Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. in Oswald sowie den Hofrat Mag. Pichler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des M N, vertreten durch MMMag. Alfred Krenn, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2025, G308 2306445 1/9E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber ist ein im Jahr 1977 geborener deutscher Staatsangehöriger. Er wuchs in Deutschland auf, besuchte dort die Schule und absolvierte eine Berufsausbildung als Bäcker, wobei er in Deutschland in seinem erlernten Beruf auch arbeitete. Im Dezember 2016 reiste der Revisionswerber in das Bundesgebiet ein und ist seit diesem Zeitpunkt mit kurzen Unterbrechungen auch im Bundesgebiet aufhältig. Im Zeitraum von Dezember 2016 bis April 2018 ging der Revisionswerber ca. elf Monate lang einer Erwerbstätigkeit nach, für die auch eine Anmeldung beim zuständigen Sozialversicherungsträger vorgenommen wurde. Danach war der Revisionswerber gelegentlich und ohne entsprechende Meldung gegenüber den Sozialversicherungsträgern u.a. auf Baustellen als Arbeiter tätig. Im Bundesgebiet halten sich die Lebensgefährtin des Revisionswerbers, eine ungarische Staatsangehörige, und die gemeinsame siebenjährige Tochter, die sowohl ungarische als auch deutsche Staatsangehörige ist und für die die Lebensgefährtin des Revisionswerbers die alleinige Obsorge hat, auf. In Deutschland leben unter anderem die Eltern des Revisionswerbers.
2 Der Revisionswerber war zunächst in seinem Herkunftsstaat straffällig und 2007 vom Amtsgericht Stuttgart wegen Betrugsdelikten in 91 Fällen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Im Jahr 2011 erfolgte in Deutschland eine weitere Verurteilung wegen Betrugsdelikten zu einer bedingten Freiheitsstrafe.
Mit im Berufungsweg ergangenenUrteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. November 2024 wurde der Revisionswerber schließlich wegen schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß §§ 127, 128 Abs. 2, 129 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 Z 1, 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und zwei Monaten rechtskräftig verurteilt.
Dieser Verurteilung lag zu Grunde, der Revisionswerber habe im Zeitraum von Oktober 2018 bis zu seiner Festnahme Anfang Jänner 2023 in zahlreichen Angriffen Schmuck, Uhren, teure Weine, Bilder und andere Gegenstände in einem Gesamtwert von über € 300.000,00 zum Teil durch Einbruch in ein Lager und zum Teil durch widerrechtlich erlangte Schlüssel, wodurch ihm ein Eindringen in die Wohnungen und Häuser von mehreren Opfern möglich war, gestohlen. Der Revisionswerber, der zu seinen späteren Opfern durch die Durchführung von Arbeiten in deren Häusern oder Gärten ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe, habe bei der Begehung der Straftaten auch ausgenutzt, dass eines der Opfer pflegebedürftig und bettlägerig und ein weiteres Opfer querschnittgelähmt gewesen sei.
3Im Hinblick auf die letzte Verurteilung des Revisionswerbers und der dieser Verurteilung zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 17. Dezember 2024 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein auf neun Jahre befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), gewährte ihm in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).
4 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), nachdem es der Beschwerde zuvor mit Teilerkenntnis vom 29. Jänner 2025 gemäß § 18 Abs. 5 BFAVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insoweit Folge, als es die Dauer des Aufenthaltsverbots auf zwei Jahre herabsetzte und dem Revisionswerber gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilte.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision, die sich ausschließlich gegen die vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis getroffene Gefährdungsprognose richtet, wird vorgebracht, das BVwG habe diese Prognose unvertretbar und unter Missachtung von Grundsätzen des Verfahrensrechts vorgenommen, zumal der Revisionswerber vorzeitig aus der Strafhaft entlassen worden sei und das Vollzugsgericht bei seiner Entscheidung über die bedingte Entlassung des Revisionswerbers aus der Strafhaft festgehalten habe, dass „der Revisionswerber von seiner bisher verhängten Freiheitsstrafe derart beeindruckt [sei], dass er unter Anordnung von Bewährungshilfe von weiteren Delinquenzen abgehalten [werde].“ Bei Beachtung der Feststellungen des Vollzugsgerichtes und der vom Vollzugsgericht getroffenen positiven Zukunftsprognose hätte das BVwG eine Gefährdungsprognose zu Gunsten des Revisionswerbers treffen und das angefochtene Erkenntnis aufheben müssen.
