JudikaturBFG

RV/2100632/2025 – BFG Entscheidung

Entscheidung
26. August 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr***, Steuernummer ***BF1StNr1***

über die Beschwerde vom 18. Juni 2025 gegen den Bescheid des ***FA*** vom 23. April 2025 betreffend Zwangsstrafen 2025 zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, ***Bf1*** (im Folgenden kurz: Bf.) hat im Kalenderjahr 2023 mit Vertrag vom 2. Mai 2023 und mit Vertrag vom 24. Mai 2023 jeweils eine Immobilie verkauft. In den dazu von der Kanzlei ***2*** eingereichten Erklärungen der Immobilienertragsteuer vom 4. Juli 2023 bzw. vom 13. September 2023 wurden Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen erklärt, auf die die Befreiung für selbst hergestellte Gebäude gem. § 30 Abs 2 Z 2 EStG 1988 angewendet wurde.

Mit Ersuchen um Ergänzung vom 7. Oktober 2024 wurde die Bf. vom Finanzamt aufgefordert, "die Berechnung der Immobilien-Ertragssteuer nachzureichen. Bei der Meldung im Finanzonline haben Sie die Herstellerbefreiung beantragt. Diese wäre zu erläutern und zu begründen." Das Ergänzungsersuchen wurde in die Databox der Bf. zugestellt.

Laut Aktenvermerk des Finanzamtes hat die Bf. das Finanzamt am 16. Jänner 2025 telefonisch ersucht, die Steuerberatungskanzlei ***1*** in ihrer Sache zu kontaktieren.

Mit Ersuchen um Ergänzung vom 16. Jänner 2025 schrieb das Finanzamt: "Wie telefonisch am 16.01.2025 besprochen haben wir das Büro ***1*** kontaktiert. Die Berechnung zur Immoest mit einer Erläuterung haben wir erhalten. Wir benötigen von Ihnen noch die Basis-Grundlagen (Verträge), die Information bzw. Beweisgrundlagen, um die Herstellerbefreiung würdigen zu können. Für das Finanzamt ist es gemäß den vorliegenden Unterlagen nicht klar und eindeutig ersichtlich, wie die Herstellerbefreiung angewandt werden konnte." Das Ergänzungsersuchen wurde in die Databox der Bf. zugestellt.

Mit Erinnerung vom 28. März 2025 wurde die Bf. aufgefordert, die Ersuchen um Ergänzung vom 7. Oktober 2024 und 16. Jänner 2025 bis längstens 21. April 2025 zu beantworten. Im Falle, dass sie diesem Ersuchen nicht Folge leistet, wurde ihr eine Zwangsstrafe iHv 500 Euro angedroht. Diese Erinnerung wurde Databox der Bf. zugestellt.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 23. April 2025 wurde die die Zwangsstrafe gemäß § 111 BAO wie angedroht in Höhe von 500 Euro festgesetzt. Der Bescheid wurde postalisch übermittelt.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde vom 19. Mai 2025 behauptete die Bf., erst seit einer Woche über einen elektronischen Zugang zu FinanzOnline zu verfügen und in einer Beschwerdeergänzung vom 18. Juni 2025 führte sie aus, dass die Zugangsberechtigungen nicht mehr akzeptiert worden seien bzw. sie kein Mail erhalten habe.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 15. Juli 2025 wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen, weil das Finanzamt die Beschwerdeergänzung vom 18. Juni 2025 irrtümlich als Beschwerde behandelte.

Im Vorlageantrag vom 28. Juli 2025 wiederholte die Bf. ihre Einwendungen zum Zugang zu FinanzOnline.

Mit Vorlagebericht vom 11. August 2025 legte das Finanzamt Screenshots betr. den FinanzOnlinezugang der Bf. vor. Einer Auskunft des Bundesrechenzentrums zufolge war der FinanzOnline-Zugang der Bf. seit 14. Februar 2023 aufrecht. Wörtlich heißt es (durch screenshot belegt): "***SID*** ist seit 14.2.2023 FON-Teilnehmerin. Der erstmalige Einstieg ist mit Bürgerkarte erfolgt (siehe Screenshot). Die FON-Teilnehmerin hat daher gar keine FON-Zugangskennungen und der Login ist seither mit Bürgerkarte/ID-Austria erfolgt. Es gab keine Sperre des FON-Zugangs. Die elektronische Zustellung ist seit 2023-02-14 durchgehend aktiviert. Das "Sonstige Schriftstück" vom 2025-03-28 wurde am 2025-03-28 um 12:10 Uhr über FON an ***SID*** zugestellt und am 2025-05-11 um 13:40 Uhr gelesen".

