western-asia/syria/, Zugriff 4.1.2022
MPG - Max-Planck-Gesellschaft (o.D.a): Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe, Zugriff 24.7.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
UNHRC - United Nations Human Rights Council (1.11.2021): Summary of Stakeholders’ submissions on Syrian Arab Republic*, Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065951/A_HRC_WG.6_40_SYR_3_E.pdf, Zugriff 4.1.2022
USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (2020): Violating Rights, Enforcing the world´s blasphemy laws, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2020%20Blasphemy%20Enforcement%20Report%20_final_0.pdf, Zugriff 4.1.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html, Zugriff 10.6.2021
Kinder
Letzte Änderung: 25.04.2022
Auch im Berichtszeitraum kam es in Syrien zu schwersten Verletzungen der Rechte von Kindern. Allein im ersten Halbjahr 2021 wurden nach Angaben von Syrian Network for Human Rights (SNHR) 145 Kinder bei Kampfhandlungen getötet. Der im April 2021 veröffentlichte dritte Bericht des UN-Generalsekretärs zur Lage von Kindern im bewaffneten Konflikt in Syrien konstatiert zum wiederholten Male zahlreiche Verstöße gegen die Rechte von Kindern und verurteilt diese aufs Schärfste. Hierzu zählten insbesondere die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten, Inhaftierung und Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Kinder, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser in Syrien sowie die Verweigerung humanitärer Hilfsleistungen als schwere Verstöße (AA 29.11.2021).
Staatsbürgerschaft und Geburtsregistrierung
Kinder leiten die Staatsbürgerschaft ausschließlich von ihrem Vater ab. In weiten Teilen des Landes, in denen die Standesämter nicht funktionierten, haben die Behörden Geburten oft nicht registriert. Das Regime registrierte keine Geburten kurdischer Einwohner, die nicht die syrische Staatsbürgerschaft besitzen, einschließlich staatenloser Kurden. Die Nichtregistrierung führte zum Entzug von Dienstleistungen, wie z.B. Ausstellung von Zeugnissen für sekundäre Schulbildung, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formeller Beschäftigung sowie Dokumenten und Schutz (USDOS 30.3.2021).
Bildung und Schulen
Für alle Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren besteht eine Schulpflicht (USDOS 30.3.2021). Besonders gravierende Langzeitfolgen hat der Konflikt unter anderem im Bildungsbereich (SWP 7.4.2020): Wiederholte Angriffe auf Schulen durch Kämpfer aller Konfliktparteien, die Umwidmung von Bildungseinrichtungen für militärische Zwecke sowie die Tötung und Vertreibung qualifizierter Lehrkräfte behinderten weiterhin die Möglichkeiten der Kinder, eine Ausbildung zu erhalten, und hatten unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Mädchen, sowie auf vertriebene Kinder und auf Kinder mit Behinderungen (USDOS 30.3.2021). Aufgrund der Angriffe von Schulen, welche das syrische Regime gemäß der Menschenrechtsorganisation SNHR willkürlich wie auch absichtlich verübte, verzichten viele Eltern nun darauf, ihre Kinder in die Schule zu schicken, weil sie befürchten, dass sie zur Zielscheibe werden (SNHR 20.11.2021). Für Mädchen besteht auf dem Weg zur oder von der Schule ein besonderes Risiko sexueller Gewalt, die häufig der Hauptgrund dafür ist, dass Mädchen die Schule abbrechen oder von ihren Eltern aus der Schule genommen werden (UNPFA 11.2017).
In etwa drei Millionen Kinder in Syrien haben keinen Zugang zu Schulbildung (SHRC 1.2021). Weitere 1,3 Millionen waren gefährdet, die Schule zu verlassen (USDOS 30.3.2021). 6,1 Mio. Syrerinnen und Syrer sind laut Weltbank weder beschäftigt noch in einer Schule oder Ausbildung. Eine ganze Generation hat inzwischen keine Schulbildung genossen. Über ein Drittel aller Schulen ist beschädigt oder vollständig zerstört. Aufgrund der Covid-19-Pandemie waren die verbliebenen Schulen von März bis Dezember 2020 immer wieder geschlossen (AA 29.11.2021).
In Gebieten, die zuvor unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) standen und von den Syrian Democratic Forces (SDF) zurückerobert wurden, konnten Schulen wiedereröffnet werden. Viele der Schulen benötigen jedoch noch umfangreiche Reparaturen und müssen von explosiven Kampfmittelrückständen gesäubert werden (USDOS 30.3.2021).
Kinder-, Früh- und Zwangsehe
Das gesetzliche Heiratsalter beträgt 18 Jahre für Männer und 17 Jahre für Frauen. Buben im Alter von 15 Jahren oder Mädchen im Alter von 13 Jahren können heiraten, wenn ein Richter beide Parteien für willig und "körperlich reif" erklärt und die Väter oder Großväter beider Parteien zustimmen. Früh- und Zwangsehen sind immer häufiger anzutreffen, insbesondere in Idlib. Kinder sind aufgrund der extremen finanziellen Not, die der Konflikt den Familien auferlegt, sowie aufgrund von COVID-19 und des gesellschaftlichen Drucks zunehmend von Früh- und Zwangsehen bedroht. Berichten zufolge arrangierten viele Familien die Verheiratung von Mädchen in jüngerem Alter, als dies vor Ausbruch des Konflikts üblich war, in dem Glauben, dass dies sie schützen und die finanzielle Belastung der Familie verringern würde. Es gab Fälle von Früh- und Zwangsverheiratung von Mädchen mit Mitgliedern des Regimes, der regimenahen Kräfte und der bewaffneten Opposition (USDOS 30.3.2021).
Weitere Informationen über Kinderheirat siehe Kapitel "Familienrecht, Personenstandsrecht, Ehe, Scheidung, Sorgerecht".
Nordwestsyrien
Berichten zufolge hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in den von ihr kontrollierten Gebieten Schulen ihre Auslegung der Scharia aufgezwungen und Mädchen diskriminiert. Die Gruppe schrieb Lehrerinnen und Schülerinnen eine Kleiderordnung vor und drohte allen Frauen, die sich nicht an die Kleiderordnung hielten, mit Entlassung. Berichten zufolge hinderten sie auch eine große Zahl von Mädchen am Schulbesuch. Es wird berichtet, dass Familien im Nordwesten Syriens ihre Töchter zunehmend wiederholt für kurze Zeit gegen Geld verheiraten, was den Tatbestand des sexuellen Menschenhandels erfüllt. Früh- und Zwangsverheiratungen waren in den von der HTS kontrollierten Gebieten weit verbreitet. Es wurde von Fällen berichtet, in denen SNA-Mitglieder der Sultan-Murad-Brigade kurdische Frauen in Afrin und Ra's al-Ayn zwangsverheiratet haben (USDOS 30.3.2021).
Nordost-Syrien
Die SDF halten seit mindestens 2019 weiterhin mehr als 10.000 mutmaßliche ehemalige IS-Kämpfer in Gefängnissen in ganz Ostsyrien fest. Darunter sind rund 750 männliche Jugendliche, die in mindestens zehn Gefängnissen inhaftiert sind. Auch Jahre nach der territorialen Niederlage des sog. Islamischen Staates sind noch immer Tausende von Frauen und Kindern in Lagern im Nordosten Syriens in dem Gebiet unrechtmäßig interniert, welches von der kurdisch geführten SDF-Koalition kontrolliert wird. In al-Hol und anderen Lagern nahe der irakischen Grenze im Nordosten Syriens werden schätzungsweise 40.000 Kinder festgehalten. Fast die Hälfte davon sind Iraker; 7.800 kommen aus fast 60 anderen Ländern. Seit Mitte 2019 wurden fast 5.000 syrische Kinder im Rahmen sogenannter "Stammespatenschaften" aus den Lagern in Gemeinden im Nordosten entlassen. Etwa 1.000 ausländische Kinder wurden ebenfalls freigelassen und nach Hause gebracht. Die meisten ausländischen Kinder sind jedoch weiterhin ihrer Freiheit beraubt, weil sich ihre Heimatländer weigern, sie zurückzunehmen. Die meisten sind unter zwölf Jahre alt. Niemand beschuldigt sie eines Verbrechens, doch werden sie seit über drei Jahren unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten und ihres Rechts auf Bildung, Spiel und angemessene medizinische Versorgung beraubt (UNHRC 14.9.2021).
