JudikaturBVwG

W155 2237352-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2024

Spruch

W155 2237352-1/37E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. KRASA als Einzelrichterin über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Caritas für Menschen in Not, Flüchtlingshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin (in Folge: Bf) stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Erstbefragung der Bf durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Farsi sowie eines gesetzlichen Vertreters. Die Bf gab zu ihren Ausreisegründen an, dass die Lage im Iran für sie sehr schlecht gewesen sei. Ihre Familie habe dort keinen Aufenthaltstitel und keine Rechte gehabt. Ihre Familie habe nicht arbeiten und habe sie die Schule nicht weiter besuchen dürfen. In Bezug auf ihren Herkunftsstaat führte sie an, dass sie noch nie in Afghanistan gewesen sei und sie sich dort nicht auskenne.

3. Am XXXX wurde die Bf von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren: belangte Behörde) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen und wiederholte, dass sie niemals in Afghanistan gewesen sei. Sie ergänzte ihr Vorbringen und führte aus, dass sie mit ihrer Mutter, ihren beiden Schwestern sowie ihrem Bruder im Iran gelebt habe. Im Iran sei es schwierig gewesen zu leben und seien sie nur beschimpft worden. Ihre Mutter habe gesagt, dass in Afghanistan keine Verwandten leben, auch im Iran hätten sie keine Verwandten. Die Bf gab zudem an, dass ihre Mutter und ihre zwei Schwestern in Griechenland leben würden. Sie wisse nicht, warum ihre Mutter Afghanistan verlassen habe. Diese lebe schon seit zwölf Jahren im Iran. In Österreich lebe ihr Bruder, den sie manchmal sehe. Befragt, was ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe, gab sie an, dass sie eine Frau sei. Man würde sie entführen. Sie wisse nicht, wie sie in Afghanistan überleben könne. Sie könne in Afghanistan nicht zur Schule gehen und nicht studieren.

4. Mit dem im Spruch bezeichneten, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Bf auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Bf keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können. Im Hinblick auf die herkunftsstaatbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan hätten sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, wonach alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit und ohne das Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt seien. Die belangte Behörde ging aufgrund der individuellen Umstände, der Minderjährigkeit und des Fehlens eines sozialen Netzes in Afghanistan im Falle einer Rückführung von einer realen Gefahr der Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention aus und erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu.

5. Mit Schreiben vom XXXX , beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am XXXX , legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den dazugehörigen Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. Aufgrund einer Unzuständigkeitseinrede wurde der Verfahrensakt am XXXX mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses der Gerichtsabteilung W155 zugewiesen.

7. In einer Stellungnahme vom XXXX wiederholte die Bf durch ihren bevollmächtigten Vertreter die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente. In Afghanistan würden ihr in einem erheblichem Ausmaß Übergriffe und Verfolgungshandlungen in Form von Gewalt, Ausbeutung, Zwangsverheiratung sowie erhebliche Diskriminierung im täglichen Leben drohen. Ebenso wäre ihr der Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehrt, ihre Existenz gefährdet und wäre ihr Recht auf Bildung verwehrt. Des Weiteren habe sie Verhaltensweisen verinnerlicht, die der afghanischen Gesellschaft widersprechen würden. Der Bf drohe sexuelle Gewalt und Ausbeutung, weil sie ein alleinstehendes und unbegleitetes Mädchen sei. Sie sei als wahrnehmbare soziale Gruppe der Gesellschaft gekennzeichnet und bestehe die Verfolgungsgefahr aus asylrelevanten Gründen.

8. Mit Schriftsatz vom XXXX legte die Bf ein Empfehlungsschreiben einer Wohngruppe und ein Empfehlungsschreiben einer Mittelschule vor.

9. Am XXXX führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der neben einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi, die Bf und deren Rechtsvertretung teilnahmen. Dabei wurde die Bf zu ihrer Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Familienangehörigen und ihren Fluchtgründen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

10. Am XXXX legte die Bf Kopien von selbst gemalten Bildern zur Untermauerung ihrer künstlerischen Begabung und westlichen Orientierung vor.

11. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte die Bf vor, dass sich die Situation in Afghanistan durch die Machtübernahme der Taliban insoweit verändert habe, als die Verfolgungswahrscheinlichkeit und die zu erwartende Verfolgungsintensität in erheblichem Ausmaß weiter gestiegen seien. Die Bf dürfe als alleinstehendes Mädchen unter dem neuen Taliban Regime nicht mehr außer Haus gehen. Da sie weder Familie noch Unterkunft in Afghanistan habe, wäre sie gezwungen, auf der Straße zu leben, wo sie die Bestrafung durch die Taliban erwarte. Sollte sie ihre Werte nicht unterdrücken und ihre Kunst geheim halten, würden ihr auch unmenschliche Strafen drohen.

12. Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der Bf für zwei Jahre verlängert.

13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zu GZ XXXX wurde die Beschwerde der Bf gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

14. Mit Eingabe vom XXXX erhob die Bf durch ihre Rechtsvertreterin gegen die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

15. Mit Beschluss vom XXXX legte der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV verschieden Fragen betreffend Frauen, die von bestimmten Maßnahmen im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts im Sinn des Art. 9 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU betroffen sind, zur Vorabentscheidung vor:

16. Am XXXX stellte die Bf einen Folgeantrag.

17. Mit E-Mail vom XXXX übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht, einen Bescheid vom XXXX , IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , mit dem der Bf aufgrund ihres (Folge-)Antrages auf internationalen Schutz vom XXXX gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005, stattgegeben und ihr der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Bf, die Tochter der XXXX sei, der mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX , Zahl XXXX , der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Der Mutter der Bf komme eine befristete Aufenthaltsberechtigung für Asylberechtigte gemäß §§ 3 Abs. 4 AsylG iVm 2 Abs. 1 Z 15 AsylG bis zum XXXX zu. Die Bf habe im Folgeantrag keine neuen Fluchtgründe mehr angeführt, sondern sich lediglich auf den Asylstatus ihrer Mutter bezogen. Da ein Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 2 AsylG vorliege und der Mutter der Bf mit Bescheid vom XXXX der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei und kein Ausschlussgrund vorliege, sei auch der Bf derselbe Schutz zu gewähren. Mit E-Mail vom XXXX setzte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht darüber in Kenntnis, dass der Bescheid mit XXXX „in Rechtskraft 1.Instanz erwachsen“ sei.

18. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der belangten Behörde, mit dem der Bf der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, an den Verwaltungsgerichtshof, zur Kenntnisnahme.

19. Am XXXX erging das Urteil des EuGH C-608/22 und C-609/22 über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes XXXX .

20. Mit Erkenntnis vom XXXX hob der Verwaltungsgerichtshof – unter Hinweis auf die erfolgte Auslegung des Gerichtshofes der Europäischen Union - das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf.

21. Mit E-Mail vom XXXX wies die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht abermals darauf hin, dass der Bf mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005, der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Bf wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX , IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX aufgrund ihres Folgeantrages auf internationalen Schutz vom XXXX gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt. Die Asylzuerkennung an die Bf ergibt sich insbesondere aus dem an das Bundesverwaltungsgericht übermittelten Bescheid der belangten Behörde XXXX (OZ 27).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Einstellung des Beschwerdeverfahrens

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass sich aus § 33 Abs. 1 VwGG entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof versteht. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig, fällt die Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 30.01.2013, 2011/03/0228, vom 23.10.2013, 2013/03/0111, und vom 09.09.2015, Ro 2015/03/0028).

Der Verwaltungsgerichtshof brachte ebenfalls zum Ausdruck, dass diese Überlegungen über das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses als Voraussetzung für eine zulässige Beschwerdeerhebung auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht übertragen werden können (vgl. VwGH 28.01.2016, Ra 2015/11/0027).

Das Rechtsschutzinteresse bei einer Bescheidbeschwerde besteht im objektiven Interesse des Bf an einer Beseitigung des angefochtenen, ihn beschwerenden Verwaltungsaktes. Dieses Interesse wird daher immer dann zu verneinen sein, wenn es für die Rechtsstellung des Bf keinen Unterschied mehr macht, ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird, bzw. wenn die Erreichung des Verfahrensziels für den Bf keinen objektiven Nutzen hat, die in der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen soweit nur (noch) theoretische Bedeutung besitzen.

Daraus folgt, dass ein Bf vor dem Verwaltungsgericht keinen Anspruch auf die bloße Feststellung der Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Bescheides hat; das Verwaltungsgericht ist (wie der Verwaltungsgerichtshof) nicht berufen, eine Entscheidung lediglich über abstrakt-theoretische Rechtsfragen zu treffen, denen keine praktische Relevanz mehr zukommen kann (siehe etwa VwGH 27.07.2017, Ra 2017/07/0014, m.w.N.).

Die Bf brachte am XXXX einen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein und bezog sich darin lediglich auf den Asylstatus ihrer Mutter. Aufgrund dessen wurde der Bf mit Bescheid vom XXXX , IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 zuerkannt.

Da der Bf die von ihr im gegenständlichen Verfahren begehrte Rechtsstellung, nämlich der Status einer Asylberechtigten, bereits durch die Stellung eines Folgeantrages, von der belangten Behörde zuerkannt wurde, macht es für sie keinen Unterschied mehr, ob der im gegenständlichen Verfahren angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird. Das Rechtsschutzbedürfnis fiel erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, weshalb das Verfahren iSd oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einzustellen war.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.