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der Sachverhalt stellt sich so wie im Verfahrensgang geschildert dar und ist durch die bezeichneten Schriftstücke bzw. Bescheide belegt.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Rechtslage

§ 111 BAO lautet auszugsweise:

(1) Die Abgabenbehörden sind berechtigt, die Befolgung ihrer Anordnungen zur Erbringung von Leistungen, die sich wegen ihrer besonderen Beschaffenheit durch einen Dritten nicht bewerkstelligen lassen, durch Verhängung einer Zwangsstrafe zu erzwingen. Zu solchen Leistungen gehört auch die elektronische Übermittlung von Anbringen und Unterlagen, wenn eine diesbezügliche Verpflichtung besteht.

(2) Bevor eine Zwangsstrafe festgesetzt wird, muß der Verpflichtete unter Androhung der Zwangsstrafe mit Setzung einer angemessenen Frist zur Erbringung der von ihm verlangten Leistung aufgefordert werden. Die Aufforderung und die Androhung müssen schriftlich erfolgen, außer wenn Gefahr im Verzug ist.

2.2. Festsetzung Zwangsstrafe

Die Abgabenbehörde ist nach § 111 Abs. 1 BAO dazu befugt, die Befolgung ihrer auf Grund gesetzlicher Befugnisse getroffenen Anordnungen zu erzwingen. Zweck der Zwangsstrafe ist es insbesondere, die Partei zur Erfüllung ihrer abgabenrechtlichen Pflichten zu verhalten (VwGH 15.12.2022, Ra 2022/13/0023 unter Verweis auf VwGH 26.3.2014, 2013/13/0022). Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Einreichung von Abgabenerklärungen eine mittels Zwangsstrafe nach § 111 BAO erzwingbare Leistung dar (VwGH 26.3.2014, 2013/13/0022; VwGH 24.5.2007, 2006/15/0366; VwGH 19.4.2018, Ra 2016/15/0030 unter Verweis auf VwGH 28.10.1998, 98/14/0091).

Eine gesetzliche Befugnis der Abgabenbehörde ergibt sich auch aus § 143 BAO (VwGH 12.6.2024, Ra 2023/13/0017). Gemäß § 143 BAO ist die Abgabenbehörde berechtigt, Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen zu verlangen. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung schließt die Verbindlichkeit in sich, Urkunden und andere schriftliche Unterlagen, die für die Feststellung von Abgabenansprüchen von Bedeutung sind, vorzulegen oder die Einsichtnahme in diese zu gestatten.

Die Aufforderung zur Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren, sonstigen Schriften und Urkunden gem. § 138 Abs 2 BAO (Stoll, BAO-Kommentar, 1196) bzw. die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen zur Durchführung einer abgabenbehördlichen Prüfung (VwGH 28.2.1989, 86/14/0033; Ritz, BAO2, § 111 Tz 2) fällt damit unter die auf Grund gesetzlicher Befugnisse nach § 111 Abs 1 BAO getroffenen Anordnungen (VwGH 22.2.2000, 96/14/0079).

Im Beschwerdefall wurden am 4. Juli 2023 bzw. am 13. September 2023 Erklärungen der Immobilienertragsteuer eingereicht und Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen unter Angabe des Verkaufspreises und der Anschaffungskosten erklärt. Gleichzeitig wurde seitens der Bf. bekannt gegeben, dass die sog. Herstellerbefreiung anwendbar sei.

Die Abgabenbehörde genügt den ihr gemäß § 114 und § 115 BAO auferlegten Pflichten, wenn sie den Steuerpflichtigen auffordert, einen Beweis zu erbringen bzw. Unterlagen beizubringen, um die Prüfung der Befreiung zu gewährleisten. Dies ist durch Ersuchen um Ergänzung vom 7. Oktober 2024 und vom 16. Jänner 2025 sowie dem Telefonat am 16. Jänner 2025 erfolgt.

Die Abgabenbehörde ist jedoch nicht dazu verhalten, darüber hinaus mit "Zwangsstrafen und Ordnungsstrafen" gemäß § 111 Abs 1 BAO vorzugehen, um die amtswegige Erforschung sicherzustellen. Dies schon deshalb nicht, da ein solcher Zwang eine in die Verfassungssphäre reichende Rechtsverletzung bedeuten würde (VwGH 18.9.1991, 91/13/0012; VwGH 13.2.1991, 90/13/0161 unter Verweis auf VfGH 5.3.1979, B 175/76, VfSlg 8510/1976).

Die Nichtbeibringung von Beweismitteln zur Stützung des Standpunktes der Bf. im Beschwerdeverfahren durch Zwangsstrafen zu ahnden, läuft nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes auf eine Bestrafung für die Behauptung der Erweislichkeit des Begehrens der Bf. hinaus (VfGH 5.3.1979, B 175/76, VfSlg 8510/1976 zu Beweisen im Rechtsmittelverfahren). Für eine die Rechtsverfolgung derart behindernde Vorgangsweise bietet das Gesetz keine Handhabe.

Aufgrund der Angaben der Bf. in den ImmoESt-Erklärungen wäre es der Abgabenbehörde umgekehrt möglich gewesen, eine Besteuerung vorzunehmen, indem sie die Herstellerbefreiung mangels Nachweises nicht anwendet. Das Gesetz sieht es in verfassungskonformem Verständnis als ausreichend an, wenn die nicht glaubhaft gemachte Befreiung nicht angewendet wird, ohne dass der Bf. gegenüber eine Zwangsstrafe festgesetzt wird.