Ab 2014 begann der IS, Frauen und Mädchen im Alter von zwölf bis 16 Jahren in den von ihm kontrollierten Gebieten zwangszuverheiraten. In den Jahren zuvor hatte der sog. IS jesidische Mädchen im Irak entführt, sexuell ausgebeutet und sie zur Vergewaltigung und Zwangsverheiratung nach Syrien gebracht. Die Free Yezidi Foundation berichtete, dass jesidische Frauen und Kinder aufgrund des schweren Traumas, das sie durch die Behandlung unter dem ISIS erlitten haben, und aus Angst bei IS-nahen Familien in Internierungslagern bleiben. Der Oberste Geistliche Rat der Jesiden hat angekündigt, dass jedes Kind eines muslimischen oder "unbekannten" Vaters als muslimisch registriert werden muss, wodurch jesidischen Kindern, die unter dem IS geboren wurden, ein Platz in der jesidischen Gemeinschaft verwehrt wird, und ein weiteres Hindernis für die Rückkehr jesidischer Frauen in ihre Heimatgemeinden entsteht (USDOS 30.3.2021) Der Zugang zu Bildung im Lager für Binnenvertriebene in al-Hol ist Berichten zufolge weiterhin unzureichend. Die SDF beendeten die Nutzung von zwölf Schulen für militärische Zwecke und übergaben sie an die lokalen Räte, um den Zugang der Kinder zu Bildung zu verbessern. Trotz wiederholter Vereinbarungen, die Rekrutierung von Minderjährigen zu stoppen, gab es Berichte über groß angelegte Rekrutierungskampagnen der SDF, bei denen Jugendliche verhaftet und zwangsrekrutiert wurden, sowie über die Rekrutierung von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren aus dem Lager al-Hol, von denen viele Waisen waren (EMHRM 18.9.2019). Alle Konfliktparteien haben Minderjährige rekrutiert (UNGASC 6.5.2021).
Zur Rekrutierung von Minderjährigen siehe Kapitel Wehrdienst, Unterkapitel "Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen"
Kindesmisshandlung und -missbrauch
Das Gesetz verbietet Kindesmisshandlung nicht ausdrücklich. Es sieht vor, dass Eltern ihre Kinder in einer Form disziplinieren können, die nach allgemeinem Brauch zulässig ist (USDOS 30.3.2021).
NGOs berichteten ausführlich über Regime- und regimefreundliche Kräfte sowie der HTS, die Kinder sexuell missbrauchen, foltern, festhalten, töten und anderweitig misshandeln. Die HTS hat Kinder in den von ihr kontrollierten Gebieten extrem hart bestraft und sogar hingerichtet (USDOS 30.3.2021). Das gesetzliche Alter für die sexuelle Mündigkeit liegt bei 15 Jahren, wobei es keine Ausnahmeregelung für Minderjährige gibt. Vorehelicher Sex ist illegal, aber Beobachter berichteten, dass die Behörden das Gesetz nicht durchsetzen. Die Vergewaltigung eines Kindes unter 15 Jahren wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 21 Jahren und Zwangsarbeit bestraft. Es gab keine Berichte über die strafrechtliche Verfolgung von Fällen von Vergewaltigung von Kindern durch das Regime (USDOS 30.3.2021). Regierungstruppen setzten die Vergewaltigung von Kindern als "Kriegswaffe" ein und missbrauchten die Kinder von Oppositionellen in den Gefängnissen der Regierung, an Kontrollpunkten und bei Hausdurchsuchungen systematisch und völlig ungestraft. Einem befragten Offizier zufolge machten sie in der Haft keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen - selbst bei Folter nicht (ZI 2.7.2017).
Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrian Network for Human Rights (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen durch Folter, darunter 181 Kinder, durch die Konfliktparteien in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021).
Kinderarbeit und Nahrungsmittelversorgung
Das Gesetz sieht den Schutz von Kindern vor Ausbeutung am Arbeitsplatz vor und verbietet die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Es gab nur wenige öffentlich zugängliche Informationen über die Durchsetzung des Kinderarbeitsgesetzes. Das Regime unternahm keine nennenswerten Anstrengungen zur Durchsetzung von Gesetzen, die Kinderarbeit verhindern oder beseitigen. Das Mindestalter für die meisten nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten beträgt 15 Jahre oder den Abschluss der Grundschule, je nachdem, was zuerst eintritt. Das Mindestalter für die Beschäftigung in Industrien mit schwerer Arbeit beträgt 17 Jahre. Für die Beschäftigung von Kindern unter 16 Jahren ist die Erlaubnis der Eltern erforderlich. Kinder, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen nicht mehr als sechs Stunden pro Tag arbeiten und keine Überstunden leisten oder in Nachtschichten, an Wochenenden oder offiziellen Feiertagen arbeiten. Das Gesetz sieht vor, dass die Behörden bei Verstößen "angemessene Strafen" verhängen sollen. Es gab jedoch keine Informationen, aus denen hervorging, welche Strafen angemessen waren. Die Beschränkungen für Kinderarbeit gelten nicht für Personen, die in Familienbetrieben arbeiten und kein Gehalt erhalten (USDOS 30.3.2021).
Kinderarbeit gibt es in Syrien sowohl in informellen Sektoren, einschließlich Betteln, Hausarbeit und Landwirtschaft, als auch in Positionen, die mit dem Konflikt zu tun haben, z. B. als Aufpasser, Spione und Informanten. Bei konfliktbezogener Arbeit sind Kinder erheblichen Gefahren durch Vergeltung und Gewalt ausgesetzt. Organisierte Bettelringe setzen die innerhalb des Landes vertriebenen Kinder weiterhin der Zwangsarbeit aus (USDOS 30.3.2021).
Mindestens 12,4 Millionen Syrer von einer geschätzten Gesamtbevölkerung von ungefähr 16 Millionen sind einer Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung ausgesetzt - ein Anstieg von 3,1 Millionen innerhalb eines Jahrs. Mehr als 600.000 Kinder sind chronisch unterernährt (HRW 13.1.2022). Im Oktober 2020 waren 4,7 Millionen Kinder auf humanitäre Hilfe angewiesen (USDOS 30.3.2021). 90 % aller Haushalte geben über die Hälfte ihres Jahreseinkommens für Lebensmittel aus (AA 29.11.2021). Haushalte, welche von einem Nahrungsmittelmangel betroffen waren, wendeten im Herbst 2021 mitunter Kinderarbeit und Schulabbruch als Bewältigungsstrategie an (WFP 11.2021). In drei Viertel der Haushalte tragen Kinder zum Einkommen bei (AA 29.11.2021). Kinder als Straßenverkäufer oder auf Müllhalden wurden mit der anhaltenden Verschlechterung der Lebensbedingungen aller syrischen Familien ein regelmäßiger Anblick, weil Hunderttausende von Familien unterhalb der Armutsgrenze leben. Auch kam es zu einer Zunahme an obdachlosen Kindern, die allen Formen der Ausbeutung ausgesetzt sind (SNHR 20.11.2021).
Näheres zum Zugang zu Unterkünften siehe Kapitel 16 Grundversorgung und Wirtschaft.
Zivile Opfer durch nicht explodierte Kampfmittelrückstände
Das United Nations Mine Action Service (UNMAS) bezeichnet das Ausmaß, die Schwere und die Komplexität der Bedrohung durch Sprengstoffe in Syrien nach wie vor als ein großes Schutzproblem, das die humanitäre Krise und die Gefährdung der Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten verschärft (UNMAS 11.2021). Die Überreste der Waffen, die das syrische Regime und seine Verbündeten bei der massiven und wahllosen Bombardierung der nicht von ihnen kontrollierten Gebiete eingesetzt haben, und die es in jeder Form, Art und Größe gibt, gehören zu den größten Gefahren, die das Leben der Zivilbevölkerung und insbesondere der Kinder bedrohen. An erster Stelle stehen die Überreste von Streumunition, die in großem Umfang und wahllos eingesetzt wurde; die Submunition oder "Bomblets" dieser Waffen sind über große Gebiete verteilt, nachdem sie durch die erste Explosion nach dem Einschlag des Hauptsprengkörpers weiträumig verstreut wurden, wobei zwischen 10 % und 40 % dieser "Bomblets" nicht explodiert sind und eine tödliche Gefahr darstellen. Diese Submunition, die in großer Zahl auf landwirtschaftlichen Flächen, in den Ruinen von Städten und Dörfern und sogar in Flüchtlingslagern verstreut ist, ist in der Regel gut versteckt und kann jederzeit explodieren, da sie durch jede noch so kleine Bewegung ausgelöst wird. Landminen, die von allen Konfliktparteien gelegt wurden, stellen in dieser Kategorie nach Streumunition die zweitgrößte tödliche Bedrohung dar. Die Überreste dieser Waffen haben zahlreiche zivile Opfer gefordert, vor allem unter Kindern, die am stärksten gefährdet sind, weil sie die Überreste nicht identifizieren oder ihre Gefahr nicht erkennen können. Diejenigen Kinder, welche durch die Explosionen dieser Überreste verletzt wurden, haben oft Gliedmaßen verloren oder sind anderweitig dauerhaft behindert und müssen für den Rest ihres Lebens mit diesen Beeinträchtigungen leben (SNHR 20.11.2021).
