JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0060 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des C O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Februar 2022, I423 2148070 2/5E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein 1979 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, stellte im August 2014 unter der falschen Angabe, ein 1995 geborener Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 26. Juni 2017 abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde (von Amts wegen) gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Sierra Leone zulässig sei, und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt. Daraufhin wurde der Revisionswerber nach Sierra Leone abgeschoben.

2 Zuvor war der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Jänner 2016 wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 SMG (gewerbsmäßiges Überlassen von Suchtgift) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt worden.

3 Im Juni 2019 heiratete der Revisionswerber in Spanien eine spanische Staatsangehörige, die sich seit Oktober 2018 in Österreich aufgehalten hatte, über eine Anmeldebescheinigung verfügt und hier erwerbstätig ist. Im Jahr 2019 reiste der Revisionswerber mit einem gültigen spanischen Aufenthaltstitel erneut nach Österreich ein. Er ist für zwei Kinder sorgepflichtig, die in Spanien leben.

4 Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Juli 2020 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber neuerlich wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 SMG sowie gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, wovon neun Monate bedingt nachgesehen wurden. Diesem Urteil lag der Tatvorwurf zugrunde, der Revisionswerber habe ab einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2019 bis zu seiner Festnahme Mitte April 2020 in mehreren Fällen verschiedenen Abnehmern Heroin und Kokain in näher genannten Mengen gewerbsmäßig überlassen sowie Heroin und Kokain in näher genannten Mengen erworben und besessen, indem sie zum unmittelbar bevorstehenden Verkauf bereitgehalten wurden.

5 Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 1. Februar 2021 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. Februar 2022 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 In dieser Hinsicht macht der Revisionswerber geltend, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Überdies wendet er sich gegen die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose und die gemäß § 9 BFA VG durchgeführte Interessenabwägung.

11 Dem Revisionswerber ist einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, Rn. 10, mwN).

12 Unter Bedachtnahme auf alle für und gegen den Revisionswerber sprechenden Umstände durfte das BVwG im vorliegenden Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung aber im Ergebnis sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die gemäß § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung vertretbar von einem derartigen eindeutigen Fall ausgehen.

13 In Anbetracht der Delinquenz des Revisionswerbers im Bereich der Suchtmittelkriminalität ist die vom BVwG wegen seiner Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger richtigerweise am Maßstab des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) getroffene Gefährdungsprognose nicht zu beanstanden. Dabei zog das BVwG zu Recht ins Kalkül, dass der Revisionswerber die ihm angelasteten Straftaten überwiegend gewerbsmäßig beging. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers begegnet es auch keinen Bedenken, dass das BVwG bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Revisionswerbers zu seinem Nachteil auch berücksichtigte, dass er die seiner zweiten Verurteilung zugrundeliegenden Taten bereits mit seiner Wiedereinreise und noch bevor er überhaupt eine Hauptwohnsitzmeldung vornahm, also bevor er seinen Aufenthalt in Österreich gegenüber den Behörden deklariert hatte, begann. Es ist weiters nicht zu beanstanden, dass das BVwG im Zusammenhang mit der Höhe der verhängten Strafen auch auf den Umstand Bedacht nahm, dass die mit dem Urteil vom 14. Jänner 2016 verhängte Strafe (siehe oben Rn. 2) nur auf der Grundlage einer Täuschung des Revisionswerbers über sein Alter den unbestrittenen Feststellungen zufolge hatte er damals vorgegeben, unter 21 Jahre alt zu sein relativ gering ausgefallen war.

14 Dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach die teilbedingte Nachsicht seiner mit Urteil vom 28. Juli 2020 verhängten Freiheitsstrafe (siehe oben Rn. 4) indiziere, dass der anzuwendende Gefährdungsmaßstab nicht erfüllt sei, ist die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. etwa VwGH 29.6.2023, Ra 2021/21/0078, Rn. 14, mwN).

15 Schließlich verwies das BVwG auch zu Recht darauf, dass ein Gesinnungswandel des Revisionswerbers schon deswegen nicht angenommen werden könne, weil er einschlägig rückfällig geworden und erst knapp eineinhalb Jahre vor dem Entscheidungszeitpunkt aus der Strafhaft entlassen worden war. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. erneut VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, nunmehr Rn. 13, mwN).

16 Auch unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG durfte das BVwG zum Zeitpunkt seiner Entscheidung in Anbetracht der Schwere der wiederholt begangenen Straftaten und der daraus ableitbaren Gefährdungsprognose im Ergebnis von einem eindeutigen Fall ausgehen. So legte das BVwG der von ihm durchgeführten Abwägung ohnehin die vom Revisionswerber vorgebrachten familiären Bindungen zu seiner Ehefrau zugrunde und berücksichtigte zu seinen Gunsten auch den Umstand, dass die Ehefrau für den Lebensunterhalt des Revisionswerbers sorgt. Demgegenüber durfte es aber auch den Mangel einer (vom Revisionswerber in der Beschwerde nicht behaupteten) sprachlichen und beruflichen Integration des Revisionswerbers in Österreich ins Treffen führen.

17 In der Revision wird ohne dies näher zu substantiieren auch vorgebracht, das BVwG habe sich nicht ausreichend damit beschäftigt, welche Konsequenzen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auf das Familienleben des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau hätte. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das BVwG in nicht zu beanstandender Weise davon ausging, dem Revisionswerber und seiner spanischen Ehefrau sei die Fortführung des Familienlebens in Spanien zumutbar, zumal der Revisionswerber den unbestrittenen Feststellungen zufolge über einen gültigen spanischen Aufenthaltstitel verfügt und auch seine beiden Kinder, denen gegenüber er sorgepflichtig ist, in Spanien leben. Angesichts dessen, dass der Revisionswerber im behördlichen Verfahren und in seiner Beschwerde an das BVwG abgesehen von der Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau und dem Umstand, dass sie als „Stubenmädchen“ in einem Hotel erwerbstätig sei und dadurch ein Einkommen näher genannter Höhe erwirtschafte, von dem er auch lebe kein näheres Vorbringen zur individuellen Situation seiner Ehefrau erstattete, begegnet es auch keinen Bedenken, dass das BVwG davon ausging, die Ehefrau könne auch in Spanien einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2024

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