Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des L D, vertreten durch Mag. aNadja Lorenz, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2024, W112 2224571-2/36E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen. Er stellte am 23. Jänner 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 10. Juni 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3Mit Beschluss vom 9. März 2018 gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen den Bescheid des BFA vom 10. Juni 2014 hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers statt, behob den Bescheid in diesem Umfang und verwies das Verfahren gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an das BFA zurück.
4 Mit Aktenvermerk vom 4. September 2019 leitete das BFA das Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen geänderter Verhältnisse ein.
5 Mit dem als Bescheid bezeichneten Schreiben vom 9. September 2019 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen ab, erkannte dem Revisionswerber den ihm mit Bescheid vom 10. Juni 2014 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, stellte fest, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, und erteilte dem Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung plus“.
6Die gegen das als Bescheid bezeichnete Schreiben des BFA vom 9. September 2019 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Mai 2022 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 18 Abs. 3 AVG mangels Bescheidqualität zurück.
7Mit Bescheid vom 18. Januar 2023 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom 23. Januar 2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den ihm mit Bescheid vom 10. Juni 2014 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, stellte fest, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, und erteilte dem Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.
8 Die gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Abweisung des Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht ab. Es habe nicht alle Aspekte des Fluchtvorbringens in ihrer Gesamtheit gewürdigt und keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergebe, dass einfache Demonstranten nach Ablauf von fünf Jahren keine politische Verfolgung zu befürchten hätten, ebenso zur Anwendung von Kollektivstrafen. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht ohne Begründung das Vorbringen des Revisionswerbers zur Berichterstattung über Demonstrationsteilnahmen übergangen. Im Zusammenhang mit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten habe es das Bundesverwaltungsgericht verabsäumt, die ausgestrahlten Bilder von Demonstrationen festzustellen. Es würden auch Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des Revisionswerbers fehlen. Das angefochtene Erkenntnis enthalte zudem keine beweiswürdigenden Ausführungen zur Frage, ob, warum und unter Heranziehung welcher Berichte das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss komme, dass sich die Verhältnisse, die zur Zuerkennung des Status geführt hätten, seit der letzten Erteilung maßgeblich und dauerhaft verändert hätten.
13 Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wendet sie sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts.
14 Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach den individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung stellt im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdekeine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 22.8.2024, Ra 2021/19/0389, mwN).
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanzzur Überprüfung der Beweiswürdigung nämlich im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. nochmals VwGH 22.8.2024, Ra 2021/19/0389, mwN).
16 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich unter Heranziehung der Länderberichte beweiswürdigend mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers wie auch mit den vorgelegten Dokumenten, etwa zur Berichterstattung der besuchten Demonstrationen, auseinander und schlussfolgerte, dass dem Revisionswerber keine asylrelevante Verfolgung drohe. Soweit die Revision vorbringt, das Vorbringen zur Demonstrationsteilnahme sei ohne Begründung übergangen worden, ist dem zu entgegen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit diesem Vorbringen in seiner Beweiswürdigung auseinandersetzte.
17 Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in ihrer Gesamtheit unvertretbar wären, legt der Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht dar.
18 Soweit die Revision fehlende Feststellungen zu den ausgestrahlten Berichten über Demonstrationen, an denen der Revisionswerber teilgenommen habe, rügt, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel wie hier Feststellungsmängelals Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2020/14/0189, mwN). Im Hinblick auf die nicht unvertretbare Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichts mit der Berichterstattung über die Demonstrationsteilnahme des Revisionswerbers in der Beweiswürdigung kann die Revision die Relevanz dieses Verfahrensmangels nicht aufzeigen.
19Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen. Die Anwendung des - vom Bundesverwaltungsgericht im Revisionsfall herangezogenen - zweiten Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. VwGH 12.12.2024, Ra 2023/19/0472, mwN).
20Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (vgl. erneut VwGH Ra 2023/19/0472, mwN).
21 Das Bundesverwaltungsgericht führte ausgehend von der ursprünglichen Lage, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Revisionswerber geführt hatte, und unter Berücksichtigung der Lage zum Zeitpunkt der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des Revisionswerbers am 16. Juni 2017 aus, dass sich die Sicherheitslage in Tschetschenien vor dem Hintergrund der Länderberichte deutlich verbessert habe. Der Revisionswerber habe seine Freiheitsstrafe zur Gänze verbüßt. Ein Strafverfahren gegen den Revisionswerber sei nicht offen, auch könnten die Familienangehörigen des Revisionswerbers unbehelligt in Tschetschenien leben.
22 Dass das Bundesverwaltungsgericht mit dieser Beurteilung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, abgewichen wäre, legt die Revision mit ihrem Vorbringen nicht dar. Vor diesem Hintergrund kann die Revision auch die Relevanz der geltend machten Feststellungsmängel zur Lage in Tschetschenien nicht aufzeigen.
23 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 14. August 2025