Weitere Informationen zu sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen siehe "Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Ehrenverbrechen". Weitere Informationen zur Rekrutierung von Minderjährigen siehe Kapitel "Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen".
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll objId=23477210 objAction=Open nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1, Zugriff 3.3.2022
EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (18.9.2019): SDF kidnaps dozens of children and youths in eastern Syria, https://euromedmonitor.org/en/article/3136/SDF-kidnaps-dozens-of-children-and-youths-in-eastern-Syria, Zugriff 1.10.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066477.html, Zugriff 28.2.2022
SHRC - Syrian Human Rights Committee (1.2021): The 19th Annual Report on Human Rights in Syria 2020, https://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2021/01/SHRC-English-report_20210112.pdf, Zugriff 29.1.2021
SNHR - Syrian Network for Human Rights (20.11.2021): On World Children’s Day: Tenth Annual Report on Violations against Children in Syria, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/On_World_Childrens_Day_Tenth_Annual_Report_on_Violations_against_Children_in_Syria_en.pdf, Zugriff 7.1.2022
SNHR - Syrian Network for Human Rights (14.6.2021): Death Toll due to Torture, https://sn4hr.org/blog/2021/06/14/death-toll-due-to-torture/, Zugriff 30.9.2021
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (20.7.2020): Reconstruction in Syria – Challenges and Policy Options for the EU and its Member States, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020RP11/, Zugriff 7.10.2020
UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (6.5.2021): Children and armed conflict - Report of the Secretary-General, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N2111309.pdf, Zugriff 19.8.2021
UNHRC - UN Human Rights Council (14.9.2021): UN Syria Commission: Increasing violence and fighting add to Syria’s woes, making it unsafe for return, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/NewsDetail.aspx?NewsID=27456 LangID=E, Zugriff 30.9.2021
UNMAS - United Nations Mine Action Service (11.2021): Syria, https://www.unmas.org/en/programmes/syria, Zugriff 7.1.2022
UNPFA - United Nations Population Fund (11.2017): UNPFA, Voices from Syria 2018, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/2017-12_voices_from_syria_2nd_edition.pdf, Zugriff 1.9.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Syria EXECUTIVE SUMMARY, https://www.ecoi.net/en/document/2048105.html, Zugriff 30.9.2021
WFP - World Food Programme (11.2021): Syrian Arab Republic mVAM Bulletin Issue no. 61: November 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065320/WFP-0000135042.pdf, Zugriff 7.1.2022
ZI - Zero Impunity (2.7.2017): How the Assad Regime Uses Child Rape as a Weapon of War, https://zeroimpunity.com/how-the-assad-regime-used-child-rape-as-a-weapon-of-war/?lang=en, Zugriff 1.9.2021
Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 30.3.2021). Landesweit wurden zahlreiche Checkpoints eingerichtet. Überlandstraßen und Autobahnen werden zeitweise gesperrt (BMEIA 5.4.2022). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land (AA 5.4.2022). Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile von einander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021).
Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte "Versöhnungskarte" vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Listen. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019).
Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019), bzw. ziemlich willkürlich, sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018). In den Gebieten des Regimes verlangen die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste für eine sichere Passage durch ihre Checkpoints Bestechungsgeld. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben. Die ungefähr fünf Kontrollpunkte werden von verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats betrieben. Rückkehrende aus dem Libanon bezahlen Schmuggler, um die Checkpoints zu umgehen (HRW 20.10.2021).
Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert. Die Hauptverbindungsstraßen zwischen Dara'a al-Balad, dem Teil von Dara'a, der noch unter der teilweisen Kontrolle der versöhnten Oppositionellen stand, und anderen Teilen der Stadt sowie zu den Außenbezirken waren abgeschnitten (COAR 5.7.2021 - für nähere Informationen siehe Unterkapitel "Südsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage").
Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die Bewegungsfreiheit ein. Die HTS griff systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein, belästigte unbegleitete Frauen und verwehrte ihnen unter Androhung von Haft den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen (USDOS 30.3.2021).
Anm.: Informationen zu Zugangsbeschränkungen zu Herkunftsgebieten siehe Kapitel "Rückkehr".
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2022): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung Stand - 05.04.2022 (Unverändert gültig seit: 31.03.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278, Zugriff 5.4.2022
BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.4.2022): Syrien (Arabische Republik Syrien) Stand 05.04.2022 (Unverändert gültig seit: 24.03.2022), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/syrien/, Zugriff 5.4.2022
COAR - Center for Operational Analysis and Research (5.7.2021): Dar’a Siege: Russia Abouts Face, Amps up Pressure, https://coar-global.org/2021/07/05/dara-siege-russia-abouts-face-amps-up-pressure/, accessed 27.9.2021
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (9.2019): Syria - Access to Damascus Province for Individuals from Former Rebel-held Areas, https://www.ecoi.net/en/file/local/2017468/COI_report_Syria_Access+to+Damascus+Province_sept_2019.pdf, Zugriff 8.9.2020
DIS/DRC - Danish Immigration Service [Dänemark] / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC, Zugriff 8.9.2020
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
HRW - HRW – Human Rights Watch (20.10.2021): 'Our Lives Are Like Death'; Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2062564/syria1021_web.pdf, Zugriff 5.4.2022
SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020
UNSC - United Nations Security Council (23.10.2018): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017) and 2401 (2018) [S/2018/947], https://www.ecoi.net/en/file/local/1450109/1226_1542035101_n1833353.pdf, Zugriff 8.9.2020
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 30.3.2021). Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt: Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil, und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 31.3.2022).
Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt (ÖB 1.10.2021). Das stellt ein weiteres Hindernis für eine Rückkehr dar. Fälle, bei denen Rückkehrende am Grenzübergang Nasib nicht den Betrag in syrischen Pfund ausgehändigt bekamen, sind von Human Rights Watch dokumentiert. Anfang April 2021 wurden Vertriebene von der Zahlung ausgenommen (HRW 20.10.2021).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 30.3.2021).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).
Infolge der COVID-19-Pandemie verfügte Maßnahmen wurden bereits wieder sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien gelockert. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020), ist aber weiterhin reduziert (BMEIA 5.4.2022). Der Flughafen Damaskus und Grenzübergänge werden regelmäßig unter Angabe drohender Gewalt als Begründung geschlossen (USDOS 30.3.2021).
Weitere Informationen siehe Kapitel "Rückkehr".
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.3.2022): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung, Stand - 31.03.2022 (Unverändert gültig seit: 03.03.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278, Zugriff 28.9.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
BMeiA - Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten (5.4.2022): Syrien (Arabische Republik Syrien) Stand 05.04.2022 (Unverändert gültig seit: 24.03.2022), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/syrien/, Zugriff 5.4.2022
BMEIA – Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.9.2020): Syrien - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/syrien/, Zugriff 14.9.2020
FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (7.2020): COVID-19 and the Syrian Regime, An Opportunity to tighten its authoriarian control over society, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/beirut/16329-20200708.pdf, Zugriff 14.9.2020
HRW - HRW – Human Rights Watch (20.10.2021): 'Our Lives Are Like Death'; Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2062564/syria1021_web.pdf, Zugriff 5.4.2022
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html, Zugriff 13.1.2022
STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020
USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
Rückkehr
Letzte Änderung: 25.04.2022
Die offizielle politische Position des Regimes hinsichtlich der Rückkehr von Geflüchteten blieb im Berichtszeitraum unverändert. Gemäß Berichte von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Einem Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, welche das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Offiziell gibt der Staat zwar vor, Syrer zur Rückkehr zu ermutigen, aber insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als "Verräter" angesehen. Aus Sicht des syrischen Staates ist es besser, wenn diese im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021). Das Regime will Rückkehrer mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021).
Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften gegenüber Rückkehrenden, die sich in verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassten Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).
Hindernisse für die Rückkehr
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).
Die katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 10.2021). Viele Menschen haben ihre Häuser zurückgelassen, die mittlerweile von jemandem besetzt wurden. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst (mukhabarat) auf sie hetzen, und sie so Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021).
Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung gesehen als Leute, die davon gelaufen sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021, Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich "sauber" sind, mit dem Ziel daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021). Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).
Mangel an Wohnraum und Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Neben den fehlenden sozio-ökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB 10.2021). Die Meinungen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern sind uneinheitlich. Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, da es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden, im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat auf Social Media), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen nicht sehr ernst oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein "erweitertes Syrien", und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021). Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als "Krankheitserreger" sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).
Laut Fabrice Balanche kann man, wenn man der Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht zurückkommen, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für politische Flüchtlinge. Auch besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021). Laut Khaddour sind Entführungen, um Geld zu erpressen, nur individuelle Akte (Khaddour 24.12.2021).
Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir-Ez-Zor). Laut UNMAS sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 % der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben. Zwei Drittel der Überlebenden sind lebenslang eingeschränkt. 39 % der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 % auf landwirtschaftlichen Flächen, 10 % auf Straßen oder am Straßenrand. 26 % der Opfer seit 2019 waren Binnenvertriebene IDPs (ÖB 10.2021).
Die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums lässt sich weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus als Indikator beschränken, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen können nach geografischen Kriterien daher weiterhin nicht getroffen werden. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann insofern für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe nach Einschätzung des Auswärtigen Amts grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden (AA 29.11.2021).
Für weitere Informationen siehe auch Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".
Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Rückkehrern
Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang UNHCRs und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozess sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist (AA 29.11.2021). Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder auch nur mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Auch im Jahr 2020 gewährte das Regime dem UNHCR weiterhin nur stark eingeschränkten Zugang nach Syrien. UNHCR war daher weder in der Lage, eine umfassende Überwachung der Situation von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherzustellen, noch den Schutz ihrer Rechte zu gewährleisten (AA 4.12.2020). Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat haben immer wieder Personen verfolgt, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen. Selbst dort, wo Einzelpersonen von der Regierung Sicherheitsgarantien erhalten haben, kam es zu Übergriffen. Jeder, der aus dem Land geflohen ist oder sich gegen die Regierung geäußert hat, läuft Gefahr, als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird (COAR/HRW/HBS/JUSOOR 19.4.2021).
Die syrische Regierung führt Listen mit Personen, die ihrer Meinung nach auf die eine oder andere Weise oppositionell sind. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Kontrollpersonals oder praktische Probleme wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z.B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehört medizinisches Personal zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, insbesondere wenn es in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet hat. Dies gilt auch für Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell für Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit (FIS 14.12.2018). Jeder Nachrichtendienst führt seine eigenen Fahndungslisten und es gibt keine Koordination oder Zentralisierung. Daher kann es trotz einer positiven Sicherheitsüberprüfung durch einen Dienst jederzeit zu einer Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020). Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Nach Angaben der Regierungskonferenz ist das Konzept des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern; es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der ICG berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020).
Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Personen, die nach Syrien zurückgekehrt sind (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019). Aus Daten, die im Rahmen des UN-Systems erhoben wurden, geht hervor, dass 14 % der mehr als 17.000 befragten Binnenvertriebenen- und Flüchtlingsrückkehrerhaushalte während ihrer Rückkehr im Jahr 2018 angehalten oder inhaftiert wurden. Von dieser Gruppe wurden 4 % für mehr als 24 Stunden festgehalten. In der Gruppe der Flüchtlinge (die ins Ausland geflohen sind) wurden 19 % festgehalten. Diese Zahlen beziehen sich speziell auf die Heimreise und nicht auf Inhaftierungen in den Wochen und Monaten danach (EIP 6.2019). Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Amnesty International hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vorgelegt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauerten. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des "Terrorismus", da sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Buben und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 Rückkehrer, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen (AI 9.2021).
Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021).
Rückkehr an den Herkunftsort
Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-konfessionelle, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens lässt die Regierung derzeit keinen Wohnsitzwechsel zu. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die Rückkehrer von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).
Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen. Die Einrichtung eines Wohnsitzes ist nur mit Genehmigung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021). Auch über Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen dürfen. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020). Auch Jahre nach der Rückeroberung von Homs durch die Regierung benötigen die Bewohner immer noch eine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Häuser (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020).
Übereinstimmenden Berichten von VN und Menschenrechtsorganisationen (UNHCR, Human Rights Watch, Enab Baladi, The Syria Report) und Betroffenen zufolge finden Verstöße gegen Wohn,- Land- und Eigentumsrechte (Housing, Land and Property – HLP) seitens des Regimes fortgesetzt statt. Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Seit 2011 wurden mehr als 50 neue Gesetze und Verordnungen zur Stadtplanung und -entwicklung erlassen, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen verweigern den Vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte (AA 29.11.2021). Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs konfrontieren für Rückkehrer mit schweren Zerstörungen, der Herrschaft regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie ISIS-Angriffen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren (ICG 13.2.2020). Eine Reihe von Stadtvierteln in Damaskus sind nach wie vor teilweise oder vollständig gesperrt, selbst für Zivilisten, die kurz nach ihren ehemaligen Häusern sehen wollen (SD 19.11.2018). So durften die Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch das Regime weitgehend nicht zurückkehren (EB 8.7.2020; vgl. AI 9.2021). Nach Angaben von Aktivisten durften bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020).
Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (WB 2020). Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019).
Weitere Informationen zu Enteignungen und der Wohnraumsituation finden sich im Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft" im Abschnitt "Wohnsituation und Enteignungen".
Bedingungen der Rückkehr
Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge zurückkehren, und die Mechanismen dieses Prozesses sind nur unzureichend bekannt - auch bei den Flüchtlingen selbst. Da al-Assad die Kontrolle über immer größere Gebiete festigt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB 29.9.2020).
Sicherheitsüberprüfungen vor der Rückkehr sowie inoffizielle Schutzversprechen
Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Laut Mohamad Rasheed braucht jeder, der nach Syrien zurückkehren will, eine Sicherheitsüberprüfung, selbst Eltern von Leuten, die für das syrische Regime arbeiten (Rasheed 28.12.2021). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der International Crisis Group (ICG) stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde (DIS) auf der Grundlage von Befragungen, dass Syrer, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete der DIS, dass nur Syrer im Libanon, die über eine "organisierte Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020). Laut Fabrice Balanche brauchen Personen, die kein politisches Asyl haben und keine Probleme mit dem Regime auch keine Sicherheitsüberprüfung, sondern nur jene, die auf einer Liste gesuchter Personen stehen. Um diese Überprüfung durchzuführen, bezahlt man die zuständige Behörde (z.B. syrische Botschaft, Grenzbeamte an der Grenze zwischen Syrien und Libanon, syrische Behörden im Heimatort in Syrien), um zu überprüfen, ob der eigene Name auf einer Liste steht. Es sind jedoch viele Fälle bekannt, bei denen Personen inhaftiert wurden, die offiziell nicht vom Regime gesucht wurden, und die Sicherheitsüberprüfung gemacht hatten, zum Teil um Geld zu erpressen (Balanche 13.12.2021). Berichten zufolge gab es Fälle, in denen Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folter oder gewaltsamem Verschwindenlassen wurden, und vereinzelte Fälle von Tod in Haft (AA 19.5.2020; vgl. EASO 6.2021).
Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. Syrer aus Homs, Deir iz-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten (Khaddour 24.12.2021). Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.) stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf. Es kann also besonders schwierig sein, für eine Rückkehr in diese Gebiete eine Sicherheitsüberprüfung zu bekommen und falls man diese erhält und zurückkehrt, wird man den Sicherheitsbehörden berichten müssen (Üngör 15.12.2021).
