JudikaturVwGH

Ra 2025/20/0168 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
16. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in den Rechtssachen der Revisionen 1. des K Y, 2. der K Y, 3. des M Y, 4. des Z Y, 5. des Ö Y, und 6. der G Y, alle vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2 4/23, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 11. November 2024, 1. I407 2296982 1/24E, 2. I407 2294055 1/24E, 3. I407 2294057 1/24E, 4. I407 2293763 1/24E, 5. I407 2293761 1/24E und 6. I407 22945971/24E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Türkei und gehören der kurdischen Volksgruppe an. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittrevisionswerbers sowie der volljährigen Viert und Fünftrevisionswerber und der ebenfalls volljährigen Sechstrevisionswerberin.

2Der Erstrevisionswerber stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 21. Oktober 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er damit begründete, im Fall der Rückkehr der Blutfehde mit einer verfeindeten Familie ausgesetzt zu sein. Er habe zudem im Herkunftsstaat die HDP unterstützt und ihm sei im Herkunftsstaat wegen Präsidentenbeleidigung der Reisepass abgenommen und es sei Anklage erhoben worden. Die Zweitrevisionswerberin stellte für sich und den minderjährigen Drittrevisionswerber ebenso wie die Fünftund Sechstrevisionswerber am 7. August 2023 und der Viertrevisionswerber am 30. August 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Sie stützten sich dabei allesamt ebenfalls auf den Fluchtgrund der Blutfehde, wobei die Sechstrevisionswerberin weiters vorbrachte, dass die verfeindete Familie sie als „Braut“ hätte haben wollen. Ihr Vater, der Erstrevisionswerber, habe dies aber nicht akzeptiert.

3Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge der revisionswerbenden Parteien mit den Bescheiden vom 29. April 2024, 2. Mai 2024, 14. Mai 2024, 23. Mai 2024 und 27. Juni 2024 sowohl hinsichtlich der Begehren auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Begehren auf Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihnen jeweils keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte jeweils fest, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt V.), und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).

4 Mit den Erkenntnissen je vom 11. November 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer zwei Tagsatzungen umfassenden mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG jeweils für nicht zulässig.

5 Begründend kam das Bundesverwaltungsgericht soweit hier wesentlich zum Ergebnis, dass hinsichtlich der vorgebrachten Bedrohung durch Dritte keine asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung festgestellt werden können. Der Erstrevisionswerber habe betreffend das gegen ihn anhängige Strafverfahren in seinem Herkunftsstaat keine darin liegende politische Verfolgung glaubhaft machen können und darüber hinaus sei auch keine asylrelevante Verfolgung, die sich aus einer Zwangsverheiratung ergebe, glaubhaft gemacht worden.

6 Die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerden wurden von diesem mit Beschluss vom 24. Februar 2025, E 4910 4915/2024 7, abgelehnt und die Beschwerden über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 13. März 2025, E 4910 4915/2024 9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Daraufhin wurden die gegenständlichen Revisionen erhoben.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revisiongesondert gemäß § 28 Abs. 3 VwGG vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

10 Die Revisionswerber bringen zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Revisionen vor, das Bundesverwaltungsgericht berufe sich in den angefochtenen Erkenntnissen in der Beweiswürdigung „zur Entgegnung und Abtuung all der Fluchtgründe pauschal auf das ‚Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 18.10.2024‘, ohne ein einziges Mal eine konkrete Stelle nach Seitenzahl, geschweige nach einer näheren Eingrenzung, wo auf einer Seite oben, Mitte oder unten oder nach einer Nummer eines Absatzes, etwa: ‚Länderinformationsblatt, Seite ... oben oder Abs. 3)‘ zu bezeichnen oder den (naturgemäß eingeschränkten) zu einem Akt der Beweiswürdigung gehörigen Text als solchen wiederzugeben und konkret in Relation zu setzen, sohin ohne beweiswürdigenden Erwägungen Platz greifen zu lassen“. Die angefochtenen Entscheidungen seien nicht nachvollziehbar und zur Herstellung einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung aufzuheben, um die Revisionswerber in die Lage zu versetzen, ihr Recht auf Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes durch eine Revision gesetzmäßig ausüben zu können. Darüber hinaus habe eine Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichtes mit den Länderberichten im Detail nicht stattgefunden.

11 Mit diesem Vorbringen zeigen die revisionswerbenden Parteien keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.

12Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 12.5.2025, Ra 2025/20/0052, mwN).

13 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich von den revisionswerbenden Parteien einen unmittelbaren Eindruck verschaffte, mit deren Vorbringen zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat ausführlich und in nicht unschlüssiger Weise auseinandergesetzt. Dabei hat es auf die konkreten Umstände der jeweiligen Situation der revisionswerbenden Parteien Rücksicht genommen, ist auf deren gesamtes Vorbringen eingegangen und hat auch Bezug auf die Feststellungen zur Lage in der Türkei genommen. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären, wird von den revisionswerbenden Parteien, die sich mit der umfassenden Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichtes mit den Angaben der Revisionswerber gar nicht befassen und somit diesen Ausführungen auch nichts entgegensetzen, nicht aufgezeigt.