Im Beschwerdefall war die geforderte Übermittlung der "Informationen bzw. Beweisgrundlagen" zur Beurteilung des Abgabenschuldners, der Abgabepflicht, der Höhe der allfälligen Abgabe und des Vorliegens eines Befreiungstatbestandes anders als im vom VwGH 22.10.2024, Ra 2024/13/0106 entschiedenen Fall, nicht erforderlich.

Anders verhielte es sich allerdings, wenn die Bf. gar keine Erklärung abgegeben hätte, da nach der ständigen Judikatur des VwGH die Einreichung von Abgabenerklärungen sehr wohl eine mittels Zwangsstrafe nach § 111 BAO erzwingbare Leistung darstellt (vgl. z.B. VwGH 26.3.2014, 2013/13/0022 unter Hinweis auf VwGH 28.10.1998, 98/14/0091 und VwGH 24.5.2007, 2006/15/0366).

Im Übrigen hält der Verfassungsgerichtshof das Abverlangen "etwaiger Unterlagen" aufgrund des Eventualcharakters für keine Aufforderung iSd § 111 BAO (VfGH 5.3.1979, B 175/76, VfSlg 8510/1976). Dementsprechend kann die im Beschwerdefall erfolgte Aufforderung, "die Basis-Grundlagen (Verträge), die Information bzw. Beweisgrundlagen" vorzulegen, "um die Herstellerbefreiung würdigen zu können" auch nicht als Aufforderung gem. § 111 BAO verstanden werden, zumal die Kaufverträge dem Finanzamt aufgrund der ImmoESt-Erklärungen bzw. laut Aktenvermerk vom 16.1.2025 bereits vorlagen. Welche Anordnung die Bf. tatsächlich befolgen sollte, erschließt sich aus dem allgemeinen Charakter der Schreiben nicht so eindeutig, dass die Aufforderung frei von jedem Eventualcharakter wäre.

Abgesehen davon liegt die Verhängung einer Zwangsstrafe dem Grunde und der Höhe nach im Ermessen der Abgabenbehörde (VwGH 15.12.2022, Ra 2022/13/0023 unter Hinweis auf VwGH 26.6.1992, 89/17/0010).

Auch aus dem Blickwinkel des Ermessens scheint es nicht geboten, derartig vage formulierte Aufforderungen mit einer Zwangsstrafe zu sanktionieren. Dies gilt insbesondere in dem Fall, in dem in einem Telefonat auf einen berufsmäßigen Parteienvertreter verwiesen wird, mit dem offenbar auch Kontakt aufgenommen wurde.

Da die Verhängung einer Zwangsstrafe im Beschwerdefall überschießend ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die rechtswirksame Zustellung in die Databox der Bf., wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass bei einer wirksamen Zustellung einer schriftlichen Aufforderung im Sinne des § 111 Abs. 2 BAO die Voraussetzungen für die Verhängung der Zwangsstrafe erfüllt sind, wenn die von der Behörde gesetzte Frist (so sie als angemessen zu qualifizieren ist) bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheids ungenützt verstrichen ist (VwGH 10.8.2010, 2010/17/0082).

Drauf, dass nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 98 Abs 2 BAO elektronisch zugestellte Dokumente als zugestellt gelten, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind, hat das Finanzamt im Vorlagebericht ebenso hingewiesen wie auf den Umstand, dass es auf das tatsächliche Einsehen der Databox durch den FinanzOnline-Teilnehmer (zB Öffnen, Lesen, oder Ausdrucken eines Bescheides) nicht ankommt (zB BFG 27.10.2023, RV/4100232/2023; BFG 28.11.2023, RV/7103814/2023). Auch die Verständigung per E-Mail ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der elektronischen Zustellung (vgl zB BFG 31.8.2023, RV/4100210/2023; 9.10.2023, RV/6100541/2017; 28.11.2023, RV/7103814/2023).

2.3. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach der Judikatur des VwGH sind Zwangsstrafen zur Durchsetzung von Rechten gem. § 143 BAO (Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen) möglich (zB VwGH 12.6.2024, Ra 2023/13/0017), während Zwangsstrafen zur Vollziehung der der Behörde gem. § 114 und § 115 BAO auferlegten Pflichten (Gleichmäßigkeit der Besteuerung, amtswegige Ermittlungspflicht) nicht möglich sind (VwGH 18.9.1991, 91/13/0012; VwGH 13.2.1991, 90/13/0161 unter Verweis auf VfGH 5.3.1979, B 175/76, VfSlg 8510/1976). Ob die Abgrenzung der beiden Bestimmungen so zu erfolgen hat, wie im vorliegenden Erkenntnis, stellt die ungelöste Rechtsfrage dar, die Grund für die Zulassung der Revision ist.

Graz, am 26. August 2025