Mehrere Experten gehen davon aus, dass es vor allem auf die informelle Sicherheitsgarantie ankommt. Der sicherste Schutz vor Inhaftierung ist es, ein gutes Netzwerk bzw. Kontakte zum Regime zu haben, die einem im Notfall helfen können. Man muss jemanden in der Politik oder vom Geheimdienst haben, den man um Schutz bittet (Balanche 13.12.2021, Khaddour 24.12.2021). Laut Kheder Khaddour wird der offizielle Weg zur Rückkehr kaum genutzt, nicht nur weil er sehr langwierig ist, sondern auch weil niemand Vertrauen in die Institutionen hat. Nur bekannte Oppositionspersonen müssen den offiziellen Weg gehen, dieser Prozess bringt aber keine Garantie mit sich. Daher muss zusätzlich auch immer eine informelle Sicherheitsgarantie über persönliche Kontakte erlangt werden, wenn jemand zurückkehren will. Wenn jemand auf einer schwarzen Liste aufscheint, muss er seinen Namen bereinigen lassen. Dies geschieht meist durch Bestechung (Khaddour 24.12.2021).
"Versöhnungsanträge"
Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf "Versöhnung" stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen "Versöhnungsantrag" ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten dem EASO, dass, wenn ein Rückkehrer durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. "wasta") herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).
Rückkehrverweigerungen
Der Prozentsatz der Antragsteller, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen auf 5 % (SD 16.1.2019), 10 % (Reuters 25.9.2018) oder bis zu 30 % (ABC 6.10.2018) geschätzt. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Einige Beobachter und humanitäre Helfer geben an, dass die Bewilligungsquote für Antragsteller aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018; SD 16.1.2019).
Syrische Flüchtlinge müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu können. In vielen Fällen hält sich die Regierung nicht an die in den "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien, und die Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).
Weitere im Fall einer Rückkehr benötigte behördliche Genehmigungen
Syrerinnen und Syrer benötigen in verschiedenen Lebensbereichen eine behördliche Sicherheitsfreigabe, z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäfts, eine Heirat und die Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnort zu wechseln, für Wiederaufbaumaßnahmen oder auch für den Erwerb von Eigentum (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsüberprüfung könnte Fragen wie den Aufenthaltsort der Person während ihrer Abwesenheit aus einem Gebiet umfassen. Für eine Person, die die Zeit in Damaskus verbracht hat, könnte die Sicherheitsüberprüfung einfacher sein, aber Orte wie Deir ez-Zour könnten zusätzliche Kontrollen oder Befragungen nach sich ziehen. Während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens wird eine Person befragt, ob es in ihrer Großfamilie Personen gibt, die von der Regierung gesucht werden (FIS 14.12.2018).
Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).
Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass die Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung für Betroffene wie Dritte extrem komplex bis unmöglich ist. Rückkehrende sehen sich mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass eine positive Sicherheitsüberprüfung keine Garantie für eine sichere Rückkehr ist. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (system-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits auch dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, absolut betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter (AA 29.11.2021)
Exilpolitische Aktivitäten, bzw. nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung über im Ausland lebende Syrer und Syrerinnen
Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder einsetzten, um Druck auf Verwandte auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung ist an den politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland interessiert. Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln (EASO 6.2021).
Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler Informanten zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 6.2019). Das Verfassen eines Taqrir (eines "Berichts", d. h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im baathistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut ICG auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben "Berichte", um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020).
Syrische Rückkehrende aus Libanon, Jordanien und der Türkei
Im Juli 2021 wurde die syrische Bevölkerung auf 20,4 Millionen Menschen geschätzt (CIA 22.9.2021). Im Jahr 2020 registrierte UNOCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) etwa 1,8 Millionen Binnenvertriebene in Syrien. Demgegenüber kehrten in diesem Jahr rund 450.000 Binnenvertriebene zurück (UNOCHA 8.2.2021). Ende September 2020 waren 5.565.954 Personen als syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens und Nordafrikas registriert. Nach Angaben des UNHCR kehrten im Jahr 2019 insgesamt rund 95.000 Flüchtlinge nach Syrien zurück (UNHCR 23.9.2020), im Jahr 2020 waren es 38.200 (UNOCHA 3.2021). Weder Binnenvertriebene noch Flüchtlinge sind unbedingt in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).
Im Jahr 2017 forderten die libanesischen Behörden syrische Flüchtlinge trotz des anhaltenden Konflikts und begründeter Ängste vor Verfolgung verstärkt zur Rückkehr auf. Eine kleine Zahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Vereinbarungen nach Syrien zurückgekehrt, die jedoch nicht vom UNHCR überwacht werden. Einige Flüchtlinge erklärten, sie kehrten wegen der strikten Politik und der sich verschlechternden Bedingungen im Libanon zurück, nicht weil sie Syrien für sicher hielten. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen ohne Rechtsgrundlage und ohne ordnungsgemäßes Verfahren gewaltsam vertrieben. Zehntausende sind weiterhin von Vertreibung bedroht (HRW 17.1.2019). Die libanesischen Statistiken weisen darauf hin, dass Syriens Sicherheitsapparat bisher lediglich 20 % der AntragstellerInnen für eine Rückkehr aus dem Libanon eine Heimkehrerlaubnis gewährt hat (Qantara 2.2.2022).
Obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN 1.10.2019; SD 6.5.2020), ist aufgrund der Sicherheits- und Wirtschaftslage in Syrien bisher nur eine geringe Zahl von Syrern nach Syrien zurückgekehrt (SD 6.5.2020). Im Jahr 2021 normalisierten mehrere Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien trotz der Menschenrechtsverletzungen in Syrien ihre Beziehungen zum syrischen Regime. Dabei wurden Kooperationszusagen gemacht, welche die Frage einer verfrühten Rückkehr von Flüchtlingen und das eventuelle Ermöglichen von Menschenrechtsverletzungen aufwarfen (HRW 13.1.2022).
Die Türkei beherbergt fast 3,65 Millionen syrische Flüchtlinge (DGMM 3.2.2021). Im Juli 2019 änderte sich die Haltung der türkischen Regierung ihnen gegenüber. Die türkischen Sicherheitskräfte begannen, syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben, und sie in die türkischen Provinzen zurückzuschicken, in denen sie registriert waren. Sie fingen damit an, einige von ihnen abzuschieben, und andere zu ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). NGO-Berichten zufolge haben die türkischen Behörden immer wieder Flüchtlinge inhaftiert, und sie gezwungen, "freiwillige" Rückkehrdokumente zu unterschreiben, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC 8.10.2020). Auch die Organisation Syrians for Truth and Justice erhob in ihrem jüngsten Bericht vom Februar 2022 ebenfalls diesen Vorwurf (STJ 14.2.2022).
Für nähere Informationen siehe auch COI-CMS-LI Türkei, Kapitel "Binnenvertriebene und Flüchtlinge" sowie zur völkerrechtswidrigen Verbringung von syrischen Gefangenen in die Türkei und deren dortige Verurteilung siehe Kapitel "Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im Ausland".
Quellen:
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WB - World Bank (2020): The Mobility of Displaced Syrians, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/31205/9781464814013.pdf, Zugriff 8.10.2020
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF ergeben sich aus seinen Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren. Auch das festgestellte Alter des BF beruht auf seinem Vorbringen in Verbindung mit dem in Vorlage gebrachten Personenregisterauszug im verwaltungsbehördlichen Verfahren und wurde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt.
Das Datum der Antragstellung auf internationalen Schutz und der Umstand, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ergeben sich aus der Aktenlage.
Die Feststellungen zur Geburt des BF in Syrien, seinem Wohnort sowie zum Aufenthalt seiner Eltern und Geschwistern basieren auf seinen gleichbleibenden Angaben vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die Feststellung zur Gebietskontrolle am Herkunftsort des BF ergeben sich aus den festgestellten Länderinformationen und aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com [zuletzt eingesehen am 20.07.2022].
Dass der BF sein Herkunftsland im Alter von dreizehn Jahren verlassen hat, erschließt sich aus seinen Angaben anlässlich der Erstbefragung zu seinem Reiseweg. Da der BF im Zuge der Erstbefragung ausdrücklich angab: „Meine Eltern haben sich entschlossen, dass ich das Land verlassen, sodass ich in Österreich eine Familienzusammenführung organisieren kann“ und auch im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 23.07.2021 angab, dass seine Familie entschieden habe, dass er nach Europa bzw. nach Österreich weitergehe, konnte festgestellt werden, dass ihm das Verlassen des Herkunftsstaates seitens seiner Eltern aufgetragen wurde.