14Entgegen dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung, wonach das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung Länderberichte zugrunde gelegt habe, ohne einen beweiswürdigenden Konnex zur behaupteten Verfolgungsgefahr herzustellen, ist aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes erkennbar, von welchen Tatsachen es auf Grund welcher Erwägungen ausgegangen ist und wie es diesen Sachverhalt rechtlich beurteilt hat, sodass im vorliegenden Fall weder die Rechtsverfolgung durch die Parteien noch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof beeinträchtigt wurden (vgl. etwa VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0148, mwN). Damit wurde auch den Anforderungen an die Begründungspflicht Genüge getan (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab VwGH 17.2.2022, Ra 2021/20/0400, mwN).

15 Zudem ignorieren die Revisionswerber den Umstand, dass sich das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Unglaubwürdigkeit des gesamten Fluchtvorbringens tragend auf die Widersprüche, Ungereimtheiten und Steigerungen in den Aussagen der Revisionswerber stützte und die Bezugnahme auf Länderberichte im Wesentlichen als Untermauerung und Bestätigung seiner zuvor getroffenen Erwägungen herangezogen hat.

16 Weiters machen die revisionswerbenden Parteien als Verletzung des Parteiengehörs geltend, dass sich das Verwaltungsgericht zur Verifizierung der Glaubwürdigkeit der Ausführungen der Revisionswerber zu ihrer Gefährdung durch Blutrache einerseits geweigert habe, ein Sachverständigengutachten einzuholen und andererseits die Vorlage eines von den Revisionswerbern in Auftrag gegebenen Privatgutachtens nicht abgewartet zu haben. Die Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne eigene Sachkunde des Richters zum „Funktionieren der Blutrache“ sei eine Verletzung fundamentaler Verfahrensvorschriften.

17 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. 29.3.2023, Ra 2023/14/0095 bis 0096, mwN).

18 Fallbezogen hat das Bundesverwaltungsgericht ausreichend begründet, warum es von der Einholung der beantragten Sachverständigengutachten Abstand genommen hat. Auch diese Erwägungen greifen die revisionswerbenden Parteien nicht auf und legen somit nicht dar, aus welchen Gründen die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes fehlerhaft sein sollte.

19 Der Erstrevisionswerber wendet sich auch im Hinblick auf die drohende Verurteilung wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei gegen die Versagung der Zuerkennung des Asylstatus.

20 Im Fall der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat bedarf es einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung („prosecution“) einerseits und der Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK („persecution“) andererseits. Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen „Verfolgung“ im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.

21Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es somit entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an (vgl. zum Ganzen VwGH 24.9.2024, Ra 2024/20/0469, mwN).

22 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich sowohl mit eben dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auseinander als auch mit den aus den Länderberichten ersichtlichen Verurteilungsraten und ähnlichen Straftatbeständen in anderen Ländern. Es führte dazu vertretbar aus, dass eine illegitime Strafverfolgung bezogen auf den Erstrevisionswerber nicht zu erkennen sei. Dem setzen die revisionswerbenden Parteien in der Zulässigkeitsbegründung nur pauschal gehaltene substanzlose Behauptungen entgegen. Wenn die revisionswerbenden Parteien in diesem Zusammenhang auch vorbringen, das „Abstellen auf eine Notwendigkeit einem Schauprozess ausgesetzt sein“, sei „ein bislang erstmaliges Erfordernis, das das belangte VwG zur Asylrelevanz zusätzlich“ aufstelle, so stellen sie damit eine Behauptung auf, mit der der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts von ihnen ein Bedeutungsinhalt beigemessen wird, den diese bei verständiger Lesart aber nicht aufweist.

23 Auch lassen die revisionswerbenden Parteien mit ihrem Vorbringen unbeachtet, dass sich das Verwaltungsgericht eingehend mit der Frage der Asylrelevanz der Strafverfolgung im Herkunftsstaat wegen Präsidentenbeleidigung unter mehreren Aspekten befasst hat.

24Der Erstrevisionswerber, der letztlich die ihm in der Türkei vorgeworfene Tat auch nicht bestreitet, setzt diesen Erwägungen bezogen auf seine Person und sein konkretes Strafverfahren nichts Entscheidungsrelevantes entgegen. Er bezieht sich auf allgemeine Aussagen aus Länderberichten und zitiert Rechtsprechung. Erläuterungen dazu, aus welchen Gründen das Bundesverwaltungsgericht den Eintritt einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aufgrund des anhängigen Strafverfahrens im Zeitpunkt seiner Entscheidung als maßgeblich wahrscheinlich hätte ansehen müssen, bleibt der Erstrevisionswerber schuldig (vgl. dazu, dass die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen muss, jedoch die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, um den Status des Asylberechtigten zuerkannt zu bekommen, etwa VwGH 13.10.2022, Ra 2022/20/0287, mwN).

25 In den Revisionen wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2025