Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in der Rechtssache der Revision der Y R, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Mag. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2025, G316 22992671/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Kuba, stellte am 23. Mai 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie im Wesentlichen mit Diskriminierungen und Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, wobei die kubanischen Behörden sie nicht geschützt hätten, begründete.
2 Mit Bescheid vom 12. August 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Kuba zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - fest, die Revisionswerberin sei homosexuell und habe von 2017 bis 2020 in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft gelebt. Wegen ihrer Homosexualität sei die Revisionswerberin in Kuba von 2017 bis zu ihrer Ausreise Diskriminierungen, Schikanen und Misshandlungen durch Nachbarn und einen Lebensmittelhändler ausgesetzt gewesen. Ihr Haus sei wiederholt mit Steinen beworfen, in Geschäften seien ihr teilweise keine Lebensmittel ausgegeben und bei einem Vorfall sei sie von dem Lebensmittelhändler im Geschäft getreten worden. Die Revisionswerberin habe die Vorfälle bei der Polizei angezeigt, welche die Anzeigen jedoch nur teilweise aufgenommen oder nicht weiterverfolgt habe.
5 In seinen rechtlichen Erwägungen kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, die Diskriminierung der Revisionswerberin aufgrund ihrer sexuellen Orientierung habe nicht die für eine Asylrelevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erforderliche Eingriffsintensität erreicht, sodass nicht von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen sei. Darüber hinaus seien die Eingriffe von privaten Akteuren ausgegangen, wobei es auf die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des kubanischen Staates zur Hintanhaltung solcher Verfolgungshandlungen ankomme.
6 Wenngleich sich den Länderinformationen gewisse Defizite bei der Inanspruchnahme staatlichen Schutzes durch Homosexuelle bei Diskriminierungen entnehmen ließen und auch die Revisionswerberin entsprechende Unzulänglichkeiten erfahren habe, hätten sich die Schutzbestimmungen für Homosexuelle seit ihrer Ausreise im Jahr 2021 wesentlich weiterentwickelt. Wie das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung darlegte, sei aufgrund der aktuellen Länderberichte davon auszugehen, dass sich die Revisionswerberin im Fall von Übergriffen nunmehr erfolgreich an die kubanischen Behörden wenden könne.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revisiongemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
10 Die Revisionswerberin bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision zusammengefasst vor, angesichts der vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Diskriminierungen, Schikanen und Misshandlungen, denen die Revisionswerberin ausgesetzt gewesen sei, könne von einer nicht erheblichen Eingriffsintensität keine Rede sein, womit das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage zum Vorliegen einer erheblichen Intensität der Verfolgungsgefahr verkenne. Allein aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht zitierten neuen Gesetze seit dem Jahr 2022 sei nicht davon auszugehen, dass sich an der tatsächlichen Wirksamkeit des Schutzes maßgeblich etwas geändert habe. Auch schon davor wäre die Polizei verpflichtet gewesen, die gegen die Revisionswerberin begangenen Straftaten zu verfolgen, was jedoch nach den eigenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts unterlassen worden sei. Bereits die (kubanische) Verfassung von 2019 habe nämlich ausdrücklich eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verboten. Die Rechtsvorschriften in Kuba erwiesen sich somit nicht als wirksame Schutzvorschriften für Homosexuelle und der kubanische Staat sei als nicht schutzwillig anzusehen.
11Der Verwaltungsgerichtshof hat - unter Bezugnahme auf Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union - bereits wiederholt ausgesprochen, dass eine Verfolgung von Homosexuellen Asyl rechtfertigen kann und dass von einem Asylwerber nicht erwartet werden kann, seine Homosexualität im Herkunftsstaat geheim zu halten, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. etwa VwGH 12.5.2025, Ra 2025/20/0152 bis 0154, mwN).
12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. erneut VwGH 12.5.2025, Ra 2025/20/0152 bis 0154, mwN).
13Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. etwa VwGH 25.3.2024, Ra 2024/20/0090, mwN).
14Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt neben der Verfolgung durch staatliche Akteure auch einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden ist dabei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob der Betreffende unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. etwa VwGH 12.5.2025, Ra 2022/20/0289, mwN).
15Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden kann, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrechtlich relevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 27.1.2025, Ra 2024/20/0776 bis 0778, mwN).
16 Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu in seinen rechtlichen Erwägungen insbesondere aus, aus den vorliegenden Länderinformationen ergebe sich, dass in Kuba grundsätzlich ein staatliches Sicherheitssystem eingerichtet sei und funktionierende Staatsgewalten bestünden. Die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sei mit dem neuen Strafgesetz von 2022 unter Strafe gestellt worden. Zudem sei das neue Familiengesetz 2022 in einer landesweiten Volksabstimmung („referendum“) im September 2022 mit 67% der Stimmen angenommen worden. Dieses Gesetz anerkenne gleichgeschlechtliche Ehen sowie das Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Adoption sowie auf Inanspruchnahme unterstützter Fortpflanzungstechniken. Es sei daher davon auszugehen, dass auch die Gesellschaft diese Entwicklungen zum Schutz homosexueller Personen mittrage. Das neue Familiengesetz 2022 schreibe die wesentlichen Fortschritte im Bereich des rechtlichen Schutzes für LGBTI Personen fest und es seien im Zeitraum September 2022 bis Dezember 2023 insgesamt 1.333 gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen worden, was ebenso auf die gelebte Praxis dieser Rechte hinweise.
17 Wenngleich einzelne Übergriffe seitens privater Dritter nicht gänzlich ausgeschlossen werden könnten, bleibe festzuhalten, dass insbesondere im Lichte der Entwicklungen der letzten Jahre zur Lage von Homosexuellen in Kuba keine Anhaltspunkte dahin vorlägen, wonach die staatlichen Einrichtungen Kubas (z.B. die Nationalpolizei oder die Justizbehörden) systematische oder sonst zielgerichtete Verfolgungshandlungen gegen Personen aufgrund ihrer Homosexualität oder der Zugehörigkeit zu einer LGBTI-Gruppe anordnen oder dulden würden. Auch wenn bei der Umsetzung des rechtlichen Rahmens zum Schutz vor Diskriminierung von LGBTI Personen noch Verbesserungsbedarf bestehe, sei von einer ausreichenden Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der kubanischen Behörden gegenüber Homosexuellen auszugehen.
18 Mit den pauschalen Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision, die sich nicht substantiiert mit den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den geänderten gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Kuba seit der Ausreise der Revisionswerberin auseinandersetzen, wird nicht dargetan, dass die anhand der Berichtslage zur Situation auf Kuba gezogene Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichts, der kubanische Staat sei fähig und willens, die hier in Rede stehenden Verfolgungshandlungen zu unterbinden, zu beanstanden wäre. Auf die Frage, ob die vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Handlungen durch nicht-staatliche Akteure gegen die Revisionswerberin vor ihrer Ausreise einen ungerechtfertigten Eingriff von erheblicher Intensität in ihre zu schützende persönliche Sphäre darstellten, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
19 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 16. Juli 2025