2.2. Dass sich der BF aktuell nicht im wehrpflichtigen Alter befindet, ergibt sich aus einer Zusammenschau seines Alters mit den vorliegenden Länderinformationen, wonach in Syrien für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend ist und laut Gesetz junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen sind, sich ihr Wehrbuch abzuholen sowie sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Da der BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.07.2021 die Frage, ob er in Syrien jemals persönlich von Übergriffen oder Bedrohungen betroffen gewesen sei, verneinte und auch im Laufe des Beschwerdeverfahrens keine Vorfälle vorgebracht wurden, wonach der BF in Syrien schon einmal persönlich seitens des syrischen Regimes, seitens kurdischer Streitkräfte oder von sonstigen Akteuren bedroht oder verfolgt worden wäre, konnte festgestellt werden, dass er in Syrien nicht selbst einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt war.
Dass keine aktuelle Gefahr einer Einberufung zum Militärdienst in der syrischen Armee besteht, beruht auf einer Zusammenschau der vorliegenden Länderinformationen mit dem Alter und Vorbringen des BF. Der BF ist im Entscheidungszeitpunkt 15 Jahre alt und die gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes in Syrien für männliche syrische Staatsbürger besteht erst ab dem Alter von 18 Jahren. Da sich der BF als 15-Jähriger nicht im wehrpflichtigen Alter befindet und von dessen Erreichen auch noch mehrere Jahre entfernt ist, besteht – wie festgestellt wurde – keine aktuelle Gefahr einer Einberufung zum Militärdienst in der syrischen Armee. Der BF verneinte in der mündlichen Verhandlung auch eine Gefahr einer Einberufung zum syrischen Militärdienst, zumal er ausführte: „Es ist so, dass, wenn ich nach Syrien zurückmüsste, ich sofort eingezogen und zum Militär vorgeführt werde von den Kurden und nicht von der syrischen Regierung“.
Hierbei wird nicht verkannt, dass nach den festgestellten Länderinformationen die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten Regierungslinie ist und die Regierung keine Bemühungen gezeigt hat, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Jedoch geht aus den vorliegenden Länderinformationen auch hervor, dass das Gesetz Nr. 11/2013 alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die Syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen kriminalisiert. Aus einem Bericht des UNO-Generalsekretärs im Mai 2021 erschließt sich, dass ein sehr geringer Anteil der verifizierten Rekrutierungen von Minderjährigen auf die syrischen Regierungstruppen entfällt (2 von insgesamt 813). Aus den vorliegenden Länderberichten lässt sich keine verfahrensgegenständlich relevante Wahrscheinlichkeit ableiten, dass der BF als Minderjähriger im Falle einer Rückkehr von den syrischen Streitkräften (zwangs-)rekrutiert werden würde (siehe auch BVwG 01.03.2022, Zl. W168 2251300-1/2E, betreffend Nichtvorliegen einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die Einberufung von außerhalb des wehrdienstfähigen Alters befindlichen Personen wie den dortigen 13-jährigen Beschwerdeführer).
2.3. Insofern der BF auf eine ihm bei Rückkehr drohende Zwangsrekrutierung seitens kurdischer Streitkräfte hinweist, ist voranzustellen, dass der BF zwar anlässlich seiner Erstbefragung erwähnt hatte: „Die kurdische Partei wollte meinen Bruder und mich rekrutieren, aber wir wollen nicht für sie kämpfen“, jedoch in der niederschriftlichen Einvernahme zu diesen vorgebrachten Rekrutierungsversuchen klarstellte: „Ich hatte damals bei der Erstbefragung Angst, wieder zurückgeschickt zu werden. Deshalb habe ich das gesagt (…)“. Der BF war sohin noch nie in Syrien von Zwangsrekrutierungsversuchen betroffen (siehe hierzu auch die Verneinung der Frage vor dem BFA, ob er jemals in Syrien persönlich von Übergriffen oder Bedrohungen betroffen gewesen sei, sowie sein Vorbringen in der niederschriftlichen Einvernahme am 23.07.2021, dass bei ihnen zu Hause noch keiner gewesen sei). Aus den festgestellten Länderinformationen geht hervor, dass die Rekrutierung Minderjähriger bzw. der Einsatz von Kindersoldaten durch die SDF nach Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten und der Vermeidung ihrer Rekrutierung, eines Aktionsplans mit den UN zur Beendigung und Vorbeugung der Rekrutierung von Kindern unter 18 und nach Erlassung eines Befehls, der die Rekrutierung von Minderjährigen verbietet und für Alterskontrollen der aktuellen Mitglieder der SDF sorgt, zurückgegangen ist, wenngleich die Praxis der Rekrutierung Minderjähriger nach wie vor nicht eingestellt worden sein dürfte. Es besteht daher zwar die bloße Möglichkeit, aber nicht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bzw. ein reales Risiko einer (Zwangs-)Rekrutierung des minderjährigen BF durch kurdische Streitkräfte. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Zwangsrekrutierung durch kurdische Kräfte erschließt sich auch nicht aus der in der Stellungahme des BF vom 27.07.2021 zitierten ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien „Provinz Al-Hasaka: Zwangsrekrutierung von 16-jährigen Arabern (Sunniten) durch die syrische Armee oder kurdische Kräfte [a-11596-1] vom 05.07.2021 oder aus der in der mündlichen Verhandlung am 28.06.2022 vorgelegten ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien „Zwangsrekrutierung Minderjähriger (Konzentration auf 14-16-jährige, regionale Unterschiede) [a-11806]“. Die vom BF in der mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung, dass die kurdischen Streitkräfte wegen vieler Verluste in der vergangenen Zeit jeden zwangsrekrutieren würden, den sie erwischen, wenn dieser sich nicht freiwillig stellen würde, lässt sich anhand der vorliegenden Länderberichte nicht objektivieren. Seitens des BF bzw. seiner Rechtsvertretung wurde auch nicht aufgezeigt, dass für den BF ein über die bloße Möglichkeit von Zwangsrekrutierungen hinausgehendes (erhöhtes) Risiko im Falle einer Rückkehr bestehen würde. Vielmehr hat der BF sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise als 13-Jähriger in XXXX verbracht, ohne als Kind von konkreten Zwangsrekrutierungsversuchen betroffen gewesen zu sein. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.07.2021 brachte er auch vor: „Nein, solange mein Vater dabei war, ist uns nichts passiert. Alleine durften wir nicht auf die Straße“. Da die Familie des BF nach wie vor in XXXX , wenn auch in einem anderen Bezirk, lebt, würde der BF wieder den Schutz seiner Familie im Falle einer Rückkehr genießen, sodass er sich nicht in einer exponierten Lage befinden würde. Auch wenn nicht verkannt wird, dass es zu Zwangsrekrutierungen von Kindern auch gegen den Willen ihrer Familien kommen kann, besteht keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahr im Falle des BF.
Insofern in der mündlichen Verhandlung vom BF vorgebracht wurde, sein 17-jähriger, bald 18-jähriger Bruder habe schon Rekrutierungsversuche erfahren bzw. derartige in seinem Umfeld mitbekommen, ist festzuhalten, dass der ältere Bruder des BF bald das wehrpflichtige Alter erreichen wird, zumal nach dem Wehrpflichtgesetz der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss. Für den 15-jährigen BF lassen sich aus den Erfahrungen seines älteren Bruders keine Rückschlüsse auf ein erhöhtes Risiko einer Zwangsrekrutierung im Falle des BF ziehen, zumal er im Gegensatz zu seinem älteren Bruder noch mehrere Jahre vom wehrpflichtigen Alter entfernt ist.
2.4. Dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als politisch missliebige Person seitens des syrischen Regimes persönlich verfolgt werden würde, ergibt sich aus einer Zusammenschau folgender Erwägungen:
Wie bereits erwähnt wurde, verneinte der BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.07.2021 die Frage, ob er in Syrien jemals persönlich von Übergriffen oder Bedrohungen betroffen gewesen sei, und er brachte im Laufe des Beschwerdeverfahrens keine Vorfälle vor, wonach er in Syrien schon einmal persönlich seitens des syrischen Regimes oder seitens regierungsnaher Gruppierungen bedroht oder verfolgt worden wäre. Der BF ist sohin noch nie in das Blickfeld des syrischen Regimes bzw. regimetreuer Gruppierungen geraten.