Auch fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine Person, die bedingt aus der Strafhaft entlassen werde, wegen der Entscheidung des Vollzugsgerichtes jedenfalls mit einer „positiven Gefährdungsprognose [...] auszustatten [sei].“ Eine bedingte Entlassung gemäß § 46 StGB dürfe nämlich nur dann erfolgen, wenn eine positive Zukunftsprognose hinsichtlich des Betroffenen durch das Strafgericht abgegeben worden sei.
9 Mit diesem Vorbringen wird nicht aufgezeigt, dass dem Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Gefährdungsprognose nach dem im vorliegenden Fall maßgeblichenMaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender, für das Ergebnis der Entscheidung relevanter Fehler unterlaufen wäre.
10Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich im Rahmen der Gefährdungsprognose das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 22.2.2024, Ra 2022/21/0060, Rn. 14; VwGH 27.2.2025, Ra 2024/21/0194, Rn. 11). Das auf Fehlen von Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer bedingten Haftentlassung gerichtete Revisionsvorbringen ist daher nicht zielführend.
11Im Übrigen ist die einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die Gefährdungsprognose hinsichtlich eines Aufenthaltsverbotes iSd § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG dann nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. VwGH Ra 2016/21/0290, Rn. 6). Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer (bestimmten) Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 24.10.2024, Ra 2022/21/0161, Rn. 15, mwN).
12 Angesichts der Art der vom BVwG seiner Entscheidung anders als die Revision behauptetzugrunde gelegten vom Revisionswerber begangenen strafbaren Handlungen ist die Annahme des BVwG, das eine mündliche Verhandlung durchgeführt und sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft hat, der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 Satz 1 bis 4 FPG sei fallbezogen erfüllt, jedenfalls vertretbar, zumal das BVwG im angefochtenen Erkenntnis nicht bloß die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung des Revisionswerbers festgestellt hat, sondern im angefochtenen Erkenntnis auch ausreichende Feststellungen zu den konkreten vom Revisionswerber gesetzten Tathandlungen, die zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung geführt haben, getroffen wurden. Das BVwG durfte im Rahmen seiner Gefährdungsprognose im Übrigen auch berücksichtigen, dass der Revisionswerber die strafbaren Handlungen in einem Zeitraum von mehr als vier Jahren gesetzt hat (vgl. zur Berücksichtigung eines langen Tatzeitraums im Rahmen der Gefährdungsprognose etwa VwGH 21.12.2022, Ra 2020/21/0245, Rn. 13), die Schadenssumme mehr als € 300.000,00 betragen hat (vgl. zur Berücksichtigung einer hohen Schadenssumme etwa VwGH 1.7.2021, Ra 2021/21/0017, Rn. 12), und der Revisionswerber auch die Pflegebedürftigkeit und die körperlichen Einschränkungen von zwei Opfern, nachdem er zuvor zu diesen Personen ein entsprechendes Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte, ausgenutzt hat. Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass das BVwG in seine Gefährdungsprognose einbezog, dass der Revisionswerber erst knapp vier Monate vor der Entscheidung des BVwG aus der mehr als zweijährigen Strafhaft entlassen worden war, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 22.2.2024, Ra 2022/21/0060, Rn. 15, mwN).
13Die Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich die Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages hinsichtlich des Umstands, dass die Revision beim Bundesverwaltungsgericht entgegen § 21 Abs. 6 BVwGG auf dem Postweg und ohne Bescheinigung, dass die technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr (§ 1 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BVwGEVV) nicht vorgelegen wären, eingebracht wurde (vgl. VwGH 24.10.2023, Ra 2023/20/0451, Rn. 12, mwN).
Wien, am 12. August 2025