Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision des K A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Oktober 2024, I406 22863261/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Tunesiens, reiste im Februar 2021 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 6. April 2023 aus dem Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen mit seinem Abfall vom Islam begründete.
2Mit Bescheid vom 22. Dezember 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG soweit wesentlich aus, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung angesichts der Interessenabwägung der öffentlichen, privaten und familiären Interessen zulässig sei und nicht in unzulässiger Weise in die Beziehung des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau und den Kindern, allesamt österreichische Staatsbürger, eingreife.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 25. November 2024, E 4170/2024 6, deren Behandlung ablehnte und sie über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 6. Dezember 2024, E 4170/2024 9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Daraufhin wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausschließlich gegen die durch das BVwG im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFAVG iVm Art. 8 EMRK vorgenommene Interessenabwägung. Das BVwG habe es unterlassen, sich hinreichend mit dem Kindeswohl dies insbesondere auch unter dem Aspekt der Behinderung der Ehefrau des Revisionswerbers und deren Auswirkungen auf die Betreuung der Kinderauseinanderzusetzen. Ferner sei näher genannte Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 20 AEUV missachtet worden.
10Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG (vgl. VwGH 18.7.2025, Ra 2025/14/0127, mwN).
11 Die vom Revisionswerber angesprochene Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. VwGH 24.9.2024, Ra 2024/20/0525 bis 0527, mwN).
12 Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist zudem nicht allein auf die privaten und familiären Interessen eines Minderjährigen abzustellen, sondern zu berücksichtigen, dass auch den öffentlichen Interessen an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insbesondere gegen im Bundesgebiet aufhältige Fremde, die nach für sie negativem Abschluss von Asylverfahren über kein Aufenthaltsrecht mehr verfügen maßgeblicher Stellenwert zukommt. Es ist daher dem Kindeswohl im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 9 BFAVG kein absoluter Vorrang beizumessen (vgl. abermals VwGH 24.9.2024, Ra 2024/20/0525 bis 0527, mwN, u.a. auf die Rechtsprechung des EGMR).
13 Bei der Beurteilung des Privat und Familienlebens des Fremden im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFAVG ist zudem maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 30.6.2025, Ra 2025/19/0147, mwN).
14 Unter Einbeziehung der fallbezogen maßgeblichen Aspekte nahm das BVwG nachdem es sich in einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und dessen Ehefrau verschafft hattedie nach diesen Leitlinien gebotene Abwägung vor. Dabei ließ es etwa die unrechtmäßige Einreise, die Missachtung eines Einreiseverbots und die Stellung eines offenbar unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz sowie den unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers zum Zeitpunkt des Beginnes der Beziehung zu seiner Ehefrau ebenso einfließen wie die Erwägung, dass der Antrag auf internationalen Schutz der Umgehung der Regelungen des NAG gedient habe. Das BVwG setzte sich zudem am Boden der fallbezogenen Umstände ausreichend mit dem Kindeswohl sowohl des leiblichen Sohnes als auch der beiden an Kindes statt angenommenen Kinder des Revisionswerbers auseinander und berücksichtigte dabei unter anderem, dass der Revisionswerber in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehe und finanziell nicht in der Lage sei, ausreichend zum Haushalt beizutragen. Der Revisionswerber unterstütze seine Ehefrau im Haushalt und in der Kinderbetreuung, diese sei jedoch bei der Bewältigung der Aufgaben und der Erziehung nicht auf seine ständige Präsenz angewiesen. Die Revision zeigt nicht auf, dass die derart vorgenommene Beurteilung des BVwG unvertretbar oder sonst mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre.
15 Soweit die Revision auf das Urteil des EuGH vom 5. Mai 2022, C 451/19 und C532/19, verweist, genügt es anzumerken, dass nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH, der auch der Verwaltungsgerichtshof folgt, Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen einschließlich Entscheidungen, mit denen Familienangehörigen eines Unionsbürgers der Aufenthalt verweigert wird, entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen ihr Status verleiht, verwehrt wird. Dazu kann es etwa dann kommen, wenn der Unionsbürger infolge der Verweigerung des Aufenthaltsrechts an einen Familienangehörigen de facto gezwungen wäre, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, was jedoch voraussetzt, dass zwischen ihm und diesem Familienangehörigen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen zu begleiten und das Gebiet der Union zur Gänze zu verlassen (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0168, mwN). Dass diese Voraussetzungen gegenständlich entgegen der diesbezüglichen Erwägungen des BVwG vorlägen, legt die Revision mit ihrem pauschalen Verweis auf die Behinderung der Ehefrau des Revisionswerbers, aufgrund derer sie bei der Kinderbetreuung auf ihn angewiesen sei, nicht dar.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 17. September 2025