Insofern in der Stellungnahme vom 27.07.2021 vorgebracht wird, alleine die illegale Ausreise zusammen mit der Asylantragstellung in Österreich würden die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden bei einer Rückkehr erwecken und der BF wäre bereits aus diesem Grund einer maßgeblichen Bedrohungs- und Verfolgungssituation ausgesetzt, ist zu entgegnen, dass es im vorliegenden Fall nicht hinreichend wahrscheinlich erscheint, dass ihm deswegen eine politisch oppositionelle Haltung seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr unterstellt werden würde. Der BF verließ Syrien als 13-Jähriger im nicht wehrpflichtigen Alter, sodass es im vorliegenden Fall nicht wahrscheinlich erscheint, dass dem BF im Fall einer Rückkehr eine oppositionelle Gesinnung allein aufgrund seiner illegalen Ausreise unterstellt werden würde.
Aufgrund der festgestellten Länderinformationen, denen zufolge die vorliegenden Quellen bezüglich der Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern nicht einheitlich sind (siehe dazu die festgestellten Länderinformationen im Kapitel „Rückkehr“) und die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, stark vom Einzelfall abhängt, kann auch nicht angenommen werden, dass die syrischen Behörden sämtliche aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation ins Ausland geflohene syrische Staatsbürger als Regimegegner ansehen würden. In seinem Erkenntnis vom 11.11.2020, Ra 2020/18/0147, hielt der Verwaltungsgerichtshof auch ausdrücklich im Hinblick auf syrische Staatsangehörige fest: „Aus den getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich nämlich weder, dass jedem Rückkehrer, der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, noch, dass Personen, deren Familienangehörigen im Ausland Asyl gewährt wurde, allgemein asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten.“ Da der BF als Person noch nicht in das Blickfeld der syrischen Behörden gelangt ist, liegen auch keine diesbezüglich gefahrerhöhenden Umstände davor, aufgrund derer dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde.
Es wird auch nicht verkannt, dass Zivilpersonen aus ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten seitens des syrischen Regimes einer regierungsfeindlichen Gesinnung verdächtigt werden können (siehe dazu die Ausführungen von UNCHR auf Seite 102 und Seite 123 der UNHCR-Erwägungen vom März 2021 und Punkt 2.1.3. „Civilians originating from areas associated with opposition to the government“ der EASO Country Guidance vom November 2021), jedoch ergeben sich vor den soeben umschriebenen, individuellen Umständen des vorliegenden Falles keine konkreten Hinweise, dass dem BF allein aufgrund seiner Herkunft aus einem von kurdischen Kräften kontrollierten Gebiet eine regierungsfeindliche Haltung unterstellt werden würde, sodass im Falle seiner Rückkehr gezielte Verfolgungshandlungen zu befürchten wären. Es wurde nicht aufgezeigt, dass sich dieses allgemeine Risiko im konkreten Fall des BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr realisieren würde.
Gefahrerhöhende Umstände lassen sich auch nicht aus der in der Beschwerde behaupteten Zugehörigkeit des BF zu einer „Familie von Reservisten einerseits bzw. Wehrdienstverweigerern andererseits“ ableiten:
Im Hinblick auf die beiden asylberechtigten Cousins des BF ist festzuhalten, dass es sich hierbei nicht um enge Familienangehörige des BF handelt. Darüber hinaus haben diese Verwandten auch einen anderen Familiennamen als der BF. Es erscheint daher nicht wahrscheinlich, dass seitens des syrischen Regimes überhaupt ein Bezug zum BF hergestellt werden würde. Zudem hält sich ein Cousin des BF - den eigenen Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme am 23.07.2021 zufolge - schon seit sechs oder sieben Jahren in Österreich auf. Dass die Familie des BF über mehrere Jahre hinweg trotzdem unbehelligt in einem teilweise auch vom syrischen Regime kontrollierten Gebiet leben konnte, spricht ebenso gegen das Vorliegen eines Verfolgungsinteresses seitens des syrischen Regimes an der Familie des BF aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung.
Dies steht auch nicht im Widerspruch zu den Erwägungen von UNHCR und EASO (nunmehr EUAA), zumal in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung vom März 2021, zum unter Punkt III.A.1.b genannten Risikoprofil betreffend Familienangehörige von Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Regierung sind, erwähnt wird: „UNHCR ist ferner der Auffassung, dass Familienangehörige von Wehrdienstentziehern und Deserteuren aufgrund ihrer vermeintlichen politischen Meinung möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz benötigen.“ (Seite 139). Auch aus der EASO Country Guidance Syria vom November 2021 lässt sich nicht ableiten, dass jeder Familienangehörige eines Militärdienstverweigerers oder Deserteurs Verfolgungshandlungen seitens des syrischen Regimes ausgesetzt wäre (siehe insbesondere Seite 81 und Seite 85 mit jeweiligem Verweis auf den EASO-Bericht „Syria Military Service“ vom April 2021, Punkte 4.1.2. und 4.2.1.).
Auch in Bezug auf seinen Vater vermochte der BF nicht schlüssig darzulegen, dass aufgrund dessen Verhaltens der gesamten Familie eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 23.07.2021 brachte der BF vor, sein Vater habe den Militärdienst abgeleistet, würde aber zur Reserve eingezogen werden. Dass sein Vater bereits eine konkrete Einziehung zum Reservedienst in der syrischen Armee erhalten habe, wurde vom BF im Laufe des Verfahrens nicht behauptet, in der Beschwerde wurde bloß angemerkt, dass dies nicht ausgeschlossen werden könne. Da es sich sohin um bloße Mutmaßungen bzw. Spekulationen hinsichtlich einer möglichen zukünftigen Einziehung des Vaters zum Reservedienst handelt und der Vater des BF bis dato einen Wehrdienst in der syrischen Armee nicht verweigert hat, lässt sich daraus auch keine regimekritische Haltung der Familie des BF ableiten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.06.2022 verneinte der BF auch die Frage, ob seine Familie Schwierigkeiten mit der Polizei oder dem Geheimdienst etc. habe.
Vor diesem Hintergrund erscheint es auch unter Berücksichtigung der familiären Situation des BF nicht wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr als politisch missliebige Person betrachtet und deswegen verfolgt werden würde.
Insofern in der Beschwerde noch die mangelnde Berücksichtigung des Alters des BF im Rahmen der Beweiswürdigung des BFA moniert wird, ist zu entgegnen, dass das BFA das Fluchtvorbringen des BF grundsätzlich nicht in Frage stellte, sondern vielmehr die von ihm geschilderten allgemeinen Risiken als nicht asylrelevant beurteilte. Auch das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass der BF die Lebensumstände in Syrien und seine Rückkehbefürchtungen glaubhaft schilderte, sodass es keiner näheren beweiswürdigenden Auseinandersetzung damit bedarf, ob und welche Aussagen von ihm unter Berücksichtigung seines Alters erwartet werden dürfen (vgl. etwa vgl. VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0113). Dem Vorbringen des BF wird jedoch nicht gefolgt, was die Bewertung der von ihm geltend gemachten Gefahren anhand der vorliegenden Länderberichte betrifft, wobei hierbei nicht die Angaben des BF und deren Glaubhaftigkeit, sondern die Würdigung der vorliegenden Berichte zur Lage im Herkunftsstaat des BF im Mittelpunkt standen.
2.5. Die Feststellungen zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Syrien ergeben sich aus den Länderinformationen der Staatendokumentation aus dem COI-CMS (Version 6, Datum der Veröffentlichung: 27.04.2022). Diese Länderberichte wurden gemeinsam mit den Erwägungen von UNHCR vom März 2021 und der Country Guidance von EASO (nunmehr EUAA) vom November 2021 in der mündlichen Verhandlung vorgehalten und kursorisch erörtert. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
3.1. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung“. Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offen steht (Z 1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat (Z 2).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht „zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht“ (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).
Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009). Um den Status der Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dazu nicht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428; VwGH 21.05.2021, Ra 2020/19/0180; VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009; VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009). Für die Frage der Asylrelevanz wäre konkret zu prüfen, ob der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung (des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit und nicht mit einer entfernten Möglichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 21.05.2021, Ra 2020/19/0180; VwGH 05.02.2021, Ra 2020/01/0378; VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009). Die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, ist eine Einzelfallentscheidung (vgl. VwGH 11.07.2017, Ra 2016/20/0275).
