JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0469 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des M B, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Juni 2024, L519 2286140 1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 14. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit Bescheid vom 15. Dezember 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den vom Revisionswerber gestellten Antrag ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

7 Der Revisionswerber wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Ansicht, dass ihm aufgrund der in seinem Herkunftsstaat erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen und noch anhängigen Strafverfahren keine asylrechtlich relevante Verfolgung drohe. In diesem Zusammenhang macht er auch Ermittlungsmängel geltend.

8 Soweit sich die Revision dabei zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst unter unterschiedlichen Aspekten gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 26.6.2024, Ra 2024/20/0154, mwN).

9 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers ausführlich beweiswürdigend auseinandergesetzt und legte entgegen dem Vorbringen in der Revision in seiner Entscheidung mit näherer Begründung dar, aus welchen Gründen weder aufgrund der Anhängigkeit der Strafverfahren gegen den Revisionswerber im Herkunftsstaat noch aufgrund der bereits gegen ihn vorliegenden Verurteilungen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status als Asylberechtigter gegeben seien. Eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende und unvertretbare Beweiswürdigung, insbesondere in Bezug auf die Feststellungen zu den in der Türkei gegen den Revisionswerber anhängigen aber auch abgeschlossenen Strafverfahren, zeigt die Revision nicht auf.

10 Der Revisionswerber rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe das beantragte psychologische Sachverständigengutachten zur behaupteten Traumatisierung nicht eingeholt. Das Gutachten hätte ergeben, dass der Revisionswerber ein Trauma erlitten habe und das ihm vorgeworfene oberflächliche Vorbringen und die emotionslose Schilderung seiner Vergewaltigung unmittelbare Folge der psychischen Erkrankung seien und nicht gegen seine Glaubwürdigkeit sprächen. Darüber hinaus wäre im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflicht ein medizinisches Gutachten zur Beurteilung der Folternarben einzuholen gewesen.

11 Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0333, mwN). In der Unterlassung der Beweisaufnahme ist kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (vgl. VwGH 28.5.2021, Ra 2021/20/0070, mwN).

12 Ob eine Beweisaufnahme im angesprochenen Sinn geboten ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 9.8.2022, Ra 2022/20/0171, mwN).

13 Dazu ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Revisionswerbers hinsichtlich der Folterspuren nicht tragend auf das späte Vorbringen in der Beschwerdeergänzung stützte und auch der Revisionswerber selbst lediglich davon sprach, dass er sich vor dem Dolmetscher in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geschämt habe und er es nicht habe öffentlich machen wollen. Auf die Frage der Richterin nach seinem Gesundheitszustand antwortete er mit „sehr gesund“. Eine grob fehlerhafte Beurteilung des Verwaltungsgerichtes angesichts der Abstandnahme von der Einholung eines psychologischen und eines medizinischen Gutachtens kann daher nicht erblickt werden.

14 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Pflicht zu amtswegigen Ermittlungen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 25.7.2022, Ra 2022/20/0166 bis 0167, mwN).

15 Aus den Ausführungen des Revisionswerbers betreffend die Einholung eines medizinischen Gutachtens zur Verifizierung der Folternarben ist nicht ersichtlich, weshalb dem Bundesverwaltungsgericht ein solcher Vorwurf zu machen wäre.

16 Im Fall der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat bedarf es einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung („prosecution“) einerseits und der Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK („persecution“) andererseits. Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen „Verfolgung“ im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.

17 Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es somit entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an (vgl. zum Ganzen VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).

18 Der Revisionswerber spricht in diesem Zusammenhang in seinem Zulässigkeitsvorbringen nur das Strafverfahren wegen Präsidentenbeleidigung an. Nach den in der Revision unbekämpft gebliebenen Feststellungen wurde der Revisionswerber in der Türkei hinsichtlich des Vorwurfes der Präsidentenbeleidigung im Jahr 2021 erstinstanzlich freigesprochen. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Dieses sprach den Revisionswerber erneut frei, wogegen abermals Berufung erhoben wurde. Das Berufungsverfahren ist nach wie vor anhängig. Aus den Länderberichten, so folgerte das Bundesverwaltungsgericht weiter, zeige sich zudem, dass es in weniger als 10% der Verfahren zu einer Verurteilung komme und in diesen wenigen Fällen nur selten Haftstrafen verhängt würden. Darüber hinaus ergebe sich aus der Staatendokumentation, dass es überwiegend zu Verurteilungen gesellschaftlich höhergestellter und exponierter Personen (Bürgermeister, Rechtsanwälte, Wissenschafter, Olympia Sportler), darunter vor allem Journalisten komme. Dem Revisionswerber komme eine derart exponierte Stellung nicht zu. Dass der Revisionswerber in erster Instanz zweimal freigesprochen worden sei, spreche schließlich auch gegen einen reinen Schauprozess. Unter Zugrundelegung näher genannter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ließen sich grundlegende Verstöße gegen rechtsstaatliche Verfahrensgarantien aus den Länderberichten nicht ableiten. Hinweise auf ein unfaires Verfahren seien anhand der vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen nicht hervorgekommen.

19 Der Revisionswerber, der letztlich die ihm in der Türkei vorgeworfenen Taten auch nicht bestreitet, setzt diesen Erwägungen bezogen auf seine Person und sein konkretes Strafverfahren nichts Entscheidungsrelevantes entgegen. Er bezieht sich auf allgemeine Aussagen aus Länderberichten und stellt Mutmaßungen zu einer künftig im Herkunftsstaat zu erwartenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe der Kurden und den bisherigen Verurteilungen in der Türkei in den Raum. Erläuterungen dazu, aus welchen Gründen das Bundesverwaltungsgericht den Eintritt solcher Ereignisse im Zeitpunkt seiner Entscheidung als maßgeblich wahrscheinlich hätte ansehen müssen, bleibt der Revisionswerber schuldig (vgl. dazu, dass die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen muss, jedoch die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, um den Status des Asylberechtigten zuerkannt zu bekommen, etwa VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0445, mwN).

20 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung des Weiteren gegen die Versagung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt vor, der Revisionswerber sei entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unter Hinweis auf näher genannte Berichte bei Rückkehr in sein Heimatland unzumutbaren und den Bestimmungen des Art. 3 EMRK widersprechenden Haftumständen ausgesetzt.

21 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 1.7.2024, Ra 2024/20/0347, mwN).

22 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich unter Zugrundelegung aktueller Länderberichte mit der Situation kurdischer Häftlinge auseinander und verneinte vertretbar, dass der Revisionswerber bei der Verbüßung einer Strafhaft in türkischen Haftanstalten der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Die Revision legt nicht ausreichend konkret auf die Person des Revisionswerbers bezogen eine Unvertretbarkeit der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dar.

23 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 24. September 2024

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