3.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, besteht keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der minderjährige BF im Falle einer Rückkehr seitens kurdischer Streitkräfte zwangsrekrutiert bzw. zwecks Rekrutierung entführt werden würde.
3.3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Wehrdienstverweigerung Asylrelevanz zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274). Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen (siehe dazu VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203). Würde der Wehrdienst dazu zwingen, an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilzunehmen, kann nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch schon eine Bestrafung mit einer „bloßen“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274; VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203).
Der 15-jährige BF befindet sich nicht im wehrpflichtigen Alter und ist davon noch mehrere Jahre entfernt ist, sodass keine aktuelle Gefahr einer Einziehung zum Militärdienst in der syrischen Armee im Entscheidungszeitpunkt gegeben ist. Im Erkenntnis vom 01.03.2022, Zl. W168 2251300-1/2E, führte das Bundesverwaltungsgericht in dieser Hinsicht aus: „Wie sich die diesbezügliche Situation allgemein bzw. bezüglich einer Wehrdienstverpflichtung in einigen Jahren, fallbezogen etwa in fünf Jahren gestaltet bzw. welche konkreten Risiken zukünftig vorherrschen könnten, ist wie auch bereits vom BFA richtigerweise im Bescheid angeführt, aufgrund der unsicheren Sicherheitslage in Syrien zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht absehbar und daher nicht verfahrensrelevant zu beurteilen.“
Es besteht auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der BF im Falle einer Rückkehr als Minderjähriger seitens der syrischen Streitkräfte rekrutiert werden würde, wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt wurde.
3.4. Den allgemeinen Gefahren in Syrien, die sich aus der Bürgerkriegssituation ergeben (Sicherheitslage, Wirtschaftslage, willkürliches Verhalten des syrischen Regimes), und der generellen Situation von Minderjährigen (wie etwa der vom BF erwähnten eingeschränkten Möglichkeit eines Schulbesuchs), wurde durch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das BFA Rechnung getragen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt in dem Umstand, dass im Heimatland des Asylwerbers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404, unter Verweis auf VwGH 02.03.2006, 2004/20/0415, 26.01.2006, 2005/01/0537, 15.05.2003, 2002/01/0203, 21.03.2002, 99/20/0410, 11.11.1999, 99/20/0117).
Zur vom BF geltend gemachten eingeschränkten Möglichkeit eines Schulbesuches ist noch festzuhalten, dass der BF eigenen Angaben zufolge im verwaltungsbehördlichen Verfahren sieben Jahre lang die Schule besucht hat, sodass ihm eine Schulbildung trotz des Bürgerkrieges nicht generell verwehrt wurde. Aus seinem Vorbringen erschließt sich auch nicht, dass ihm aus einem Konventionsgrund der Schulbesuch nur eingeschränkt möglich gewesen wäre bzw. der Zugang zu Schulbildung gezielt verweigert worden wäre. Insofern in der Stellungnahme vom 27.07.2021 noch auf die Erwägungen von UNHCR insbesondere zu Kindern im schulpflichtigen Alter, denen der Zugang zu Bildung systematisch verwehrt wird, hingewiesen wird, ist zu entgegnen, dass im Falle des BF aus den genannten Gründen keine systematische Verweigerung des Zugangs zu Bildung zu erblicken ist, sodass diese allgemeinen Ausführungen auf den gegenständlichen Fall nicht zutreffen. Dieser Beurteilung stehen auch nicht die aktuellen UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, entgegen, zumal „Kinder mit bestimmten Profilen oder in speziellen Situationen“ zwar als Risikoprofil angeführt werden (siehe Punkt III.A.10.), jedoch zu Kindern im schulpflichtigen Alter, denen der Zugang zu Bildung systematisch verwehrt wird, ausgeführt wird, dass UNHCR der Auffassung sei, dass diese „möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls“ (siehe Seite 190). Wie bereits aufgezeigt wurde, ist dies im gegenständlichen Fall nicht geboten.
3.5. Insofern in der Stellungnahme vom 27.07.2021 noch geltend gemacht wird, der BF wäre wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder Verfolgung ausgesetzt, ist auszuführen, dass es sich bei der sozialen Gruppe um einen Auffangtatbestand handelt (vgl. VwGH 29.6.2015, Ra 2015/01/0067; 26.6.2007, 2007/01/0479, jeweils mwN). Ausgehend von Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl. EuGH 7.11.2013, X u.a., C-199/12 bis C-121/12, Rn. 45; 4.10.2018, Ahmedbekova, C-652/16, Rn. 89) gilt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Gruppe als eine „bestimmte soziale Gruppe“, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe „angeborene Merkmale“ oder einen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, „die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten. Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. zu alldem VwGH 26.04.2021, Ra 2020/01/0025, unter Verweis auf VwGH 14.8.2020, Ro 2020/14/0002, Rn. 13 bis 15, mwN).
In der Beschwerde wurde zwar pauschal die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe der Kinder in Syrien behauptet, ohne aufzuzeigen, dass die genannte Gruppe die Voraussetzungen erfüllen würde, welche nach der obgenannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für das Vorliegen einer sozialen Gruppe erforderlich sind.
Eine abschließende Prüfung des Vorliegens einer sozialen Gruppe erübrigt sich jedoch, weil sich den festgestellten Länderinformationen keine gezielten Verfolgungshandlungen gegen Kinder entnehmen lassen. Die für Kinder bestehenden Gefahren im Hinblick auf sexuelle und andere Formen von Gewalt resultieren aus der allgemein schlechten Sicherheitslage in Syrien, ein kausaler Zusammenhang mit dem behaupteten Konventionsgrund der „sozialen Gruppe der Kinder“ in Syrien wurde jedoch nicht aufgezeigt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der minderjährige BF zu seinen Eltern und Geschwistern zurückkehren würde, sodass er unter dem Schutz seiner Eltern allfälligen gewalttätigen Übergriffen einschließlich Enführungen und sonstigen Risiken wie etwa Kinderarbeit nicht schutzlos ausgeliefert wäre. Darüber hinaus ergibt sich aus den Erwägungen des UNHCR zu Syrien, dass Kinder nur bei Hinzutreten bestimmter Umstände, wie erlebter oder drohender Zwangsrekrutierung oder sexueller Gewalt oder der systematischen Verwehrung von Bildung aus anderen Konventionsgründen Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe sein können (vgl. dazu BVwG 04.04.2022, Zl. W292 2244884-1; BVwG 01.02.2022, Zl. W254 2242658-1; BVwG 02.08.2021, Zl. W170 2244434-1). Zu der weiters vom BF geltend gemachten Gefahr einer Zwangsrekrutierung sowie der bloß eingeschränkten Möglichkeit eines Schulbesuchs darf auf die Ausführungen unter den Punkten 3.2. bis 3.4. verwiesen werden.
3.6. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, erscheint es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass dem BF allein wegen seiner illegalen Ausreise im Alter von 13 Jahren in Verbindung mit der Asylantragstellung in Österreich und seiner Herkunft aus einem von kurdischen Kräften kontrollierten Gebiet eine politisch-oppositionelle Haltung unterstellt und er mit gezielten asylrelevanten Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Eine Asylantragstellung in Österreich ist den syrischen Behörden auch nicht bekannt, zumal es den österreichischen Behörden gemäß § 33 BFA-VG untersagt ist, diesbezügliche Daten weiterzugeben.
Auch aus der in der Beschwerde zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.01.2021, Zl. W170 2151231-2, lässt sich für den BF nichts gewinnen, zumal sich der dortige Erstbeschwerdeführer schon im 17. Lebensjahr und sich daher – nicht wie der BF – in unmittelbarer Nähe des wehrpflichtigen Alters befand.
Dass dem BF wegen einer Wehrdienstverweigerung seiner Cousins bzw. wegen des Verhaltens seines Vaters aufgrund der Zugehörigkeit zu dieser Familie eine politisch missliebige Gesinnung unterstellt werden würde, vermochte er nicht schlüssig darzulegen.
3.7. Eine Verfolgung aus Gründen der Religion oder Volksgruppe wurde vom BF im Laufe des Verfahrens nicht behauptet und ist auch aufgrund der vorliegenden Länderinformationen nicht zu erkennen.
Da es dem BF nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete, aktuelle Verfolgung aus einem Konventionsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen, war sein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 abzuweisen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich im vorliegenden Fall auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.